marathon4you.de

 

Laufberichte

Mission accomplished! (Ultra-Trail)

23.08.09

Jetzt, wo es wieder aufwärts geht, schließe ich nach und nach wieder zu Läufern auf. Nachdem der größte Teil der Höhe gewonnen ist, geht es in sanftem Auf und Ab, insgesamt leicht ansteigend über einen leicht zu laufenden, Flachland-Touristen zugedachten Höhenweg zum Söllereck.  Die besondere Herausforderung auf diesem Abschnitt ist ein kleiner Stein im linken Schuh, der bei jedem Schritt an einer anderen Stelle zwickt. Bei der Wasserstelle nehme ich mir Zeit, diesen Plagegeist zu entfernen und bei zwei  Bechern Wasser das Panorama von den Oberstdorfer Bergen bis hin zum Wächter des Allgäus, dem Grünten, zu bestaunen.

Die nächsten Kilometer laufe ich gemeinsam mit Brigitte, die es in ihrer Altersklasse noch aufs Podest schaffen wird. Die Vernichtung von Höhenmetern ist nicht so mein Ding, aber wenn man beim Laufen noch ein bisschen ratschen kann, geht auch das ganz gut.

Wieso hier die Flurbezeichnung Hühnermoos heißt, ist mir unklar. Wenn hier oben Hühner herumgackern wollen, dann müssen sie mit der Söllereckbahn hochfahren, es sei denn, sie seien mit Steigeisen ausgerüstet. Anders kommen sie da nicht rauf.

Plötzlich glitzert mir zwischen den Bäumen der Freibergsee entgegen, hinter welchem, etwas später von einer Lichtung aus gut zu sehen, die nach der Skifluglegende Heini Klopfer benannte, architektonisch einmalige Skiflugschanze emporragt. Die Oberschenkel können sich auf diesem nur leicht welligen Stück etwas erholen, bevor  es nochmals bergab, hinunter in die Ebene geht. Da der Ultra Trail nicht wie der Marathon durchgehend mit Kilometerschildern ausgezeichnet ist, sondern nur alle zehn Kilometer angezeigt werden, kann ich schwer abschätzen, wie weit es bis zur nächsten Vollverpflegung dauert. Mit Blick auf Oberstdorf, dem einzigen Anhaltspunkt für das Schätzen der Distanz, laufen wir auf einem Spazierweg an Wanderern und Spaziergängern vorbei nach St. Loretto. Für eine Besichtigung der drei Kapellen reicht es heute nicht, ich weiß nun aber, wo sie stehen, und auch die Außenansicht ist eine Augenweide.

Oberstdorf/Ziel

Es geht weiter, am Eissportzentrum vorbei zur Erdinger Arena. Beim Einlauf in die Arena werde ich mit Name und Verein angekündigt, wobei es nicht viele Zuschauer gibt, die sich dafür interessieren würden. Wichtiger als Zuschauer sind mir die Köstlichkeiten am Verpflegungsposten. Die Angst, dass der Posten ein Etikettenschwindel sein könnte, bewahrheitet sich nicht. In der Tat wird das Alkoholfreie aus Erding gereicht, wogegen das andere isotonische Angebot für einmal keinen Stich hat. Ich lasse mir Zeit und bestaune während des Verpflegens die Schanzen. Wenn Freiwillige gesucht werden, die sich hier herunterstürzen wollen, dann flüchte ich so schnell wie möglich in die hinterste Reihe und lasse allen andern den Vortritt. Allein beim Gedanken, dass ich mit Brettern an den Füssen dort oben stehen, beziehungsweise sitzen müsste, bekomme ich kalte Ohren und ein Flattern der Hinterbacken. Wie gut, dass ich den Hinterausgang nehmen kann und auf den nächsten zehn Kilometern nur tausend Höhenmeter bewältigen muss!

Da fühle ich mich so richtig in meinem Element. Abgesehen von kurzen Stücken auf Asphalt ist Natur pur angesagt, garniert mit einem schönen Ausblick auf die Hörnerkette und hinunter nach Fischen. Dort unten sind jetzt die Marathonis unterwegs. Wie geht es ihnen wohl? Damit es mir und meinen Muskeln weiterhin gut geht, streue ich etwas Salz ins Wasser, das bei der Gaisalpe von den – wie überall – freundlichen Helfern gereicht wird. Ein kleines aber feines Detail.

