Zum fünften bzw. vierten Mal haben wir uns beim Regensburg Marathon eingefunden, der diesmal aufgrund der Feiertagskonstellation besonders spät, nämlich Anfang Juni, stattfindet und schweißtreibend zu werden verspricht.
Der Termin ist eng mit dem Kirchenjahr verknüpft. Nicht etwa, weil man am ehemaligen Lehrort von „unserem“ Papst besonders religiös sein will, sondern weil die Firma Infineon am Brückentag nach Christi Himmelfahrt bei der Halbleiter-Produktion langsam macht . Der freie Parkplatz vor dem Gelände am Rande der westlichen Innenstadt und fast direkt an der Autobahnzufahrt dient dann als Dreh- und Angelpunkt der Laufwettbewerbe. Quasi als Gegenleistung werden gleichzeitig die Siemens/Infineon/Osram-Meisterschaften im Marathon ausgetragen.
Anlässlich der 28. Ausgabe des größten Lauffestes im ostbayerischen Raum gibt es eine Neuerung im Streckenverlauf: Nach neun Jahren wird erstmals wieder die Steinerne Brücke, eines der Wahrzeichen Regensburgs, überquert, von den Marathonläufern gleich zweimal. Zur Feier dieses Ereignisses ziert eine Abbildung der Brücke die aktuelle Finisher-Medaille.
Auch sonst gibt es Neues und Bewährtes. Der Minimarathon für Kinder am Samstagmittag wird in seiner 23. Auflage erstmals unter der Ägide von Continental gestartet. Das schicke Laufhemd in Conti-Gelb wäre sicher auch etwas für die automobilbegeisterten Väter. Zur Wahl stehen in diesem Jahr neben dem Immobilien Zentrum Marathon der vom Mercedes-Benz-Händler „Stern Center“ gesponserte Dreiviertelmarathon und der Bischofshof Halbmarathon, die allesamt am Sonntag um 8.30 Uhr beginnen.
Erwachsene „PS-Boliden“, die kürzere Distanzen vorziehen, können am Samstag den bereits zum 21. Mal durchgeführten MZ-Einsteiger-Frühstückslauf über 6 km oder am Sonntag um 11.30 Uhr den Donau-Einkaufszentrum Viertelmarathon unter die Füße nehmen.
Als wir nach kurzer Anfahrt aus München am Samstagnachmittag ankommen, geraten wir in den Endspurt des Trachtenlaufs über 4,2 km. Besonders hervorzuheben sind hier neben den Kostümen auch die coolen Sprüche des Moderatorenpaars, oft im oberpfälzischen Dialekt. In Tracht wird am nächsten Tag übrigens auch Cornelius Thaiss beim Marathon antreten. Anders als den Gaudi-Läufern geht es bei ihm um die Zeit: Er wird mit 3:20:31 als schnellster Marathonläufer in Tracht eine neue Bestmarke für das Guinness-Buch der Rekorde erzielen.
Die Startunterlagen gibt es im großen Festzelt, in dem auch eine Marathonmesse und die Siegerehrungen stattfinden. Das Zelt böte ausreichend Platz zum Unterstellen, wenn es denn einmal regnen sollte. Man händigt mir eine Startnummer für den Viertel-Marathon aus. Bei der Anmeldung war es noch die volle Distanz. Hat hier heimlich ein Schrumpfungsprozess stattgefunden? Nach kurzer Intervention am Mika-Helpdesk werde ich ohne Probleme um- bzw. zurückgebucht. Auf der neuen Startnummer steht leider kein Vorname. In das dafür vorgesehene Feld schreibe ich jetzt einfach mal „Hallodri“. Mal sehen, was passiert.
Mit im Startpreis enthalten ist auch eine sehr große Portion Pasta vom Siemens-Caterer Eurest, die wir gleich verspeisen. Unserem Lauffreund Hugh, der uns diesmal begleitet, versuchen wir das Wort „Hallodri“ zu erklären. Laut Internet ist wohl „Playboy“ eine gute Übersetzung. Selbst ohne dieses Spezialwissen dürfte der gebürtige Londoner, der schon mehr als 30 Jahre in München lebt, den bevorstehenden Einbürgerungs-Sprachtest problemlos meistern.
