marathon4you.de

 

Laufberichte

Das 24 Stunden-Experiment

 

Ein laaanger Tag


So richtig Tag wird es für mich um sieben Uhr. 70 km liegen hinter mir. Zum zweiten Mal wechsle ich in meinem Zelt die Schuhe. Die harten, aber feuchtigkeitsresistenten Trailtreter werden gegen weiche und bequeme Kayanos getauscht. Den Fußblasen ist es einerlei. Sie drücken und gedeihen weiter.

 



Ein lächelndes Gesicht erscheint am Zelteingang. Patrick steht nach durchgefeierter Nacht im Club mit frischen Croissants im Gepäck da. Hast du gut geschlafen, Papa? fragt er. Von wegen. Durchmachen kann ich auch, nur eben anders. Hmm, sind die Croissants lecker. Gemeinsam frühstücken wir. Was für ein Start in den Vatertag!  

Gegen acht Uhr kommt Leben im Start-Ziel-Bereich auf. Die 12 Stunden-Einzelläufer und -Staffeln sind „ready for take off“ und beleben ab sofort das Läuferfeld. Frische Power bringt auch Roland Balzer, dem Nachtplauderer Peter Maisenbacher den Moderatorenstaffelstab überlässt. Beiden sei an dieser Stelle gesagt: Ihr wart spitze!

Die Sonne bricht durch die Wolken und taucht die Landschaft in warmes Licht. Satt leuchten die Farben der Natur, blitzt das Glas der Stadiendächer. Herrlich ist der Lauf in dieser Szenerie. Ein kühler Wind verhindert, dass die Wärme übermächtig wird. Nichtsdestotrotz: An der Getränkeausgabe herrscht Hochbetrieb und auch die Massageliegen nebenan sind dauerbelegt.

Langsam bin ich, aber noch zumeist laufend und nicht gehend. Das ist ein gutes Gefühl. Dass ich permanent im Sauseschritt überholt werde, stört mich keineswegs. Ich weiß: Das sind die Staffelläufer, ständig wechselnd, viele recht jung und voll unbändiger Energie. Während die Teammitglieder auf Liegen und Matten entlang der Strecke oder in ihren Zeltburgen relaxen, geben die jeweiligen Akteure ihr Bestes für ihr Team. „Mauerblümchen“ und „Golden Girls“, „The Astonishing Flying Penguins“, „Super geile Dinos“ oder auch „Die Discoschorlen“ nennen sie sich. Hinter jedem Namen steckt sicher eine besondere Geschichte. Eines haben sie aber  gemeinsam: Sie feiern ein Laufhappening. Die Laufzeiten der Teams kenne ich nicht, aber ich merke auch so schnell, welches Team mit dem meisten Drive unterwegs ist: Das 8er-Team der Discoschorlen. Sie werden die 24 Stunden mit 144 Runden bzw. 365 km (!) Laufstrecke beenden. Einfach irre.     

Wer sich über den aktuellen Stand der Läufe informieren will, kann das direkt auf der Bühne des Eventcenters tun. Großbildschirme zeigen dort in Echtzeit den Stand in allen Laufkategorien. Ein gewisses Privileg genießen die Sololäufer, die dazu nicht auf die Bühne steigen müssen, sondern den Stand direkt von der Strecke einsehen können. Angezeigt werden nicht nur die Zahl der zurückgelegten Runden bzw. Kilometer, sondern auch die jeweilige schnellste und die langsamste Runde. Das nenne ich perfekten Service.  

Km 80, km 90, km 95, beharrlich taste ich mich an die magische 100 heran. Nur leider mit Sand im Getriebe. Immer mehr drücken und schmerzen die vermaledeiten Blasen an den Füßen. In meiner Not wende ich mich den Johannitern zu, die in Mannschaftsstärke mit fünf Fahrzeugen hinter der Verpflegung dösend im Schatten harren. Aber das ist eher ernüchternd. Für Kollaps, Infarkt und und Ähnliches mögen sie bestens gerüstet sein, aber den hat – zum Glück - keiner. Der Begriff „Blasenpflaster“ scheint dagegen ein Fremdwort zu sein. Und es dauert Minuten, bis sie zu dritt normales Pflaster auftreiben. Nur so recht helfen tut das auch nicht mehr. Ein Fläschchen Mango Smoothie von Gudrun päppelt mich da schon mehr auf. Mit dem Fahrrad begleitet sie mich auf meiner 100 km-Vollendungsrunde.

