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Laufberichte

Volldampf unter Patienten

05.02.12
Autor: Joe Kelbel

In der Fussgängerzone war kein Durchkommen mehr. Es war nicht so meine Musikrichtung und die Familie sah nicht gerade cool aus. Doch ich blieb jedesmal stehen, der Sound der Musik war allumfassend, wurde von den Wänden der Kaufhäuser zurückgeworfen, bildete eine grenzenlose Atmosphäre.

Joey Kelly ist immer noch Musiker, etwa 80 Auftritte hat er noch im Jahr, der Extremsport ist nur ein Teil seines Lebens. Die Musik legte den Grundstock für die Finanzierung der Extremläufe, auch wenn er damals nie den Mund aufgemacht hat. Ansonsten leitet er ein kaufmännisches Unternehmen, und heute, im Rahmen des Johannesbadmarathons hält er einen Vortrag unter dem Titel „No Limits“, der uns  mächtig einheizt.

Der Saal ist brechend voll. Wir brauchen keine Angst zu haben, er wird nicht singen, die Menge gröhlt, dennoch beginnt er von seiner Familie zu reden. Der Vater war irgendwie Mönch in Italien hatte auch „no limits“: 12 Kinder, die er durchbringen musste, als die Familie ausgeraubt wurde. Nun brauchen Iren nur Kartoffeln und Guinness, aber die müssen auch bezahlt werden. Also ab auf die Strasse zum Singen. War nicht so prickelnd. Joey lief mit der Mütze zum Liresammeln durch die Reihen der spärlichen Zuschauer. Sein erster Ultra. Mit dem Doppeldeckerbus gelang die Flucht nach Stuttgart. Zwanzig- bis dreißigtausend Mark Schmerzensgeld drückten die Deutschen ab, pro Tag! „Und steuerfrei“ fügt Joey noch hinzu.

Der Mann kennt wirklich keine Grenzen, das macht ihn menschlich, sympathisch. Als man das Hausboot der Kelly Family von Brühl ins Technikmuseum Speyer transportierte, fand man kupferne Pfennige in Millionenhöhe als Ballast im Rumpf des Schiffes.

 „Sometimes I wish I were an Angel”, ein Frösteln geht über den schweissnassen Rücken der Menge. Die Überleitung zu seinem Sport. Der begann mit einer Wette, Joey hatte keine Ahnung aber trat einen Triathlon an, die kleine Distanz. Die Kamera des Wettfreundes läuft, als Joey versucht, im Butterflystil über das Wasser zu kommen. Sofort Letzter im Feld, die Menge gröhlt, als er sich an der Boje japsend über Wasser hält. Welcher Promi würde solche Bilder zeigen? „Wenn ich nicht Schwimmen kann, dann ist es halt so“, sind nicht seine Worte, sondern die eines Lesers. Joey packt es an und finisht alle acht Ironman-Veranstaltungen der Welt in einem Jahr.

Joey in Unterhose, Joey beim Aufstechen der Fussnägel, bei der Behandlung persönlicher Stellen, er kennt kein Limit, läuft mit gebrochenen Knochen den Berlin Marathon und ist doch  ein Mensch.

Das ZDF suchte in 2010 Teilnehmer für den Antarktis-Wettlauf. Unsere m4y-Autorin Andrea Helmuth war damals Teilnehmerin im Castingcamp. Als die Kameraden heulend ausfielen, musste sie alleine den Schlitten ziehen. Am Abend saß Joey als einziger „Offizieller“ am Lagerfeuer, während Lanz sich im Hotelpool ahlte. Er bot Andrea an, ziehen zu helfen, doch er durfte nicht, war aber am folgenden Tag motivierend und anfeuernd die ganze Zeit neben ihr. 

In den sechziger Jahren kam ein anderer genialer Einwanderer aus dem Banat mit Namen Dr. Eduard Zwick, der sich als Tropenarzt auf Sumatra durchgeschlagen hatte und kaufte für 100.000 Mark ein Grundstück, nahm das alte Bohrgerät, was der Zampano Adolf auf der Suche nach Eröl hier liegen liess, und bohrte  eine Quelle. Auf dem Grundstück entstand das Johannesbad, benannt nach seinem auf Sumatra geborenen Sohn.

Während man sich die folgenden 25 Jahre darüber stritt, wem das Wasser eigentlich gehört, schnellten die Aufwendungen für Rehabilitationsmaßnahmen der Kurgäste in die Höhe, und die Direktoren der Landesversicherungsanstalten machten Urlaub in den Domizilen des „Bäderkönigs“ an der Cote d ´Azur und Nevada.