Bei schönem Sommerwetter geht es zunächst noch zum Sightseeing. Bekannte, die mit der Stadt seit der Studienzeit verbunden sind, schwärmen noch heute von deren beeindruckendem Kneipen- und Nachtleben. Aber für uns muss es heute beim Flanieren bleiben.
Regensburg, am nördlichsten Punkt der Donau gelegen, Bischofssitz und Hauptstadt des Bezirks Oberpfalz, hat drei Hochschulen und trägt seit 2006 für das Ensemble „Altstadt mit Stadtamhof“ den Titel Weltkulturerbe. Stolz ist man in der mit 150.000 Einwohnern viertgrößten bayerischen Stadt nicht nur auf die Steinerne Brücke, sondern auch auf die Domspitzen, die markanten Türme des als Hauptwerk der bayerischen Gotik geltenden Doms, und auf die Domspatzen, den damit nicht zu verwechselnden weltbekannten Knabenchor. Zu erreichen ist Regensburg per Zug, Autobahn oder über den nicht weit entfernten Flughafen München.
Im Dom St. Peter befindet sich die weltgrößte hängende Orgel, die mit 36,7 Tonnen Gewicht an einer Tragekonstruktion im Dachstuhl fixiert ist. In der Grablege ist der Domprediger Johann Maier bestattet. Er bat im Rahmen einer Demonstration am 23.4.1945 um eine kampflose Übergabe der Stadt an die US-Amerikaner. Dafür wurde er mit zwei anderen Männern am Tag darauf hingerichtet. Kurze Zeit später verließen die deutschen Truppen die Stadt und am 27.4.1945 kapitulierte Regensburg kampflos.
Vom Luftkrieg im Zentrum nur wenig zerstört, hat sich Regensburg seinen mittelalterlichen Charakter erhalten. Besonders schön ist es, für einen Abstecher in die stilleren Seitengassen die Hauptwege zu verlassen. Kannte ich mittelalterliche Geschlechtertürme bisher nur aus Italien, so werde ich nun auch hier fündig: Je wichtiger sich eine Familie fühlte, umso höher musste der Turm gebaut werden. Der neunstöckige "Goldene Turm" in der Wahlenstraße, erbaut im Jahr 1260, beherbergt heute ein Studentenwohnheim. Ob das Regensburger Nachtleben von unseren Bekannten zu Recht gerühmt wird, können wir leider nicht feststellen, denn wieder einmal heißt es früh zu Bett gehen, da der Start für 8:30 Uhr angesetzt ist. Freund Hugh lässt es sich als Engländer allerdings nicht nehmen, das Champions-League-Endspiel Liverpool gegen Tottenham am Hotelfernseher zu verfolgen. Als disziplinierter Sportler ganz ohne Alkohol.
Wir reisen mit dem Auto aus unserer Unterkunft am Stadtrand an. Viele Parkplätze stehen zur Verfügung,. von denen aus Shuttlebusse die Sportler im Fünfminutentakt zum Startgelände bringen. Dort besteht auch die Möglichkeit zur Taschenabgabe. Die Erfahrung des Veranstalters macht sich positiv bemerkbar: Die Stimmung ist super. Mit dem Startschuss pünktlich um 8:30 Uhr machen sich gut 2600 Halb-, Dreiviertel- und "Voll"-Marathonis auf den Weg Richtung Altstadt.
Und wieder ein Musikstück, das man zurzeit bei Starts oft hört: „Levels“ von Avicii. Das zugehörige Video gibt das Leben des Büroarbeiters, den es irgendwann mal vom Sessel reißt, gut wieder. Kommt mir bekannt vor, nur dass ich halt nicht wie der Protagonist in der Anstalt lande, sondern auf einem (oder vielen) Marathonparcours.
