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Laufberichte

Born to be wild

25.05.14

Lauf auf dem Vulkan


Es ist 9:00 Uhr, wir sind gestartet. Sofort zieht mich die Natur in ihren Bann. Im Herbst 1957 wurde die Insel Faial von hunderten Erdstößen gerüttelt. Den Osten der Insel hat es hierbei besonders stark getroffen. 1998 erschüttert nochmals ein weiteres schweres Erdbeben den Osten der Insel Faial. Die Bewohner wurden nachts von dem Erdbeben der Stärke 5,8 auf der Richterskala überrascht. Acht Menschen starben, über 1000 wurden obdachlos, es gab viele Verletzte und mehrere hundert Häuser waren binnen Minuten zerstört. Die schweren Schäden an vielen Häusern sind bis heute zu erkennen. Die milde Temperatur zieht kleine Stratocumulus-Wölkchen am hellblauen Himmel entlang. Nur der auf 2.351 Metern gelegene Pico schämt sich scheinbar noch und versteckt sich im Nebel. Über ein schmales asphaltiertes Sträßchen laufen wir nur ein kurzes Stück bevor die Strecke uns inmitten des Naturparks Faial führt. Diese wurde erst kürzlich von der Europäischen Union zur European Destination of Excellence (EDEN) gekürt.





Vorbei geht es an Häusern aus schwarzem Lavasteinen, die Meereswellen donnern gegen ihre Klippen. Ich habe die Küstenstraße verlassen. Über alte Dorfverbindungswege führen in die Erde geschlagenen Stufen steil hinauf. Auf verschütteten Wegen, markiert  mit an Bambusstangen befestigten Schildern und Flatterbändern, wo einst Esel oder Ochsenkarren Güter in die nächsten Dörfer gezogen haben, laufen wir entlang.

 

Rua dos Emigrantes


Ich treffe auf ein anscheinend verliebtes Paar. Immer wieder halten sie sich an den Händen, vielleicht zieht er sie aber auch nur? Er, so erzählt er mir, stamme aus Porto (Lissabon). Sie sei hier aufgewachsen, aber das sei schon viele Jahre her. Viele verließen die Insel. Sie alle haben ihre Geschichten. Auf Faial sollen heute mehr Kühe leben als Menschen und auf jeder Insel der Azoren gibt es eine Rua dos Emigrantes, eine Straße der Auswanderer. Die letzte große Auswandererwelle war in den Jahren 1957/58, als mächtige Vulkanaktivitäten dreizehn Monate lang tobten. Von den einst 30.000 Bewohnern blieben noch 15.000. Die meisten von ihnen emigrierten in das nicht weitentfernte Amerika. Manche kommen aber zurück, und sei es nur zu Besuch oder als Touristen. So manch einer Immobilie sieht man an, ob sein Besitzer gerade aus dem Ausland zurückgekehrt ist. Das Haus hat dann eine typisch amerikanische Veranda und einen Carport.

Über eine Wiese führen die Pfeile geradewegs auf den einstigen zwanzig Meter hohe Leuchtturm – das Skelett an der Ponta do Ribeirinha, welcher vom 1998er Erdbeben übrig geblieben ist. Große und noch viel mehr kleine Risse ziehen sich durch das verbliebene Mauerwerk. Schilder warnen vor Einsturzgefahr.

 

Inselcross


Der Weg wird dichter. Nur ein Pfad ist freigeschlagen, es sieht es aus, als hätte Gott sich mit der Axt ausgetobt. Am Weg steht einer von vielen Farmern, die geholfen haben, die historischen Wege kilometerweit freizuschlagen. Er lächelt, freut sich, fotografiert zu werden. Im Hintergrund lächelt der Pico – was für ein Postkartenmotiv. Weiter zeigt die Landschaft Faials ein Bild der Extreme.



Das Wetter macht mir heute keinen Strich durch die Rechnung, das habe ich mir fest vorgenommen. Irgendwo in Europa treibt es sich rum, nur selten hier. "Immer, wenn wir schlechtes Wetter kriegen“, erklärt mir bei der Anreise der nette Taxifahrer, „dann wandert das Azorenhoch nach Mitteleuropa." So einfach ist das. Das ist das Erste, was ich über das Wetterphänomen auf den Azoren gelernt habe.

Die Azorer sprechen von drei Jahreszeiten - und die alle an einem Tag. Da ist es schon mal subtropisch und mild und im nächsten Moment stürmisch und feucht. Nur Schnee fällt hier nicht. Alles in allem also eine natürliche Bewässerungsanlage für das extrem grüne Archipel. Ich bin vorbereitet, auf das Schlimmste gefasst. Erst recht, wenn man wie ich, geschätzte sieben Stunden Outdoor unterwegs sein wird. Die Ignoranz der Wetterlage kann ungeahnt folgenreich sein. Dass jedoch selbst im Schatten der Bäume subtropische Hitze herrscht, hatte ich nicht geahnt.

Weiter laufe ich durch Wälder von Eukalyptusbäumen, aus denen Koala-Bären grüßen würden, gäbe es sie denn hier. Nur ein einsamer Fotograf hängt versteckt im Baum, rechts und links erstrecken sich riesige Farnwälder und haushohes Schilf. „Der direkte Weg ins Universum führt durch einen wilden Wald” wusste schon John Muir. Die Inseln sind ein einziger botanischer Garten mit rund 900 Farn- und Blütenpflanzen, allein 59 Arten wachsen nur hier.

Auch Mark Twain reiste mit einem Esel über die alten Wege. Ohne Steigbügel und mit einem Sattel, von dem er sagt, er sei so breit wie ein Esstisch. Die Maultiertreiber trieben die Tiere so an, bis die Reiter nach einem schmerzhaften Galopp herunterfielen. Froh darüber, laufen zu dürfen, komme ich im unteren flacheren Teil rasch voran. Wo die Straßen schmal werden, da wird es erst so richtig schön.

 
 

Informationen: Azores Trail Run
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