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Laufberichte

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Autor: Joe Kelbel

 

Vor der Universität wird gewendet, dann geht es über die Freiheitsbrücke (1894) wieder auf die Seite von Pest. Kaiser Franz Joseph hat symbolisch die letzte Niete (aus purem Silber) in den Brückenpfeiler auf Pester Seite eingeschlagen. In der Großen Markthalle (1897) sind die Fischstände und Aquarien im Kellergeschoß sehenswert. Kopfsteinpflaster, grausam. Wir wenden, laufen wieder flussaufwärts. Es stinkt hier merkwürdig, als hätte Joey Kelly den überfahrenen Hasen abgezogen, den er auf seiner Laufstrecke fand.

Links liegt die Arosa: Passau-Budapest-Bratislava-Wien. Einst waren die Donaupromenaden die Flaniermeile der Aristokratie Europas. Wir unterqueren die Kettenbrücke und kommen zum Gebäude der Akademie der Wissenschaften. Und wieder begegnen wir dem Namen Széchenyi, dem Grafen, der in der Nervenheilanstalt starb. Der in Wien tätige Unternehmer gründete 1825 die Akademie.

István Kocza, der bei keinem Budapest Marathon mit seinem Rubik- Zauberwürfel fehlen darf, überholt mich. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich ein wenig zu schnell angelaufen bin? Carola mit dem Rest der Schwaben überholt mich. Die Pusztahitze, von der Anton vor drei Jahren berichtete, sie schlägt jetzt zu. Es sind kaum Deutsche auf der Strecke, Aschu soll vor mir sein, normal. Ich frage mich, wer ist hinter mir? In dem Moment geht mir ein Licht auf: Im Gegensatz zu den Stadtmarathons, die ich kenne, wird hier bis zur Cut-Offzeit  (km 36 -  4:40) Musik gemacht und wirklich alle VP´s offengehalten. Ist doch unglaublich, dass ich schon bei Kilometer 13 von Cut-Off-Zeiten erzählen muss.

Die „Schuhe am Donauufer“ sind aus Metall und eine Erinnerung n die Erschießung von Juden durch die Pfeilkreutzler, eine Partei, die von den Nazis gestützt wurde.

Nun (km 14) geht es am prächtigen Parlamentsgebäude (1904) vorbei, das ich schon wunderbar von der anderen Donauseite fotografiert habe. Architekt war Imre Steindl, der sein Bauwerk auch nie sah, da er vorher erblindete. Eine ewige Flamme ehrt die Helden und Opfer des ungarischen Volksaufstandes von 1956. Hier im Parlament wurde im Mai 1989 beschlossen, die Grenzanlagen zu  demontieren. Hier im Parlament wurde im Juni 2015 beschlossen, Grenzanlagen zu bauen. Dafür wurde in Windeseile ein 10 Meter-Streifen zu Serbien enteignet und ein Grenzzaun errichtet.  

Wir überqueren die Margaretenbrücke (1876) nicht ganz, denn die Brücke touchiert die Südspitze der Insel, da gibt es eine Brückenabzweigung. Hier laufen wir rechts runter. Die Insel ist nach der Tochter von König Béla, also der Nichte unserer heiligen Elisabeth von Marburg und Kaiser Friedrich II benannt. Magarete löste das Versprechen ihres Vaters ein, nach einem Sieg über die Tataren hier ins Kloster zu gehen. Dort starb sie mit 28. Nur noch der Chorstuhl des Klosters ist erhalten. Links ist das Strandbad, das nicht mit Donauwasser, sondern mit Thermalwasser gespeist wird. Wellenbad, Wasserrutsche und Wellnessabteilung. Auf dieser Insel ist die Zeit vor 30 Jahren stehengeblieben. Hat auch was. Naja.

Bei km 19 Verlassen wir die Insel am Nordende und laufen hinauf zur Árpádbrücke.  Benannt nach Großfürst Árpád. Er  vereinte die Magyarenstämme um 900.

Wir sind wieder auf der rechten Flussseite, laufen nun 10 Kilometer donauabwärts, nach Süden, betrachten dabei alle Sehenswürdigkeiten nochmals von einem anderen Blickwinkel. Ich leide, mache keine Fotos. Viele Läufer leiden. Genial, absolut genial hier in Budapest, man leidet gemeinsam, kollektiv halt. Die Donauufer sind brutal, hoch, runter, aber ich mag diese geraden Strecken, laufe auf geraden Strecken schneller.  Also meistens,  oder manchmal, nur heute nicht.

Es fällt schwer zu unterscheiden, ob die Läufer auf der nächsten Brücke vor einem, oder hinter einem sind. Allenfalls kann man sich auf den verschiedenen Uferebenen in den Lindwurm der Läufer kurzfristig einordnen. Es ist auch egal, überall sind Läufer, man ist nie allein.

 

 

Wendepunkt bei km 30, wir überqueren die Freiheitsbrücke und laufen donauaufwärts. Wenn man jetzt hinter der Elisabethenbrücke rechts Richtung Start/Ziel abbiegen würde, könnte man Romkocsma erleben, ein Phänomen, welches untrennbar mit Budapest verbunden ist.  Die Rede ist von Ruin Pubs: Der Krieg hinterließ im Jüdischen Viertel Ruinen, die dem Verfall preisgegeben wurden. 2001 schafften kreative Köpfe die Verbindung  von Kunst und Entertainment in Ruinen.  Szimpla Kert ist ältester und bekanntester Ruin Pub. Ich werde heute Abend dort sein. Egal wie kaputt ich bin.

