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Laufberichte

TorTour de Ruhr

02.06.07

"Reicht mir eine Puky-Säge, ich will das Ding umnieten!"

 

Bericht zur TorTour de Ruhr2007: 230 Kilometer entlang der Ruhr, Nonstop

 

Die Idee

 

Die Entstehung der TorTour de Ruhr ist schnell erzählt: Vor etwas mehr als einem Jahr erschien in der Tageszeitung ein Bericht, dass die Ruhr nun komplett von der Quelle bei Winterberg bis zur Mündung in den Rhein bei Duisburg per Rad abgefahren werden kann. Der RuhrtalRadweg war eröffnet. Nachdem ich diesen Artikel gelesen hatte dauerte es ungefähr 5 Sekunden, bis ich sicher war, dass man die 230 Kilometer auch laufen kann - am besten sogar nonstop, damit es ein richtiges Abenteuer würde.


Nachdem ich im vergangenen Sommer mehrfach entlang verschiedener Gewässer durch das Ruhrgebiet gelaufen war, stand der Entschluss fest: Man musste das Unternehmen nur planen und durchführen - Start, Ziel und Weg sind schon vorgegeben.

 

Von der Idee zum Lauf

 

Eine solch lange Strecke muss natürlich gut supportet werden. Verpflegung, Kleidung, vielleicht auch Unterhaltung ... und so erzähle ich über den Sommer hinweg einer Reihe von Ultraläufern und mir bekannten Radfahrern von der Idee, und frage ob sie nicht Lust hätten mich einen Teil des Weges zu begleiten. Bei dem Tempo und der Streckenlänge scheinen mir 4 Radbegleiter hintereinander angemessen.


Durch die Homepage www.tortourderuhr.de werden Interessierte informiert, und nach und nach melden sich Läufer, die Etappenstücke mitlaufen, ja sogar einige, die die ganze TorTour machen wollen. Da die Transportkapazitäten auf einem Fahrrad jedoch begrenzt sind, und ich meine Begleiter nicht als Packesel missbrauchen möchte, vertröste ich auf Folgeausgaben (Für 2008 gibt es bereits Anmeldungen), bzw. verdonnere ich die Etappenläufer, sich selbst zu verpflegen.


Das Ganze entwickelt sich prächtig, und so sitzt am Mittwoch vor dem großen Wochenende eine Gruppe von Läufern und Radfahrern an unseren Esstisch, mampft Kuchen und tauscht Kartenmaterial und Handynummern aus. Jeder tut das ihm mögliche um dabei zu sein und dem ganzen Projekt zum Erfolg zu verhelfen.

 

Der Start

 

Samstag, den 2.6.2007 geht es morgens gegen 8:00 Uhr dann mit unserem Bus Richtung Ruhrquelle bei Winterberg. Mit an Bord: Julia, die an festgelegten Stellen per Auto das Rad und den Hänger neu beladen und die Radbegleiter an- und abtransportieren wird, sowie Reinhard, der sich auf das Abenteuer "Treffen Sie einen Haufen Lauf-Verrückter" eingelassen hat, und tapfer die ersten 100 Kilometer auf dem Sattel aushalten will, um uns von der Ruhrquelle bis Fröndenberg zu supporten. Alles in allem werden bis Duisburg ca. 20 Personen, Helfer und Läufer dabei sein.

 
Unterwegs sammeln wir noch Mattin ein, der wieder einmal über jeden Hügel und jedes Kaff im Sauerland eine Geschichte erzählen wird, und Tom, der uns vom Start weg mit seinen Sprüchen, und später mit einem 1a Verpflegungsstand am Rathaus Neheim in guter Erinnerung bleiben wird.

 


In Winterberg treffen wir Klaus (Schiermi) und seine Frau Petra, die uns die ersten 40 Kilometer mit dem Auto versorgen wird. Nach den üblichen Start-Fotos für die Homepage und den "Vorher/Nachher-Vergleich" traben wir gemütlich talwärts in Richtung Wiemeringhausen. Nachdem der Radsattel und die Anhängerkupplung noch mal richtig fixiert sind, geht es ohne nennenswerte Probleme durch das grüne Sauerland. Immer wieder werden wir von Radtouristen überholt, Familien, Rentner-Clubs, Niederländische Mountainbiker - sie alle zieht dieser RuhrtalRadweg an.

