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Laufberichte

84. Comrades Marathon 2009: The ultimate human race

24.05.09

Nicht gerade von Bescheidenheit zeugt das Motto des Comrades Marathon: „The ultimate human race“. Typisch werbliche Übertreibung, wird so mancher spontan denken; aber bekanntlich wird ja auch in der Marathonbranche mit Superlativen nicht gegeizt. Und auch beim Namen „Comrades Marathon“ wird selbst in Läuferkreisen hierzulande so mancher mit den Achseln zucken und sich allenfalls fragen: muss man den kennen?

Ein bloßer Blick auf die nackten Zahlen der Vergangenheit wird aber wohl auch den Unwissenden erahnen lassen: Dieser Lauf fällt aus dem gängigen Rahmen. Es gibt schon kaum einen „normalen“ Marathon, der auf eine vergleichbare Tradition (seit 1921) zurück blicken kann, der Hunderttausende Menschen an die Strecke lockt und Fernsehstationen zu 12-stündiger Live-Übertragung motiviert. Der fast 50 Verpflegungsstationen unterwegs bietet und von 4.000 Helfern betreut wird. Und es gibt weltweit keinen Ultralauf, der auch nur annähernd so viele Teilnehmer anzieht – im Durchschnitt um die 12.000. Wer nun denkt, ein solcher Lauf kann nur im Mutterland der Rekorde und Superlative, also in den USA, beheimatet sein, der wird sich verwundert die Augen reiben: Denn er findet in Südafrika statt, einem Land, das man hierzulande nicht unbedingt als Mekka des Laufsports wahrnimmt.

Entstehung eines Mythos

Wer sich mit dem Comrades Marathon etwas näher befasst, wird feststellen: Dieser Marathon ist mehr als nur ein Sportereignis. Er ist „Kult“, eine nationale Institution und seine Entwicklung ein Spiegelbild der überaus wechselhaften südafrikanischen Geschichte.

Nicht primär die sportliche Herausforderung und erst recht nicht der Zeitgeist waren es, die den Weltkrieg I-Heimkehrer Vic Clapham vor 88 Jahren dazu bewegten, einen Lauf von Pietermaritzburg, der Hauptstadt der damaligen britischen Kolonie Natal, nach Durban an der Küste des Indischen Ozeans zu initiieren. Vielmehr war es der Wunsch, ein lebendiges Denkmal für die gefallenen Kriegskameraden zu setzen, gleichzeitig die Entbehrungen des Krieges, Hitze und Durst in der Weite des ausgedörrten Buschlands für die Nachwelt fühlbar zu machen und auf ganz eigene Art das Kriegstrauma zu bewältigen. Wäre es nach ihm gegangen, hätte der erste Lauf schon 1919 stattgefunden, aber erst 1921 hatte er die „League of Comrades of the Great War“ überzeugen können, in deren Namen den Lauf zu veranstalten. 34 Teilnehmer stellten sich bei der Premiere am 24. Mai 1921 der Herausforderung, 56 Meilen bzw. 89 Kilometer durch das noch wenig erschlossene hügelige Buschland, noch ganz ohne die heute gewohnte Infrastruktur und Versorgung, zu bewältigen. Immerhin 17 kamen an, der erste Sieger Bill Rowan in angesichts der Rahmenbedingungen bemerkenswerten 8:59 Std..

Die Premiere war ein Erfolg und fand auch in den südafrikanischen Medien Beachtung. Ein Erfolg, der bis heute anhält. Bis auf die Kriegsjahre 1941 bis 1945 wurde der Lauf seitdem ununterbrochen jedes Jahr wiederholt. Eine besonders bedeutsame der vielen Traditionen des Laufs wurde bereits mit der zweiten Austragung 1922 begründet, nämlich die, den Lauf in jährlich alternierender Richtung zwischen Pietermaritzburg und Durban durchzuführen. Da Pietermaritzburg über 650 über dem Meeresspiegel, Durban dagegen auf Meereshöhe liegt, wurde der Lauf nach Durban als „down run“, der nach Pietermaritzburg als „up run“ bezeichnet. Dass die durchschnittlichen Laufzeiten beider Strecken trotz der Höhendifferenz von 650 Metern ähnlich sind, erklärt sich dadurch, dass der up run etwa 2,5 km kürzer ist. Und nicht vergessen sollte man, dass auch beim down run mehr als 1.400 Höhenmeter „up“ zu überwinden sind.

