Mir war Karlsruhe bisher hauptsächlich durch das Autobahnkreuz bekannt, den Schnittpunkt der A8 und A5. Also freuen Judith und ich uns schon auf ein Wochenende in der zweit- oder drittgrößten Stadt Baden-Württembergs (hier gehen die Informationen auseinander; mit Mannheim scheint hier ein unerbittliches Kopf-an Kopf-Rennen stattzufinden).
Mit dem Auto oder vom Bahnhof aus lässt sich die Marathonmesse an der Europahalle bequem erreichen. Interessanterweise ist sie in einem Zelt vor und nicht in der Halle untergebracht, denn letztere wird aus Brandschutzgründen saniert. Die Startnummernausgabe am Samstagmittag geht flott voran. In der eher moderaten Gebühr (40 € für Früh- bis 55 € für Nachmelder) ist ein newline-Funktionsshirt enthalten. Nicht schlecht.
Auf der Messe treffen wir den M4Y-Chef, der uns aufklärt, dass es sich bei den Riesenravioli um Maultaschen handelt. Fürs abschließende „Carbo-Loading“ erhalten Starter im Gastro-Zelt Kostproben der heimischen Spezialität zum kleinen Preis.
Läufer/innen dürfen auch den öffentlichen Personennahverkehr an zwei Tagen kostenlos nutzen. Außerdem bietet der Baden-Marathon ein umfangreiches Paket für Wiederholungstäter: Ab der zehnten Teilnahme gibt es bei jedem fünften Start ein Polo-Shirt. Wer 25 Mal dabei war, darf für den Rest seines Läuferlebens kostenlos antreten.
Wir absolvieren unser Sightseeing per pedes, was in der übersichtlichen Innenstadt kein Problem darstellt. Es ist ein wunderschöner, warmer Sommertag mitten im Herbst. Am Ludwigsplatz gibt es viele nette Lokale. In einem davon steigt dann unsere private Pasta-Party.
Am Sonntagmorgen tröpfelt es ein bisschen. Die Wetterberichte hatten einmütig Regen vorhergesagt. Am Start ist der dann aber schon wieder „Geschichte“.
Vor der Europahalle herrscht reges Treiben. Insgesamt werden fast 9.000 Läuferinnen und Läufer die verschiedenen Distanzen in Angriff nehmen. Darunter auch rund 1000 Marathonis. Joe Kelbel, der Wüstenfuchs, ist auch dabei. Ich bin immer noch beeindruckt, wie schnell und nachhaltig die Mediziner seine Achillessehne wieder flott bekommen haben. Oder ist das eine mentale Frage?
Die Einteilung in die verschiedenen Startblöcke macht auf der breiten Allee keine Probleme und um 9:00 Uhr geht’s dann los. Von den schönen Häusern der Südweststadt bekommen wir nur wenig mit, wir bleiben auf der breiten Brauerstraße. Dann gleich rechts auf die Kriegsstraße. Die heißt so, weil man einst den Truppen Napoleons eine schnelle Umgehung des Zentrums anbieten wollte. In den 1960er Jahren sollte sie dann zur Verkehrsader einer autogerechten Stadt werden. Judith und ich haben fünf Jahre an einer solchen Straße gewohnt. Da hält sich die Begeisterung in Grenzen.
Heute dürfen sich die Anwohner in ihren schönen Stadthäusern über die ungewohnte Ruhe freuen, denn nur das Tapsen der Läuferschritte ist zu hören. Und für uns gibt es gleich die ersten zwei Unterführungen. Weiter draußen kann man schicke neue Gebäude und Baustellen begutachten („Wohnen am Park“). Auch das Schloss Gottesaue wäre hier irgendwo.
Bei Kilometer 6 geht es über die A5. In der Ferne sieht man in Durlach den Turm auf dem gleichnamigen Berg. Für Ausflügler ist dieser mit einem Bähnchen zu erreichen. Durlach war zwischen 1565 und1718 Residenzstadt der Markgrafschaft Baden-Durlach. Dann wurde die Residenz in die neue Stadt Karlsruhe verlegt. Im Infoblatt der Stadt lese ich, dass Karl III Wilhelm vor 300 Jahren bei einem Nickerchen während der Jagd im Wald von einer idealtypischen Stadt träumte. In der englischen Version steht da: „This nap proved to be a turning point in Karl's life. Karl rested (Karl ruhte)“: Es macht klick und ich weiß, woher der Name Karls-ruhe kommt.