 

Erste Hindernisse

 

Es ist noch keine Stunde vergangen, da geht es rechts steil Bergauf. So steil, dass alle Radfahrer mit Steh-Pausen ächzend am Wegesrand verweilen, während wir, lustige Sprüche auf den Lippen, vorbeirauschen.

 

Schließlich haben wir ein Einsehen mit Reinhard und schieben zu zweit, stellenweise zu dritt, das Gespann den Berg Richtung Bruchhauser Steine hoch. Ca. 80 Höhenmeter später fällt durch einen Blick in die Karte auf: Wir hätten hier gar nicht hoch gemusst. Die Wegweiser waren verdreht, und höchstwahrscheinlich sitzt jetzt irgendjemand im Tal mit einer versteckten Kamera hinter einem Busch und lacht sich kringelig. Die 2-3 Kilometer Umweg muss man mental sofort weg buchen; aber ab jetzt wird nur noch nach Karte gelaufen - Basta!


Weiter geht es in Berg- und Talfahrt nach Olsberg, Bestwig, Meschede bis nach Freienol. Tom wollte eigentlich bis Neheim mitlaufen, aber das Wetter ist schwül und drückend, und heute reichen ihm 50 Kilometer. Er verspricht rasch nach Hause zu fahren, zu duschen um uns dann in Neheim einen Fresstand aufzubauen.

 


Mattin, Schiermi, Reinhard und ich laufen weiter, vorbei an Freienol, um bei Arnsberg (60 KM) Ute aus Mattins Lauftreff aufzugabeln. Sie ist über unser Tempo erstaunt, das wir jetzt noch anschlagen und will bis Neheim mitlaufen. Überhaupt wurde im Vorfeld viel über Tempo und Ankunftszeiten orakelt. Ganz ehrlich: Man kann es nicht 100%ig planen. Wir versuchen, 6:00-6:30 zu laufen, nach den ersten 100 Kilometern werden es 7:00 min/km werden, hinzu kommen Verpflegungs- und Logistik-Pausen. Dank des hohen Handyeinsatzes sind alle Beteiligten zu jeder Tag- und Nacht-Zeit bestens informiert. An dieser Stelle mal ein großes Lob für die einarmig (weil ständig telefonierend) fahrenden Radbegleiter!

 

Im Rausch?

 

 Bis Neheim ist es nicht mehr weit. Während ich so neben Schiermi duch ein Wohngebiet laufe, verfängt sich mein Blick an einer Garageneinfahrt und dem darin befindlichen Wagen. Am Autoheck wird gerade das Nummernschild ausgeblendet, so wie auf Unfallfotos in der Zeitung, oder wie wenn Kinder von Prominenten auf Fotos unkenntlich gemacht werden sollen. Es dauert einige Augenblicke bis mir einfällt, dass das a) keinen Sinn macht, und b) ich hier keine Fotos oder Filme sehen. Tatsächlich ist das Fahrzeug abgemeldet, und trägt statt eines schwarz-weißen Kennzeichens nur eine Plastikhalterung, die meine durchgeschüttelten Sehorgane jedoch nur unscharf ausmachen können. Setzt mein Verstand aus? Habe ich zu wenig getrunken? Ruhe bewahren!

 

Das erste Drittel ist geschafft


Verpflegungsstand Neheim (78 KM). Schiermi will aufhören (Gratulation zur PB: 80KM!), Mattin und Ute sind gleich zu hause. Wir stopfen uns die Backen voll; Tom hat wirklich eine Menge aufgefahren. Leider koste ich leichtsinnigerweise noch von seiner "leckeren Knoblauchwurst", ohne Böses zu ahnen. Mein Magen ist robust, und der Geschmacksnerv verlangt nach salzigem, fettigen Essen. Cola und alkoholfreies Bier drauf; weiter geht's. Nach 2 Kilometern verlassen uns die Neheimer neben Schiermi. Reinhard bleibt, Stefan stößt dazu.