Die lange Reihe der Sportler zieht sich in der Morgensonne über die Straßen. 15 Musikgruppen gibt es an der Strecke. Das Ganze für die Marathonis doppelt, denn es sind zwei Runden zu absolvieren. Ich genieße das anfangs noch lockere Laufen. Über die Dr.-Johann-Maier-Straße (an der die Ostdeutsche Galerie mit ihren roten Säulen auffällt, wenn man nach rechts hinten schaut) erreichen wir das Jakobstor, welches das westliche Ende der mittelalterlichen Stadt markiert. Außen mit runden Säulen, von innen eckig. Der Torbogen fiel der Straßenbahn zum Opfer, die bis 1964 umweltfreundlich durch die Stadt fuhr. Ebenso mussten für die kurzen Wagen einige Gebäudeecken in der Altstadt abgeflacht werden. Rechts die Schottenkirche St. Jakob, ein hochromanischer Bau mit einem berühmten Portal, das die "zwölf Ausgestoßenen" darstellt, darunter Verbrecher, Tänzer, Prasser und Faule. O.k., da gehören wir nicht dazu: Wer am Regensburg Marathon teilnimmt, muss nicht viel Geld ausgeben und faul sind wir auch nicht, wenn wir 42,2 km bewältigen. Tanzen? Bei dem schönen Wetter wäre das schon eine Idee. Aber ich vermute, der Aufnahme ins Himmelreich steht nichts im Wege.
Der Bismarckplatz mit dem klassizistischen Stadttheater und der ehemaligen Landespolizeidirektion macht viel her. Und dann geht’s so richtig in die mittelalterlichen Straßen und Gassen. Die sind bei weitem nicht so ausgestorben, wie man das an einem frühen Sonntagmorgen erwarten würde. Ich liebe dieses Rasen durch die Sträßchen. Vor uns der Neupfarrplatz mit der zugehörigen evangelischen Kirche. Dann nach links. Von hier aus sind die beiden Türme des Doms gut zu sehen. Die Bodenplatten sind gut verlegt, sodass man den Hals recken kann. Dann kurz durch die Residenzstraße, scharf rechts, grobes Kopfsteinpflaster und direkt auf die Türme des Doms zu. Die nimmt bloß keiner richtig wahr, weil so eine Kurve immer viel Aufmerksamkeit erfordert und gleich danach die große Verpflegungsstelle am Dom wartet. Direkt unter dem Reiterstandbild König Ludwigs I, der nicht weit donauabwärts die Walhalla errichten ließ, "zum Ruhme bedeutender Persönlichkeiten deutscher Zunge". Von Regensburg aus kann man per Schiff hinfahren.
Links einer von diesen markanten Wohntürmen, der Römerturm. Kollegiatstift unserer lieben Frau, Karmeliterkloster, Rewe, Parkhaus, da wird was geboten. Historisches Museum, Tiefbauamt, Polizeiinspektion Süd. Im Minoritenweg sind viele Bewohner an den Laufweg gekommen. Mundharmonika-Klänge von „Muck and his swinging Buddies“. Damit lassen wir die Altstadt hinter uns.
Gekonnt werden wir unter der Auffahrt zur Nibelungenbrücke hindurchgeleitet. Oben hat die „Blumenbühne“ floral verzierte Skateboards aufgehängt. Und dann sind wir auf der breiten Adolf-Schmetzer-Straße, später Straubinger Straße, komplett für den Autoverkehr gesperrt. Es geht nach Osten, der Sonne entgegen.
Die in den letzten Jahren neu errichteten Gebäude setzen langsam Patina an. Nur die Alleebäume brauchen noch einige Jahre. Ich habe mal gelesen, dass Autoabgase das Wachstum verlangsamen. Senioren sitzen vor dem Wohnheim Candis. Halten die etwa Weingläser in der Hand? Dahinter befand sich wohl mal die Südzucker- Fabrik. Plakate künden vom Baubeginn der „candis professional“-Büro- und Ladenflächen.
Über uns Eisenbahnbrücken, dann ein kleiner Schlenker ins Wohn- und Industriegebiet. Nicht wirklich viel los hier. Kilometer 8, auf der Straubinger Straße kommen uns die Führenden entgegen, sie sind uns etwa vier Kilometer voraus. Die Autobahn-Osttangete befindet sich wieder über uns, dann auf die Siemensstraße. Wie der Name verrät, gibt es hier viel Industrie. Irgendwo müssen ja die Unternehmen der Sparten Automobil- und Maschinenbau sowie Elektrotechnik und Mikroelektronik hin, die in Regensburg für Arbeitsplätze sorgen. Aber unser Highlight empfängt uns kurz vor Kilometer 10: Gemeint ist nicht der Verpflegungspunkt – obwohl der auch wichtig ist -, sondern der Eingang zur Reifenteststrecke, die der Sponsor Continental hier neben Versuchslaboren betreibt.
