Nach 1,5 km passieren wir den Circus Maximus, der hat auch schon bessere Tage gesehen. Von den früheren Tribünenanlagen ist außer ein paar Steinresten nichts mehr zu sehen. Schwer vorstellbar, dass auf diesem Areal vor 2.500 Jahren bis zu 250.000 Menschen bei den Wagenrennen zugesehen haben sollen. Die Steinaufbauten wurden im Verlauf der Jahrhunderte für andere Gebäude abgetragen und verwendet. Nach dem Circo Massimo führt uns die Via Ostiense Richtung Meer, wir haben jetzt den Wind mehr oder weniger im Rücken, was für mich und mein Langarmshirt bedeutet, dass mir bereits jetzt richtig warm wird und ich mir die Frage stelle, die richtige Bekleidungswahl getroffen zu haben.
Ca. bei km 3 erreichen wir die Aurelianischen Mauern und ganz unerwartet eine 36 Meter hohe Pyramide, die direkt neben dem Stadttor Porta San Paolo liegt. Gaius Cestius hatte unter Augustus in Ägypten als Offizier gedient und war offenbar davon so fasziniert, dass er sich selbst ein solches Grabmal bauen ließ. Heute ist sie, wie der angrenzende Protestantische Friedhof, ein Treffpunkt der streunenden römischen Katzen, die dort auch regelmäßig ihr Futter erhalten. Im berühmten und daher gut besuchten Friedhof wird um einen kleinen Obolus gebeten für die Tiere. Man sieht es ihnen auch an, alle stehen gut im Futter, davon hab ich mich selbst überzeugt. Ich werde im Verlauf meines Berichtes auch noch von einer Miezenjagd erzählen.
Die erste Verpflegungsstelle und Getränkestation kommt bei km 5. Hier, sowie auch auf den, alle 5 km folgenden, gibt es Wasser und Isogetränke, die hier mit Sali/Salts gekennzeichnet sind. Was mich anfangs mal verleitete nach Salz oder Salztabletten zu suchen. Für gewöhnlich gibt es die Getränke in Bechern, aber immer wieder sind auch Tische mit den praktischen kleinen Wasserflaschen bestückt, die man längere Zeit mit sich führen kann. Zur Stärkung gibt es immer Bananen, Äpfel, Orangen, Kekse und kleine Zuckerpäckchen. Da dachte ich auch erst, es ist Salz und wollte es schon in mein Wasser schütten.
Die nächsten Kilometer führen durch römische Wohngebiete und sind recht unspektakulär, aber eine kleinere Aufheiterung gibt’s für mich dann doch noch. Für uns ist die rechte Fahrbahnseite einer Straße abgesperrt, auf der gegenüberliegenden Seite rollt uns normal der Autoverkehr entgegen. Der Verkehr in unsere Laufrichtung ist somit für ein paar Stunden blockiert. Einen Radler schert das überhaupt nicht, er widersetzt sich einfach den Absperrungen und strampelt den Autos auf ihrer Fahrspur entgegen. Da hat er aber die Rechnung nicht mit der Polizistin gemacht, die diesen Abschnitt hier regelt. Sie pfeift ihn derart zusammen, dass er sein Unterfangen schnell wieder bleiben lässt. Heute haben nur wir Marathonis einen Freifahrtschein.
Zum ersten Mal überqueren wir den Tiber bei km 7, damit verbunden ist auch ein gleichzeitiger Richtungswechsel, da wir den südlichsten Punkt der Strecke hier erreicht haben. Das bedeutet aber auch: Gegenwind. Die gefühlte Temperatur geht da gleich um einige Grad runter und ich bin jetzt doch wieder froh, etwas Langärmliges an zu haben.
Der Dschungel ist mitten in Rom
An die 15 km werden wir im Tagesverlauf noch am Tiber zurücklegen, ich schau mal so runter ans Ufer, ob was herum kreucht und fleucht. Warum diese Vorsicht? Der Dschungel ist mitten in Rom. Eine unbeugsame Art von Schildkröte hat sich im Tiber festgesetzt. Vor 30 Jahren importierten Liebhaber einige Exemplare der Rotwangen Schmuckschildkröte vom Mississippi nach Italien. Die Pärchen hielten es nicht lange in den Aquarien aus, sie vermehrten sich schnell und bevölkerten die Ziergärten der Stadt. Da die süßen ca. 5 cm großen Kröten schnell bis zu 30 cm anwuchsen, wurden sie Vielen lästig. So wurden sie dann einfach im Tiber entsorgt.