Stefan, der 100 Kilometer auch in unter 8 Stunden läuft, macht mich ein wenig bange. Bloß jetzt nicht mitziehen lassen, sondern weiter langsam und ruhig "dahinschluffen". Zum Glück halten sich wirklich alle Etappenläufer an meine Bitte "mein"Tempo zu laufen, und so verbringen wir einige kurzweilige Stunden mit vielen Läufergeschichten und genießen die Landschaft. Bei Bachum (?) besteigen wir drei kurz eine überdachte Aussichtsplattform, die einen herrlichen Blick über die Ruhrauen bietet. Es ist kurz vor 20:00 Uhr bei Kilometer 85, wir liegen gut in der Zeit.


Auf Echthausen zu, kurz vor Wickede, wird der Radweg für ca. 2 Kilometer über die Ruhrstrasse geführt, und so müssen wir einige der wenigen Landstrassenpassagen hinter uns bringen. Langsam aber sicher knabbern wir uns an Wickede vorbei auf Fröndenberg zu. In den Dörfern entlang des Weges sind zahlreiche Sommer- oder Schützenfeste. Von überall her dringt laute Musik zu uns durch; hier und da sehen wir Festzelte auf den Wiesen aufgebaut.

 

Suchaktion und Wachwechsel


Während einer Trinkpause bemerkt Stefan, dass das lose im Pullover eingerollte Handy auf dem Radanhänger fehlt. Reinhard und er durchsuchen das Gepäck, während ich langsam weiterlaufe. Die Dämmerung ist hereingebrochen und schließlich stehe ich am Wegesrand und merke, dass ich weder eine Karte noch ausreichend Beleuchtung bei mir habe, um Schilder lesen zu können. Es hilft nichts, ich muss warten bis Stefan schließlich auftaucht. Reinhard ist umgedreht um das Handy zu suchen und wir laufen langsam weiter, bis das Radgespann inklusive Fundstück uns wieder einholt - Glück gehabt.


In Fröndenberg sind die ersten 100 Kilometer geschafft. Es ist schon 22:30Uhr - wo ist die Zeit geblieben? Julia ist gekommen um Reinhard gegen Rudi auszutauschen, meinen langjährigen Laufkollegen. Er ist bestens vertraut mit der Ultralauferei und macht nun den Radbegleiter von Fröndenberg bis Hagen. Meine Schwiegereltern sind auch hier, um mir alles Gute auf dem weiteren Weg zu wünschen.


Aus Hagen kommen Marita und Andreas hinzu, langjährige Freunde, die sich das Spektakel und besonders das Laufen in der Nacht für ca. 30 Kilometer anschauen wollen. Außerdem dabei: Michael, der zwar gerne gelaufen wäre, wegen einer Verletzung aber auf das Mountainbike gewechselt ist. So sind wir nun zu 2 Radfahrern und 4 Läufern, die durch die Nacht traben. So viele Leute und das zu nachtschlafender Zeit - Klasse!


Ich wechsele die Kleidung, erkläre Julia, dass ich mich gut fühle. Die Beine und der Rücken sind noch 1a. Nur der Magen zickt, seit ich diese Knoblauchwurst gegessen habe; sie gibt andauernd "Pfötchen" und ich muss aufstoßen wie ein Bauer (oder Ultraläufer). Das Problem: Ich kann nichts hinterher essen, alles tanzt im Magen; wahrscheinlich lateinamerikanischen Standard. Bis gleich, Küsschen.

 

Die Nacht (Part I)


Hinter Fröndenberg folgt der RuhrtalRadweg einem Teilstück des Menden Marathons, und in Dellwig ist die neue Radweg-Trasse fertig. Der Vorteil: Dieser Teil ist wieder Autofrei und der Schlenker über Drüpplingsen (strammer Aufstieg) entfällt. Es ist sternenklar, der Mond geht auf - einfach nur schön. Überall in den Dörfern wird gefeiert, was auch immer. Laute Musik aus der Ferne, dann wieder Stille. Wir 6 sind total aufgekratzt; von Müdigkeit keine Spur. Mit einem Red Bull gelingt es mir schließlich die Knoblauchwurst einzuhüllen, so wie wenn man einen Betonsarkophag über ein gesunkenes Atom-U-Boot gießt.

