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Laufberichte

Freundschaftsmarathon von Grodno nach Druskininkai

18.07.15 Special Event
 

Unter den Marathonsammlern gibt es solche, die ein festes Jahresprogramm haben – im Februar laufen sie in Bad Füssing, im Frühling vielleicht in Hamburg, Linz oder Wien, im Juli von Mandarfen nach Imst bergabwärts und beim Romantikmarathon in Füssen fix mit.  Auch im Herbst sind sie immer an den gleichen Orten anzutreffen, im November ist dann Florenz an der Reihe, der Abstecher nach  Athen oder Istanbul ist schon zu weit.

Dann gibt es jene Sammler, die Marathons gar zur Hauptsache selbst veranstalten und so gewaltig an Kosten sparen, die bspw. für ein Mitglied des Country Marathon Club Monat für Monat relativ hoch sind. Aber wer fremde Länder, Regionen und Städte bei einem Lauf über 42,195 km miterkunden will, der richtet sein Augenmerk halt auf neue Ziele.

Beim Marathon in Novi Grad, der Bosnien-Herzegowina abdeckt, kündigten einige Kollegen vom Country Marathon Club an, dass man sich in Weißrussland bald wiedersehen würde, denn dieser Lauf wird am 19. Juli 2015 zum 5. Male ausgetragen. 2014 war ich in St. Petersburg beim dortigen 25. Jubiläumslauf, der für mich ein Höhepunkt im gesamten Lauf-Jahr blieb. Daher entschließe ich mich schon Anfang Juni, an diesem völkerverbindenden Event mit politischer Bedeutung teilzunehmen.

Doch wie schon für Russland im letzten Jahr brauchen die Läufer auch für Weißrussland ein Visum, das mit einem gewissen bürokratischen Aufwand verbunden ist, wenn man die Formalitäten nicht über ein Büro, sondern selbst abwickelt. Der Litauer Vytautas Luchinskas ist so etwas wie die graue Eminenz hinter dem Projekt, wenngleich die olympischen Komitees der Länder Belarus und Litauen und somit etliche hohe Würdenträger und honorige Personen involviert sind. Ich schreibe zahlreiche E-Mails an Vytautas, er schickt eine Einladung nach meiner Registrierung und Überweisung der gering erhöhten Teilnahmegebühr wegen des späteren Datums von 25 Euro an die Botschaft von Weißrussland in Wien 13. Im für Sportler vorgesehenen  Hotel Belorus  in Grodno reserviert er ein Einzelzimmer für ca. 20 Euro für mich und alle anderen Läufer, die aus westlichen Ländern kommen. Das Visum bekomme ich am 2. Juli ausgestellt.

Ich zwar schon in Litauen, aber noch nie in Weißrussland, dessen Präsident Lukaschenko das Land mit 10 Mio. Einwohnern straff regiert. Durch die Friedensverhandlungen in Minsk 2014 zwischen Russland und der Ukraine hat er sich neue Sympathien in der EU erworben und ist bedacht, gegenwärtig einen neutralen politischen Kurs zu verfolgen. Vor dem Mauerfall gehörten Weißrussland und die drei baltischen Staaten zur Sowjetunion, danach blieben die Staaten  zumindest geopolitisch miteinander verbunden. Heute sind die baltischen Republiken bei der EU, Weißrussland ist Teil der östlichen Partnerschaft der EU, hat aber den Ruf, eine präsidiale Republik mit gewissen totalitären Auswüchsen zu sein. Doch das ist die Sicht der westlichen Presse, der man nicht unbedingt folgen muss.

Treffpunkt am Freitag, dem 17. Juli, ist das Hotel Pusynas in der ca. 13.000 Einwohner zählenden litauischen Kurstadt Druskininkai, die sich in Marathondistanznähe zur weißrussischen Stadt Grodno im Süden des Landes befindet. Für die 130 km braucht der öffentliche Bus der Fa. Kautra 2 Stunden.  Ich habe zunächst auch im Pusynas eine Nacht reserviert, dann aber auf das nahe dem Busbahnhof gelegene Hotel De Lita umgebucht. Der 1. Vorsitzende des 100 MC Deutschland, Mario Sagasser, hat mit Gattin Doris im Pusynas bereits Quartier bezogen, als ich zum Hotel komme. Weitere Freunde vom Country Marathon Club werden zu uns stoßen. Für 21 Uhr haben wir uns im Lokal Forto Dvaras verabredet.

Anwesend sind neben den Sagassers die renommierten Vielläufer und Ländersammler Klaus Westphal (nähert sich dem100. Land) und Giuseppe Raguso (über 50 Länder) auch Jürgen Kulmey, Jahrgang 1938, der 1997 in einem Jahr sieben Marathons auf sieben Kontinenten (Antarktis und Südamerika geopolitisch hinzu gezählt) gelaufen ist. 2015 wiederholte er dies in elf Wochen. Und Vytautas mit seiner hübschen Tochter, die seine Ausführungen vom Litauischem ins Englische übersetzt und in der Vorbereitungsphase wohl auch seine gesamte Mailkorrespondenz erledigt hat. 

