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Laufberichte

Hitzelauf auf dem Darss

06.05.07

Startschuss von Meckpomms Minister Til Backhaus

 

Als ich um 8.30 Uhr aus dem Auto steige merke ich sofort: heute wird es heiß. Der 6. Mai’07 wird in Norddeutschland als letzter Sonnentag nach einer langen Trockenheitsperiode in die meteorologische Geschichte eingehen.

 

Das Marathonspektakel über die Halbinsel Darss steigt in Wieck, einem verträumten Erholungsort an der Boddenseite. In dem ehemaligen Fischerdorf befindet sich heute, angelehnt an das ehemals preußische Schulgebäude, das Nationalpark- und Gästezentrum: die Darsser Arche. Hier, wo umfangreich über die Besonderheiten des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft informiert wird, zentriert sich heute das Laufgeschehen.

Ein Haufen Leute geht durcheinander. Zelte, Stände und Bänke sind aufgebaut. Durch Lautsprecher dringt Musik und Moderation. Die Luft riecht nach Marathon. Sofort fühle ich mich aufgenommen. Dem Menschenfluss folgend finde ich ins ehemalige Schulgebäude, wo nette junge Frauen die Starttaschen und die nötigsten Informationen ausgeben.

 

Zurück zum Parkplatz auf der Wiese am Ortsrand bleibe ich stehen und lese einen Schriftzug auf der Seite eines himmelblauen Beatle: Ulrike Maisch – Marathon Europameisterin 2006 in Stockholm. Vor dem Auto daneben steht ein Läufer in Unterhosen und sieht mich vorwurfsvoll an. Ich beschwichtige ihn und gehe schnell weiter. So schön sind seine bleichen Beine nicht, die Ulrike hingegen hätte ich gern live gesehen.

 

Um 9.30 Uhr erfolgt der Startschuss, abgeben von einem Herrn in pinkfarbenen Hemd: Meckpomms Minister Til Backhaus. Schade, Ulrike Maisch sehe ich nicht. Vom Applaus des Publikums auf eine euphorische Welle hinauf getragen geht es an der Darsser Arche vorbei und aus Wiek hinaus auf den asphaltierten Radweg Richtung Ostseebad Prerow. Obwohl ich hinten im Feld starte gibt es kein Gedränge im Pulk. 500 Läufer sollen wir sein. Was das anbelangt, könnten bei dieser Streckenführung im nächsten Jahr ein paar hundert Läufer mehr zugelassen werden.

 

Nach einem Kilometer sagt ein Läufer hinter mir, dass wir 6 Minuten gebraucht haben. Das ist für den Anfang okay. Es geht durch flache Wiesenlandschaft, die Sonne wärmt angenehm, ein laues Lüftchen weht. Das amüsante Geplauder im Feld zeugt von der guten Stimmung und der Freude dabei zu sein. Laufen kann so schön sein.     

 

Eine Frau erzählt einer anderen, dass wir bald Schatten haben werden. Da die Sonne langsam höher steigt, beruhigt das irgendwie. Doch zunächst erreichen wir bei Kilometer sieben Prerow. Das Ostseebad wird weitläufig durchquert. Das tut den Läufern gut, denn es herrscht beinahe großstädtische Stimmung am Streckenrand. Anerkennend hebt ein Moderator an: „42 Kilometer laufen die am Stück. Na ja, jetzt sind sie gerade erst richtig warm.“ Dazwischen Musik und anfeuernde Rufe, hohes Frauengekreische, Fanfarenklänge, bunte Luftballons und wehende Fahnen. Originell sind ein paar Köchinnen, die uns in ihrer Arbeitskluft auf großen Töpfen mit Kochlöffeln den Takt schlagen. Auf der anderen Straßenseite mischen Kinder auf alten Hausfrauentöpfen mit.

 

Beim Verpflegungspunkt ausgangs Prerow trinke ich einen Becher Glashäger Wasser. Dann tauchen wir nach neun Kilometern in den Darsswald ein. Zehn Kilometer laufen wir durch urwaldverdächtigen Wald. Links und rechts hohe Bäume, die durchweg angenehm Schatten spenden. Die Strecke führt relativ gerade hindurch, an zwei, drei Weggabelungen weisen Ordner eine neue Richtung an. Die Wege sind überwiegend fest, hier und da naturgemäß uneben. Ich suche einen neuen Laufrhythmus und ordne mich in eine gewisse Reihe gleichmäßig laufender Teilnehmer ein. Es zwickt ein wenig in Knie und Unterschenkel, sonst geht es mir gut. Bei der nächsten Verpflegung greife ich zu Apfel und Wasser, die Banane verschmähe ich.