 


Am Radgespann geht kein Licht. Ich habe an alles gedacht: An doppelte Stirnlampen, Kartenhalter, Flickzeug, Notpumpspray - aber den Dynamo habe ich nie angeworfen ... na macht nichts, wir sind allein auf dem Radweg.


In Schwerte steigt Stefan nach gut 40 Kilometern aus, da er hier gleich um die Ecke wohnt. Die Hälfte der Strecke ist bereits überschritten. Ab hier kenne ich den Weg bis Mühlheim fast auswendig.


Etwas weiter bei Wandhofen, einen Steinwurf vom Sportplatz mit Festzelt und Kirmes entfernt laufen wir nachts um 02:00 Uhr durch den Ort. Trab, trab, trab - gespenstisch und ohne Worte. Links und rechts auf dem Bordstein liegen oder hocken besoffene Jugendliche. Einer schaut verdutzt auf, brabbelt vor sich hin: "Was hier so alles los ist", und meint uns damit. "Das haben wir auch gerade gedacht" antwortet Marita, und beide müssen lachen.

 

"Die letzten 100 sind ja immer die Schwersten"


Schliesslich kommen wir nach weiteren 30 Kilometern, gespickt mit kleineren Gehpausen, gegen 03:30 Uhr am Hengsteysee an. Geschäftiges Treiben am Parkplatz. Julia ist wieder mit dem Bus da, ebenso Pete und seine Frau, die sich das mal anschauen möchte. 130 Kilometer sind rum. "Die letzten 100 sind ja immer die Schwersten - haha", denke ich noch so, und wechsele die Schuhe und Strümpfe. Ein Zeitgefühl habe ich nicht mehr, bin nur froh, dass alle wie abgesprochen hier sind und dass ich endlich wieder essen kann.


Warmes Essen mag ich nicht, die selbstgemachten, fettigen, salzigen Pizzataler hingegen gehen prima runter und endlich wieder ein Kinderbier. So langsam kann ich keine Cola und erst recht kein Wasser mehr sehen. Ich lege mich kurz in den Kofferraum, die Beine nach oben, um die Füsse von Schuhgrösse 47,5 auf 46,5 abschwellen zulassen.

 

Küsschen, und dann geht es allein mit Pete auf dem Rad in Richtung Wetter/Witten. Pete ist etwas angeschlagen, hat nicht geschlafen, versichert aber, dass er ausreichend fit ist um ein wenig zu radeln.

 

Die Nacht (Part II)

 

Es ist angenehm warm, ca. 16°C und man kann immer noch im Laufshirt unterwegs sein. Pete muss nun mit ansehen, wie mir die Kräfte schwinden und ich darüber immer unzufriedener werde. Da mir die Knoblauchwurst 4-5 Stunden keine Nahrungsaufnahme gegönnt hat, gibt es jetzt die Quittung: Keine Kraft in den Beinen. Selbst bei leichten Anstiegen falle ich ins Gehen zurück. So wird das nix. Die Zeit rennt mir davon, dabei bin ich kaum müde, und muskulär ist alles topfit! Ich horche in den Körper hinein: Keine Knie- oder Sehnenprobleme bis jetzt. 230 Kilometer, das sind 230.000 Meter - bei dem Schlufftempo - eine halbe Millionen Schritte. Kraft sparen. Bloß kein Bein anheben, den Schwung vom vorherigen Schritt weiterführen; Ultraschlappschritt eben. Das kenne ich vom Deutschlandlauf.


Hinter Wetter stehen die Handwerker kurz vor der Fertigstellung der Ruhrtreppe, einer Brücke über die Ruhr, die direkt zum Radweg führt. Wir müssen dem alten Weg folgen. Ich nehme die Unterführung unter der Bahn her, Pete versucht etwas weiter mit dem Radgespann einen Überweg zu finden; er glaubt sich an einen zu erinnern. Wie sich heraus stellt, haben wir mehr Glück als Verstand: Pete steht auf einmal vor einem geschlossenen Bahnübergang und weiß nicht, wie er Rad und Hänger da durch bekommen soll und anrufen kann er mich nicht, weil ich mein Handy auf's Rad gepackt habe. Dann, wie von Geisterhand wird der Bahnübergang geöffnet, ohne Mensch, ohne Schalter, ohne Zugverkehr davor. Manchmal braucht es einfach Glück.


