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Laufberichte

Mission accomplished! (Ultra-Trail)

23.08.09

Um das Hüttenberger Eck herum, auf Schotter, über Wiesen und im Wald über Wurzeln, werde ich von der Landschaft und dem Wechsel des Untergrunds etwas abgelenkt. Auf andere Gedanken komme ich beim Verlassen des Waldes. Während wir durch das taunasse Gras stapfen, können wir einen Blick auf das Nebelmeer unter uns werfen, das von der aufgehenden Sonne leuchtend weiß gezeichnet wird. Kurz darauf geht es wieder auf der Straße weiter, hinauf zum Allgäuer Berghof. Erst sind es die Berge auf der rechten Seite, die in das warme Sonnenlicht getaucht werden, unterhalb des Berghofs erstrahlen auch wir in diesem Farbton. Die Schatten und die vor uns liegende Strecke sind noch lang. Die Straße ist eher sanft ansteigend, trotzdem kann ich den Laufschritt nicht beibehalten. Dass ich bergauf ständig überholt werde, bin ich nicht gewohnt. Und das ausgerechnet heute bei meinem Special Assignment! Weiter zur Weltcuphütte kommt mir wieder ein Steilstück entgegen. Jetzt kann ich wieder bei den Leuten bleiben. Die Frage ist, wie sich das heute alles weiter entwickelt?

Kurz bevor die Kilometertafel zweistellige Zahlen anzeigen, kommt der erste Wasserposten, wo ich mir ausgiebig Zeit und Wasser nehme. Auch wenn sich der Nebel im Tal ziemlich hartnäckig hält, haben die Wetterfrösche keine Märchen erzählt, es zeichnet sich ein warmer Verlauf des Tages ab. Da sorge ich lieber vor!

Details zum weiteren Verlauf des Ultra Trails sind auch im Bericht über den Marathon enthalten, denn die Strecke ist immer noch die gleiche. Schotter und Trail mit Wurzeln und Steinen – und nicht zu vergessen: Kuhdung. Mit jeder Zunahme der Steigung gefällt es mir besser. Das ist mein Spezialgebiet: Anstiege durch besonnte Alpenlandschaften mit dem Wechsel von Wald und Weide. Übermütig werde ich nicht; noch immer fehlt mir die gewohnte Lockerheit in den Beinen und der steile Abstieg vom ersten Kulminationspunkt, dem Weiherkopf, auf Schotter hinunter zur Hörnerbahn, trägt auch nicht wirklich zu einer Änderung dieser Situation bei. Mittlerweile bin ich aber so weit, dass ich akzeptieren kann, dass das Laufen heute nicht so leicht fällt, und ich versuche umso mehr die Landschaft zu genießen, zumal  beim Bolgenstall, nach 16,5 Kilometern, der mir unbekannte Teil des Trails beginnt.

Kaum habe ich das Neuland betreten, bringe ich die Energie besser auf die Strecke. Viel schneller als optisch eingeschätzt, bin ich auf dem Grat und beginne den ersten längeren Abstieg. Es kommt mir gar nicht so weit vor, aber es stecken schon 19 Kilometer in den Beinen, als der erste Vollverpflegungsposten ins Blickfeld rückt. Früchte, Kuchen, Wasser, Iso, sogar alkoholfreies Bier wird feilgeboten, alles wunderbar anzuschauen. Meinem Auge gefällt dies alles, nur leider meinem System nicht. So gerne ich auch anders würde, ich sollte mich an die halb- bis ganzliquide Nahrung halten. Bloß, wo sind die Gels? Ein scheues Nachfragen bestätigt meine Befürchtung: die Station ist ausgeschossen. Fertig, nix, nil, nada, nichts. Und das ausgerechnet heute, wo ich einen zusätzlichen Energieschub für meine Beine gebrauchen könnte. Ich bin ja auch selber schuld, ich hätte auch eine Notration mitnehmen können. Ich hätte sie nicht einmal heimlich in die Unterhose einnähen müssen, sondern einfach in den Trinkrucksack packen können. Ja, ja, sich als qualifizierter Freiwilliger anbieten, und dann einen solchen Anfängerfehler begehen…

Grasgehren/Oberstfdorf

Meine Erfahrung verhindert Panik, denn in der Regel schaffe ich einen nicht zu schnell angegangenen Marathon auch allein mit Iso und die nächste Vollverpflegung kommt bei Kilometer 35. Zudem geht es bis dorthin auf langen Strecken bergab.

Wir laufen meist auf Schotter, bei der Schönberg-Alpe an schönen Pferden vorbei in der Art von Landschaft, die ich so liebe. An den Stellen, die noch im Schatten liegen, funkeln mir die Tautropfen entgegen. Es sind meine Diamanten, mein Reichtum, den ich in diesem herrlichen Sport sammeln kann. Ich fühle mich als Jäger des verlorenen Schatzes.

