Der Weinbau an der Ahr hat eine lange Tradition, die urkundlich verbrieft bis ins Jahr 770 zurückverfolgt werden kann. Schon die Römer hatten das von der Natur verwöhnte Ahrtal als idealen Standort für Rebstöcke erkannt, was zur frühen Besiedlung und zum Weinbau führte. Mildes Klima und die Schieferverwitterungsböden im steilen Flußtal begünstigen das Gedeihen der Weintrauben.
Das ist natürlich auch dem Tourismus nicht verborgen geblieben und so schieben sich fast zu jeder Tages- und Nachtzeit Heerscharen von Bussen, Autos und Motorrädern durchs enge Tal und spucken die gleichermaßen erlebnishungrigen wie weindurstigen Besucher aus. Die wiederum verstopfen an schönen Tagen sämtliche Wanderwege in den Steillagen und trinken der örtlichen Nahrungskonkurrenz die Vorräte weg.
Aber auch sportlich gesehen ist das Ahrtal ein Knüller: Ein überregional erfolgreicher Laufklassiker ist z.B. der Rotweinwanderweglauf mit Start und Ziel in Dernau. 20 km mit rund 360 Höhenmetern durch die Weinberge hören sich zwar nicht gerade gewaltig an, sind aber, im Schweinsgalopp genommen und noch dazu Anfang/Mitte Juni, ein echte Herausforderung, deren Unterschätzung schon so mancher bitter gebüßt hat. Inklusive des Autoren.
Etwas ganz Besonderes bietet man Unerschrockenen jetzt schon im vierten Jahr an, wobei Du wissen musst, dass alles, was im Rheinland zum dritten Mal stattfindet, schon Tradition ist: Den Ahrathon. Inspiriert durch den weltbekannten, sündhaft teuren und völlig überlaufenen Medoc-Marathon bei unseren weinseligen Geschwistern im Westen, findet hier die rheinland-pfälzische Version statt. Auf einem 21,1 km-Rundkurs, mit jeder Menge Höhenmetern garniert, säuft, Entschuldigung, läuft man sieben Verköstigungspunkte ab und läßt es sich gutgehen. Wer nach einer Runde noch nicht zugedröhnt ist, darf sich eine zweite gönnen und damit den Marathonzähler wieder um eins nach oben drehen. Diese Gelegenheit, vergleichsweise um die Ecke gelegen, lasse ich mir in diesem Jahr nicht entgehen.
Früh am Morgen, lange vor dem Start des Marathons (dem ersten des Tages) bin ich vor Ort, verteile Flyer für M4Y sowie unsere Läufe und hole meine Startunterlagen im Kongresszentrum des Dorint Parkhotels ab. Neben dem Üblichen überreicht man uns auch einen Kleiderbeutel, den wir nach dem Umkleiden im sehr nahe gelegenen Peter-Joerres-Gymnasium zur Aufbewahrung abgeben können. Klasse ist es, das Hotel als zentralen Mittelpunkt des Laufs gewählt zu haben, denn alles Wichtige ist wirklich unmittelbar beieinander, man muß keinen Meter zu viel gehen.
Etwas sehr ungewöhnlich ist die Anzugsordnung vieler Teilnehmer. Nun ist ein gewisser Grad an Maskerade mittlerweile schon bei vielen Läufen Usus geworden, hier treibt man es aber auf die Spitze, denn es gibt in einer separaten Halbmarathonwertung sogar eine eigene für die besten Kostümierungen, die auch entsprechend ausgezeichnet werden. Die beiden Sieger m/w werden in Wein aufgewogen, ebenso das originellste Kostüm. Da ärgert frau sich, wenn sie vorher gerade noch 4 kg abgenommen hat, gell Frau W.?
Eine tolle Idee ist das (natürlich auch aus Frongreisch inspiriert), die den Erlebnischarakter dieses (M)A(h)rathons unterstreicht. Uli Tomaschewski vom 100MC, den ich nach längerer Zeit mal wieder persönlich treffe, trägt das 30 Jahre-Jubiläumsshirt des Medoc-Marathons. Er bestätigt einerseits mein Wissen über diesen Lauf („sauteuer“), meint aber andererseits: auch saugut! Die vielen Einzelheiten, die er von sich gibt, sind sehr wertvoll, denn was könnte besser sein als ein persönlich vorgetragener Erlebnisbericht? Ein ebensolcher auf Marathon4you.de, logo!
Pünktlich um 9 Uhr, die ersten Schauer nach den gestrigen Sintfluten haben wir schon wieder hinter uns, begeben wir Marathoner, 101 davon vorangemeldet (aber nur 88 im Ziel), uns als Erste des Tages auf die unmittelbar an der Ahr gelegene Strecke, einer wunderschönen Allee. Alle anderen, darunter 660 vorangemeldete Halbmarathoner (633 im Ziel), starten mindestens eine halbe Stunde nach uns. Somit ist die ganze Sache maximal entzerrt und für uns tendenziell Langsamsten optimal – Nahrungskonkurrenz, Ihr wisst schon! Der frühe Vogel trinkt zuerst oder so ähnlich. Parallel zu den Läufen wird übrigens für die mitgereisten Familienangehörigen tagsüber im Hotel- und dem angrenzenden städtischen Dahliengarten ein Familienfest ausgerichtet. Auch kann die Strecke inkl. Nutzung der VP abgewandert werden, neben den gefühlt tausend verschiedenen Laufdistanzen (s. u.) ist also wirklich für jeden etwas dabei. Aber welch einen Aufwand treiben die Organisatoren da!