Es wird wieder hell. Pete lotst mich und telefoniert mit Steppenhahn und Stefan, die bald an die Strecke kommen. Seine Geduld ist Gold wert. Ich kann zwar wieder essen, aber mein Mut sinkt.

 

Gute Laune siegt


Gegen 07:00 Uhr treffen wir zwischen Witten und Bochum ein. Das Ruhr-Ufer ist mit Angelruten und Tarnfarbenen übersät. Irgendein Wettfischen beginnt.


Stefan (Steppenhahn) läuft uns mit seinem Hund Birke kurz vor dem Kemnader See entgegen. Fast übersehe ich ihn, obwohl er mal wieder ein knallorangenes Laufleibchen trägt. Auf sein Anraten hin haben wir vorhin die nördliche Ausweichroute des RuhrtalRadweges gewählt, da die Fähre Hardenstein (Kilometer 151) um diese Uhrzeit noch nicht verkehrt, und die südliche Umgehung über die Kaiserroute zu steil ist. Handy sei dank kann man sich unterwegs ja kurzfristige Tipps einholen.

 


Zunächst halten wir an seinem Wagen, um Kaffee und Muffins zu verdrücken. Nachdem ich ihm eine Kurzzusammenfassung der bisherigen Vorkommnisse gebe, von meinen Magenproblemen in der Nacht und dem mäßigen Tempo von 3 Stunden für 20 Kilometer erzähle, bringt er mich wieder auf Kurs: "In dem Tempo laufe ich doch immer!". Binnen der folgenden 10-12 Kilometer erfahre ich, wo man gut, schlecht und teuer essen kann rund um den See, und wie sich der Nachwuchs derzeit entwickelt, und langsam aber sicher lichtet sich meine Stimmung. Bis wir uns bei Bochum-Linden voneinander verabschieden kann ich sogar wieder lachen.

Im Pott


Oliver hat sich per Handy angekündigt, und sprintet uns hinterher. Wir kennen uns vom vergangenen Jahr, wo wir beim STUNT100, dem 100-Meilen Trail in Sibbesse, gelaufen sind. Er hat gewonnen, ich wurde Zweiter. Wie alle Etappenläufer zügelt er seine schnellen Beine, und fällt mit mir in eine Gehpause, wenn mir danach ist. Pete ist mittlerweile auch über 30 Stunden auf den Beinen und froh, wenn er das Radgespann gleich gegen seine Laufschuhe eintauschen kann.

 

So traben wir drei an Hattingen vorbei auf Bochum-Dahlhausen zu, wo der letzte der 4 Radgespannfahrer, Thomas, am Eisenbahnmuseum auf uns warten will.

 

Irgendwo hier oder später am Baldeneysee überholt uns eine kleine Gruppe radelnder Rentner, denen der reichlich bepackte Anhänger auffällt. "Wie weit wollen Sie denn laufen mit soviel Gepäck?" - "230 Kilometer von Winterberg bis Duisburg!". Wütend, schimpfend, er habe doch nur höflich fragen wollen, zieht er vorbei. Was soll ich machen? Hinterherlaufen und es ihm erklären?


Am verabredeten Punkt übernimmt Thomas, der mir das Ruhrgebiet schmackhaft gemacht hat, die letzten 55 Kilometer Radsupport ab Bochum-Dahlhausen bis ins Ziel. Schon von weitem sehe ich ihn auf einer Eisenbahnbrücke stehend Fotos machen. Nach einigen gymnastischen Übungen setzen wir uns in Bewegung. Pete will unbedingt noch einen kleinen Ultra von 55 Kilometern laufen, Oliver will gleich nach Hause abbiegen, und Stefan soll ab Baldeneysee zu uns stossen.