Jetzt heißt es „Gib Gummi“. Noch halten Judith und ich uns beim Vier-Stunden-Pacer auf. Ach, zum TÜV muss mein Auto ja wieder. War der nicht Ende Mai fällig? Ich laufe vor dem Pacer und freue mich über die große Samba-Truppe am Ein-/Ausgang der Teststrecke. Die legen wirklich ein super Programm hin. 1,3 Kilometer Teststrecke sind geschafft, wie ein Banner über unseren Köpfen bescheinigt.
Die nächsten vier Kilometer geht es ohne den Schlenker zurück. Ich bin super drauf. Die Sonne scheint auf den Nacken, ein leichter Wind schiebt mich von hinten an. Da brauche ich auch nicht auf dem schattigen Fußweg zu laufen. Ein Hallodri fürchtet die Sonne nicht.
Besenläufer Tom kommt hinter einem Grüppchen hergelaufen. Zwei von ihnen wird er bis ins Ziel begleiten.
Das große Ostentor markiert den Beginn der mittelalterlichen Stadt. Ein gotischer Turm mit zwei achteckigen Flankentürmen. Gäbe es jetzt noch eine Zugbrücke, so wäre der Anblick perfekt.
1998 lief Judith ihren ersten Regensburg Marathon in persönlicher Bestzeit von 3:24. Ich war mit der Kamera als Zuschauer dabei und konnte sie just hier auf Zelluloid-Dia festhalten. Und jetzt schieße ich seit zwölf Jahren pro Lauf über 400 digitale Fotos. So ändern sich die Zeiten.
Noch viel länger her ist eine andere Begebenheit: Einst bezog ein Wanderzirkus, zu dem auch ein Tanzbär gehörte, im heutigen Brandl Bräu in der Ostengasse Quartier. Der Bär wurde im Stall untergebracht, wo üblicherweise zwei Kälber auf den Metzger warteten. In der Nacht schlich sich ein Dieb in den Hof und wollte ein Kälbchen stibitzen. Er griff in der Dunkelheit nach etwas Zotteligem und wurde kurz danach vom Bären in den Schwitzkasten genommen. Ein Zirkusmitarbeiter befreite schließlich den laut schreienden Mann. Der Wirt war so glücklich, dass er dem Zirkus das Tier abkaufte, es an die Kette legte und vom Wanderleben befreite. Was sicher auch dem Umsatz seines Etablissements zugutekam, denn die Geschichte sprach sich in Windeseile herum und jeder Regensburger wollte den Bären sehen. Seitdem hieß die Gastwirtschaft werbewirksam „Zum Bären an der Kette“. Ein großes Fassadenbild aus dem Jahr 1758 erinnert noch heute an das Ereignis.
Wir kommen beim neuen „Haus der Bayerischen Geschichte", das in wenigen Tagen eröffnet werden soll, an die Donau. Hier warten viele Zuschauer auf uns. Über die Eiserne Brücke geht es erstmals seit neun Jahren wieder über den Fluss. Auf beiden Seiten sieht man viele Hotelschiffe. Der Donau-Nordarm erwartet uns kurz danach. Der Grieser Steg ist eine Stahltrogbrücke aus dem Jahr 1947, die mir bei meinem ersten Regensburg Marathon weiche Knie bescherte. Und auch heute hüpft die Brücke nur so vor Freude. Mir gelingt es, meine Schritte mit denen der Mitläufer zu synchronisieren, dann geht es ganz gut. 200 Meter über einen Kiesweg an der Donau entlang, wahrscheinlich um schon mal einen schönen Blick auf die berühmte Steinerne Brücke zu erhaschen. Ich achte auf die Läufer vor mir. Besonders auf die Blonde in der knappen Sporthose.
