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Laufberichte

Kysucky-Marathon: Wo man den Laufsport lebt

20.06.15 Special Event
 

Der erste Marathon in der im Dreiländereck Slowakei, Tschechien und Polen liegenden, heute rund 25.000 Einwohner zählenden nordwestslowakischen Stadt Čadca wurde laut Chronik 1953 ausgetragen und ist somit nach jenem in Košice die zweitälteste Marathonlaufveranstaltung der Slowakei.

Als ich am späten Nachmittag in Wien mit dem Auto abfahre, habe ich drei Stunden für die 300 km eingeplant.  Dann kündigt das Navi auf der A6 infolge des Wochenendverkehrs und der Baustellen eine Zeitverzögerung von einer halben Stunde an. Daher fahre ich in Fischamend ab und über die Bundesstraße weiter, um bei Bruck an der Leitha wieder auf die Ostautobahn, die derzeit eine dritte Spur bekommt, aufzufahren. Mehr als 10 Minuten hat der Umweg nicht gekostet. Beim ÖAMTC kaufe ich noch vor der Grenze eine Vignette, die mit 10 Euro für 10 Tage billiger als z.B. die slowenische (15 Euro für eine Woche) oder auch die ungarische (ca. 12 Euro) ist.

Meine erste Bewährungsprobe sollte aber bei der Durchfahrt auf der E58 durch Bratislava kommen: Wie im August 2014 auf dem Wege zum Rajec-Marathon bei Temperaturen um 30 Grad ist die Stadtautobahn auch an diesem Freitag total verstopft. Die vielen LKWs, Lieferautos, Wochenendausflügler und Heimfahrer in den Osten der Slowakei, zudem der Verkehr auf den Zufahrten von den angrenzenden Stadtteilen der slowakischen Hauptstadt strapazieren das Nervenkostüm. Für 5 km von Bratislava-Prievoz nach Bratislava Zlate-Piesky benötige ich mehr als eine Stunde. Dabei kopiere ich den Trick vieler heimische Lenker: korrekt auf die angekündigte Abfahrtsspur abbiegen und solange es geht parallel zur E58 weiterfahren, doch dann wie die Vorhut rasch wieder den Blinker einschalten – mit Wiener Kennzeichen hat man sich halt geirrt.

Nach der zermürbenden Durchfahrt ist ein Stopp bei einer ÖMV-Tankstelle meine nächste Amtshandlung, nicht um zu tanken oder in der Raststation auf einen Kaffee zu gehen, sondern um Flüssigkeit loszuwerden. Selten spüre ich das Gefühl, erleichtert zu sein, so ausgeprägt wie in diesen Minuten des Wasserschlagens auf der Herrentoilette.

Nun lautet die Devise „Anzahn“ wie die Wiener sagen, also Gas geben, um die bis Čadca  verbleibenden 230 km in zwei Stunden zu schaffen - bis 21 Uhr werden laut Programm im Kulturhaus die Startnummern ausgegeben. Doch ich muss mich ja auch noch anmelden, die Online-Registrierung haben die Veranstalter am 19. Juni geschlossen. Ich entscheide immer sehr kurzfristig, wo ich am kommenden Wochenende laufen werde. Wegen des Samstagtermins in Čadca habe ich mich gegen Fürth entschieden und damit einen freien Sonntag gewonnen, um so auch andere Dinge in meinem Leben erledigen zu können.

130 km/h sind auf slowakischen Autobahnen erlaubt, in Wien ist „Darfs a bisserl mehr sein“ ein geflügeltes Wort, daran halten sich auch die Autofahrer. In den letzten Wochen war ich als Marathontourist und-sammler in Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Slowenien, Ungarn und Rumänien mit dem Auto unterwegs, überall wird am Tag Abblendlicht verlangt. Um die Glühbirnen zu schonen, verzichten viele Autofahrer darauf besonders auf Autobahnen. Das Begrenzungslicht erzeugt auch eine Lichtreflexion, die elektronischen Kontrollen sich auf die Vignette ausgerichtet.

Die Baustellen bei Trnava und Trencin bremsen den Verkehrsfluss, doch ist erst einmal Žilina erreicht – mit Produktionsstätten von Kia, PSA und VW ein Zentrum der slowakischen Autoindustrie und „Klein-Detroit“  (im Hinblick auf dessen einstige Blüte) genannt – ist Čadca nur mehr 20 km entfernt.