Thomas erzählt von einem Nacktbadenden, der ihn (Thomas) erst einmal zurecht weisen wollte, dass er gar nicht gerne fotografiert würde. Falls derjenige hier mitliest: Ich verbürge mich dafür, dass Thomas' Hauptinteresse der Industriekultur im Ruhrgebiet gilt, und keinesfalls den Freikörper-Wassersportlern. So und nun geh' und kauf die eine Badehose ...

 

Was mich betrifft: Selbst bei weiblichen Nacktbaderinnen steigt mein Puls jetzt keine 5 Punkte mehr an. Nach nunmehr über 24 Stunden Lauferei habe ich komplett von Arterhaltung auf Selbsterhaltung umgestellt!

 

"Nur noch Marathon ..."


So ziehen wir gemeinsam weiter, den Ruhrbiegungen bei Essen folgend, alte Brücken und Zechentürme bewundernd (Ja ich bekomme noch alles mit!) bis zum Baldneysee, wo uns Oliver verlässt und Stefan (Lauflöwe) als letzter Etappenläufer für den Rest von genau einem Marathon einsteigt. Auch er hat Kaffee und Verpflegung mitgebracht. Kurze Pause - weiter.


Auf die Frage, wo es insgesamt schöner ist, muss man ehrlich sein: Der Ruhrgebietsteil. Der Radweg mit seinen vielen Seen, seinen Wiesen; der Grünanteil direkt an der Strecke ist hier atemberaubend schön. Nichts von Kohlestaub verschmierten Fabrikgeländen oder Abgasorgien gen Himmel. Saubere, blühende Landschaften.

 


Es ist Sonntagmittag, und der Weg füllt sich mit Familien und Ausflüglern. Jörg (Yogi) hat sich spontan ab dem Baldeneysee als Radbegleiter angeschlossen. Wenig später kommt auch Michael wieder, und zwar von Duisburg uns entgegen radelnd. Ihm hat es in der Nacht so gut gefallen, dass er sich nach ein paar Stunden Schlaf gleich wieder auf den Weg gemacht hat. Er ist fortan Radbegleiter und Telefonist in einer Person. Auf jeden Fall hat er als Triathlet das Gespür, zur richtigen Zeit "das sieht noch rund aus ..." zuzurufen - reiner Balsam.

 

3 Radbegleiter, 3 Läufer. Und alle laufen und radeln in meinem, immer langsamer werdenden, ermüdenden Tempo. So viel Disziplin, Ablenkungsversuche und Aufheiterungsversuche - Dank euch!

 

Kaugummi


Die Strecke zieht sich, unterquert auf Mühlheim zu die Mintarder Brücke (A52). In Mühlheim nehmen wir das Schloss Broich, den Ringlokschuppen, eine ehemalige Gartenschau und den Aquarius-Wasserturm mit. Oberhausen wird gestreift und ab jetzt ist echt die Luft raus. Max. 2-3 Kilometer laufen, ein paar Hundert Meter Gehpause. Thomas muss mich immer öfters in die Radkarte gucken lassen, damit ich Brücken und Abzweigungen einordnen kann und natürlich die Entfernung bis zum Ziel. So langsam ist es genug!


Duisburg-Ruhrort, Hafengebiet. Von einem Rinnsal, das in eine Hand passt, hat sich die Ruhr bis hierher zu einem breiten Strom gemausert. Mensch, wir könnten eine ARD-Reportage lang erzählen, was diesen Fluss ausmacht: Natur, Industriekultur, Energiegewinnung, Arbeit und Wohnen - wenn ich nicht so müde wäre, könnte ich beeindruckt sein.

 

Ziel in Sicht

 
Und dann, endlich, endlich taucht am Horizont das "Rheinorange" auf. Mein erster Gedanke: "Reicht mir eine Puky-Säge, ich will das Ding umnieten!". Am liebsten würde ich es umtreten, so lange hat es mich warten lassen, sich hinter Flussbiegungen und Hafengebäuden vor meinen Blicken versteckt. Jetzt noch 2 bis 3 Kilometer - die schaffe ich notfalls auch auf allen vieren. Die Ruhr ist geknackt!


