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Laufberichte

Ein Marathon für Stuttgart

 

Ist Stuttgart eine Sportstadt? Es gibt den Tennis Grand Prix, das Internationale Weissenhof-Tennisturnier, das Motorsportevent ADAC Super Cross, den Turn Weltcup, den DTB-Pokal für die Turner, und das Internationale Reitturnier German Masters. Alles große und international renommierte Sportveranstaltungen. Aber wo bleibt das Riesenheer der Läufer? Veranstaltet werden zwar der Stuttgart-Lauf, ein allseits beliebter Halbmarathon und diverse andere breitensportliche Laufveranstaltungen, aber trotzdem ist Stuttgart die einzige Landeshauptstadt, die sich keinen Marathon gönnt.

Die Älteren erinnern sich vielleicht noch an die Stuttgarter Leichtathletik-Europameisterschaft 1986, als beim Marathon der Freiburger Herbert Steffny in 2:11:30 und Ralf Salzmann aus Kassel in 2:11:41 vor begeisterten Zuschauern den dritten und vierten Platz belegten. 1993 bei den Weltmeisterschaften in Stuttgart wurde Konrad Dobler in einer wahren Hitzeschlacht sechster mit 2:18:28. Glorreiche, längst vergangene Zeiten.

Man kann diesen Umstand betrauern - oder etwas tun. Der Stuttgarter Michael Weber, Ehrenmitglied des 100-Marathon Clubs, hat etwas getan. Lange war es nur seinem Kopf, dann musste es heraus: „Wir machen einen Marathon in Stuttgart“. Als Test gab es bereits im Herbst 2015 einen privaten Einladungslauf. Hier wurden Zeitnahme, Markierung, Verpflegung und Laufstrecke getestet. Als alles für gut befunden wurde, konnte der nächste Schritt getan werden. Rechtliche Dinge müssen berücksichtigt, Toilettenanlagen bereitgestellt und ein Sanitätsdienst verpflichtet werden. Nach einem wahren Organisations-Marathon ist nun der große Tag gekommen.

Start und Ziel liegen beim Wassersportzentrum am Max-Eyth-See in Stuttgart-Hofen, direkt am Neckar. Der detaillierten Beschreibung aus der Ausschreibung folgend, kommen wir zum Start. Startnummernausgabe ist in einem kleinen Zelt. 12 Euro Startgeld sind vermutlich nur ein Einführungspreis, denn bei der durchaus aufwendigen Logistik ist solch ein geringes Entgelt meiner Meinung nach nicht zu halten. Erstaunlicherweise scheint Michael Weber kaum gestresst. Er bietet uns eine Führung zur nahen Toilette der Stadtbahn an der Haltestelle Hofen an, die von den Läufern kostenfrei genutzt werden darf. Hier ist es schön warm und relativ sauber.

Kaum sind wir zurück, geht es auch schon los. Michael macht noch eine kurze Einführung. Beim letzten Mal hatten einige Läufer Markierungen übersehen und sind falsch gelaufen. Daher wurden zusätzliche Schilder angebracht. Leider hat es letzte Nacht geregnet und so besteht die Gefahr, dass die Markierungen auf dem Boden gelitten haben. Eigentlich ist es aber ganz einfach: immer am Neckar entlang, dann über die Schleuse bei Aldingen, auf der anderen Seite zurück, über den Drei- Burgen-Steg und dann an Start/Ziel vorbei in die entgegengesetzte Richtung. Hier muss man dann tatsächlich einmal aufpassen, denn es gibt einen Abzweig auf eine Schleife um ein kleines Ausflugslokal herum, dann über den nächsten Steg zurück auf die andere Neckarseite; dort bis Bad Cannstatt, über die große Brücke und wieder zurück. Das ganze zweimal, wobei man sich beim zweiten Mal die Schleife um das Lokal sparen darf.

