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Laufberichte

50 km mit angezogener Fußbremse

21.08.09
Autor: Klaus Duwe

Laufen geht einfach. Gehen nicht. Zumindest nicht das sportliche Gehen. Fast ist es eine Kunst, die neben der körperlichen Leistung auch eine gehörige Portion Konzentration erfordert. Und das permanent. Kampfrichter und Kameras verfolgen die Geher auf Schritt und Tritt und achten darauf, dass keiner den Bodenkontakt verliert und das ausschreitende Bein beim Aufsetzen auf den Boden bis zur aufrechten Stellung gestreckt ist.

Wer gegen die Regeln verstößt, bekommt via gelber Kelle eine Verwarnung. Nach drei Verwarnungen durch verschiedene Gehrichter erfolgt die Disqualifikation.

Gegangen wird schon lange. Überliefert ist ein fünfstündiger Wettkampf im Dauergehen aus dem Jahre 1682 in – na klar, in England. Im 18. und 19. Jahrhundert war das Gehen dort sogar sehr populär. Den Marsch von Captain Robert Barclay Allardice, The Celebrated Pedestrian, vom 1. Juni bis 12. Juli 1809, bei dem er es schaffte, in 1000 aufeinander folgenden Stunden jeweils eine englische Meile zurückzulegen, verfolgten 10.000 Zuschauer.

Obwohl das Gehen im 20. Jahrhundert an Bedeutung verloren hat, wurde es 1932 olympisch (50 km). 1956 wurde die 20 km-Distanz aufgenommen und 1992 das Frauen-Gehen.

Frauen gehen 20 km, Männer 20 und 50 km. Dabei werden Zeiten erzielt, von denen viele von uns (und ich als erster) nur träumen. Der Weltrekord über 50 km (Straße) liegt bei 3:34:14 Stunden (Denis Nischegorodow), was einer Marathonzeit von ungefähr 3 Stunden entspricht. 

Klar, dass ich mir den Wettbewerb über die längste Leichtathletik-Distanz, das 50km-Gehen, nicht entgehen lasse. Die Aktiven freuen sich, es gibt in der Frühe ein kurzes Gewitter, die Hitze von gestern ist weg. Teilweise regnet es sogar leicht.

Gestartet wird unter dem Brandenburger Tor, gegangen auf der Prachtstraße Unter den Linden auf einem Rundkurs von 2 km. Also 25 Runden. Ideal für die Zuschauer. Um 9.00 Uhr sind noch nicht viele, später gleicht der Rundkurs einem Stadion. Allerdings sind einige enttäuscht. Sie glaubten doch  tatsächlich, wo so viel Remmidemmi ist, ist Marathon. Mancher Geher mag sich auch gewundert haben. Normalerweise üben sie ihren Sport nämlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus. Ok, würde man jedem Berliner für’s Zuschauen 10 Euro abnehmen, wäre das heute auch so. Aber heute gibt es WM-Luft zum Nulltarif. Und  das bekommt den Berlinern besonders gut, war in einer Zeitung zu lesen.

Der Weltrekordmann Denis Nischegorodow ist am Start, Olympiasieger Alex Schwazer aus Südtirol und viele weitere Meister ihres Faches – und der Berliner André Höhne. Ihm hat der 20er diese Woche so gut gefallen, dass er jetzt auch den Ultra gehen will.

Das Rennen ist unglaublich spannend. Es gibt viele Positionswechsel und keiner der Asse kann sich vom Feld absetzen. Weltrekordler Denis Nischegorodow verschwindet bei Kilometer 35 mal schnell im Dixi und gibt acht Kilometer vor dem Ziel entnervt auf. Yuki Yamazaki aus Japan, ein weiterer Favorit, wird disqualifiziert und der Olympiasieger bekommt Bauchschmerzen und geht freiwillig aus dem Rennen.

Am Ende ist es der Russe Sergej Kirdjapkin, der In Weltjahresbestzeit von 3:38:35 als Erster das Ziel erreicht und seinen Erfolg von Helsinki wiederholt. Zu Silber marschiert der Norweger Trond Nymark in 3:41:16, Bronze gewinnt der 39jährige  Spanier Jesus Angel Garcia (3:41:37), selbst schon einmal Weltmeister (1993 in Stuttgart). 

Die Sensation aber ist, dass André Höhne den fünften Platz belegt. Die Stimmung kann draußen im Olympiastadion nicht besser sein. Die Berliner feiern ihren Helden. Dass er keine Medaille bekommt, ist absolut Nebensache. Auch für ihn selber – er ist nur noch happy und lässt sich von Söhnchen Luca und Ehefrau Janin feiern. „Die 50 km sind jetzt meine Lieblingsstrecke“, sagt er.

Die Geher sind fix und fertig. Manche müssen gestützt werden und brauchen ein paar Minuten. Dann geben sie mit zittrigen Knien artig ihre Interviews. Ich muss an Usiam Bolt denken. 19,19 Sekunden. Ich habe miterlebt, wie er die 200 m in Weltrekordzeit gerannt ist und anschließend seine Späße machte. Die Welt ist ungerecht – und die Sportwelt sowieso. 

Die ersten Zehn:

  1 Sergey Kirdyapkin   RUS 3:38:35 
  2 Trond Nymark   NOR 3:41:16 
  3 Jesús Angel García   ESP 3:41:37 
  4 Grzegorz Sudol   POL 3:42:34 
  5 André Höhne   GER 3:43:19 
  6 Luke Adams   AUS 3:43:39 
  7 Jared Tallent   AUS 3:44:50 
  8 Marco De Luca   ITA 3:46:31 
  9 Jarkko Kinnunen   FIN 3:47:36 
10 Matej Tóth   SVK 3:48:35 

 

 

 

Informationen: Leichtathletik-WM Berlin
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