Michael vermeldet, dass Julia immer noch nicht am Ziel ist. Das Navi hat sie zwar hergeführt, aber die Polizei hat sie in die falsche Richtung weitergeschickt. Pete, Stefan und ich gehen die vorletzten 1,5 Kilometer, damit Julia, geführt durch Yogi, in Ruhe ihre "Überraschung" anliefern kann. Ich ahne, dass sie ein Buffet für das Willkommenskommitee gezaubert hat, also was jucken mich die paar Minuten, es ist gelaufen.

 

200 Meter vor dem Ziel schließe ich sie in die Arme. Julia, die beste Frau der Welt, die die 230 Kilometer mehrfach hin und her gefahren ist, um das ganze Unternehmen zwischen Start und Ziel zu versorgen und mich aufzubauen.

 

Ein letzter Sprint über die Wiese, direkt da, wo die Ruhr in den Rhein fließt, der RuhrtalRadweg aufhört und ein oranger Riese die TorTour für beendet erklärt.

"Geschafft, geschafft, geschafft!"

 


Die Stahlskulptur "Rheinorange" des Bildhauers Lutz Fritsch ist übrigens gar nicht "rein" Orange. Sie wurde ursprünglich zwar in der signalhaften Orangefarbe RAL 2004 – dem sogenannten Reinorange - angestrichen, mittlerweile scheinen sich aber so viele Schmierfinken mit Edding und Sprühdose daran verewigt zu haben, dass sie in der Höhe von 0,5-3 m mehrfach überpinselt wurde. Die ausführenden Maler haben den Farbton jedoch nicht 100%ig getroffen, oder die Farben sind unterschiedlich ausgeblichen. Mir egal!

 

Finish

 

Ich küsse die monumentale Stele 33:10:13 Stunden nach dem Start. Sie ist sieben Meter breit, ein Meter tief, 25 Meter hoch, wiegt 83 Tonnen; das macht Eindruck. Thyssen-Krupp hat sich wirklich alle Mühe gegeben diesem Lauf einen würdigen Zieleinlaufpunkt zu widmen. Danke dafür! Ich bin gerührt, dass so viele Freunde gekommen sind an diesem Moment teilzuhaben. Fühle mich gross, weil ich als erster Mensch die Ruhr laufend und nonstop bezwungen habe, klein vor diesem Stahlgiganten, und stolz auf die gemeinsame Leistung:

 

*2 Autobegleiter haben für die An- und Abfahrt, die Versorgung des Teams, den Radtransport, den Kleiderwechsel für Läufer und Radfahrer, terminliche Koordination, u.v.m. gesorgt.

 

*6 Radbegleiter haben sich stundenlang den Hintern platt gesessen, den Weg auf der Karte gesucht, und als rollende Konferenzzimmer per Handy die Verbindung zu den anderen Teilnehmern koordiniert - am Tag und in der Nacht. Ich dagegen bin weitgehend vor Anrufen verschont geblieben.

 

*11 Etappenläufer sind je nach Lust und Leistungsvermögen Teilstrecken von 20-80 Kilometern mitgelaufen. Sie haben Verpflegung mitgebracht und mir die Zeit mit Geschichten verkürzt, oder waren einfach nur da.

 

Danksagung

 


Knapp 20 Menschen haben an eine verrückte Idee geglaubt und sie umgesetzt. Danke dafür an Julia, Reinhard, Schiermi, Petra, Mattin, Tom, Ute, Stefan, Rudi, Marita, Michael, Andreas, Pete, Steppenhahn, Oliver, Thomas, Lauflöwe, Yogi. Danke auch an meine und eure Familien - besonders meine Kinder, die mal wieder mehr als ein Wochenende auf meine Lauferei Rücksicht genommen haben.

 

Ohne euch alle hätte es keine TorTour de Ruhr gegeben, ohne euch nur halb soviel Spass!

 

Weitere Infos, über Strecke, Team, und weitere TorTouren auf  www.tortourderuhr.de.


Jens Vieler, Juni 2007 Fotos: Jens, Tom, Pete, Thomas, Yogi, Babsi - © www.tortourderuhr.de 2007

 

Informationen: TorTour de Ruhr
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