Wir sind in Stadtamhof, einer bis zum 1.4.1924 selbständigen Gemeinde. Der zentrale Straßenzug mündet direkt auf die Steinerne Brücke. Auf diesem breiten Platz mit Kopfsteinpflaster drehen wir eine kurze Runde. Ein Kommentator heizt uns ein und dann geht es mit Blick auf den Dom Richtung Brücke. Diese ist wie das Gotteshaus eines der Wahrzeichen Regensburgs. Mit einem Baubeginn im Jahre 1135 gilt sie als älteste Brücke Deutschlands. Einst war sie die einzige Donaubrücke zwischen Ulm und Wien.
Nach der Renovierung wirkt sie wieder sehr jugendlich, perfekter Belag, sterile Seitenmauern. Alles sehr sauber. Die Bögen selbst sind etwas schief am Untergrundverlauf ausgerichtet. In der Mitte steht die Figur des „Bruckmandls“, welches die städtischen Freiheitsrechte und die Emanzipation aus der Vormundschaft des Bischofs symbolisiert. Wunderbar ist der Blick auf die Silhouette der Stadt mit ihren Geschlechtertürmen. Da kann man sich eine Fahrt nach San Gimignano in der Toskana glatt sparen. Außerdem gibt es dort keinen Marathon – zumindest ist mir keiner bekannt.
Vor uns der Brückenturm mit der Uhr, die auch das diesjährige Regensburg-Marathon-Shirt schmückt. Rechts durch die große Tordurchfahrt hindurch. Diese ist ziemlich neu. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden hier zwei Häuser abgerissen, um die Straßenbahn über die Brücke leiten zu können. Bis 2008 wurde sie von Bussen benutzt. Nun ist sie nur noch für untermotorisierte Benutzer geöffnet und vielleicht Elektrofahrräder. Für die Busse oder die neue Straßenbahn soll eine weitere Brücke entstehen. Aber die Regensburger lassen sich Zeit für die Meinungsbildung.
Viel Stimmung am Brückenende, vor uns eine riesige Wandmalerei, die die biblischen Gestalten David und Goliath darstellt. Sinnigerweise heißt die Straße denn auch Goliathstraße. Zur rechten Seite das Denkmal des Ritters Don Juan de Austria, 1547 in Regensburg geboren, außerehelicher Sohn Kaiser Karls V. und der bürgerlichen Regensburger Gürtlerstochter Barbara Blomberg. Mit drei Jahren auf Befehl des Vaters von seiner Mutter getrennt und in Spanien fremderzogen, führte er in der Schlacht von Lepanto die siegreiche Flotte der Heiligen Liga gegen die Osmanen an. Er starb mit 31 Jahren.
Jetzt das Alte Rathaus. Die vorher mobilen Reichstage fanden von 1594 bis 1806 immerwährend in Regensburg statt, so begeistert waren die Tagenden von der Stadt und dem dortigen Reichssaal. Der Verpflegungspunkt ist vor dem Gebäude. Wie immer perfekt, Wasser, Iso, Cola, Bananen und dann noch mal Wasser zum Nachspülen. Aber auch Bischofshof Weißbier alkoholfrei: „Das Bier, das uns zu Freunden macht“. Den Slogan liest man auch oft auf Laufshirts. Ich bitte darum, mir ein Bier für meine zweite Runde in zwei Stunden aufzuheben. Weiter geht es leicht bergab über den wichtigsten Platz der Stadt, den Haidplatz. Wir laufen auf den Arnulfsplatz mit zwei schönen Häusern zu. Weiter Richtung Donau beenden wir die Altstadtdurchquerung.
Noch drei Kilometer bis zum Halbmarathonziel. Die Boote der Wassersportler wiegen sich im kühlen Nass. Bei Kilometer 19 kommen wir zum Weinweg, der leicht linksgekrümmt an der Donau entlang führt. Ja, nicht nur in Franken, sondern auch in Altbayern wird seit Jahrhunderten Wein angebaut. Der sogenannte Baierwein war einst wegen seiner Säure berüchtigt und wurde auch scherzhaft als "Dreimännerwein" bezeichnet: Ein Mann trinkt, schüttelt sich ob des Essiggeschmacks und muss daher von zwei weiteren Männern festgehalten werden. So haben wir es zumindest auf einer Infotafel gelesen. Im 17. Jahrhundert lief das Bier in puncto Beliebtheit dem einheimischen Wein den Rang ab. Heute wird der Baierwein in Regensburg und Umgebung auf der mit 20 km kürzesten Weinstraße Deutschlands angebaut, mit schmackhafteren Rebsorten als früher und bei steigender Nachfrage.