Dr Eduard Zwick war in den 80er Jahren  Deutschlands bekanntester Steuerflüchtling, das Finanzamt wollte seine Auslandverluste nicht anerkennen. Im Zuge der „Amigo-Affäre“ musste der damalige Finanzminister von Bayern zurücktreten.

Geblieben ist Europas größter Kurort, Johannes Zwick ist jetzt Vorsitzender des Aufsichtsrates der Johannesbadgruppe, beschäftigt über 2000 Mitarbeiter an mehreren Standorten im In-und Ausland. Eine zweistellige Millioneninvestition hat den biederen Kurmief aus dem Bad vertrieben. Nur  noch  Ottfried Fischer ist geblieben, er steckt im Sessel fest, passt aber nicht auf meinen Microchip. Als ich vom Termalbad zurückkomme, sind er und der Sessel weg. 

Spontan hatte ich vor zwei Jahren diesen Marathon auf meine Favoritenliste gesetzt. Zwar ist Bad Füssing nicht meine Traumstadt, da kein Zentrum, kein äußeres Leben, allenfalls Golfspieler und jährliche Marathonläufer, keine Meisterwerke der Romantik, der Gotik, des Barock in Kirchen, kein Ort der Vergangenheit sondern des Vormittagsschlafes. Autos verschwinden in Tiefgaragen und Kurgäste in den Termalquellen oder im Haslinger Hof.

Vollbad unter Patienten.

Viele Marathonläufer meiden den Haslinger Hof. Pumuckl hatte sich mal dort die Rippen gebrochen. Lief aber trotzdem am nächsten Tag den Marathon. Wenn der Joey sich vor laufender Kamera intime Dinge einschmiert, dann kann ich auch Fotos aus dem Haslinger veröffentlichen. No Limits. Doch nicht nur gebrochene Rippen, hier in der Versammlung der Patienten holst du dir alles.

Volldampf des Patienten.

Wohl jeder Marathonläufer hat schon mal geträumt, er käme zu spät zum Start. Ich habe zu lange gebraucht, um den Grund meiner Anwesenheit im Hotelzimmer zu erraten schnappe mir meine Sonnenbrille und wetze zum Start. Hab mich vorher warm angezogen.

Norbert, Walter, Dietmar, alle haben heute Probleme und ich bin schon mal besser gelaufen. Frische, kalte Luft tut gut, die erste Runde ist ok. Die Fahrzeuge der Patienten sind gekennzeichnet: PA- XY und dann die Nummer der Krankenkasse.

Die zweite Runde wird zur Qual. Die Getränke der Nacht sammeln sich in Eiszapfen in den reichlichen Haaren der dicken Birne. Vollbart des Patienten. „So was schreibt man nicht!“ das sind nicht die Worte von Joey, sondern eines Lesers. Doch „No Limit“ beginnt im Kopf, und ich habe heute einen gewaltigen. Siegertypen verbringen das Wochenende nicht vor der Glotze. Pack es an! Heb deinen Arsch und kämpfe für Deinen Erfolg! Mein Tag hat 36 Stunden, und wenn das nicht reicht, laufe ich auch nachts!

Der Golfplatz birgt Lebensgefahr. Ein Schild weist darauf hin, dass man beim ersten Tee anfangen muss. Ich mag aber keinen Tee. Der ist zwar warm, aber susselig. Bananasplit, Apfel -und Clementinensorbet fügen meinen wunderschönen Zähnen Schmerzen zu. Das halbe Ballisto klebt kilometerlang in meinem kältetrockenen Mund, die Sonne hat Urlaub und der Wind übernimmt das Regime. Augen zu und durch, schlimmer wäre es als Helfer oder Fotograf am Strassenrand zu stehen. Wenn ich singen könnte, würde ich jetzt den Kelly machen.

Als ich das Zielfoto mit den Schweisszapfen in FB einstelle, kommen viele Kommentare wie: „Coole Sau, du!“ aber auch: „ Sowas könnt´ ich nie.“ Warum kannst Du das nicht? Warum setzt Du dir Grenzen? Niemand bleibt Patient. No Limit!

Der Marathon in Bad Füssing bleibt bei mir ganz, ganz  oben in der Topliste. Außer Ottfried ist alles im Startgeld enthalten. Klasse!

Marathon-Sieger

Männer

1 Mannweiler, Klaus Intersport Reiser Laufteam 2:36:57
2 Pyka, Dennis LG Telis Finanz Regensburg 2:37:40
3 Muhari, Gabor Mtraining 2:39:44

Frauen

1 Kühnlein, Angela Brehm-Titan-Runners 2:59:29
2 Russ, Karin MSC Rogner Bad Blumau 3:15:37
3 Hellmich, Ulrike LVR Geiselhöring 3:19:55

240 Finisher

 

 

Informationen: Johannesbad Thermen-Marathon
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