Bei km 35 verlassen wir das Ufer, biegen östlich in die Innenstadt ab. Die St Stephans-Basilika ist dem ersten christlichen König von Ungarn geweiht, Stephan I (969-1038), der mit der Schwester unseres Ottonen-Kaisers Heinrich II verheiratet war. Dessen Vorgänger, unser Otto III verhalf Stephan mit Hilfe des Papstes auf den Königsthron von Ungarn.  So wurde der Grundstein für eine 1000jährige Freundschaft zwischen Ungarn und Deutschland gelegt. Die Krone, die Stephan I. nach seiner Krönung aus Rom mitbrachte, die Stephanskrone, war Staatsinsignie der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn uns krönt heute noch das Staatswappen Ungarns. Die Korne wird sie als Nationalschatz im Parlamentsgebäude aufbewahrt.

Hinter der Basilika ist das Glashaus. Carl Lutz, ein Schweizer Diplomat, stellte das Haus unter seinen diplomatischen Schutz, evakuierte ab 1944 über 62.000 Juden aus Budapest nach Palästina. Vor dem Gebäude standen die Menschen Schlange, um einen Schutzbrief zu erhalten.

 

 

Am nächsten VP sehe ich Cola, das rettet mich ein wenig. Angeblich gab es schon vorher Cola und Traubenzucker, ich hatte wohl den Tunnelblick oder nach anderen Getränken gesucht.

Mit Kilometer 37 erreichen wir den Hauptbahnhof (1884), auch Ostbahnhof genannt, weil von hier die Verbindung nach Sibirien angeboten wird. Es kommen aber auch die Züge aus München, Zürich und Wien hier an. 2015 riegelte die Polizei den Bahnhof ab, um die Flüchtlinge an der nicht genehmigten Weiterreise nach Österreich und Ungarn zu hindern, um dem Dubliner Abkommen zu entsprechen.

Ich habe  noch nie erlebt, dass jenseits der 5 Stunden so viele Läufer, Zuschauer und Musikbands anwesend sind. Ich habe noch nie so eine Begeisterung, so volle Straßen nach 5 Stunden bei einem Marathon erlebt. Ich laufe in einer Menschenmenge, als sei ich gerade erst gestartet.

Bei Kilometer 39 geht es nach Südost, Richtung Heldenplatz . Sebastian lässt Mario grüßen, der vom Brocken Marathon berichtet. Und das ist einfach weltmeisterlich geil: Wir laufen direkt auf das Ziel zu, sehen den Jubel der Zuschauer, haben aber erst Kilometer 40. Die Ehrenrunde über den Heldenplatz und durch den Stadtpark Városliget könnte einen geilen Schlussspurt abgeben. Hatte ich erwähnt, dass ich diesen Lauf zu schnell angegangen bin?

Ich betrachte das Flüchtlingscamp im Stadtpark: „Victor Orban ist eine F###e“ kann ich übersetzen. Die restlichen Banner und illegalen Straßenbarrikaden hat man weggeräumt, sodass wir freie Bahn haben. Hier stehen ein paar Staatspolizisten, ansonsten gibt es nur wenige Verkehrspolizisten, keine Betonklötze oder Absperrungen durch LKW’s wie zum Beispiel in Köln. Budapest ist friedlich.

 

 

Mein von der Zeit her schlechter Zieleinlauf wird von Jubel, Musik und einem coolen Moderator begleitet. Unglaublich viele Zuschauer stehen hinter den unterschiedlichen Zielgassen für 30 Km-Läufer, Staffelläufer und für die Helden aller Helden, den Marathonläufern. Auf den Bühnen tanzen die Cheerleaders, als wäre ich 3:20 Stunden gelaufen. Ich dreh mich um, sehe, wie die die Läufer hinter mir, Pinguinen gleich, freudig auf die lang ersehnte  Eisscholle zuspringen und  ins Ziel flitschen. Ich freue  mich über so einen, bisher nie erlebten Zieleinlauf. Die Worte vom Renndirektor heute Morgen sind wahr: Jeder Läufer erhält einen grandiosen Zieleinlauf, dafür verzichten wir auf gekaufte Läufer.

Nach dem Lauf bin ich als Laufruine in die Ruin Pubs gegangen, schließlich hat uns die Marathon-Web-Site das empfohlen. Preisgünstig, rustikal, nicht wild, sehr zivilisiert.

Montags dann im Széchenyi Heilbad. Es gibt eine Vielzahl von Tarifen. Man nimmt den Tarif mit Schließfach. Die hübschen, viktorianischen Umkleidekabinen mit Sittenwächter braucht man nicht. Man kann den ganzen Tag im Bad verbringen, Hamburger essen, Bier trinken und den Ofen des Buda genießen. Budapest gehört auf jeden Fall in meine Empfehlungsliste! Grandiose, königliche Stadt. 

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Informationen: Budapest Marathon
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