Ein Marathonsammler wie ich freut sich über jedes Rennen in der näheren Umgebung. Wenn der Marathon dann gleich am Wohnort stattfindet, entfällt überhaupt die Anreise. Den gewonnenen Samstag vor dem inzwischen traditionellen Wiener Herbstmarathon im Prater nutze ich mit Gattin und Tochter für einen Thermenbesuch in Bad Blumau als vorverlegte Regeneration.
Die Präsidentin des LCC Wien, Susanne Pumper, ehemalige österreichische Halbmarathon- und Marathon-Spitzenläuferin, hat mit viel Engagement nicht nur die Teilnehmeranzahl, sondern auch die ausländische Beteiligung an diesem Event quasi vor meiner Haustür erhöht. Mit dem Auto bin ich in 5 Fahrminuten im Prater. Eigentlich würde es niemandem auffallen, wenn ich mich im Pyjama an den Volant setze. Umziehen kann man sich - wie schon öfters erprobt - bei beidseitig geöffneten Türen im Auto. So besteht die Möglichkeit, sich bei der Wahl der Kleidung auf das aktuelle Wetter einzustellen. Meine Startnummer habe ich bereits am Donnerstag im LCC-Lokal im Praterstadion abgeholt, heute lasse ich mir bei der Hinfahrt bis knapp vor dem Start Zeit.
Als ich meinen Volvo gegen 9.40 Uhr in der Stadionallee einparke, liegt zäher Hochnebel über der Stadt, der laut Vorhersage erst gegen Mittag aufreißen wird. Die Sporttasche am Rücksitz ist vollbepackt mit Laufkleidung in allen möglichen Varianten. Ich entscheide mich für eine kurze Laufhose und ein nagelneues Puma-Langarmshirt. Das M4Y-Kurzarmleibchen lege ich gut sichtbar auf den Rücksitz, damit jene Spaziergänger und Einparker, die aus Neugierde oder Gewohnheit auch bei getönten Scheiben einen Blick in ein fremdes Auto werfen, ein Markenprodukt erspähen. Ein befreundeter, inzwischen pensionierter Gymnasialdirektor, pflegte seinen Burberry so zu falten, dass jeder Voyeur das Innenfutter des 500 Euro-Mantels in seinem schnittigen 3er-BMW gut ausmachen kann.
Vom Parkplatz in der Stadionallee bis zur Kreuzung Praterallee und dann weiter ins Ernst Happel-Stadion, das im Gegensatz zu den meisten modernen Fußballarenen noch eine breite Tartanlaufbahn hat, sind es ca. 600 Meter. Es ist eine Novität, dass Start und Ziel des Wiener Herbstmarathons, der in 6 Runden auf einer AIMS-vermessen flachen Strecke zu je 7032.5 m mit geringstem Höhenunterschied durchgeführt wird, im Fußball-Stadion sind. So laufen die Teilnehmer des 7-km-Bewerbes einmal, die Halbmarathon- und Marathonstarter drei- bzw. sechsmal über die Bahn im Prateroval.
Als ich 10 Minuten vor dem Start ins Stadion komme, sind fast alle Läufer schon versammelt. In allen Disziplinen starten ca. 900 Hobbysportler aus 10 Ländern, an die 600 nehmen am Halbmarathon teil, über 140 sind für den Marathon registriert – da ich mich erst vor einer Woche angemeldet habe, wurde mir die „hohe“ Startnummer 133 zugeteilt. Auch beim 7-km-Lauf sind ca. 170 im Starterfeld. Mit den Staffelläufern über die Halbdistanz (jeder im Dreierteam läuft 7 km) und den gesamten Marathon (Viererteam) ist so eine repräsentative Anzahl zusammengekommen.
Die Schlusszeit des Wiener Herbstmarathons beträgt immerhin volle 6 Stunden und endet um 16 Uhr. Doch beim LCC Wien sind viele überdurchschnittlich schnelle Läufer eingeschrieben, daher ist es nicht verwunderlich, dass nur zwei Pacemaker aufgeboten werden, nämlich für 3:00 und 3:30 Stunden. Von unserem Club könnte gegenwärtig vermutlich nur einer dieses Tempo mithalten bzw. nach den jüngsten Ergebnissen sich irgendwo dazwischen klassieren: Rudi, der wie Börni oder Gerhard auf Marathonzeiten unter 3 Stundenverweisen kann – um nur einige Mitglieder zu nennen, die in früheren Jahren Spitzenläufer waren.