Ich habe auch überlegt, ob ich vielleicht erst am Renntag sehr zeitig in der Früh anreisen sollte, doch diesen Gedanken bald verworfen. Jedes Mal wenn ich knapp vor dem Marathon in Čadca über booking.com ein Hotel buchen wollte, waren alle in der Stadt ausgebucht bis auf das Hotel Lipa. Auch heuer wieder wird die Suite um 56 Euro angeboten oder alternativ eine Pension um 20 Euro in einem 8 km entfernten Nebenort. Am Parkplatz des Zweisternhotels stehen ein ungarischer und ein tschechischer PKW, also kommen auch die ausländischen Gäste wie ich wieder zurück.

Knapp vor 21 Uhr gehe ich in das Kulturhaus, um mich nach zu melden. Die nun erhöhte Startgebühr von 30 Euro ist im Vergleich zu Senica letzten Samstag mit 14 Euro ein wenig überzogen, schließlich gibt es heuer kein T-Shirt, dafür ein Handtuch in giftgrün mit dem Logo des Kysucky-Marathons. Der Name leitet sich übrigens von der Landschaft Kysuce und dem Fluss Kysuca her, der Marathonkurs führt flussaufwärts.

Weil ich bei bisher drei Aufenthalten im Hotel Lipa nie ein ordentliches Frühstück bekommen habe – das traditionell mit drei Scheiben Tomaten und Gurkenspalten angebotene Rührei bekommt mir nicht – führt mein nächster Weg mich zum Coop, der noch offen hat. Egal wo ich bin, wenn es sich ausgeht, kaufe ich mir vor einem Marathon immer etwas für den Abend und das Frühstück.

Die Regale im Supermarkt sind voll, die Preise um 30 bis 50% niedriger als in Österreich. Die Slowakei, die seit dem 1. Mai 2004 bei der EU ist und den Euro mit 1. Januar 2009 eingeführt hat, gilt unter den neuen Mitgliedsstaaten als ein wirtschaftlich gut dastehendes Land. Obwohl die Löhne um 30 bis 50% niedriger sind als bei uns, bleibt die Kaufkraft wegen der niedrigeren Preise auf Konsumgüter (nicht Autos und technische Importwaren) erhalten.

Die Suite im Lipa hat ein überdimensioniertes Bad mit einer Stufe zum Draufsitzen, bei geöffneter Tür schaue ich im Eurosport bis 23 Uhr die Superkombat aus Constanta – das slowakische Bier hat 12% Alkoholgehalt, ideal zum Einschlafen.

Am längsten Tag des Jahres oder exakter einen Tag davor ist es um 5 Uhr schon hell. Als ich aus dem Fenster im 3. und letzten Stock des Hotels blicke, sind die ersten Helfer schon mit Aufbauarbeiten im Start-und Zielgelände des Marathons beschäftigt. Der Start ist für 10 Uhr angekündigt. Wie hier üblich, werden sich bis knapp vor Rennbeginn noch etliche nachmelden. 

Mein erstes privates Frühstück nehme ich am Balkon um 7 Uhr ein – ab 8 Uhr sitze ich dann bei einem Tee. Heißes Wasser wird mir auf Verlangen „prosím teplej vody“ serviert, das Päckchen mit Pfefferminze trage ich bei mir. Der Kellner empfiehlt mir das Rührei, aber ich bin ja schon satt.

Die Rezeptionistin eröffnet mir beim Checkout, nach dem Finish im Zimmer die Dusche benützen zu dürfen. In Wien bekommt man für solche Nettigkeiten einen Schmattes, auf dem Balkan nennt man es wohl „Bakschisch“, hier in der Slowakei kann man für 5 Euro 10 bis 15 Flaschen Bier beim Coop kaufen.

Ich lasse mir bis 9 Uhr 45 Zeit, bevor ich aus dem Zimmer gehe. Zuvor habe ich das Geschehen vom Balkon aus verfolgt und auch ein wenig geknipst. Es ist heute am 20. Juni 2015, dem Wettergott sei gedankt, kühl, es hat keine 20 Grad am Morgen, mit kleinen Schauern ist am frühen Nachmittag zu rechnen.

Die Slowaken lieben ihre Tradition, wie jedes Jahr gibt es vor dem Marathon eine volkstümliche Darbietung. Diesmal stehen zwei Abordnungen junger Mädchen in US-amerikanischer Cheerleader-Aufmachung in einer Reihe, die kleineren immer an zweiter Stelle in orange, die größeren in grau gestreiftem Shirt und pink eingefasstem Rock. Die Hymne wird gesungen, die Organisatoren halten eine Ansprache. Die Läufer aber wirken grimmig und entschlossen.