Die Halbmarathonis biegen nach rechts auf die letzten 100 Meter. Ich halte mich links für die nächste Runde und freue mich auf den zweiten Durchgang, bei dem man die schöne Stadtdurchquerung noch mal richtig genießen kann. Ich bin super drauf. Der gelbe Vierstunden-Ballon hat sich zwar schon ein bisschen entfernt, aber wenn es weiter so angenehm voran geht, ist alles gut.
Die Dreiviertelmarathon-Läufer, erkennbar an der grünen Startnummer, sind noch unter uns. Die Kilometertafeln enthalten eine Farbmarkierung für den jeweiligen Lauf. Ich freue mich über die Anfeuerungen der verbliebenen Bewohner am Wegesrand. Zwei sehr junge Männer spielen auf dem Hochweg Jazz vom Feinsten auf e-Gitarre und Klarinette. Ein Zuschauer trommelt unermüdlich vom Balkon herab.
Kurz vor dem Jakobstor überfällt mich wieder mal ein Grummeln in der Bauchgegend. Gut, dass es gleich hier eines der recht häufig anzutreffenden Toilettenhäuschen gibt. Und Schlauchduschen sorgen unterwegs immer wieder für dringend nötige Abkühlung.
Viel Stimmung wieder bei der Altstadtdurchquerung. Die Anzahl der Touristen hat stark zugenommen und einige feuern mich auch an. Sogar auf Englisch.
Wir laufen auf den Dom zu. Gefühlte hundert Helfer warten am VP auf Kunden. Nicht so sehr auf einzelne versprengte Marathonis wie mich, sondern auf die Schar der 10-km-Läufer, die um 11:30 Uhr starten. Weiter im Text. „Laaf, Laaf, Laaf, Du musst laafa durchoitn bis zum Schluss – It´s so easy.“ Das Rock-Kabarett „Ruam“ ist wie immer auf dem Posten an der Brückenunterführung und hat einen Beatles-Klassiker ein wenig für Läufer angepasst.
Was folgt ist eine lange, sonnige Angelegenheit. Aber irgendwie geht es mir immer noch bestens. Auf der Schleife an der Irler Höhe nehmen Fußgänger, die gerade unterwegs sind, kaum Notiz von den Läufern. Dann auf der Straubinger Straße endlich wieder Gegenverkehr und Zuschauer, die wissen, was Marathonis brauchen. Auf dem kurzen Begegnungsstück sehe ich Judith knapp hinter mir und Hugh 1,5 km vor mir. Dem ist auch zu heiß. Die Mädels vom VP Continental begrüßen den „Hallodri.“ Damit bin ja ich gemeint! Erst nach kurzem Überlegen fällt bei mir der Groschen. Die Damen hatten vor gut zwei Stunden schon über meine Startnummer gesprochen.
Ein ganz großes Lob gilt der großen Truppe Sarrara, die unermüdlich ein volles Programm absolviert, momentan in einer Samba-Trommel-Laufformation. Die Akteure sind sicher heute Abend auch erledigt. Noch mal „Hallo Hallodri“ und dann beginnt der Endspurt. Lockere 10 Kilometer liegen vor mir, die brennende Sonne hinter mir und der Wind sollte von hinten blasen, versprach ein Zuschauer. Und schon wieder eine Sambatruppe. Zwei Kilometer bis zur Altstadt, diesmal auch auf dem Fußweg unter schattenspendenden Bäumen.
Aber der Hammermann kommt heute mit Paukenschlag. Hatte ich gerade noch das schöne Wetter gelobt, sehe ich mich nun schlagartig zum Gehen genötigt. Dinge gibt´s...Einfach weiter, der VP beim roten Einkaufsenter wartet auf mich. Sobald der Wind aufhört, fühle ich mich an den Muscat-Marathon erinnert. 29 Grad ohne Luftbewegung muss man erst mal wegstecken.
