Sonntag, 11. September 2011, 10.30 h a.m. - mit einem Pistolenschuss wird eine Horde von etwas über 100 Läufern bei strahlendem Sonnenschein und tropischfeuchter Vorgewitterluft auf dem Marktplatz von Pirmasens auf die 42.195 m lange Fußreise in den nahen Pfälzer Wald beordert.
Nach nur wenigen Minuten Berganlaufen neigt sich die Laufstrecke talwärts. Wir befinden uns auf einer asphaltierten Autostraße, die vom Messegelände über ein angrenzendes Industriegebiet in den Wald führt.
Und die Läufer laufen, sie laufen alle zu schnell, auch die in den hinteren Reihen, wo ich meine Aufstellung bezogen hatte.
Viel zu schnell … für mich, da ich nach meiner langwierigen Verletzung im vergangenen Jahr zwar wieder Ultraläufe absolviert hatte, aber mein Training für Schnelligkeit ganz außen vorgelassen hatte.
Und viel zu schnell laufe ich mit, ja ich überhole sogar auf dieser abschüssigen Strecke eine ganze Reihe von Konkurrenten, lasse es richtig rollen und auch den Zugläufer von 4.30 h hinter mir. Und es ist warm, die Sonne brennt, der Atem wird schneller, der Puls schlägt höher.
Mir wird bewusst, dass ich dieses Tempo nicht lange durchhalten kann und plane bereits, den Gang beträchtlich nach unten zu schalten, sobald wir die Teerstraße im Talgrund verlassen und uns in den eigentlichen Waldweg begeben.
Ja, jetzt, das Ende der abschüssigen Teerstraße ist erreicht und wir sind im Wald angekommen, wo hinter dem Wegesrand schon einige Läufer wasserlassend pausieren.
Ich stelle mich dazu, obwohl ich eigentlich gar nicht muss, bietet mir doch dieser Stopp ein Alibi zum Pausieren, um meinen Puls wieder in Ordnung zu bringen….
Einige Minuten verweile ich so und viele Läufer, darunter auch der 4.30 Pacemaker, ziehen vorbei. Als mein Puls wieder normalbahnig verläuft, laufe ich wieder an.
Und jetzt führt der Weg leicht wellig durch Schatten spendenden Wald mit weichem Sandboden. Schnell habe ich meinen eigentlichen Wohlfühlrhythmus gefunden und beginne, das Rennen zu genießen.
Ich halte meinen Puls wohlgefällig, indem ich die steilen Berganstiege gehend bewerkstellige und auf annähernd flachen Stellen und bergab in einer Weise krafterhaltend laufe, so wie die Kraniche bei ihren Fernflügen im Frühling und Herbst scheinbar völlig schwerelos fliegen.
Nach wenigen km muss ich eine wirkliche Toilettenrast im Unterholz einlegen, die bei mir immer etwas länger dauert und sehe unbesehen von den Läufern, diese auf der Wegstrecke mir davoneilen.
Als ich das Rennen wieder aufnehme, kann ich auch bei längeren Geraden keine Läufer mehr hinter mir erblicken. Ich bin alleine auf weiter Flur. Sowohl mein Kreislauf, als auch meine Orthopädie signalisieren mir, dass sie gegen eine mehrstündige Dauerbeanspruchung nichts einzuwenden haben.
Kurzum, ich befinde mich wieder einmal in einer wohltuenden Meditationsphase; ICH BIN LAUFEND GLÜCKLICH…
Der Pfälzer Wald, der bis zu 40 % aus Buchenwald besteht, der Rest teilt sich auf in Mischwald aus Eichen, Fichten, Kiefern, Tannen und Ahorn, ist eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete Mitteleuropas und geht jenseits der Deutsch-Französischen Landesgrenze in die Vogesen über.