Lange Jahre war auch der Comrades Marathon noch ganz durch die seinerzeit „normale“ Apartheid geprägt. Farbige, aber auch Frauen waren nicht als Starter zugelassen. Das änderte sich offiziell erst im Jubiläumsjahr 1975 anlässlich des 50. Comrades Marathon. Inoffiziell und außerhalb der Ergebnislisten wurde das allerdings schon Jahre vorher anders gehandhabt. Insofern zeigte der Lauf schon früher eine integrierende Kraft, die auch heute noch – trotz der im Alltag fortwirkenden ethnischen Zerrissenheit des Landes – ein prägendes Merkmal ist. Bis der erste Schwarze jedoch das Rennen gewinnen konnte, dauerte es noch bis 1989.

Bis Ende der 50er Jahre war der Comrades, gemessen an der Teilnehmerzahl, letztlich nur eine Kleinveranstaltung. Die 100 Starter-Grenze übersprang der Lauf erstmals im Jahre 1960, danach wuchs das Teilnehmerinteresse geradezu exponentiell. 1971 war das Teilnehmerfeld erstmals vierstellig, 1983 wurde die Marke von 5.000, 1988 von 10.000 Läufern überschritten. Seit den 90ern hält sich Starterfeld relativ stabil im Bereich um die 12.000 - mit einem „Ausreißer“ im Jahre 2000: Zum 75. Jubiläum starteten fast 24.000 (!) Läufer.

Bis 1992 waren die Gewinner (fast) ausschließlich Südafrikaner. Insbesondere die Auslobung von Preisgeldern, erstmals im Jahre 1995, führte zunehmend zum Interesse ausländischer Teilnehmer an der Veranstaltung – und zu einer Neuordnung an der Spitze. Läufer aus Osteuropa, vor allem Russland, besetzen mittlerweile zumeist die Spitzenplätze und immerhin haben es auch ein paar Deutsche geschafft, als Sieger in die Annalen des Laufes einzugehen: Charly Doll 1983, Birgit Lennartz 1999, vor allem aber Maria Bak mit ihren drei Siegen 1995, 2000, und 2002. Auch die Streckenbestzeit im down run wird seit 2007 von einem Ausländer gehalten, dem Russen Leonid Shvetsov. Auf 5:20:41 Std. hat er die Bestmarke gedrückt, nachdem die 5:24:07Std. der südafrikanischen Lauflegende Bruce Fordyce, in den 80er-Jahren 9-facher Comrades-Gewinner, 21 Jahre lang Bestand hatte. Bei den Frauen hält der down-run Streckenrekord (5:54:43) der Südafrikanerin Frith van der Merwe immerhin schon seit 1989. Der weit überwiegende Teil der Starter ist aber nach wie vor südafrikanisch. Auch 2009 beträgt die Quote der nichtafrikanischen Starter gerade einmal 4 %, davon 45 Teilnehmer aus dem deutschsprachigen Raum.

Einstimmung auf den großen Lauf

Die meisten ausländischen Teilnehmer reisen organisiert an. In Deutschland etwa bieten die Veranstalter Werner Otto Sportreisen und REISEZEIT Komplettpakete zum Comrades an. Aber es ist letztlich auch kein besonderes Problem, sich diesen Trip selbst zu organisieren. Über Internet buche ich problemlos den Flug ebenso wie ein zentrales Hotel für die Tage vor und einen Mietwagen für die Tage nach dem Lauf – und den Lauf natürlich selbst.

Am Donnerstagabend um 19 Uhr geht es für mich los. München - London - Johannesburg – Durban sind die Stationen meiner Fluganreise. 16 1/2 Stunden bin ich unterwegs, als ich am Freitag, 12.30 Uhr Ortszeit Durban erreiche. Angenehm ist, dass es gegenüber unserer Sommerzeit keinerlei Zeitverschiebung gibt.

Ein Sammeltaxi bringt mich ins Hotel „Royal“ im Stadtzentrum. Verblichener Luxus erinnert an bessere Zeiten des einst ersten Hauses am Platze. Dafür sind rabattierte Zimmer jetzt schon für 50 €/ Nacht zu haben - und zentraler kann man in Durban kaum wohnen. Gleich gegenüber erhebt sich das imposante, im Renaissancestil errichtete Rathaus mit seiner 50 Meter hohen Kuppel, das aus der modernen, allerdings schmucklosen und nicht unbedingt einfallsreichen Architektur der umgebenden Hochhäuser geradezu heraus sticht. 

Erste „Amtshandlung“ am Nachmittag ist für mich der Besuch der Marathonmesse, der „Bonitas Comrades Expo“ auf dem Messegelände Durbans an de Walnut Road inmitten in der Stadt. Gerade einmal zehn Minuten zu Fuß sind es vom Hotel aus dorthin.

 
 

 
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