12 Uhr mittags ist es, 100 km sind geschafft, acht Stunden Zeit habe ich noch. Was ist da noch drin? Einfach nur flott marschierend könnte ich glatt 40 km schaffen, mit Laufeinlagen gar noch mehr. Und so mache ich mich frisch ans Werk. Schnell merke ich aber: Der Geist ist willig, das andere Ende meines Körpers eher nicht. Zunehmend mühsam walke ich zumeist Runde um Runde, genehmige mir lange Auszeiten bei Speis und Trank. Barbara und Christina  vom Stammtisch Menzing sind nun als 6 Stunden-Staffelläufer unterwegs und haben stets ein aufmunterndes Wort für mich bereit, wenn sie locker an mir vorbeiziehen. Wenn ich dagegen mein Herumgeeiere so betrachte, komme ich mir fast wie ein Opa vor, dem man seinen Krückstock weggenommen hat.   

Mit der zweiten Tageshälfte trübt sich auch der Himmel wieder ein, Regen fällt passend zu der sich bei mir eintrübenden Stimmung. Habe ich die etwa 15 Höhenmeter pro Runde am Anfang so gut wie gar nicht registriert, so werden sie nun zur alpinistischen Herausforderung. Viel Zeit habe ich, die dem Wetter zum Trotz in Heerscharen ins Olympiagelände einfallenden Touristen zu beobachten. Und nicht nur einmal darf ich erklären, was hier Seltsames vor sich geht. Jetzt zeigen die Kursabsperrungen deutlich, wie sinnvoll sie sind.  

 

Aus und Schluss


Km 110, km 120. Langsam arbeite, nein: tapse ich mich vor. Zehn Kilometer habe ich mir noch vorgenommen. Zunächst. Aber nach Runde 50, nach 126,9 km und 22:15 Stunden merke ich, dass das Laufen auf heißen Kohlen einfach gar keinen Spaß mehr macht. Meine Füße haben das Zepter über den Willen übernommen. Auch die „Heißer-Kaffee“- oder „Kräftige Brühe“-Nummer ziehen nicht mehr. Mühsam schleppe ich mich durch die nasstriefende Wiese in mein gleichermaßen nasstriefendes Zelt. Aber trocken und warm ist es im Schlafsack.

 

 

Ruhe und Frieden kehren in mir ein und wie aus dem „Off“ verfolge ich die „Roland Balzer Show“ im nahen Zielbereich. Der Mann verbreitet trotz des besch... Wetters eine Stimmung, als stünde der Zieleinlauf der Tour de France bevor. Kurz vor Zielschluss werden die auf der Strecke verbliebenen Sololäufer auf eine Minirunde rund um den Zielbereich gelotst, auf dem dann um Punkt 20 Uhr zu stoppen ist und so metergenau die Gesamtdistanz ermittelt werden kann.

Die Pointe ist allerdings: Der 24 Stunden-Gesamtsieger ist gar nicht mehr dabei. Stefan Lang hat mit denselben Problemen wie ich sogar schon nach knapp 22 Stunden das Handtuch geworfen. Doch ist er zu diesem Zeitpunkt bereits 82 Runden bzw. 208 km und 15 (!) Runden vor dem Nächstplatzierten unterwegs gewesen. Mit anderen Worten: Er war schon bei seinem Ausstieg uneinholbar in Führung und hat trotz nur 22 gelaufener Stunden einen neuen Streckenrekord aufgestellt. Nur gestützt schafft er es humpelnd zur Siegerehrung auf die Bühne und wird dafür begeistert beklatscht.  

24 Stunden laufen, ja, das ist eine besondere Erfahrung. Auch wenn ich die 24 Stunden nicht ganz vollendet habe. Diese besondere Atmosphäre in einer auch sehr besonderen „Location“,  das ganze Drumherum: Alles hat gepasst. Einmal will ich so etwas erleben, habe ich mir anfangs gesagt. Jetzt sage ich mir aber: Das möchte ich wieder erleben. Und das nächste Mal nehme ich  a l l e  meine Laufschuhe mit.   

 

123
 
 

Informationen: 24 Stundenlauf München
Veranstalter-WebsiteE-MailErgebnislisteHotelangeboteOnlinewetterGoogle/Routenplaner

 
NEWS MAGAZIN bestellen
Das marathon4you.de Jahrbuch 2024