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Laufberichte

Laufreise im Reich der Zacken

27.06.15

 

Zur blauen Stunde am Misurinasee

 

Ich tauche wieder ein in den nächtlichen Wald, erkämpfe mir gleichmäßig stapfend und schnaufend die Höhenmeter. Und ersehne den Morgen. Doch der lässt auf sich warten. Es mag so gegen 4:30 Uhr sein, als mich ein erstes Vogelgezwitscher aus der Monotonie weckt. Und ist da nicht auch ein Hauch von Helligkeit, der von oben durch die Baumwipfel dringt?

Auf etwa 1.900 m üNN bin ich mittlerweile wieder angelangt und der schmale Pfad schlängelt sich in stetem Auf und Ab über dichte Wurzeln und morastigen Untergrund durch den deutlich lichter gewordenen Bergwald. Langsam schälen sich die Konturen der Berge am Horizont aus dem Dunkel, färbt sich die Landschaft in jenem unwirklich tiefen Blau des erwachenden Morgens. Froh bin ich, endlich die lästig gewordene Stirnlampe in den Rucksack packen zu können und mehr als nur die nächste Umgebung im Blickfeld zu haben. 

Es ist 5:30 Uhr, als ich zum ersten Mal durch den Wald unter mir die Gestade des Lago di Misurina erblicke. Nach 43 km durch die Nacht bieten sie einen ersten optischen Höhepunkt des noch jungen Morgens. Traumhaft ist die Lage des Sees auf 1.756 m üNN inmitten der 3.000er der bizarren Dolomitenriesen. Kein Wunder, dass er auch touristisch hoch im Kurs steht. Doch um diese Zeit haben wir den See noch ganz für uns, können das im weichen Morgenlicht erwachende Idyll ganz für uns genießen. Ein romantischer Weg schlängelt sich am Ostufer entlang, vorbei an kleinen Inselchen und lauschigen Buchten. Einsam thronen einige altehrwürdige Hotels am Seeufer, wie Spielzeughäuser vor dem Hintergrund der mächtigen Felsmassen wirkend. 

Vom verschilften Nordufer aus steigen wir auf Pfaden unweit der Tre Cime-Panoramastraße quasi eine Stufe höher hinauf zum kleinen, aber nicht minder romantischen Lago d´Antorno. Erste Sonnenstrahlen lassen die Bergwipfel und das sich im stillen Wasser spiegelnde Ebenbild erstrahlen. Mächtig und verheißungsvoll türmt sich vor uns am Horizont das wohl größte Sehnsuchtsziel unserer Laufreise auf: die Drei Zinnen. Deren berühmte, markante Silhouette lässt sich aus unserer Perspektive allerdings noch nicht erahnen. Wir blicken, quasi von der Rückseite aus, nur auf eine uneinnehmbar wirkende Felswand.

 

Gipfelsturm

 

Den Weg dorthin müssen wir uns läuferisch hart erarbeiten. Wobei Laufen zumeist nicht das Gebot der Stunde ist. Auf ausgesetzten, gerölligen Pfaden hieve ich mich mit massivem Stockeinsatz über Almen und durch Fels. Schnell gewinnen wir an Höhe. Je höher ich komme, desto öfter muss ich innehalten und durchschnaufen. Aber jeder Stopp belohnt mich zumindest mit einem wunderbaren Blick auf das sich wandelnde Bergpanorama. Weit vor und hinter mir sehe ich bisweilen die Läufer als bunte Punkte durch die Bergwelt schleichen.

Die Morgensonne erobert zunehmend die Bergwelt und zaubert Kontraste und Farben in den Fels, sei es in die Zacken der nahen Cadini di Misurina oder in den Koloss des etwas entfernteren Monte Cristallo. Nur die Wand vor und über uns verharrt im abweisenden Schatten. Direkt am Fuße dieser Wand wird unser nächstes Zwischenziel sichtbar, zunächst nur winzig klein, dann immer mehr Kontur gewinnend. Das Rifugio Auronzo (2.320 m üNN) am südlichen Fuß der Drei Zinnen ist mehr als eine normale Durchgangsstation unserer Laufreise durch die Dolomiten. 48,5 bewältigte Kilometer und 2.800 bewältigte Höhenmeter bedeuten zwar noch nicht Halbzeit, aber ein wenig fühlt sich diese Station schon so an.

7:30 Uhr und damit drei Stunden vor dem Zeitlimit ist es, als auch ich das geräumige Schutzhaus erreiche und mich in das perfekt organisierte Durchschleuseprozedere einreihe. Konkret bedeutet das: Als erstes drückt man mir meinen in Cortina aufgegebenen Kleiderbeutel in die Hand. Ich brauche nichts und so bin ihn ein paar Meter weiter gleich wieder los. Erst dann werde ich direkt in das Innere des Rifugios gelotst und darf erst einmal Schlange stehen für eine heiß begehrte Suppe. Die ist zwar alles andere als haute cuisine, tut aber verdammt gut. Ansonsten umgibt mich hier ein Rummel wie in einer Skihütte zur Hochsaison. Neben dem schon bekannten Verpflegungsprogramm ist aber selbst ein Cappuccino an der Bar drin. Lange hält es mich dennoch nicht. Denn die Bergwelt draußen ist einfach ….. sensationell. Kurz piept die Zeiterfassung am Hüttenausgang. Und mich erwartet der wohl spektakulärste Abschnitt des Trails.