Was jetzt kommt, ist das Sahnehäubchen mit Kirsche auf dem Ultra Trail. Zumindest für mich; die Wanderer, die heute unterwegs sind, brauchen Nerven. Immer wieder müssen sie zur Seite treten, damit wir an ihnen vorbeikommen. Noch ist kein markanter Anstieg zu verzeichnen, was sich bei der nächsten Abzweigung dann sofort ändert. Ohne dass man sehen kann wohin, geht der Weg plötzlich steil nach oben. Zuerst ist er noch recht breit, dann aber wird es ein schmaler, eingetretener Weg mit Wurzeln und Steinen. Es gibt keinen Anhaltspunkt, wie weit nach oben es noch geht. Der Schweiß tropft mir von der Nasenspitze, zusammen mit meinem trockenen Mund ein untrügliches Zeichen, dass ich unbedingt den Schlauch in den Mund führen muss. Das tue ich auch, doch alles was meiner Kehle nach zwei Schlückchen entgegen kommt, ist ein müdes Gurgeln. Ausgerechnet hier und jetzt. Warum habe ich in Oberstdorf den verbleibenden Inhalt der Trinkblase nicht besser einschätzen können und nicht nachgefüllt?

„Wenn ich nicht verdurste und ins Ziel komme, dann muss ich mich umgehend mit einem Auftrag ans Hauptquartier wenden“, beschließe ich. „ Für meine nächste Mission soll mir Q einen Füllstandsanzeiger in meinen Kamelrücken einbauen. Im Zeitalter der Abwrackprämie sollte es nicht so schwierig sein, eine Benzinuhr zu finden, die sich dafür verwenden lässt.“  Bis es so weit ist, besinne ich mich auf meine Voraussetzungen für solche Spezialeinsätze. Dazu gehört die Kenntnis der heimischen Flora. Links und rechts des Trails wachsen Heidelbeersträucher, an denen tatsächlich noch reife Beeren hängen. So viel Zeit muss sein, denn es geht darum, den Auftrag zu erfüllen. Ich streife Beeren ab den Zweigen und lasse sie mir schmecken. Bei welchem anderen Marathon kann man das schon?

Eine erste Lichtung, die sich weiter oben ankündigt, ist nicht der erwartete Gipfel; vielmehr geht es nochmals unzählige Kehren weiter, bis das Gipfelkreuz des Sonnenkopfes fast senkrecht über mir am Horizont erscheint. Zugegeben, mit seinem Strahlenkranz ist es gewöhnungsbedürftig. Wer beim Anblick aber meint, er sei irgendwo in den Anden und habe den Gipfel eines Inka-Palastes mit einem Zeichen des Inti erklommen, der ist über seine körperlichen Grenzen gegangen. 

Oben angekommen, frage ich die applaudierenden Wanderer, wo der Verpflegungsposten sei. Der komme nach ungefähr 500 Meter, war die Antwort. Da sie von einem Mann kommt, bin ich überzeugt, dass es in dem Fall höchstens 300 Meter sein dürften. Es kommt mir aber eher wie ein Kilometer vor, bis ich beim Trecker stehe, der die ganze Infrastruktur nach oben geschleppt hat.
Immerhin geht es nicht mehr bergauf und die Rundsicht von hier oben ist fantastisch. Einzig der Stadtrand von Sonthofen, wo das Ziel liegt, scheint weiter als neun Kilometer entfernt zu sein.

An der Verpflegungsstelle greife ich richtig zu und lasse die Trinkblase füllen. Lieber zu viel mittragen als nochmals trockenzulaufen. Beim Verlassen des Postens blicke ich auf die Uhr und frage mich, ob ich vielleicht nicht zu viel Zeit für die Verpflegung aufgewendet habe?

Abgesehen von einem nicht sehr langen steileren Stück ist der Abstieg gut zu laufen. Einzig der Wiesenweg zum Sonthofer Hof braucht nochmals zusätzliche Konzentration. Die Wasserstelle lasse ich links liegen, das kann ich mir nun leisten, nein, muss ich mir leisten, denn ich habe zu rechnen begonnen. Bei der Kilometertafel 65 bin ich zuversichtlich, doch nach Hofen, auf der Straße nach Beilenberg, habe ich in der Sonne das Gefühl, als hätte mir jemand die Handbremse angezogen. Zum Glück ist diese Stück nicht lang und führt die Strecke rechts ab in ein lauschiges Tälchen. Der Weg entlang des Schwarzenbachs ist idyllisch, aber die Bachquerungen im rechten Winkel über die Brücken sind üble Rhythmusbrecher.

Plötzlich kommen von hinten zwei Läufer ziemlich schnell angebraust. Mir ist klar, welche Absicht sie verfolgen. „Wenn die daran glauben, dann sollte ich es trotzdem auch versuchen“, denke ich, ohne mir noch große Chancen auszurechnen. In dem Moment kann ich nämlich überhaupt nicht abschätzen, wie weit es bis ins Ziel noch ist.

 
 

Informationen: Allgäu Panorama Marathon
Veranstalter-WebsiteE-MailHotelangeboteOnlinewetterGoogle/Routenplaner
 
NEWS MAGAZIN bestellen
Das marathon4you.de Jahrbuch 2024