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Laufberichte

Hart erarbeitet (K78)

 

Unwirklich wirkt das rote km 55 Schild des K78. Den verschiedenen Läufen des Swissalpine sind Farben zugeordnet. Für jeden Lauf gibt es alle 5 km Kilometerangaben in der jeweiligen Farbe. Für den K78 sind diese rot. Die Angaben beziehen sich aber auf die noch zu laufenden Kilometer, die Zahlen werden also kleiner. Und hier mitten in dieser großartigen Kulisse steht nun also das km 55 Schild.

Etwas weiter ist die Straße von dem typischen weißen Flatterband des Swissalpine Sponsors „Migros“ abgesperrt und wir werden auf einer steinernen Treppe in die Tiefe geleitet. Über eine kleine Brücke überqueren wir das Flüsschen Landwasser und gelangen auf einem Singletrail am gegenüber liegenden Ufer bergauf.

Immer wieder öffnet sich ein Ausblick auf die gegenüberliegenden Felsen und den sich unter uns ausbreitenden Wald. Trotz der Steigung macht es Spaß in der Gruppe locker den Berg hinauf zulaufen. Es wird wenig gesprochen, denn jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Aber eine stille Einigkeit verbindet uns: Schön ist es hier!

Nanu - was ist das? Mitten in meinen Gedanken höre ich Lautsprecheransagen. Zwei Kurven später ist es klar - die Bahnstation von Wiesen bei km 24 liegt unter uns. Jeder Läufer wird angesagt und kann an der Verpflegung verlorene Kalorien auffüllen. Die Müsliriegel lachen mich an. Ob das gut geht? Eigentlich sollte man ja keine Experimente machen. Oh, sind die lecker. Noch je ein Tee, eine Bouillon und ein Iso drauf. Wo geht es weiter? Über die Gleise; aber die Schranke ist zu! Zwei Helfer sichern den Überweg: obwohl der Zug bereits erwartet wird, dürfen wir noch hinüber.

Ein schmaler Wanderweg führt an den Gleisen entlang. Mit lautem Getöse fährt der Zug an mir vorbei, bremst und kommt im Bahnhof zum Stehen. Zuerst passiert nichts. Ein Bahnpassagier mit Fotoapparat sieht uns laufen. Dann geht es Schlag auf Schlag: die Fenster werden aufgerissen und vielstimmiger Jubel ertönt. Es fühlt sich an wie ein Zieleinlauf.

Doch das eigentliche Highlight wartet noch: das Wiesener Viadukt. 210 m lang und 88,9 m hoch liegt es nun vor mir. Die Brücke besteht aus einem nur 3,7 m breiten Hauptbogen mit einer lichten Weite von 55 m sowie westlich zwei und östlich vier Nebenbögen à 20 m. Eine Besonderheit ist, dass der östliche Brückenteil nicht gerade verläuft, so dass das Gleisbett eine Kurve aufweist. Sie ist damit nach dem Langwieser Viadukt die zweitgrößte Brücke überhaupt und die größte Steinbogenbrücke– der RhB. Außerdem ist sie auch noch  die zweithöchste Brücke der RhB, nach dem nur zehn Zentimeter höheren Soliser Viadukt.

Nun kommt die Gewissensfrage: soll ich auf den Zug warten? Es wäre natürlich optimal, zusammen mit dem Zug die Brücke zu überqueren. Ich entscheide mich dagegen. Vielleicht kommt er ja bis ich drüben bin. Mutig betrete ich den Gitterweg, die Höhenangst lässt grüßen. Der Überweg ist halb so schlimm. Ich fixiere das gegenüberliegende Festland - nur nicht nach unten sehen. An der erwähnten Brückenkurve wage ich einen Blick zurück. Oh - nicht gut! Sofort wird mir schwindelig und ich ergreife die Flucht nach vorn. Der Zug kommt immer noch nicht. Erst als wir bereits auf dem Singletrail im Wald verschwunden sind, höre ich sein nahendes Grollen. Ich kann sein auffälliges Rot undeutlich zwischen den Bäumen unter mir erkennen.

Wir gewinnen schnell an Höhe. Oben wird der Single Trail breiter und die Szenerie offen. Ein bequemer Feldweg führt über grüne Wiesen, die nur ab und zu von Bäumen bestanden sind, bergab. Das hohe Aufkommen von Publikum signalisiert die Nähe eines Ortes. Filisur erwartet uns bereits. Das Bergdorf mit seinen 500 Einwohnern liegt auf 1032 m ü. M und gilt als eines der  am besten erhaltenen Engadiner Straßendörfer. Die Häuser sind beidseitig der Dorfstraße aufgereiht und mit den Erkern und Sgraffiti-Fassaden zur Straße ausgerichtet.

Hier ist das Ziel für den K30. Jeder Ankommende wird gebührend gefeiert. Für die, die weiter laufen,  ist die Verpflegung das Wichtigste. Es werden die legendären Alpinbrötli angeboten: ein süßes Hefegebäck mit Rosinen. Nach 30 gelaufenen Kilometern kann man sich ruhig mal was gönnen. Mittlerweile ist es ganz schön heiß. Und hier im Ort merkt man das derzeit besonders. Ein alter Brunnen wird als willkommene Abkühlung für Arme und Kopf genutzt.

