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Laufberichte

Und der Wilhelm schaut gelassen zu

30.05.10
Autor: Joe Kelbel

Die Westfälische Pforte (Porta Westfalica) ist das Durchbruchstal der Weser zwischen Wiehengebirge und Wesergebirge. Ab hier beginnt die Norddeutsche Tiefebene. Auch die Stadt nennt sich Porta Westfalica, und das Möbelhaus, der Hauptsponsor des Marathons nennt sich seit seiner Grünung 1965 auch Porta.

Infrastrukturzentrum des Marathons ist das Verkaufsgelände des Möbelriesen Porta! (ja, da ist ein Ausrufezeichen) im Stadtteil Barkhausen der Stadt Porta Westfalica.  Shuttelbusse  verbinden den Start/Zielbereich mit dem  Großparkplatz in der Schwesterstadt Minden.

Über Barkhausen, am äußeren Ostende des Wiehengebirges, auf dem Osthang des Wittekindberges, steht das Kaiser-Wilhelm-Denkmal  (1896), das imposante Wahrzeichen der Stadt. Unweit des Denkmals befindet sich eine alte keltische Fliehburg aus dem 3.Jahrh.v Chr. Mehr als 2000 Jahre sprudelte hier in der Burg die glasklare Wittelskindquelle, bis der Eisenerzbergbau 1938 die unterirdischen wasserführenden Schichten  unterbrachen.

Viel gibt es zu erzählen zu diesem interessanten Berg, der nach Wittekind (Widukind), dem mythischen Herzog der Sachsen, benannt wurde. Nicht mal sein Geburtsdatum ist bekannt,  aber die  sagenhafte Wallanlage der Kelten wurde als seine Residenz gedeutet. Er gab seinen Kampf gegen  Karl den Großen nach  den Sachsenkriegen (777-785) auf und ließ sich taufen. Karl der Große war Taufpate. Mit der Einverleibung Sachsens in das Karolingerreich entstand das Deutsche Reich. Das weiße Ross Wittekinds ist Wappentier von Westfalen und Niedersachsen und ziert viele alte Fachwerkhäuser dieser Gegend.

Der Wittekindsberg wurde in den Jahrtausenden Pilgerstätte und  Ort vaterländischer Erinnerungen. Eine Widukind¬welle ließ den Berg im 19. Jahrhundert auch zum Ort bürgerlicher Geselligkeit vom Sängerwesen bis hin zur Turner- und Arbeiterbewegung werden. Ab 1932 machten die Nationalsozialisten den Berg zur „heiligen Stätte der Germanen an der Porta“.

Sagen und Mythen ohne Ende, Saurierfußspuren und Teufelswerke, aber  die Sprengung der unterirdischen Stollen  durch die Engländer im Jahre 1946 hat so manches Geheimnis begraben.

Gegenüber dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal, auf dem Jakobsberg, steht das Bismarck-Denkmal (1902). Die Brücke, die über die Weser führt, ist Privatbesitz und gehört zu der Fabrik am rechten Ufer. Langsam begreife ich, dass diese Stadt voller heroischer Geschichten ist. Die Portaner sind stolz auf ihre Stadt und da liegt es nahe, dass sich die Möbelkette ebenfalls „Porta!“ nennt.

Es gehört ein bißchen Organisationstalent dazu, hier am Marathon teilzunehmen, Hotels und ÖNV sind nicht optimal. Am Besten sollte man sich ein DB-Fahrrad am Bahnhof Minden nehmen. Meine Anfrage bei Porta!, ob ich die Nacht im Teppichlager des Möbelhauses probeliegen könnte, wurde leider negativ beantwortet. Ist auch irgendwie verständlich, aber ein preisgünstiges Hotel für einen, der mit der Bahn anreist, ist eine Weltreise entfernt.

Daß Lena in Oslo gewinnen würde,  war mir klar. Daß das Möbelhaus es krachen lässt, hatte ich gehofft. Aber was ich dann im Gewerbegebiet erlebte, übertraf meine Erwartungen. Ein riesiger Kindererlebnispark wurde da auf dem Parkplatz von Porta! aufgebaut, mit Ballonfahrten, Cartbahnen, Trampolinanlagen, Bierständen, Würstenbratereien und und und. Der Start-/Zielbereich - groß, wie in Köln. Auf den angrenzenden Parkplätzen von Media Markt, Edeka und Intersport sind mit Zäunen und Planen riesige Areale für Umkleidezelte, Duschen und Kleiderabgabe unterteilt, verbunden mit überdachten Wegen, als wüssten die, wie das Wetter heute werden würde. Eine Anlage, als würden heute 50.000 Boatpeople erwartet!

Normalerweise verliere ich nicht viele Worte über Sponsoren, schließlich erhalten die ja eh ihren Werbeeffekt, doch heute ist es anders: Das Möbelhaus ist auch Organisator -  und ein guter. Von der Anmeldung bis zum Internet-Ergebnisdienst wird alles von denen gemacht. Nur eine Handvoll Polizisten oder Feuerwehrleute passen an neuralgischen Punkten auf, der Rest wird von Angestellten des Möbelhauses oder deren Tochterfirmen erledigt.

Es ist Sonntag, zur Erinnerung. Du gehst rein in die Verkaufshalle ( „kein Verkauf, keine Beratung“) links Glasvasen, Hutschenreuther oder so, und rechts das mir verwehrt gebliebene Teppichlager, alles bewacht von streng dreinschauenden Security-Leuten, als wären dies hier fliegende Teppiche und würden nur an Topathleten abgegeben.

Und dann dieses Rolllaufband hoch zur Startnummernausgabe ins Kinderland. Es ist schon groteskt, wenn Marathonläufer auf so einem Rollband stehen. Aber pervers ist es, wenn sie auch noch stehen bleiben, obwohl das Band abwärts geht. Das ist dann wie im Sozialismus: Bietest du den Leuten Hilfe an, dann bleiben sie einfach  stehen. Aber die Kombination von Marathon und Sofaland ergibt einzigartige Bilder. Einfach prickelnd, ich finde das irre.

Wir sind etwas über 200 Marathonläufer, es regnet. Später um 11  kommen noch Staffelläufer, und um 12 noch etwa 600 HM-Läufer dazu, dann wird es hier auf dem Gelände auch voller werden. Doch nun will niemand so recht auf die Startbahn. Da erfolgt der Countdown, viel zu früh, leichte Panik, doch es war nur ein Witz. Nicht schlecht! Hat uns wachgemacht!

9 Uhr Start. Der Helmut klammert sich immer noch an seine Milchtüte. Die Strecke führt  nach Süden durch Wohngebiete bis zu der schmalen  Porta. Pausenlos mache ich Fotos mit dem Wilhelm dort oben, wie er unter seinem Baldachin steht und uns gelassen grüßt. Aus allen Blickwinkeln erscheint sein Tempel. Das ist schon cool.

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Informationen: Minden Marathon
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