Ich weiß nicht, ob es diese stimulierenden Eindrücke sind oder die Tatsache, dass ich mittlerweile einfach länger brauche, bis ich beim Laufen die Betriebstemperatur erreicht habe, auf jeden Fall strahlt der Schwung im Kopf langsam aber sicher bis in die Beine aus. Über die Wurzeln und Steine im Wald und nachher den Kuhpfad auf der Weide hinunter geht es ganz locker. Vor der Wasserstelle im Rohrmoos steht ein Streckenposten mit besonderen Aufgaben, der die Rindviecher so zurückhält, dass es für uns auf dem Weg ein Durchkommen gibt.

Frisch gewässert erlebe ich mein nächstes Hoch. Nicht, dass die Strecke Aufsehen erregend wäre. Die asphaltierte Straße in Richtung Sibratsgfäll ist unspektakulär und leicht ansteigend. Trotzdem läuft es wie von alleine, und zu den anderen Teilnehmern, die ein Stück vor mir liegen, kann ich nach und nach aufschließen. Entsprechend geht der Anstieg auf der nicht mehr befestigten Straße hinauf zum Hörnlepass wie von selbst. Die Gatterschrandwände über uns sind in ihrer Schroffheit ein eindrücklicher Anblick und so geht es auch weiter.

Nach dem Hörnlepass geht es – eine Logik, die sich auch dem ungeübten Laufagenten von selbst erschließt – wieder abwärts. Und wie! Redwoods, sag ich nur. Die Baumwurzeln bilden ein Geflecht von Stufen, deren einzelne Höhenabstände nicht ganz ohne sind. Störche haben hier einen Vorteil. Nicht wegen des kleinen Hirns und des großen Schnabels, sondern der langen Beine wegen. Es ist wie bei einer Action-Show im Privaten Fernsehen. Kaum ist dieses Hindernis gemeistert, wartet das nächste auf dem Parcours. Der Weg durch das Moos ist matschig, wenn es denn einen gibt. Auf weiten Strecken liegen Bohlen, über welche ich mich vortaste. Ich kämpfe mit der rutschigen Unterlage und will trotzdem nicht unnötig langsam weitergehen. Meine Balletteinlage ist zwar nicht reif für die großen Bühnen dieser Welt, aber zum Affen mache ich mich trotzdem nicht, denn ich bin nicht der einzige, der sich mit akrobatisch rudernden Armbewegungen im Gleichgewicht zu halten sucht. Die Betonung liegt auf Versuchen. Plötzlich passiert mir das, was die Computer Kids als Free Download eines neuen Skins bezeichnen würde. Ich rutsche von einer  Bohle ab und mein rechter Schuh lädt sich eine satte Ladung dieser Brühe auf und hat sofort ein neues, braunes Erscheinungsbild. Damit kann ich leben. Es hätte auch schlimmer kommen können. Die Spurensicherung im Ziel wird später bei einigen Läufern Sitzlandungen konstatieren.

In jedem Agenthriller sind unbemerkte Grenzübertritte die hohe Kunst des Einsatzes. Hier interessiert sich niemand dafür. Genau genommen stimmt das so nicht. Die österreichischen Behörden heißen uns auf dem Grenzschild in ihrer Republik herzlich willkommen. So fühle ich mich auch beim Gasthof, wo die nächste Vollverpflegung auf uns wartet. Dieses Mal komme ich voll auf meine Rechnung. Der Inhalt des toten Briefkastens ist adrett auf einer Linie aufgereiht und der eine oder andere Läufer fühlt sich nach dem Wechsel von Schuhen und anderen Bekleidungsteilen wieder besser. Ich laufe gleich weiter, denn abgesehen von Taschenlampe und Gel habe ich alles Notwendige im Rucksack dabei.

Ich bin das erste Mal im Kleinwalsertal und blicke interessiert in alle Richtungen, als ich durch Weiler und Ortschaften laufe, deren Namen mir bislang unbekannt waren. In Außerschwende sind einige Leute am Straßenrand, feuern uns an und geben ihrer Bewunderung für diese Leistung Ausdruck, dabei liegt wenig mehr als die Hälfte der Strecke hinter uns…

Für die Autofahrer wurde diese Talseite durch eine hohe Brücke erschlossen, über welche wir nach Unterwestegg geführt werden. Falls sich jemand beim Veranstalter über zu wenig Höhenmeter beschweren sollte, schlage ich vor, dieses einem Citymarathon ähnelnde Stück auszulassen und die Strecke über den Talgrund zu führen.

 
 

Informationen: Allgäu Panorama Marathon
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