Hört sich kompliziert an? Ist es aber nicht. Wenn man nur ein wenig aufpasst, dürften keine Probleme entstehen. Um kurz nach 9 Uhr geht es los. Das Wetter ist optimal: ungefähr 5 °C und bewölkt. Es geht kurz am Ufer des Neckars entlang, dann unter der Hofener Brücke hindurch auf den Neckarradweg. Mit den letzten Häuser von Hofen rechts verlassen wir bewohntes Gebiet. Schnell erreichen wir den Vier-Burgen-Steg, eine imposante Stahlkonstruktion, die Fußgänger und Radler schnell über den Neckar bringt. Wir lassen die Brücke links liegen und bewegen uns weiter den Fluss hinunter.

Hier herrscht Natur pur. Rechts liegt der Oeffinger Scillawald, benannt nach den wunderschönen kleinen Blausternchen, die im Frühjahr hier zuhauf blühen. Die ersten sind bereits zu sehen. Seit 1981 ist er ein sogenannter Schonwald, wo selbst Totholz liegen bleiben darf. Um den Wald eingehender zu besuchen, müssten wir bei der Einmündung des Weidachtals scharf rechts. Leider würden wir so die Laufstrecke verlassen. Stattdessen bewundern wir die Fellbacher Landungsbrücke, die im Rahmen des  Projektes Landschaftspark Neckar erbaut wurde. Es handelt sich um eine Brücke, die sechs Meter über dem Wasser einfach aufhört. Dieses 24 m lange begehbare Kunstwerk soll für den Besucher neue Ausblicke auf das hier renaturierte Flussufer schaffen. Wir wundern uns und genießen den freien Blick aufs Wasser und das gegenüberliegende Ufer von der Strecke aus.

Der Neckar kommt nun direkt an den Radweg heran. Somit haben wir freien Blick auf Aldingen, das am anderen Ufer liegt. Vor uns sehen wir jetzt die Staustufe. Sie besteht aus einer Schiffsschleuse mit 2 Kammern, einem Kraftwerk und einem Wehr. Außerdem dient sie als Autobrücke. Bevor wir sie erreichen, geht es noch ein kurzes Stück auf dem Gehweg an einem Industriegebiet vorbei. Dann biegen wir scharf links auf den Übergang. Weil gerade kein Auto kommt, können wir auf der Fahrbahn laufen. Auf der anderen Seite der Brücke erwartet uns die erste VP. Der Helfer notiert unsere Nummern und die Sanis kontrollieren, ob es auch allen gut geht.

Nachdem wir uns mit Kuchen, Muffins, Salzstangen, Kräckern und Getränken gestärkt haben, geht es bergab. Wir verlassen die Brücke und laufen auf der anderen Seite des Neckars auf dem Radweg wieder zurück. Das Aldinger Industriegebiet ist mit einem massiven Stahlzaun vom Radweg getrennt. Jetzt kommen wir direkt am großen Mühlhausener Hauptklärwerk vorbei. Alles macht einen gepflegten und sauberen Eindruck. Man riecht nichts. Bis zum Vier-Burgen-Steg ist es nicht mehr weit. Diesmal geht es über den Steg, und damit sind wir wieder auf der Strecke, die wir am Anfang entgegengesetzt gelaufen sind.

Der Vier-Burgen-Steg ist benannt nach den 4 Burgen Freienstein in Freiberg, Engelburg in Mönchsfeld, Heidenburg in Mühlhausen und Zwingburg in Hofen. Wer die verschiedenen Anlagen besuchen möchte, kann dies auf einem ca. 10 km langen Rundwanderweg (gelbe Schilder mit dem Symbol der Hofener Burgruine) ab der Stadtbahnhaltestelle May-Eyth-See tun.

Wir laufen nun zurück zum Start. Dort werden erneut die Startnummern erfasst. Das Zelt der Startnummernausgabe ist jetzt zum Verpflegungsstand umfunktioniert. Wir stärken uns und machen uns nun in die andere Richtung auf den Weg. Es geht auf einem kleinen Damm zwischen Max-Eyth-See und Neckar entlang. Am nächsten Abzweig müssen wir scharf link auf die Schleife um das kleine Ausflugslokal auf der Halbinsel herum, was Streckenposten streng beaufsichtigen und kontrollieren. Anschließend geht es über den Max-Eyth-Steg wieder auf die andere Seite des Neckars.