Vertreiben ließen sie sich von dort nicht mehr, da sie kaum natürliche Feinde haben und im Fluss alles Lebensnotwendige finden. 10.000 Exemplare sollen inzwischen im Fluss leben und an seinen Ufern rumkriechen. Ausgewachsen erreichen sie die Größe einer Frisbeescheibe und sie sind „Fleischfresser“. Sie stürzen sich hungrig auf "alles, was sich bewegt“, vielleicht ja auch auf Marathonläufer?. Inzwischen sollen auch Leguane und andere Echsen von ihren Besitzern ausgesetzt worden sein. Kein Angst, wirklich in Gefahr sind wir hier oben nicht, die Uferstraßen sind mit hohen engmaschigen Drahtzäunen und später mit Mauerwerken abgesichert, so besteht wohl keine Gefahr für uns. Vielleicht würde es aber auch dem einen oder anderen eine schnellere Laufzeit einbringen.
Etwas später laufe ich auf Joe auf, sein Laufstil sieht mir hier nicht mehr ganz so flüssig aus, was er mir auch bestätigt. Wie seine Story ausgeht, könnt ihr natürlich auch hier auf dem Portal nachlesen. Diesen Streckenabschnitt würde ich eher als unscheinbar bezeichnen. Nach 10 km wechseln wir wieder die Tiberseite, was sich für’s Auge wirklich sehr positiv auswirkt.
Ab km 12 sind wir wieder direkt an der wunderschönen Uferpromenade und einen Kilometer weiter liegt unten im Fluss die Tiberinsel. Um die richtig zu sehen, muss man sich aber ziemlich weit links der Straße halten. Sie ähnelt in ihrer Form einem Schiff, in der Antike sah sie durch entsprechend geformte Bauten aus, als sei sie eine römische Galeere, die den Tiber passiert. Ein Obelisk, der sich früher in der Mitte der Insel befand, unterstrich als Mast diese Ähnlichkeit.
Bei km 15 steht auf der gegenüberliegenden Uferseite das Castel Sant' Angelo, oder zu deutsch, die Engelsburg. Das ursprüngliche Mausoleum von Kaiser Hadrian war fast zweitausend Jahre Festung und Schloss. Heute ist sie ein Museum. Über die Ponte Cavour nähern wir uns dem Vatikan. Um ein paar Ecken führt der Weg auf die Via della Conciliazione die schnurstracks auf den Petersdom zuführt. Wir laufen direkt auf den Petersplatz zu und stören gerade eine Messe, die dort stattfindet. In San Pietro rein dürfen wir aber nicht, selbst wenn wir wollten, kurze Hosen sind nämlich verboten.
Die nächsten Kilometer führen vom Tiber weg in die nördlichen Außenbezirke von Rom. Ich kann mich wieder mehr auf’s Laufen konzentrieren als auf’s Fotografieren. Gefühlsmäßig steigt für mich die Strecke hier etwas an, vielleicht liegt’s aber auch am kalten Wind, der einem hier ins Gesicht bläst.
Moda di Signora
Kurz vor der Halbmarathonmarke sind wir wieder zurück am Tiber, ein Stückchen weiter fällt mir eine ganz in pink gekleidete Läuferin auf: „Frau trägt Röckchen“. Wage habe ich in Erinnerung, heute schon mehrere in diesem neuen Laufoutfit gesehen zu haben. Ich finde es wirklich hübsch anzusehen, mal wieder was Neues, und zücke meine Kamera.
Nach 25 km passieren wir das über 70 Jahre alte Foro Italico, ein Relikt aus der faschistischen Zeit. Der Komplex besteht aus mehreren Sportanlagen und weiteren monumentalen Gebäuden. Das Gelände dient bis heute Sport und Politik, es beherbergt das Olympiastadion, ein Schwimmstadion und Tennisanlagen. Die Gebäude sind alle in auffälligen Rot gehalten.
Ein paar Minuten später erspähe ich wieder eine Röckchenträgerin, diesmal in adrettem Schwarz mit weißer Umrandung. Ich muss etwas Tempo aufnehmen, damit ich sie von vorne ablichten kann. Ich nehme mir jetzt bewusst vor, auf die Minis zu achten und mache mich auf Miezenjagd. Da haben sich die Laufklamottendesigner doch wirklich was ganz Tolles einfallen lassen, also mir gefällt’s.
Den nördlichsten Punkt des Kurses erreicht man etwa bei km 28. Erst geht es noch an der vierspurigen Via del Foro Italico entlang. Für uns hat man zwei Fahrspuren gesperrt, darum müssen sich die Autos jetzt eine Fahrbahnseite teilen. Ob die heißblütigen Italiener wohl alle Verständnis dafür aufbringen und uns nicht verfluchen? Nach ein oder zwei Kilometern geht’s aber endlich wieder runter, verbunden mit einem Richtungswechsel nach Süden. Jetzt wird es auch richtig angenehm warm, weil wir den Wind wieder im Rücken haben.