Es geht die von schönen Platanen gesäumte Killisfeldstraße entlang. Inzwischen haben wir schon fünf Tanzgruppen gesehen. Das hat Tradition beim Baden-Marathon. Nicht weniger als dreißig Tanzgruppen sind an der Strecke plus eine Handvoll Musikkapellen und Bands. Für Stimmung ist also gesorgt.
Ich sehe einen Teilnehmer im T-Shirt vom Zagora Marathon in Marokko. Das wird Joe freuen.
Hinter mir höre ich folgendes Gespräch zwischen einer Läuferin und einem Läufer: „Wo arbeitest denn du?“ - „Im Gebäude 30.“ – „Ach, da war ich auch mal, wir sind jetzt in 18...“ Wir befinden uns gerade im Gebiet der Fiducia IT, dem IT-Partner der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Deutschland und Hauptsponsor des Baden-Marathons. Der Vorstand Carsten Pfläging läuft auch mit – ich hätte ihn gerne getroffen, aber er ist zu schnell für mich. Es versteht sich von selbst, dass auch viele Mitarbeiter in orange-blauem Dress zum sportlichen Kräftemessen angetreten sind. Und wie sich das Gespräch anhörte, ist so ein Marathon auch eine super Gelegenheit zum Kennenlernen... Gerade laufen wir am Fiducia-Kindergarten vorbei.
Ich muss mich hier mal outen, um vielleicht einen Bonus bei meinem Chef zu bekommen: Ich arbeite für Fidelity Information Services KORDOBA. Wir machen auch Bankensoftware und RZ-Betrieb. Wenn also irgendein mitlaufender Bank- oder Sparkassenvorstand mal eine neue, moderne IT-Lösung sucht, kann er es gerne auch mal bei uns probieren.
Wir sind jetzt bei Kilometer 10: Ich sehe eine große Bananenstaude in einem Vorgarten. Zeichen des warmen Klimas in diesem Teil Deutschlands? Wir sind inzwischen nassgeschwitzt. Es ist sehr schwül heute Vormittag.
Ein kleiner Tunnel führt unter der A5 durch. Extra für uns wurde eine Innenbeleuchtung aufgestellt. Das nun folgende Wäldchen durchqueren wir auf relativ schmalem Weg. Wer bisher nicht überholt hat, sollte es auch auf den nächsten zwei Kilometern gelassen angehen. Die Wilden wird man später an ihren dreckigen Schuhen erkennen. Hier gibt es übrigens auch einen Tierpark.
Wir kommen nach Rüppurr (ehem. Riet-Burg = Burg im Sumpf), also nicht zu verwechseln mit Rürup und der gleichnamigen Rente... Außer mit vielen Zuschauern werden wir mit der ersten Fußgängerbrücke konfrontiert. Oben erste Anzeichen eines Kreislaufzusammenbruchs: Meine Beine wollen nicht mehr und mir wird ganz schwindlig. Den Mitläufern geht es aber ähnlich: Die Stahlbrücke spielt mit uns Hüpfburg. Gut, dass es gleich wieder vorbei ist. Schön erhalten ist der Dorfkern von Alt-Rüppurr mit der Nikolaus-Kirche, die von den Anwohnern in Stand gehalten wird. Bei Kilometer 15 geht es an einer Pappelallee und der Alb entlang. Einfach idyllisch. Das nächste Stadtviertel heißt dementsprechend Weiherfeld.
Auf breiterer Straße passieren wir nochmals ein Wäldchen. Am Wegesrand stehen Zuschauer mit großen Plastikbananen. Also glaube ich beim Ortsschild von Bulach erst einmal eine Banane im Wappen zu erkennen. Beim Näherkommen entpuppt sie sich als Mond. Durch einen Tunnel unterqueren wir einen begrünten Straßentunnel. Auf der anderen Seite gibt es viele schöne Fachwerkhäuser zu betrachten. Und eine zünftige bayrische Party mit Weißwürsten. Da ist die Freude groß, als ich erwähne, dass ich aus München komme, wo zur gleichen Zeit im Regen der Festzug zum Oktoberfest stattfindet.
Oft sieht man gelb-rote Fahnen an der Laufstrecke. Ich denke erst an Spanier, dann an Katalanen. Es handelt sich aber um Fahnen des Großherzogtums Baden. Schon viel früher als das aktuelle Referendum in Schottland und ein geplantes Referendum in Katalonien gab es auch in Baden einmal eine solche Volksabstimmung. Am 7. Juni 1970 sprachen sich 81,9 Prozent der Bevölkerung für einen Verbleib im Bundesland Baden-Württemberg aus.