Viele bekannte Gesichter, darunter etliche, die auch beim Hitzemarathon in Senica dabei waren. Juraj Michalik etwa, mit dem ich mich fotografieren lasse. Voriges Jahr war ich um 5 Minuten schneller, er finishte in 4:51. In Senica blieben wir beide weit unter den Erwartungen, aber kamen ins Ziel. Heute sind die Vorgaben ähnlich wie beim Bratislava Marathon: bei Kilometer 40 sollte man 5 Stunden Laufzeit nicht überschritten haben. Doch aus der Vergangenheit weiß ich, dass 5 Stunden das eigentliche Limit sind, denn danach wird schon abgebaut.

Die Halbmarathonläufer erkennt man an der Startnummer größer 100, die Marathonis liegen numerisch darunter. Mein alter Bekannter Anton Gombar, Jahrgang 1944, hat heute die Nummer 50 erhalten – hätte es so viele Läufe gegeben, wäre er als 71-Jähriger wohl bei allen dabei gewesen. So aber wurde der Kysucky-Marathon mehrmals ausgesetzt wie auch jener in Košice. Anton darf  übrigens mit Genehmigung der Rennleitung mit einem Zeitvorsprung den Marathon beginnen, der dann beim Finish hinzugezählt wird. Dies ist ein nettes und eigentlich untypisches Entgegenkommen auch hier in der Slowakei, denn die Läufer ab 60 und in der letzten Altersgruppe ab 70 sind zumeist so fit, dass sie einen Toleranzvorsprung nicht benötigen.

Mir fällt ein Statement von Werner Kroer ein, mit dem ich letzten Samstag in Senica war. Werner meinte, dass, würde man in den USA, wo er lange gelebt und gearbeitet hat, einen Marathon mit 5 Stunden begrenzen, würden nur halb so viele Läufer daran teilnehmen. Lange Öffnungszeiten dienen dem Städtetourismus. Wäre der Rom Marathon nur 5 Stunden offen, würde so mancher Läufer das eingeplante Selfie beim Trevi-Brunnen oder dem kleinen Anstieg bei der Umrundung des Kolosseums nicht zustande bringen.

Die Läufer in den vorderen Reihen am Start wirken sehr fit, sie können es sichtlich kaum mehr erwarten, ins Rennen zu gehen. Ich komme mir in dem Moment mehr als Reporter denn als Läufer vor. Ich warte, bis fast alle die Kameralinse passiert haben, bevor ich an vorletzter Position liegend meinen 14.Marathon für heuer, meinen 216. bei marathonaustria.com und meinen 222. nach meiner Zählweise excl. 5 Ultramarathons beginne. Juraj hat sich wohl weiter vorne eingereiht, er will bis zum Halbmarathon Zeit herausholen.

Der Marathonkurs führt stadtauswärts auf der für den Verkehr nur direkt in der Stadt zunächst auf einem Streifen gesperrten Landesstraße 487, die entlang dem Fluss Kysuca verläuft. Vorne weg ziehen die Spitzenläufer davon, trotz einem Anfangstempo von 11 bis 12 km/h komme ich nur an zwei Halbmarathonläufer heran, die ich überhole.

Čadca liegt auf 428m Seehöhe, Vysoká nad Kysucou, wo die Halbdistanz erreicht wird, auf 545 m, noch spüre ich die zu erwartende Steigung nicht. Die Menschen an der Straße, an Zäunen und in Gärten nehmen vom Marathon kaum Notiz, hie und das klatscht auf den ersten Kilometern noch jemand. Stattdessen wird das Verkehrsaufkommen an diesem Samstagmorgen phasenweise größer, die Leute fahren nach Čadca zum Einkaufen. So muss man auf die Autos achten, ich laufe in diesem Fall immer links.

Vor Kilometer 5 holt mich einer der Halbmarathonläufer wieder ein, er hat ein konstantes Tempo unter 6 min/km, mit dem ich nicht mithalten will. Während er nach 21,1 km auf ein Bier gehen kann, geht es für mich heute um mehr: das Limit für 40 km schaffen und anzuschreiben.

Die erste Labestelle nach Kilometer 5 ist nicht üppig im Angebot, aber zu diesem Zeitpunkt sind der Kalorienverbrauch und der Flüssigkeitsbedarf noch gering, besonders wenn es leicht bewölkt ist und die Bedingungen gut sind.

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