Bei 900 Startern, die sich auf der Laufbahn bereits nach Gutdünken eingereiht haben, erblicke ich unweigerlich viele bekannte Gesichter: Susanne, Josef, Otto mit zwei Freunden von seinem Laufclub, einen jungen Mann, mit dem ich bei beim leider um 1,7 km zu kurzen 1. Wiener Indoor-Marathon 2012 Seite an Seite einige Kilometer gelaufen bin. Ich mache einige Aufnahmen, stelle mich vor die erste Reihe und knipse. Susanne Pumper hält noch eine kurze Rede bzw. instruiert die Läufer, dann geht’s los.
Einige Teilnehmer im 100 Marathon Club Austria haben die Kondition, heute sub 4 Stunden zu laufen – vor allem Rudi (er unter 3:30), Josef (M-60) ist super in Form, auch Andy, der sein Auto zufällig neben meines geparkt hat, und Werner könnten das heute schaffen. Bei Otto hingegen, der nach einer schweren Knieverletzung langsam wieder in Form kommt, wäre ich mir nicht so sicher, obwohl er mehrfacher Sparthatlon-Finisher und früher auch den Marathon unter 3 Stunden gelaufen ist. Ich selbst spekuliere mit einer Zeit unter 4:30 oder zumindest knapp darüber – vor 2 Jahren finishte ich mit 4:24.
Da fällt mir Andy ein, der sich selbst den Kosenamen „Pseudoläufer“ verpasst hat – den sollte er rasch wieder ändern, denn erst letzte Woche in Graz lief er mit 4:05 eine gute Zeit.
Nach dem Startsignal geht die Post ab. Sobald die Läufer aus dem Stadion draußen sind, haben sie freie Bahn. Bereits nach wenigen Minuten ist das Feld weit auseinander gezogen. Die 7-km-Läufer und die Halbmarathonis spurten weg, die Marathonläufer hinterher. Die Differenzierung sieht man an den Startnummern: weiß für die Kurzdistanz, hellblaue Unterlegung der Nummer für die 21,1 km-Starter, die Marathonteilnehmer haben eine rote Nummer.
Der Kurs führt nach dem Stadion auf die insgesamt 4 km lange Praterallee, auf der in östlicher Richtung nur ein knapper Kilometer gelaufen wird. Dann geht es in einer 180 Grad-Schleife auf der Frauenlaufstrecke entlang des Heustadlwassers wieder in westliche Richtung.
Nach wenigen Hundert Metern laufe ich auf einen Mann mit der schwarzen Startnummer 4542 auf, der das offizielle Shirt des 40. Berlin Marathons trägt. Er dürfte in meinem Alter sein oder vielleicht auch schon mehr als 60 Lenze haben. Ich spreche ihn an und erwähne, dass ich auch in Berlin gelaufen bin. Er erwidert, dass er dort am 29. September seinen ersten Marathon in 4:52 gefinisht – damit 6 Minuten schneller als ich – und sich dafür ein halbes Jahr vorbereitet habe. Jetzt sei der Bann gebrochen und er strebe nach neuen Ufern – er möchte eventuell in die Ultramarathonszene wechseln. Heute sei das nur ein reines Auslaufen, einen Marathon hat er sich hier im Prater nicht vorgenommen.
Der Kilometerpunkt 3 befindet sich noch auf der etwas ramponierten Asphaltstraße unweit des Heustadlwassers, danach führt der Kurs weiter in die Stadionallee und zur Kreuzung Praterallee/Meiereistraße, wo auch einige Zuschauer stehen. An Wochenenden ist die Durchfahrt für Privat-PKWs gesperrt. Nur Taxis und der städtische Bus verkehren in den Prater, allgemein als „grüne Lunge“ Wiens bezeichnet, wobei anzumerken ist, dass die österreichische Bundeshauptstadt vom Wiener Wald im Westen umgeben ist und im Osten mit der Donauinsel ein weiteres sehr großes Grünareal neben vielen Parks besitzt.