Im Volksmund wird die 1989 eingeweihte Hängebrücke gerne „Golden Gatele“ genannt. Dort müssen wir nun erst mal hinauf. Für mich ist das ein Berg und wird somit Gehschritt angegangen. Schön ruhig ist es hier, einsam zieht ein Ruderboot seine Bahn. Ich habe Zeit, die vielen Liebesschlösser anzusehen, die das Brückengeländer schmücken, dann geht es schon wieder hinab. Am Ende der Brücke führt ein schmaler Pfad bis ans Wasser hinunter. Auf der Austraße ist einiges los. Hier liegt die Zaißerei, ein Weingut mit Restaurant, das in seiner Kelter Platz für bis zu 150 Personen bietet. Scheinbar kommen gerade alle Gäste auf einmal und versuchen jetzt einen Parkplatz direkt vor dem Tor zu finden.

Wir sind froh, dass wir die Blechlawine hinter uns lassen können. Zwischen Neckar und den Weinbergen des bekannten Cannstatter Zuckerle laufen wir weiter. Schon von weitem sticht uns, am Fuße der Weinberge, eine hohe, senkrechte auffallend braune Wand ins Auge. Es handelt sich um eine Lösswand, bestehend aus feinen Plättchen aus Quarz, Feldspat, Glimmer und Kalk, was die Steilwand so besonders standfest macht. Bereits in der Jungsteinzeit nutzten die Menschen Löss zum Verputzen der geflochtenen Wände ihrer Hütten. Der imposante Lössaufschluss an der Austraße wurde vor einigen Jahren von der Stadt Stuttgart als Naturdenkmal ausgewiesen. Er ist Bestandteil des Geologischen Lehrpfads von Bad Cannstatt und Münster.

Wir unterqueren die Aubrücke und befinden uns nun parallel zur stark befahrenen Neckartalstrasse in Münster. Ein Schild weist uns darauf hin, dass wir bereits 14 km (bzw. 34,8 km für die 2. Runde) gelaufen sind. Immer wieder zeigen uns diese Schilder den gelaufenen Fortschritt an. Wir unterqueren die Reinhold Maier Brücke und finden uns in einem langen, überdachten Gang wieder. Große Graffiti verzieren die Betonwände. Nun geht es am Kraftwerk Münster vorbei. Das Heizkraftwerk dient vorwiegend als Müllverbrennungsanlage. Es kann jedoch bei Bedarf zusätzlich auch als Kohlekraftwerk und mit Gasturbinen betrieben werden. Die an sich schon beeindruckende Anlage wird von dem 182 Meter hohen Schornstein mit einem Durchmesser von 14 bis 8 Metern überragt und ist schon fast ein Wahrzeichen für Stuttgart.

Wir lassen den Mühlsteg links liegen und laufen weiter direkt am Neckar entlang. Hier gibt es eine Fußgängerpromenade mit Sitzgelegenheiten. An einem Tisch hat es sich die Helferin der nächsten Verpflegungsstelle bequem gemacht. Nachdem Sie unserer Startnummer notiert hat, fragt sie nach unseren Wünschen. Verschiedene Kuchen und kleine Snacks sind im Angebot. Nach einer Pause geht es bergauf. Oben warten die Helfer vom Malteser Hilfswerk auf Kundschaft. Nein, wir haben keinen Bedarf an medizinischer Betreuung.

Ein Schild zeigt nun scharf links über die Wilhelmsbrücke. Es geht nach Bad Cannstatt. Der älteste und größte Teil Stuttgarts hat sich auch nach Jahrzehnten der Eingemeindung ein reges Eigenleben bewahrt. Zur Römerzeit kreuzten sich hier zwei wichtige Militärstraßen, mineralreiche warme Quellen trugen zur frühen Besiedelung bei. Zum Leidwesen der stolzen Cannstatter wurde das Württemberger Schloss dann aber doch in Stuttgart gebaut.

Schade, dass wir die schönen Gassen mit seinen historischen Gebäuden nur erahnen können. Wir bleiben auf dem Radweg und laufen am Neckar entlang. Hier liegt das Theaterschiff „Frauenlob“. Als Binnenschiff für den Futtermitteltransport 1930 erbaut, wurde das 67m lange und 8m breite Schiff 2007 zum Theaterschiff für 156 Gäste umgebaut. Komödiantische Eigenproduktionen sowie Kabarett und Kleinkunst begeistern seitdem die Zuschauer.