 

Bei Kilometer 19, an der Südwestseite des Darsses, geht es hinauf auf den asphaltierten Deichradweg. Wir laufen neben der Straße und der Ostsee unter der Sonne durch grüne Landschaft Richtung Ostseebad Ahrenshoop. Vor mir schlürfen zwei Läufer Gel aus kleinen Tüten. Ich überhole lässig, habe selbst nur ein Stück Traubenzucker für den Notfall dabei. Auf dem Deich wird bei der Halbmarathonmarke die Zwischenzeit genommen. Die Zeit selbst weiß ich nicht. Aber da es mir gut geht forciere ich leicht: um 5.15 Minuten den Kilometer, schätze ich.  

 

Ahrenshoop nimmt uns mit vereinzelter Stimmung und großzügiger Getränkespende auf. Trinken wird zur obersten Pflicht, denn die Sonne steht hoch. Dass das Ostseebad auch ein Künstlerort ist, verstehe ich bald. Malerische Ausblicke auf flache wie steile Ostseeküste im Westen, weite Boddenwiesen im Osten und der Darsswald im Norden inspirieren den Sinn. Südlich verläuft die Grenze zu Fischland, der dem Festland angegliederten Halbinsel. Fischland, Darss und Zingst; alle drei waren sie einst eigenständige Inseln. Durch allmähliche Verlandung und nach der großen Sturmflut 1872 wuchsen die drei Inseln zusammen.

 

Bei Kilometer 23 geht es über den Grenzweg auf das Hohe Ufer an der Ostsee hinauf. Ein Läufer zieht sich gerade an, nachdem er zwischenzeitlich Abkühlung in der See gefunden hatte. Wir befinden uns auf Fischland und laufen durch losen Sand und Rindenmulche, dann auf schiefem ausgetrockneten Feldweg: eine wahre Herausforderung für Sehnen und Gelenke. Ein Läufer humpelt, er ist wohl umgeknickt. Nach Kilometer 25 ist auch diese schwere Passage geschafft und wir laufen ostwärts, Richtung Niehagen am Saaler Bodden.

 

Vereinzelte Bäume spenden auf dem Feldweg spärlichen Schatten. Über Niehagen erreichen wir auf dem Boddenwanderweg Althagen. Beim dortigen Verpflegungspunkt versorge ich mich wieder mit Apfelstücken und Wasser. Schön, dass auch überall Wasserwannen mit Schwämmen stehen. Mir geht es noch ausgesprochen gut, nach und nach verbessere ich meine Platzierung. Um mich laufen seit einer Weile zwei Läufer mit dem Aufdruck „Marathonclub 100“ auf dem Rücken. Da ich fürchte zu schnell zu laufen, nehme ich mir vor, die Erfahrung der beiden auszunutzen. Ich will an ihnen dranbleiben und sie nicht überholen.  

 

27 Kilometer sind geschafft und es geht weiter auf dem Boddenwanderweg Richtung Born. Für geschundene Läuferfüße ein angenehm fester und ebener Naturweg. Links schimmern grüne Wiesen, rechts flimmert das ruhige Boddengewässer in der Sonne. Und das ist nun genau das Läuferproblem. Die Sonne steht im Zenit und drückt erbarmungslos auf uns hernieder. Zunächst geht alles gut. Ich laufe hinter den beiden Hundertern und wir überholen so manche, deren Schritt langsam und müde wirkt.   
 
Der Weg zieht sich hin, kein Baum spendet Schatten, kein Lüftchen weht, keine Wasserstelle in der Nähe. Bei Kilometer 30 werden die Hunderter mir zu schnell. Ich lasse abreißen, laufe aber weiter, überhole eine Frau mit „Team Lederer“ Aufschrift.