Die Wildkatze konnte sich hier immer halten und seit den 80er Jahren ist auch der scheue Luchs von den Vogesen kommend wieder eingebürgert. Da ich ohne Uhr laufe, weil ich mich überhaupt keinem Zeitdruck unterwerfen will, um auch wirklich meinen eigenen Laufrhythmus erhalten zu können, ist die Finisherzeit völlig gleichgültig, zumal ich als M 65er mindestens Zweiter in meiner Altersklasse werde, da außer mir nur mein alter Bekannter Michael Siebert aus Idar-Oberstein gestartet ist, der sowieso immer schneller ist.
Jeder km ist ausgeschildert und ca. alle 5 km gibt es VP’s mit einem vorzüglichen Verpflegungsangebot. Anfangs nehme ich nur Wasser zu mir und beginne dann bei km 25 mit Coca-Cola Konsum. Feste Nahrung nehme ich nicht zu mir, und mit dem Trinken von ISO-Brühe bin ich in letzter Zeit sehr vorsichtig geworden.
Einige Male rebellierte in der jüngeren Vergangenheit mein Magen ganz energisch dagegen, so geschehen beim letzten 80er (Karlsruher Nachtlauf) und beim Bieler 100er.
So laufe ich km um km abspulend freudvoll im völligen Einssein mit der mich umgebenden herrlichen naturbewaldeten Mittelgebirgslandschaft, als sich nach ca. 18 km ein Fahrradfahrer hinter mir bemerkbar macht.
Es ist der Besenradfahrer, denn tatsächlich… ich bin Letzter. Der bisher Langsamste wäre gerade ausgestiegen, lässt er verlauten. Darüber freue ich mich nicht gerade, denke aber, dass es nicht so bleiben muss und der eine oder andere irgendwann flügellahm wird und ich somit den Besenmann wieder los sein werde.
Und wenig später tauchen auf einer langen Gerade vor mir 2 sehr wohlgenährte junge Frauen auf. Wahrscheinlich wollen sie gerade den negativen „American way of life“ loswerden, befinden sich gerade auf einem einem Höllentrip und werden vom Luzifer persönlich ausgepeitscht.
Sie tragen die Startnummern des Halbmarathons, dessen Laufstrecke auf vielen km mit der Marathonstrecke identisch ist. Um die kümmert sich jetzt der Besenmann und ich bin ihn vorerst los.
Nach 26 km sehe ich in einer bergansteigenden langgezogenen Kurve eine männliche Gestalt mit einem blauen T-Shirt vor mir und bemerke sofort, dass er sich mehr mühen muss als ich.
Nach wenigen Minuten erkenne ich ihn als meinen Lauffreund Heinz-Peter Schüller aus dem Kölner Raum, mit dem ich im Juni zusammen in Biel über die Ziellinie gelaufen war.
Wir unterhalten uns gut und laufen wieder viele km zusammen. Irgendwann ist der Schlussradfahrer wieder hinter uns; er hatte die beiden amerikanischen Halbmarathonistinnen ins Ziel begleitet.
So bei km 30 spüre ich, dass Heinz-Peter langsamer wird und passe mich seinem Rhythmus an. Obwohl es über 25 Grad warm und vorgewitterlich schwül ist, leide ich nicht unter der Hitze. Denn ich trage ein hochwertiges Baumwollshirt vom SH-Supertrail. Das ist ein 2-Tages-Etappenlauf in der ebenfalls sehr schönen Mittelgebirgslandschaft des Hunsrücks.
Im Gegensatz um vielgelobten Funktionsshirt lässt das Shirt den Schweiß nicht sofort verdunsten lässt, sondern saugt ihn auf. Der Schweiß kann nämlich so seinen eigentlichen Nutzen entfalten, indem er seine natürliche Kühlfunktion wahrnimmt.
Ich behaupte, dass gerade deshalb bei Hitzeläufen das Tragen von Baumwollwäsche der Kunstfaserwäsche vorzuziehen ist. Beim Badwater-Ultramarathon im Death-Valley, dem heißesten Wüstenrennen der Welt, bei dem Temperaturen von über 50 Grad zu ertragen sind, hatte ich z.B. den wohltuenden Kühleffekt der Baumwolltextilien schätzen gelernt.