Er erzählt, dass das Marathonprojekt bei einem zwanglosen Essen mit einem Mitglied des olympischen Komitees von Weißrussland geboren wurde. Die Uhren in Litauen sind eine Stunde zur  MEZ vorgedreht. Als wir uns um 22 Uhr 30 verabschieden, ist es zu Hause bei uns erst halb zehn. Aber der nächste Tag wird stressig, daher gehen alle in ihre Quartiere.

Ein eigens für die Läufer abgestellter Autobus ist vor der Busstation geparkt. Vytautas gibt Ergänzungsformblätter für die Visa in den Pässen aus, die auszufüllen sind. Nach 13 Uhr fährt der Bus die ca. 10 km bis zur weißrussischen Grenze, Vytautas kommt nicht mit, er hat den Aufbau im Zielbereich zu koordinieren.

Die Grenzbalken bleiben unten, der Bus parkt in der prallen Sonne, es ist drinnen brütend heiß. Wir halten die Pässe bereit, eine junge Frau im weißrussischen Military-Look  mit Rock und hohen Absätzen (aber ernster Miene ohne ein Lächeln) sammelt sie ein. Noch zweimal kommen uniformierte Frauen, um nachzuzählen, wie viele Personen im Bus sitzen. Diese Kontrollen erinnern mich an die 1970er und 80er-Jahre, als ich in Polen, Tschechien und Ungarn, und natürlich an der DDR-Grenze und in Ostberlin, ähnlich genau kontrolliert wurde. Wir dürfen aussteigen und stellen uns draußen in den Schatten, den die Gebäude werfen.

Nach ca. 1 ½ Stundenbekommen wir die Pässe im Bus sitzend von der gleichen Frau ausgehändigt, die mich und das Passfoto mit strengem Blick angesehen hat – mein Reisepass wurde erst im September 2014 neu ausgestellt. Nun haben wir freie Fahrt auf der Marathonstrecke in ein post-sozialistisches Land. Nach einer halben Stunde erreichen wir Grodno, mit 328.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt Weißrusslands, das in amtlichen Dokumenten als Belarus (Беларусь, „westliche Rus“) bezeichnet wird.

Der Bus parkt vor dem Belarus-Hotel, wo wir übernachten werden. Doch so einfach ist das hier nicht, vor der Rezeption bildet sich eine Schlange. Die Frau am Schalter spricht keine westliche Fremdsprache, sie kontrolliert jeden Reisepass und stellt eine grüne Karte aus. Das dauert. Im dritten Stock bekommen wir die Zimmerschlüssel. Der Standard meines Zimmers 420 ist einfach, zum Übernachten reicht es wohl. Frühstück ist keines vorgesehen. Um sich was kaufen zu können, muss man wechseln. Für einen Euro bekommt man in der dem Hotel angeschlossenen Wechselstube 16.000 Belarus Rubel (Byr), einfacher Rubel-Millionär ist man mit 60 Euro – Iwan Rebroff‘s Hit „Wenn ich einmal reich wäre“ wird Realität.

Man empfiehlt uns, nun ins 200 m nahe Multisport-Stadion zu gehen, um die Startnummern zu holen. Im Startkorridor sind an Masten die Fahnen der teilnehmenden Nationen resp. der angemeldeten Teilnehmer befestigt. Ist es Zufall, dass die österreichische neben der Fahne von Belarus hängt? Oder hat dies mit dem jüngsten Besuch unseres Außenministers Kurz in Minsk im Mai 2015 zu tun? Ich fühle mich geehrt.

In der Ausschreibung wird ein Attest gefordert, ich habe meines vom Milano-Marathon dabei. Doch Vytautas hat gestern am Abend beruhigt, nur einheimische Läufer benötigen einen ärztlichen Tauglichkeitsnachweis für die Marathondistanz. So ist es dann auch, die Startnummer wird in einem Kuvert übergeben, in dem sich auch ein Bon für ein Essen nach dem Marathon befindet. Ein zusätzliches Shirt ev. sogar mit einem Aufnäher der Fahne von Weißrussland, die einen breiteren Streifen in einem dunklen Rot und einem schmalen in Grün aufweist, wäre schön gewesen. Doch Vytautas hat am Abend auf die schöne Medaille verwiesen, die alle Finisher bekommen werden.

Bevor wir mit Alexander, einem von mehreren abgestellten Helfern in das ca. 3 km entfernte  Zentrum von Grodno spazieren, um die Stadt zu erkunden, nehmen wir die Gelegenheit wahr und bezahlen die Hotelrechnung. Während die meisten sich wieder bei der Wechselstube anstellen, probiere ich es mit der Kreditkarte, die problemlos genommen wird. 10 Euro habe ich schon davor gewechselt, die 160.000 Byr plane ich zur Hauptsache für Essenseinkäufe für das Frühstück auszugeben.  Noch steht nicht fest, ob eine Kantine im Stadion in der Früh offen haben wird.

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