 

„Weißt du, ob bald Schatten kommt?“, fragt sie mich.
„Keine Ahnung, sieht aber bald danach aus“, antworte ich und weise auf ein grün schimmerndes Wäldchen geradeaus.
„Das hoffe ich nach jeder Biegung. Aber dann bleiben wir doch in der Sonne, es ist so heiß.“

 

Sie spricht so wahr, aber es hilft nicht. Ich überlege rechts in den Bodden zu springen, laufe dann aber weiter, bloß bald raus aus der Hitze. Immer mehr Läufer gehen hängenden Armes den Weg. Mein Körper glüht, bald macht er schlapp. Ich überlege, das Stück Traubenzucker zu nehmen. Doch es sind noch zehn Kilometer bis zur Darsser Arche im Ziel. Was ich brauche ist Kühlung und Wasser. Der Traubenzucker bleibt in der Tasche. Mein Puls steigt. Die Pumpe schlägt heftig über den Hals empor. Ich schleppe mich bis in das kleine Wäldchen. Endlich Schatten, ich gehe ein Stück.

 

Wie eine Oase kommt mir der kleine Campingplatz bei Born vor. Sie, vom „Team Lederer“, und einige andere überholen mich. Egal, mein Puls muss sich beruhigen. Vorn erspähe ich Rettung. Eine Camperin steht mit gelbem Gartenschlauch am Wegesrand. Ich lasse mich von oben bis unten berieseln. Wasser! Das Überlebenselixier. Ein paar Meter weiter ein Camper. Er schenkt großzügig Bonaqua aus. Das Wasser ist sogar kalt. Wie macht der das bloß? Tausend Dank.

 

Ich laufe wieder, jetzt aus dem Wäldchen hinaus. Einen Kilometer weiter, eingangs des Erholungsortes Born, der nächste offizielle Verpflegungspunkt. Ein Helfer bietet mir Cola an. Her damit! Vorn hält ein nächster einen Feuerwehrschlauch.


„Wie willst du es haben?“, fragt er.
„Volles Rohr!“


Herrlich. Ich lasse mich von vorn und hinten mit dezentem Wasserdruck bearbeiten. Kühlen Wasser triefend laufe ich auf schlappenden Sohlen weiter. 
 
Born zieht sich recht unterhaltsam hin. Es tut gut, von doch recht vielen Einwohnern und Gästen Anerkennung und Anfeuerung zu erhalten. Wo ich Wasser kriege nehme ich es. Und wenn es nur dazu dient, es mir über den schon wieder heißen Kopf zu gießen. Ich wähle die rechte Straßenseite, um den vereinzelten Schatten der Häuser auszunutzen. Mein Schritt ist wieder etwas forscher. Langsam schiebe ich mich an sie, vom „Team Lederer“, heran und vorbei. Sie läuft konsequent ihr Tempo und wird so sicher durchkommen.

 

Ich selbst bin nicht so sicher. Fünf Kilometer nur Sonne werde ich wohl nicht durchhalten. Doch Gottlob reicht hinter Born der Darsswald mit einigen Baumausläufern bis an den Boddenwanderweg heran. Mutig laufe ich voran, überhole sogar. Nach Kilometer 38 schiebe ich mir den Traubenzucker in den Mund, lasse ihn langsam im Mund zergehen. Zwei Kilometer vor dem Ziel der letzte Getränkestand. Das Wasser schmeckt schal, aber jeder Tropfen zählt, auch über dem Kopf. Dann stöhne ich auf. Vor uns ist nur weite Wiese zu sehen. Der Rest verläuft stramm unter der Sonne.

 

Darsser Arche, auch wenn du auf dem Trocknen sitzt, ich sehne dich herbei. Die Arche wurde gebaut, um Überlebensschutz vor der drohenden Sintflut zu bieten. Ich hätte jetzt kein Problem mit der Flut, im Gegenteil. Lass sie nur kommen, dann werden wir weitersehen.

 

Eine Frau ist es noch mal, an der ich mich orientiere. Sie läuft noch recht behände vor mir. An sie will ich mich heften, mehr will, mehr geht nicht. Ein Feuerwehrmann reicht ihr auf dem letzten Kilometer eine Flasche Glashäger Wasser. Sie trinkt und reicht die Flasche an mich weiter. Ich trinke und gebe sie dem nächsten Feuerwehrmann.

 

Vor dem Ziel harte Anfeuerungsrufe: „Das sieht noch gut aus, gebt alles, na los, ihr schafft es!“


Sie zieht an und sprintet die letzten 100 Meter. Ich winke ab und trudele in meinem Tempo hinterdrein. Im Ziel schwenke ich gleich rechts und sinke neben der Darsser Arche in den Schatten nieder. Später bade ich in der 14 Grad Celsius messenden Ostsee. Einen Tag nach dem Marathon setzte tagelang Regen ein.

 

Informationen: Darß-Marathon
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