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Laufberichte

Pfälzer Weinsteig: 100 Meilen Ultratrail-Lauf

18.10.14

165 Kilometer mit Herz 

 

Ich weiß, dass es verrückt ist, nur sieben Wochen nachdem ich 168 km nonstop um den Mont-Blanc gelaufen bin, schon wieder mehr als 100 Meilen und über 5000 Höhenmeter laufen zu wollen. Doch als mir Günther Bruhn schon vor mehr als zwei Jahren erstmals von seiner Idee erzählte, einen Nonstop-Lauf auf dem Pfälzer Weinsteig zu organisieren, sagte ich meinen Start fest zu. 

Während der letzten Wochen wuchsen meine Zweifel, ob ich eine Chance habe, das Ziel zu erreichen. Seit dem UTMB bin ich zwar glücklich und zufrieden, konnte seither aber mit Ausnahme der viel zu schnell gelaufenen 44 km beim Kraichgau-Lauf und den 65 km beim Panoramalauf Baden-Baden nie länger als 70 Minuten am Stück laufen. Aber ich freue mich seit Monaten auf diesen Lauf und will auf keinen Fall absagen. 

Günther Bruhn ist selbst begeisterter und auch auf langen Distanzen erfahrener Ultraläufer. Für ihn ist es nun eine echte Herzenssache, gemeinsam mit seiner Frau Christine zu einem schönen Lauferlebnis einzuladen. Daher ist dies keines der vielen neuen, von Event-Agenturen durchgestylten Großereignisse, sondern ein auf 32 Teilnehmer beschränktes Wochenende mit sehr persönlicher Atmosphäre, gewissermaßen ein Familientreffen der Ultratrail-Community.

Der 2010 eröffnete Pfälzer Weinsteig führt ab der deutsch-französischen Grenze 153 km weit oberhalb der Rheinebene entlang. 2011 wurde er als "Prädikatswanderweg" ausgezeichnet. Zu unserem Ziel etwas abseits des Weinsteigs sind es insgesamt etwa 165 km. In der ersten Einladung zum Lauf standen 4200 Hm, aber der GPS-Track, den wir später mit den Infos bekamen, wies 5900 Hm aus, was auch mehr oder weniger unseren eigenen Messungen entspricht. 

Am Freitagabend treffen wir uns beim Sportplatz in Obersülzen. Bei der Startnummern- und DropBag-Abgabe bekommen wir eine Tüte mit Pfälzer Wein, (Ferero)Küsschen, viele Pfälzer Äpfel und mehr. Ich kenne die meisten Teilnehmer schon von anderen Läufen, daher wird es ein nettes Wiedersehen. Günthers Briefing ist ausgesprochen amüsant. Als er überlegt, was man am Schluss mit den übrig gebliebenen Finisher-Shirts machen solle, da wirklich nur Leute, die das Rennen schaffen, eines bekommen werden, überlegt er, für die DNF einfach das Wort „Finisher“ durchzustreichen und „Dumm gelaufen“ drauf zu schreiben.

Da ich lieber zuhause im bequemen Bett statt unten im Umkleideraum übernachten will, setze ich mich gegen 20.30 Uhr ins Auto und fahre los. Doch ich komme viel später heim als erwartet, denn unterwegs stehe ich 70-80 Minuten mit ausgeschaltetem Motor auf einer voll gesperrten Autobahn. So bleiben mir nur vier Stunden Schlaf, bis ich wieder nach Obersülzen muss.

Rechtzeitig zum gemeinsamen Frühstück komme ich kurz vor 5 Uhr wieder am Sportplatz an. Danach fahren wir mit dem Bus nach Schweigen-Rechtenbach.

Wir starten direkt unter dem 18 m hohen, neoklassizistischen Deutschen Weintor. Dieses wurde 1936 als südlicher Endpunkt der 85 km langen Deutschen Weinstraße erbaut. Außer dem Pfälzer Weinsteig beginnt hier auch der schöne, fast 100 km lange Wanderweg Deutsche Weinstraße, der wesentlich häufiger über Weinberge führt als unsere Route, aber weniger über Trails und öfter auf Asphalt.

Um 7 Uhr schicken uns Christine und Günther auf die Reise. Man merkt, dass in diesem Moment für die beiden ein Traum in Erfüllung geht. Noch ist es fast stockdunkel. Schon nach wenigen hundert Metern übersieht die Spitze des Feldes eine Wegmarkierung, läuft falsch und alle folgen. Kein Problem, wir treffen bald wieder auf die richtige Route.

Abgesehen von der regulären Wanderwegmarkierung gibt es für uns keine Beschilderung. Das Anbringen von Reflektoren beim nächtlichen Streckenabschnitt wurde bei der amtlichen Genehmigung der Veranstaltung sogar ausdrücklich untersagt. 

Weniger als eine halbe Stunde nach dem Start steht die Gruppe, mit der ich gerade unterwegs bin, im Wald an der Kreuzung mehrerer Wege. In keiner Richtung finden wir eine Weinsteig-Markierung. Ein paar von uns erkunden kurz die abzweigenden Wege, kehren aber wieder um. Die meisten meinen, laut Angaben auf ihrem GPS sei der Track links von uns, doch ich halte an meiner Überzeugung fest, dass der Weinsteig rechts von uns sein müsse.

Wie doof kann man sein? Ich merke nicht, dass auf dem Display meines Garmin der Pfeil neben dem Track weiß statt schwarz ist, verwechsle also den Cursor mit der Positionsangabe. Seit 10 Jahren arbeite ich mit dem eTrex, da sollte mir so eine Dummheit nicht passieren. In sturer Überzeugung, alle andere würden falsch laufen, verlasse ich die Gruppe und marschiere nach rechts aufwärts. Zwei Kreuzungen ohne Markierung, immer weiter! Inzwischen erkenne ich meinen Irrtum. Also weglos nach links den steilen Hang hinauf in Richtung Weinsteig kraxeln! Das kostet mehr Kraft, als ich in der ersten von geplanten 32 Stunden vergeuden dürfte. 

Aber das Licht der Morgendämmerung, das zwischen den Bäumen hindurch scheint, und gelegentlich der Blick über die Rheinebene, in der ein Nebelmeer liegt, dahinter die Berge des Schwarzwalds, entschädigen mich für die Mühe.

Bei der Ruine Guttenberg, von der außer Resten des Bergfrieds nicht mehr viel erhalten blieb, da sie als Steinbruch genutzt wurde, treffe ich wieder auf die anderen. Der Umweg hat also keine Zeit gekostet, nur Kraft.

Kurz laufen wir auf einem originell gestalteten Märchenpfad. Eine geschnitzte Rapunzel, ein seltsamer Esel aus Tischlein Deck Dich und mehr amüsiert uns.

Inzwischen flutet eine herrliche Lichtstimmung den Laubwald. Meist laufen wir auf sandigem, mit Steinen und Wurzeln besetzten Boden. Vorbei am Aussichtsturm Stäffelesberg und der Kolmersbergkapelle geht es weiter nach Dörrenbach.

 
 

 
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