Auf der Straße geht es bergab. Hinter dem Weiler und Sägewerk Frevgias geht es auf einer überdachten Holzbrücke über die Albula, dem größten Nebenfluss des Hinterrheins. Ihr Name leitet sich vom Lateinischen albulus (weißlich) ab. Hinter der Brücke halten wir uns links, wo uns der Weg total unromantisch durch ein Kieswerk führt. Nachdem wir die Berge aus Kieselsteinen hinter uns gelassen haben, wird es sogleich netter. Links fließt die Albula und rechts gibt es Wald. Dummerweise kommt die Sonne aus der falschen Richtung, so dass Schatten Mangelware ist. Hier gilt es mit den Kräften hauszuhalten. Es geht leicht bergauf und so wechseln die meisten zwischen Laufen und Gehen.

An der VP bei Bellaluna erfreut man die Läufer mit einer  improvisierten Dusche. Erstmals urkundlich erwähnt wird Bellaluna im Jahre 1568, als das Albulatal Zentrum der Eisen- und Zinkschmelze war. In der Blütezeit zu Beginn des 17. Jahrhunderts arbeiteten hunderte Grubenarbeiter in den Stollen und an den Hochöfen. Nach einigem Auf und Ab wurde das Bergbauwesen letztendlich im Jahre 1848 aufgegeben. In den folgenden Jahren ging Bellaluna durch mehrere Hände, bis dort 1903 ein Sägewerk eingerichtet wurde, welches mit der Wasserkraft der Albula betrieben wurde.

Nach Hochwasser und Brand in der Sägerei erwarb die Wirtin Paula Roth 1965 das Gebäude und führte es fortan als Wirts- und Gästehaus, welches als Hexenhaus bekannt und Ort vieler skurriler Begebenheiten und Legenden wurde. Im Jahre 1988 wurde Paula Roth ermordet, was zu großem Aufsehen auch außerhalb der Schweiz führte. Der frühere Gebäudekomplex aus Bergwerken und Wirtschaftshäusern ist mittlerweile verschwunden. Nur noch das Knappen- und Direktionsgebäude blieb erhalten, das nach umfangreicher Restaurierung zunächst als privates Kulturhaus mit angeschlossener Gastronomie und Hotel betrieben wurde. Von den anderen Bauwerken existieren noch Mauerreste und Ruinen.

An der VP decken wir uns großzügig mit Wasser ein. Es geht weiter nach rechts und wir treffen auf die Straße nach Bergün. Es geht bergauf und so nehmen wir unseren Wechsel von Gehen und Laufen wieder auf. Helfer leiten uns auf einen breiten Wanderweg und nach einer Brücke auf einen Trail in den Wald. Meist im Schatten geht es nun bergauf, bergauf und wieder bergauf. Trotz des Schattens ist es schrecklich heiß. Jedes Bächlein wird genutzt, um wenigstens die Hände zu kühlen. Eine VP mit Wasser mitten im Wald schafft Linderung. Und weiter geht es hinauf. Meine Beine sind so steif, dass mir Laufen zurzeit unmöglich scheint.

Von einem Aussichtspunkt können wir plötzlich einen Blick auf Bergün werfen. Aber Bergün liegt unter uns! Dann kommt die Weiche für die Läufer des C42. Sie müssen rechts den Berg noch weiter hinauf, wir dürfen links auf dem Hauptweg den Berg hinunter. Wider Erwarten funktioniert das Laufen doch noch.

Bald erreichen wir die Stelle, wo der K42 einmündet. Dieser Lauf wurde um 10 Uhr 30 bzw. um 11 Uhr 30 in 2 Gruppen gestartet, und die Läufer sind hier bereits alle durch. So können wir ungehindert unseres Weges laufen. Bergün kommt in Sicht und wir laufen immer noch bergab, bis wir sogar wieder unterhalb davon sind. Mist - jetzt dürfen wir nochmal bergauf, um die ersehnte Verpflegung zu erreichen.

Ein Helfer bringt mir meine deponierte Tasche,  auf einer Bank ist noch Platz. Ich wechsle von Straßen- auf Trailschuhe und ziehe trotz der Hitze eine Weste über. Die habe ich vorher mit diversen Utensilien ausgestattet: Windjacke, Rettungsdecke, Gel, Salz und Taschentücher. Als wir vor 2 Jahren auf dem K42 unterwegs waren, bin ich am Berg bei unerwartet niedrigen Temperaturen und starkem Regen fast erfroren. Das passiert mir heute nicht!

Jetzt kann ich mich endlich der Verpflegung widmen. Ich trinke drei Becher und esse, bis ich nicht mehr kann. Dann geht es weiter in die City von Bergün. Der Lauf führt auf der Hauptstraße mitten durch die engstehenden Häuser des Ortskerns. Weil die meisten Läufer schon durch sind, hält sich die Anzahl der Fans in Grenzen. Die, die aber noch da sind, spenden uns frenetischen Beifall. Ein Moderator stellt alle Vorbeikommenden vor. Es sind auch noch Finisher des C42 dabei, die hier ihr Ziel haben. Ich bin nun knapp 5h30 unterwegs.

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