Immer wieder beeindruckend, wenn man Zuschauer zum vierten Mal sieht. Irgendwann mache ich das auch mal, fünf Stunden lang anfeuern. Die Dame und die Herren von den “Ruam“ legen sich voll ins Zeug. Blöderweise verstehe ich diesmal den Text nicht. Am Ostentor wird der Dirk vor mir begrüßt und der … laufende Hallodri. Von links gesellen sich jetzt die Viertelmarathonis zu uns. Um 11:30 Uhr gestartet, sind noch etliche unterwegs.Viele werde ich bis ins Ziel noch einsammeln.
Am Haus der Bayerischen Geschichte spielt jemand Flöte, dann 308 Meter Steinerne Brücke. Ein Bratenduft samt Rauchschwaden empfängt uns. Die Wurstküche, der Überlieferung nach die älteste Wurstbraterei der Welt, befindet sich im Gebäude links. Seit 850 Jahren versorgt sie Einheimische und Fremde mit herzhaften Spezialitäten, Läufer heute jedoch nicht. Dafür spielen hier Barthel + Kalley orientalisch anmutende Weisen.. Nach drei Kilometern endlich wieder ein VP. Am Rathaus spielt die Band und ich vergesse ganz, mir das reservierte Bier zu genehmigen.
Inzwischen hat sich mit mir ein Dreiergrüppchen aus Marathonis zusammengefunden, die sich Meter um Meter nach vorne kämpfen. Über den grünen Herrenplatz samt männlichen Fans. Noch einmal nachtanken am VP 40, dann kommt diese ewig lange Weinstraße am grünen Donaupark. Die meisten rennen im Schatten der Außenkurve, ich bleibe innen und spare Meter. Zur jungen Sängerin von vorhin haben sich zwei Herren gesellt, die anscheinend Karaoke üben.
Die letzten 300 Meter. Warum stehen die Mädels jetzt hier mit einem Glas Aperol Spritz in der Hand? Jubel von beiden Seiten. Die Cheerleader sind voll bei der Sache. Noch hundert Meter. Zu den drei Läuferinnen vor mir drängeln sich im engen Zielkanal noch zwei Grundschüler. Ich kann kaum noch reagieren. Bloß jetzt nicht über eines der Kinder stolpern. Vorsichtig überquere ich die Ziellinie. Der kleine Junge bleibt an der Matte hängen und wird nun einige Tage lang blutige Knie haben.
Ein grandioser Empfang wird mir im Ziel bereitet. Viel Platz gibt es bei der Verpflegung. Das alkoholfreie Bier von Bischofshof ist kühl und sehr süffig. Erstaunlich, welche Mengen ich davon vertragen kann! Außerdem gibt es Cola, Wasser und Iso-Getränke, Energieriegel, Bananen, erfrischende Wassermelonen sowie Brühe. Ich frage nach warmem Tee. Judith kommt vier Minuten nach mir ins Ziel, während Freund Hugh deutlich schneller war und knapp unter vier Stunden geblieben ist. Duschen kann man im Westbad gleich nebenan, Massagen werden ebenfalls angeboten.
Wir genießen noch ein Getränk im Biergarten neben dem Ziel, begrüßen die letzten Finisher samt Besenläufer im karierten Hemd und machen uns dann auf die Heimfahrt. Ich kann zufrieden sein, denn meine Streckenbestzeit von 4:19 Stunden aus dem Jahr 2004 habe ich um zwei Minuten unterboten.
Fazit:
Ein schönes, vom LLC Marathon Regensburg bestens organisiertes Laufevent in einer tollen Stadt. Ich wundere mich etwas darüber, dass relativ wenige ausländische Starter dabei sind. Dass die Regensburger voll und ganz hinter dem Marathon stehen, sieht man auch an den vielen Laufabschnitten in der Altstadt, für die sogar einige Restaurants ihre Freischankflächen verkleinern müssen. Mein Tipp: Da muss man einfach mal hin.
Sieger Marathon
1 Rogiewicz, Andrezej (POL) 02:37:59
2 Rahmanpour, Shako (GER) 02:41:53
3 Bscheidl, Marco (GER) 02:45:05
Siegerinnen Marathon
1 Walther, Viola (GER) 03:03:11
2 Rabe, Isabell (GER) 03:12:05
3 Schichl, Christine (GER) 03:25:12
Finisher
Marathon 320
¾ Marathon 120
½ Marathon 2187
¼ Marathon 875