Auf dem fast durchgehend asphaltierten Ahruferweg kommen wir am Bad Neuenahrer Stadtteil Bachem vorbei, das wir im wahrsten Sinne des Wortes links liegen lassen müssen. Somit entgeht uns an dieser Stelle dessen hübscher historischer Ortskern. Warum einige von uns mit Trinkrucksack unterwegs sind, ist mir nicht ganz klar. Entweder fürchten sie, unterwegs nicht genügend Wein abzubekommen und haben eine Notreserve dabei (die Sorge ist unbegründet) oder meinen, die Weingaben mit Wasser verdünnen zu müssen, aber auch das wird reichlich vorhanden sein. Udo Pitsch aus Augsburg läuft richtigerweise ohne, aber nicht nur heute, morgen wird er auch noch die Eifel um Waxweiler unsicher machen. Ich freue mich schon, bald den Bericht auf seiner sehr ausführlichen und hochwertigen Seite lesen zu können.
Nach Überquerung der Ahr passieren wir Ahrweiler, dann erwarten uns am ersten Verpflegungspunkt (VP) bei km 3,9 das Privathotel Villa Aurora und die Dagernova Weinmanufaktur. Der aus dem 8. Jahrhundert überlieferte Name "Dagernova" der fränkischen Ahrtal-Siedlung stand Pate bei ihrer Gründung. Hier läßt man uns bereits die volle Versorgung angedeihen, die wir grundsätzlich so an jedem weiteren VP erwarten dürfen: Isotonische Getränke, Wasser, Wein, Obst, Fitnessriegel und Fingerfood, hier mit Wildsalami und Sülze. Intelligenterweise, und das meine ich so noch nie erlebt zu haben, hat jedes Getränk eine eigene Becherfarbe: Weiß für Wasser, blau für Iso und, nee, den Wein erkennen wir auch mit verbundenen Augen.
Jetzt aber schnell heruntergestürzt und weiter! Hallo? So ein Quatsch, heute geht es ums Genießen, nicht ums Rennen, schließlich wollen die kulinarischen Köstlichkeiten alle getestet werden. Also lasse ich meine Abrisse an der Startnummer für Wein und Gourmethäppchen abhaken (bei der zweiten Runde werden sie dann eingesammelt) und verzehre beides mit Freude und Wohlgefühl. Ein leckeres Tröpfchen kredenzt man uns da und das wird sich an allen weiteren VP auch nicht ändern. Die kleine Stärkung ist sinnvoll, denn gleich danach geht es hinter einer Unterführung auf dem Weinlehrpfad hinter der Weinbaumanufaktur in Walporzheim ins Eingemachte. Eingemachtes ist ja immer mit Feuchtigkeit verbunden, wohl daher beginnt es wieder zu regnen. Über anderthalb km arbeiten wir uns, immer steiler werdend, an den Rotweinwanderweg heran, an den aufmerksame Leser sich erinnern werden. Solltest Du nicht dazugehören, liest Du den dritten Absatz eben nochmals.
Mir macht die Steigung auch im finalen Abschnitt selbstverständlich überhaupt nichts aus, denn vorbereitet bin ich wie immer gut, diesmal jedoch ganz besonders zielgerichtet: Nach Düsseldorf habe ich konsequent ausschließlich flache Kurzdistanzen abgejoggt, lange, profilierte Läufe werden völlig überbewertet. Dazu passt meine heutige Taktik, sie ist simpel und herausfordernd zugleich: die erste Runde wird getankt, auf der zweiten ausgenüchtert, um die (Auto)Verkehrsfähigkeit wieder herzustellen.
Trotz der immer trüber werdenden Aussicht bietet sich uns ein herrlicher Blick über jede Menge Weinberge bis über den Rhein hinweg und im weiteren Verlauf bis zum Westerwald. Ein wunderschönes Stück Deutschland ist das hier! Du warst noch nicht da? Dann hast Du wirklich etwas verpaßt, längst nicht immer sind die Veranstaltungen mit vielen tausenden Teilnehmern auch die attraktivsten und besten. Diese hier rechtfertigt zweifellos selbst eine weite Anreise, auch mit Familie und das am besten mindestens für das ganze Wochenende. Das meine ich ganz im Ernst und nein, ich bin nicht der Tourismusbeauftragte der Region!
Viele der Weinlagen sind mit Hinweisen auf ihre Eigentümer versehen, da weiß man genau, wo leckeren Tropfen herkommen, die man an vielen Stellen im Tal kaufen kann. Als ich am Schild des Weinguts „Bier“ vorbeikomme, muß ich erst einmal prusten, bevor ich den Auslöser verwacklungsfrei betätigen kann. Schon eine ganze Weile bin ich mit dem Dortmunder Frank Pachura unterwegs, der uns nicht nur mit seinen Büchern Freude macht, sondern vor allem auch mit seinen Videos, die er auf seinen Läufen dreht. Schon sein Erstlingswerk vom Ahrathon 2013 war eine feine Sache, der von diesem Jahr verspricht dank des Gastauftritts eines der bestaussehenden Läufer der westlichen Hemisphäre ein besonderes Meisterwerk, sicherlich oskarverdächtig, zu werden.
Für den mühevollen Aufstieg werden wir mit VP 2 bei km 6,1 durch die Weinmanufaktur Walporzheim und das Hotel Hohenzollern belohnt, wobei hier die Wildsalami durch leckere Laugenbrötchen mit Camembert ersetzt wird. Kulinarisch ist das Ergebnis mindestens genauso überzeugend. Genauso, wie auch die junge Dame, die mit ihrer Gitarre spanische Weisen zum Besten gibt und durchaus nicht nur etwas fürs Ohr ist. Wein gibt’s natürlich auch. Wie sagt der Hesse so schön? „Hopp, hopp, hopp, Schoppe inne Kopp!“ Gesagt, getan, weiter geht’s. Die Weingläser sind immer gut gefüllt, das Laufen beginnt leicht zu werden…