 

Rund um die Drei Zinnen

 

Ein staubiger, aber gut ausgebauter und breiter Weg führt, weiter auf über 2.400 m üNN ansteigend, in einem Halbkreis um die Tre Cime di Lavaredo. Doch sind es erst einmal nicht diese, die mich gefangen nehmen, sondern der Blick in die andere Richtung. Und der ist wahrlich atemberaubend. Dichte Wolken wabern unter mir im Tal und lassen daraus die sonnenbestrahlten bizarren Felsentürme wie Inseln aus einem Meer ragen. Diese Szenerie ist keineswegs statisch, sondern wechselt permanent. Immer neue fantastische Naturbilder zaubern die Wolken und ich kann nicht anders als immer wieder innezuhalten und dies mit der Kamera zu bannen. Nur langsam komme ich voran.

Selbst das Rifugio mit den wilden Gipfeln im Hintergrund erscheint aus der Ferne in einem ganz neuen Bild. Auch die Optik der Drei Zinnen erfährt im Vorbeilaufen eine langsame Wandlung und zieht zunehmend die Aufmerksamkeit auf sich. Immer steiler, immer prägnanter, immer zackiger wirkt der Fels. Aber noch immer nicht sehen wir die Postkartenseite der wohl berühmtesten Felsentürme der Dolomiten, das Nebeneinander der drei monolitischen Felszacken Cima Ovest, Cima Grande und Cima Piccola, deren mittlerer immerhin 2.999 m üNN misst. 

Vorbei an der Lavaredo-Schutzhütte und rund um die Cima Piccola macht unser Weg einen weiten Schwenk. Aus dieser Perspektive nun endlich erleben wir die Drei Zinnen seitlich versetzt genauso, wie es das Logo des LUT abbildet. Direkt auf die Cima Piccola halten wir zu und erreichen unmittelbar an ihrem Fuße die Passhöhe.

 

Durch das Rienza-Tal

 

Zwar ohne Wolken im Tal, dafür mit mehr Wolken über den Bergen, aber nicht minder spektakulär präsentiert sich die Bergwelt jenseits des Passes. Bis weit in die Ferne kann ich unseren Pfad sich durch die Einsamkeit des Hochgebirges schlängelnd und dann gen Rienza-Tal verlierend verfolgen. Die Bergwelt am Horizont ist einmal mehr in ihrem Formenreichtum einfach nur „dolomitisch“.

Getoppt wird das allerdings von dem, was man, dem Pfad langsam in die Tiefe folgend, bei einem Blick zurück erleben darf. Denn nun präsentieren sich die Drei Zinnen so, wie man es von unzähligen Fotos her kennt und erwartet: Als  drei gigantische, einsamen Zacken. Beeindruckend ist vor allem die mittlere Cima Grande mit ihrer 500 Meter senkrecht abfallenden Nordwand, die als extraordinäre Herausforderung auch bei Bergsteigern hoch im Kurs steht.

Wohin ich schaue, klicken Kameras und Handys. Je weiter ich in die Tiefe komme, desto mehr verstärkt sich der Eindruck der Majestätik, mit der diese Türme die kargen Schutthänge zu ihren Füßen überragen. Ich bin begeistert. Und beseelt, diesen Abschnitt des Trails bei diesen wundervollen Bedingungen erlebt zu haben. Aber alsbald heißt es Abschied zu nehmen von diesem einzigartigen Ort. Denn in steilen Serpentinen auf gerölligem Untergrund stürzt der Pfad hinab gen Valle della Rienza und erfordert volle Aufmerksamkeit. 1.000 Meter geht es am Stück hinab und einmal mehr ist das ein echter Härtetest für die Oberschenkelmuskulatur. Ich frage mich, wie es nicht wenige schaffen, diese Passage im Hochtempo herunter zu brechen.

Die Natur kehrt zurück. Niedrige Latschenkiefern besetzen dicht an dich die Hänge. Tief im Tal rauscht die Rienz in einem fast blütenweißes Gesteinsbett durch das enge Tal. Hier ist die Welt noch in Ordnung, denkt man unwillkürlich. Über Kilometer folgen wir auf einem breiten Naturweg dem Wildbach. Und seit langem kann auch ich wieder einmal ein längeres Stück halbwegs entspannt laufen.

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Informationen: Lavaredo Ultra Trail / Cortina Trail
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