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Laufberichte

84. Comrades Marathon 2009: The ultimate human race

24.05.09

Dann wird es ruhiger und Dunkelheit erfüllt auch die Straße. Da das Läuferfeld noch recht dicht ist, muss man schon ein wenig aufpassen, dass man nicht mit einem anderen Läufer kollidiert. Aber niemand hetzt, sodass es keine Probleme gibt. In leichtem Auf und Ab geht es durch die Nacht dahin und über die Old Main Road, die alte Verbindungsstraße zwischen Durban und PM, aus der Stadt hinaus in die Natur.

Bei km 4,5 taucht die erste von in diesem Jahr 46 Verpflegungsstationen entlang der Strecke auf. Für mich ungewohnt werden Wasser und Isogetränke in kleinen, prall gefüllten Plastikschläuchen, einer Wurst nicht unähnlich, ausgegeben. Wie damit umgehen? Ich zupfe ein wenig zaghaft mit den Zähnen und als das nicht erfolgreich ist, drücke ich ein wenig - zu fest. Das Wasser schießt nach unten aus dem Schlauch und ich bin froh, nicht meine Schuhe erwischt zu haben. Aber ich bin lernfähig. Und so habe ich bald heraus, dass der optimale Erfolg - d.h. eine kleine Öffnung an der gewünschten Stelle - durch ein beherztes Zubeißen am äußersten Zipfel des Schlauchs verbunden mit leichtem, aber entschiedenem Zug und Druck zu erzielen ist. Aber letztlich muss diese Erfahrung jeder für sich selbst machen.

Polly Shortts – der Morgen erwacht

Nach 8 km und einigen, noch kaum den Laufrhythmus beeinträchtigenden Höhenmetern erreichen wir mit Polly Shortts den ersten der so genannten „Big Five“ oder auch „Notorious Five“, der berüchtigten fünf (Haupt)Hügel entlang der Strecke, wobei die vielen namenlosen kleinen Anstiege zwischendurch in der Summe nicht minder kräftezehrend sind. Beim up run ist der lange Anstieg nach Polly Shortts nach fast 80 km in den Beinen ein „Hammer“ – beim down run zeigt sich Polly Shortts dagegen von seiner zahmen Seite. Hier dürfen wir diesen Anstieg in umgekehrter Richtung hinab laufen und der vorangehende kürzere Anstieg tut noch keinem weh.

Von Scheinwerfern hell erleuchtet ist der “Gipfel” von Polly Shorts, doch schon beim folgenden, über 2,5 km steil in Serpentinen hinab führenden Bergablauf erblicken wir die ersten Vorboten der aufgehenden Sonne. Blass schimmern die von deren ersten Strahlen beschienenen Nebelbänke über den Tälern am Horizont und der Himmel darüber färbt sich rosarot. Ein schöner Anblick, wobei die Aussicht auf die mit der Sonne kommende Wärme etwas zwiespältige Gefühle in mir auslöst.  

Eine friedliche Stimmung liegt über dem umgebenden Farmland. Trotz der frühen Zeit haben es sich bereits zahlreiche Bewohner nicht nehmen lassen, sich an die Strecke zu stellen und den Tross zu beobachten und ein wenig Stimmung zu machen. An aus Feuerkörben flackernden Flammen halten sie sich warm.

Die Kilometer fließen in stetigem Auf und Ab dahin, aber noch fällt das Laufen leicht. Jeder gelaufene Kilometer ist ausgeschildert. Die weithin sichtbaren Kilometerschilder zeigen jedoch nicht die gelaufenen, sondern die noch zu laufenden Kilometer an, was seine motivierende Wirkung aber erst im späteren Verlauf entfalten dürfte. Im Moment sind die Zahlen jedenfalls noch Ehrfurcht einflößend.

Bei Km 15 unterqueren wir an der Ausfahrt „Lion Park“ die Autobahn N3. Die N3 ist die heutige Hauptverkehrsachse zwischen Durban und Pietermaritzburg und weiter nach Johannesburg und wird im Laufe des Tages noch mehrmals unseren Weg kreuzen. Der „Lion Park“ ist quasi der Hauswildpark von Pietermaritzburg und beherbergt außer Löwen auch anderes Großgetier. Von der Tierwelt bekommen wir zwar nichts mit – was wohl so auch ganz gut ist – , doch erwarten uns hier, mitten im Nowhere, unerwartete Zuschauermengen, die uns mit großem Beifall begrüßen. Des Rätsels Lösung: An dieser Autobahnausfahrt ist einer der offiziellen Parkplätze für autofahrende Begleiter entlang der Strecke eingerichtet.

Stimmung machen aber nicht nur die Zuschauer, sondern auch die zahlreichen emsigen Helfer an den Verpflegungsstationen. Das Angebot dieser Stationen ist zwar standardisiert - Wasser und isotonische Getränke, im weiteren Streckenverlauf auch Cola, Bananen, Orangenstücke, Schokoriegel sowie mit Beginn der zweiten Streckenhälfte gekochte, gesalzene Kartoffeln, die Betreuung und weitere Ausgestaltung der einzelnen Stationen obliegt jedoch einzelnen Unternehmen und Einrichtungen. So gleicht keine Station der anderen und jede hat ihren eigenen Charakter. Mit den ersten intensiven Strahlen der aufgehenden Sonne etwa empfängt uns bei km 17,5 mit wehenden Fahnen, personellem Großaufgebot und heftig wummernden Discoklängen der Stand von Powerade. Der Durchlauf geht richtig unter die Haut.  

Umlaas Road - am höchsten Punkt der Strecke

Wieder kreuzen wir die N3 und folgen ihr parallel, ohne optisch viel von ihr mitbekommen. Auf der Umlaas Road, etwa 19 km von Pietermaritzburg entfernt, erreichen wir ganz unspektakulär mit 870 m üNN den höchsten Punkt der Strecke. Dieser ist als solcher für die Läufer nur insofern bemerkbar, als eine große Hinweistafel am Straßenrand darauf hinweist. Ansonsten ist die Erhebung nur eine unter vielen. 

In einer langen Gefällstrecke geht es hinab nach Camperdown. Weiter bestimmen Wiesen und Buschland bis zum Horizont, unterbrochen von kleinen bewaldeten Passagen, das Landschaftsbild. Goldgelb leuchtet das langhalmige, trockene Buschgras im Morgenlicht, wobei ich jetzt schon merke, dass zunehmender Hochnebel die Sonnenstrahlen dämpft. Aus läuferischer Sicht bin ich alles andere als unglücklich darüber, hatte ich doch gestern in Durban erleben dürfen, welche Kraft selbst die Wintersonne entwickelt. So fällt das Laufen weiterhin leicht.

Mehrfach werde ich von anderen Läufern mit einem “Welcome in South Africa” angesprochen. Die blaue Nummer und der Vorname fallen auf. Kein einziger meiner Gesprächspartner ist Comrades-Novize und ich bin verblüfft über die Selbstverständlichkeit, mit der sie alljährlich wieder antreten.

 
 

 
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