Während auf der gegenüberliegenden Neckarseite das bereits erwähnte Kraftwerk auftaucht, heißt es jetzt aufgepasst. Es geht auf einem Singletrail über eine Wiesenfläche mit Spielplatz. Dummerweise ist der Untergrund aufgeweicht, sodass tiefe Pfützen den Weg blockieren. Nur hüpfend und springend kommen wir weiter. Das König-Wilhelm-Viadukt überragt die Szenerie. Die einstmals imposante Eisenfachwerkkonstruktion der Eisenbahnbrücke wurde 1990 durch eine Stahlbetonbrücke ersetzt. Ein Originalbacksteinpfeiler ist noch erhalten und ist als künstliche Kletteranlage freigegeben.

Auf den Sportanlagen des SPVGG Cannstatt wird gekickt. Einmal rechts und gleich wieder links – so  erreichen wir die Hofener Straße in Richtung Stuttgart Hofen.  Ca. 2km bleiben wir auf dem Gehweg. Die Straße ist recht stark befahren. Trotzdem begegnen uns hier, vor allem in der 2. Runde, erstaunlich viele Jogger. Wenn man sich die Autos wegdenkt, läuft man flach zwischen Weinbergen und Wasser. Mir gefällt das ganz gut. Jetzt kommt sogar ein wenig die Sonne heraus. Als die Straße eine Rechtskurve macht, bleiben wir am Fluss. Hier ist die Zufahrt zum Cannstatter Ruderclub und zur Anlage von „City Golf“, einem Mekka für Golfer.

Plötzlich finde ich mich im Grünen wieder. Der Fluss ist zum Greifen nah. Ein Schnattern hier, Vogelgezwitscher da, die ersten blühenden Bäume; ein bisschen Urlaub nahe der Großstadt. Unter der Aubrücke führt ein kleiner Tunnel hindurch, dann sind wir schon zurück beim Max-Eyth-See. Der See mit seinem parkähnlichen Gelände ist für viele Stuttgarter ein zentrumsnahes Erholungsgebiet. Entstanden in den Jahren 1925 und 26 durch den Kiesabbau in Stuttgart-Hofen, erweiterte man das Gelände bereits zehn Jahre später zur Sport- und Badeanlage. 1961 wurde das Areal unter Landschaftsschutz gestellt und dient heute vielen Vogelarten als Brutplatz. Schwimmen ist allerdings nicht mehr gestattet.

Bis zum Ziel ist es nun nicht mehr weit, wobei es sich in der zweiten Runde dann doch etwas zieht. Der Zieleinlauf wird im Bild festgehalten, die Zeit notiert und ein Erdinger gereicht.

 

 

Fazit:

Von 35 gestarteten Läufern sind 33 innerhalb des Limits von 7 Stunden ins Ziel gekommen. Sieger war Christopher Greenaway mit 2:57:11, schnellste Frau Kathrin Ochs in 3:19:06. Das sind beachtliche Zeiten, wenn man bedenkt, dass die Strecke ja nicht abgesperrt ist.

Ein Läufer hat wohl einen unfreiwilligen Umweg genommen und eine Läuferin scheint unbeabsichtigt abgekürzt zu haben. Das kann im Eifer des Gefechts vorkommen und ist auch schon bei ganz anderen Veranstaltungen passiert. Die Verpflegung ist für einen Marathon außergewöhnlich reichhaltig, die Strecke eher ein Landschaftslauf als ein Citymarathon und annähernd flach.

Mein Eindruck vom Testlauf im letzten Jahr hat sich wieder bestätigt: Michael Weber hat aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Marathonläufer in aller Herren Länder das know how, auch als Veranstalter etwas Perfektes auf die Beine zu stellen. Für mich hat er eine echte Marktlücke geschlossen. Der Marathon in Stuttgart war schon lange fällig und auf Teilen der EM bzw WM Strecke zu laufen, ist geradezu genial.

 

Informationen: Neckarufer Marathon
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