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Laufberichte

Alles richtig gemacht?

18.10.09

Start bis km 5

Vom Radweg nach Oberstenfeld aus bietet sich rechts ein eindrücklicher Ausblick auf die Burg Lichtenberg. Der Zeitsprung von Mittelalter und Minnesängern geht ziemlich rasch. Kaum in der Ortschaft angelangt, ist schon von weit her zu hören, wer bei der Sporthalle den Ton angibt. Vier Youngsters greifen kräftig in die Saiten, getrieben von dem mit Double Bass Drum ausgerüsteten Verwalter der Schießbude. Das satte, dumpfe Pochen der Bass Drums, das Knallen der Snare Drum, das durchdringende Klopfen der Toms, das  treibende, tiefe Grummeln des Basses, die schneidenden Akkorde der Rhythmusgitarre und das vibrierende Schreien der Leadgitarre – es ist nicht unbedingt ein Musikstil, dem Jung und Alt in großen Massen frönen. Mir gefallen diese Vorstellung und ihre Parallelen zum Langstreckenlauf. Die Muskeln brennen, zucken, krampfen und jaulen, die Pumpe donnert mit einem Wahnsinns-Takt – und alles wird überlagt von einem wohligen Glücksgefühl tief im Bauch. Letzteres spüre ich bereits, aber wenn sich die anderen Symptome schon einstellen würden, hätte ich etwas falsch gemacht.

Wen diese Musik zu fest aufgeheizt hat, hat gleich danach die Möglichkeit, sich bei der Wasserstelle abzukühlen.  Wer lieber andere Anfeuerung hat, der wird auch nicht vernachlässigt. In den Wohngebieten sind immer wieder kleinere oder auch größere Gruppen von Leuten zusammen am Straßenrand und legen sich kräftig ins Zeug. Besonders unter den rund 1500 Teilnehmern des Halbmarathons Nord scheinen viele aus der Gegend zu sein, die Bekannte, Freunde und Familie am Streckenrand haben. Auf den Startnummern ist gut ersichtlich, wer welche Strecke läuft, was mir die Arbeit erleichtert. Ich möchte nämlich in erster Linie die Tapferen auf den Bildern festhalten, und das ist auf der Nordhälfte ungefähr nur jeder Vierte. Diejenigen, welche auch dann noch dabei sind, wenn die große Party auf und neben der Strecke Geschichte ist  und sie Erfahrungen mit der berühmten Einsamkeit des Langstreckenläufers sammeln.

In Gronau läuft der Pulk an einer Stelle - flankiert von Zuschauern, die immer wieder die Welle machen - an einem Moderator vorbei, der für Stimmung sorgt. Wer es lieber beschaulich mag, kommt auch auf seine Kosten, zumindest architektonisch. Alte Riegelhäuser säumen die Straße, eines davon ein Gasthof, der mit dem Schild wirbt „Ente gut, alles gut“. „Das ist doch tröstlich“, denke ich, „ich darf also wie eine Ente ins Ziel watscheln und habe nichts falsch gemacht“.

Oberstenfeld bis Beilstein

In diesem Ortsteil von Oberstenfeld ist auch das GroMusle, dessen Besichtigung ich mir auf einen anderen Sonntag aufsparen muss. In den ehemaligen Verwaltungsräumen des Rathauses in Gronau wird das Leben aus der Zeit von 1950 und davor dargestellt. Dieser – ach, so guten? – alten Zeit, in welcher Frauen hart arbeiten und Kinder am Laufmeter gebären mussten, aber keinen Meter laufen durften. Außer von der Küche in die Waschküche. Fürs Schuften stark genug, für die Teilnahme an einem Langstreckenlauf aber zu schwach und körperlich überhaupt ungeeignet. So viel zu den guten alten Zeiten.

Von wegen Zeiten: meine Uhr sagt mir, dass ich im Moment alles richtig mache. Gleichzeitig, dass ich was falsch gemacht habe. Der Brustgurt ist nämlich in der Tasche geblieben, womit auch die Frage geklärt ist, weshalb mir einmal 226 du dann 0 Pulsschläge angezeigt werden. Aber eigentlich brauche ich dieses Teil nur noch, um mir mein Gefühl bestätigen zu lassen. 

Trotz Fotostopps überhole ich immer wieder andere Läufer. Zwischen Gronau und Schmidhausen sehe ich vor mir den letzten Schrei der Kompressionsstrumpfevolution: Strümpfe in leuchtendem Pink. Natürlich an den Beinen einer Dame. Ich bin mir sicher, dass dieser Anblick sogar den Lowpricelighter zum Nachdenken bringen könnte, ob er im nächsten Jahr in Berlin wieder mit einem Schild mit der Aufschrift „STÜSTRÜMPFE SEHEN SCHEISSE AUS“ am Rucksack über die Marathonmesse schlendern soll. 

 

Am Dorfrand entlang geht es zum nördlichen Ende der Ortschaft und ich kann an einer Stelle  beobachten, welchen Gesichtsausdruck die draufhaben, die weiter vorne, weil schneller, im Feld mittun. Statt in westlicher Richtung direkt nach Beilstein, werden wir wieder in Richtung Oberstenfeld geführt und sehen dabei von Ferne schon die Burg auf dem Hügel über der Stadt Beilstein. Wir streifen die Ortschaft nur und nehmen unterhalb der Anhöhe der Peterskirche – romanische Baukultur in Reinkultur – Kurs auf Beilstein. Auf dem Weg kommen wir am prickelnden Wasser des Mineralfreibads Oberes Bottwartal vorbei.

Ich kann mir aber kein genaueres Bild dieser großen Badeanlage machen, denn eben habe ich wieder eine Läuferin mit einer Marathonstartnummer und gleichmäßigen Schritten erblickt. Ich fotografiere sie, quatsche sie an und erfahre, dass sie sich heute das erste Mal über diese Distanz wagt. Da ich bis jetzt – abgesehen von meinem Reporterauftrag - ein wenig ziellos unterwegs war, sehe ich für mich eine Herausforderung. Ich beschließe, Martina nach Möglichkeit bis ins Ziel zu begleiten und ihre Leistung, stellvertretend für andere, zu dokumentieren. Weil sich in der Stadt nach einem kernigen Anstieg ein guter Ausblick auf das Schloss unterhalb der Burg und die nachfolgenden Läufer eröffnet, verliere ich Martina beim Fotografieren und beim Bummeln am Verpflegungsposten aus den Augen. Ich glaube, da habe ich etwas falsch gemacht…

Ich komme mit weiteren Teilnehmern ins Gespräch und halte dabei weiter Ausschau nach der Debütantin.  Zuerst widme ich meine Aufmerksamkeit aber den wunderschönen Fachwerkhäusern im Zentrum von Oberstenfeld, wo wir beim Rathaus unter einem der aufblasbaren Triumphbogen hindurchlaufen, angefeuert von vielen Zuschauern und Moderation.

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Informationen: Bottwartal-Marathon
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