Wenn das nächste Mal der New York City Marathon auf meinen Geburtstag fällt, bin ich dabei. Das war mein Gedanke, als ich zum mindestens hundertsten Mal gefragt wurde, ob ich den schon gelaufen bin. Jetzt ist mein Geburtstag, ich bin hier und der Marathon findet nicht statt.
Samstag, Stadtbesichtigung und Manhattan Cruise. Der Reiseführer kommt mit Stirnlampe. „Sorry, ich habe sie vergessen abzunehmen. Ich wohne in New Jersey, das sind 55 km von hier. Ich habe kein Licht und keine Heizung. Mein Hund wärmt mich in der Nacht“, erzählt er. Eindrucksvoller hätte er die Situation, in der sich Hunderttausende in der Stadt befinden, nicht schildern können. Keine Läuferin und kein Läufer, der da nicht mitfühlt.
Ärgern tut sich über die Absage, an der vor allem der Zeitpunkt auf Unverständnis stößt, sowieso niemand mehr. Lieber denkt man jetzt darüber nach, wie man am Sonntag seine antrainierte Kraft und Energie wieder los wird. Die Gutmenschen in der Heimat haben eine Idee: Die Läufer sollten doch beim Aufräumen helfen. Wie stellt man sich das vor? Rein in den Baumarkt, Schaufel kaufen - und dann? Leute, Ihr überschätzt die Amis. Die haben gerade den größten Marathon der Welt in den Sand gesetzt. Wie sollen die denn so was organisieren?
Da regt sich eine bestimmte regionale Presse über zwei Generatoren auf, die statt den Sturmgeschädigten dem Marathon zur Verfügung stehen. Gleichzeitig verpulvert die Partei, der die Kampagne nützen soll, jeden Tag Millionen Dollars im Wahlkampf.
Als „Normalo“ tut man sich ja leicht, seine Meinung zu sagen, zu stänkern oder zu provozieren und im Internet ist schnell was hinaus posaunt. Als „Promi“ hat man es da schwerer. Sabrina Mockenhaupt bekommt mächtig Prügel, als sie sich erlaubt, etwas verschnupft darauf hinzuweisen, dass monatelange Vorbereitungen für die Katz seien. Ihre Kritiker vergaßen zu erwähnen, auf was sie selber zu Gunsten der bedauernswerten „Sandy“-Opfer verzichten.
Nein, was jetzt zu tun ist, müssen wir selber wissen und wir müssen es selber umsetzen. InterAir-Chef Achim Wricke kommt von einem Treffen der Reiseveranstalter. Fast alle laden ihre Teilnehmer am Sonntag zu einem „Lauftreff“ in den Central Park ein, der zum Glück seit Samstag wieder offen ist. In Internetforen werden die einheimischen Läuferinnen und Läufer aufgerufen, ebenfalls in den Central Park zu kommen.
Eine offizielle Veranstaltung ist das natürlich nicht, aber vielleicht ein historischer Moment. Noch nie in seiner Geschichte ist der New York Marathon ausgefallen, auch nicht nach 9/11, wo der Lauf durch die fünf Stadtteile noch Symbol war für die Unbeugsamkeit der Stadt.
Fred Lebow organisierte 1970 den ersten Marathon in New York. Bis 1975 führte die Strecke ausschließlich durch den Central Park und war viermal zu durchlaufen. Und 2007 fanden am Vortag des New York City Marathon das Ausscheidungsrennen für Olympischen Spiele 2008 statt. Wir sind mit unserem „Deplacement Marathon“ also in allerbester Gesellschaft.
Fast alle Hotels der InterAir-Reisegruppe liegen so genial, dass man in 20 Minuten zu Fuß am Central Park ist und im Normalfall nach dem Marathon auch ohne öffentliche Verkehrsmittel zurück kommt. Wir sind mit die Ersten, die am Columbus Circle eintreffen. Es ist kalt, aber der Himmel ist wolkenlos. Gedanken, wie schön es gewesen wäre, kommen unweigerlich auf.
Das ganze interAir-Reiseteam ist im Einsatz, entweder als Pacemaker oder als Aufpasser bei unserem Gepäck, denn jeder hat natürlich Ersatzklamotten und seine eigene Verpflegung dabei.
Genau genommen sind zwei Marathons ausgefallen. Denn ursprünglich hatte die Reisegruppe des LT Hemsbach am Donnerstag den ersten LT Hemsbach Central Park Marathon geplant, der auf dem Vereinsportal sogar offiziell ausgeschrieben war. Von einem Läufer weiß ich definitiv, dass er alleine wegen dieses Marathons nach New York kommen und sich den offiziellen Marathon wieder zuhause im Fernsehen ansehen wollte. Wolfgang hat sich sogar diesen zusätzlichen Marathon als seinen 100. ausgewählt. Der NYC-Marathon wäre sein 101. gewesen. Er ist der Glücklichste unter allen Läufern im Central Park. Denn sein Jubiläums-Marathon findet nun doch statt. Nachdem die meisten Vereinskameraden zwangsweise zuhause geblieben sind, findet Wolfgang vor Ort nun genug Mitstreiter, um den internen Richtlinien zu entsprechen. Und vermessen ist die Strecke ebenfalls.
Es kann also losgehen. Geschlossen traben wir zu der Stelle, wo der Zieleinlauf gewesen wäre. Die Tribünen sind komplett aufgebaut, auch das Zieltor. Absperrungen und Sicherheitskräfte verhindern allerdings, dass man es durchläuft. Noch nicht einmal ein „So wäre es gewesen“-Foto gönnt man uns.
Direkt neben dem Tor steht das Denkmal für den schon erwähnten Fred Lebow, geschmückt mit Blumen und Medaillen. Bis 1993 war er der Race-Director. Als er an Krebs erkrankte, hatte er nur noch einen Wunsch: Einmal noch seinen Marathon laufen. 1992 erfüllte er sich diesen Wunsch, er lief zusammen mit der neunfachen Siegerin Grete Waitz. 1994 starb er.