Bei dem VP 32 bietet mir eine Supporterin Salztabletten an, die ich gerne nehme, habe ich doch den Salzkranz auf meinem schwarzen Shirt schon wahrgenommen.
Und noch immer geht es mir gut. Ja sogar sehr gut, ich bin im Runners’s High und mein Mundwerk passt sich dieser euphorischen Stimmung an.
So erzähle ich den staunenden Standhelfern, dass wir gerade dem zur internationalen Fahndung ausgeschriebenem Obristen Gaddafi auf einem fliegenden Teppich sitzend begegnet sind. Er war mit einem weißen Burnus gekleidet und trank gerade schwarzen Mokka…
Als ich dann noch gefragt werde, ob ich auch noch etwas essen möchte, antworte ich: „ Ja eine große Portion weißes Vanilleeis, das aber von einem schwarzrußgefärbtem Schornsteinfeger mit Frack und Zylinder serviert werden muss“.
Und auf die lachend gestellte Frage, ob ich sonst noch Wünsche hätte: „ Ja, man möge mir mit einem großen Fächer frische Luft zufächeln…“
Ich komme mir mal wieder sehr klug, kreativ und überaus dynamisch vor und freue mich, sind es doch die schönen Glückserlebnisse, die im ursächlichen Zusammenhang mit unserem wunderbaren Sport stehen.
Prächtig fühle ich mich und beabsichtige wieder mit Heinz-Peter die Ziellinie Hand-in-Hand zu durchschreiten. Nach dem Anlaufen bemerke ich aber, dass mein Gefährte immer langsamer wird. Ich laufe voraus und warte dann von Zeit zu Zeit wieder auf ihn.
So sehe ich ihn bei km 39 zum letzten Mal einige 100 m hinter mir und laufe aber in meinem Rhythmus leichtfüßig weiter und mache dann 1 km vorm Ziel, so wie ich schätze eine 10-minütige Wartepause.
Doch er kommt nicht … Schließlich laufe ich dann doch alleine in die Messehalle, in der sich das Ziel befindet, unter ohrenbetäubendem Beifall der vor mir ins Ziel gekommenen Läufer, ihrem Anfang und passender Heldenmusik ins Ziel.
Wenige Minuten danach genießt dann Heinz-Peter das Gleiche.
Es folgt die Siegerehrung, wobei die 3 Gesamt-Ersten W’s und M’s und auch die jeweils 3 Altersklasse-Ersten mit je einem Pokal und einer Flasche guten Pfälzer Rouge gewürdigt werden.
Ich kann jedem Naturfreund das Laufen des Pfälzer Marathons und Halbmarathons wärmstens empfehlen und nenne nachfolgend die Gründe:
- ausreichend Parkplätze unmittelbar vor der Startnummernausgabe und dem Ziel in der Messehalle.
- gutes Preis-Leistungsverhältnis
- jeder km ist markiert
- herzliche (typisch) Pfälzische Standbedienung
- schöne Finishermedaille
- Die Urkunde wird sofort ausgedruckt
- gute sanitäre Anlagen
- sehr angenehme Post-Finish-Athmosphäre in der Messehalle mit sehr guten Speise- und Getränkeangeboten zu sehr konsumentenfreundlichen Preisen
- großartige Musik
- Und eine einrundige Berg- und Tal-Laufstrecke in einem der schönsten bewaldeten Mittelgebirge
Laufberichte | ||||||
13.09.15 | „An die Einsamkeit gewöhnst du dich!“ |
Joe Kelbel | ||||
13.09.09 | ''Staffel oder Halber?'' |
Klaus Duwe | ||||
14.09.08 | Marathon in der Pfalz - Gott erhalt's |
Daniel Steiner |