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Laufberichte

Hinter Gittern

25.04.10
Autor: Joe Kelbel

Viele von uns laufen, um frei zu sein,  im Kopf, seelisch und körperlich.

Falsche Umgebung, falsche Freunde, falsche Zeit, falsche Endscheidungen und  der freie Wind, der Geruch des Wassers, des nassen Laubes, die ewig langen Läufe durch die Natur und der Blick in die weite Ferne, von einem hohen Berg, den du dir selbst erkämpft hast, wird dir entzogen.

Fast 200 Nichtinsassen dürfen am Knastmarathon teilnehmen. Für 27 Inhaftierte die Chance mit normalen Menschen, soweit wir Marathonläufer das noch sind, in Kontakt zu kommen. Für die Nichtinsassen eine Gelegenheit zu begreifen, was Freiheit bedeutet.

Familienangehörige und Besucher von einsitzenden Häftlingen, sowie ehemalige Inhaftierte sind von der Teilnahme am Marathon ausgeschlossen. So steht es in der Ausschreibung, doch man sieht das anscheinend nicht mehr so eng, wie in den Vorjahren. Vor allem Ehemalige kommen gerne wieder um hier zu laufen.

Der Knastmarathon ist bundesweit einmalig und findet  in Darmstadt statt, zum 4ten Mal. Andere Gefängnisse hätte dafür kaum Platz. Den ersten Schock erlebe ich 500 Meter vor dem Knast: Polizeikontrolle. Meine Fahrweise sei sehr auffallend gewesen. Klar, ich bin nervös auch nach so vielen Läufen.  Und das Gefängnis ist nicht ausgeschildert und...ich drücke den Beamten einen m4y-Prospekt in die Hand, das hilft, aber dann fährt doch diese grinsende LT-Hemsbach-Fahrgemeinschaft an mir vorbei, die sollte man glatt verhaften!

Es kommt nicht oft vor, dass man vor einem Gefängnis Schlange steht. Jeweils 5 Personen werden eingelassen. Der Personalausweis muss abgeben werden, ohne ist kein Einlass. Dafür gibt es ein grelles Kontrollarmband. Dieses wird uns heute von den Insassen unterscheiden, und, könnte man es ablösen, währe es ne Stange Geld wert.

Verschiedene Räume, hier hinein und dahinein. In einem Besuchsraum liegen Kinderspielsachen, ein Spiegel hängt an der Decke. Taschenkontrolle, Leibeskontrolle, Mütze anheben, Drogenhund, alles wie am Flughafen. Das dauert seine Zeit.

In nur sechs Monate wurden die 27 Gefangenen auf diesen Lauf vorbereitet. 100 Trainingseinheiten, keine ist ausgefallen. Disziplin und Konzentration, ansonsten hat man hier nicht viel zu tun.

Gut,die Schlosserei des Gefängnisses ist bekannt für hochwertige Qualitäts-Produktion von Gitter, Tore, Geländer, Zier- und Schmiedestäbe, aber ansonsten soll der Häftling nachdenken. Einzige Flucht ist der Lauf. Die Vergangenheit, Gefühle  und die Erinnerungen spielen für einige Stunden keine Rolle mehr. Beim Laufen schaltet das Gehirn auf Überlebenswillen, Freiheit für Stunden, wir kennen das. Wer  an zwei Tagen im Monat für 45 Minuten Besuch erhalten darf, muss viel laufen, sehr viel!

Das Gefängnis ist nach dem früheren Hessischen Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer benannt. Er steht für einen humanen Strafvollzug.  Betrug, Raub, Steuerhinterziehung usw.  werden hier abgesessen, aber dann erfahre ich, dass hier auch Mörder  einsitzen.

Im Internet gibt es ein Bewertungsportal für Haftanstalten. Exinsassen geben darin ihre Beurteilungen ab. Dabei erhält „unser Fritz Bauer Haus“ grundsätzlich eine sehr gute Bewertung. Wer hier einsitzt, sollte anscheinend froh sein, nicht in  anderen  JVA´s  zu sitzen.

Ich habe mit einigen Knackies während des Laufes sprechen können. Dieser Bericht ist nicht zensiert worden und entspricht voll und ganz meinem Erlebnis und meiner Erkenntnis. Einige Läufer wünschten nicht fotografiert zu werden, stehen auch ohne Namensnennung in der Ergebnisliste. Deren Startnummern musste ich mir merken. Inhaftierte Zuschauer, etwa 500, die aus Sicherheitsgründen nur hausweise rausgelassen wurden, dürfen auf Fotos nicht erkennbar sein.

Ich hatte dies im Vorfeld geklärt, doch ansonsten hatte ich alle Freiheit in der Unfreiheit.

Kommt man aus den Kontrollräumen raus, sieht man ungläubig eine Picknick-Idylle unter Pinienbäumen. Die Lage und Architektur des Gefängnisses entspricht eher dem einer Kaserne. Dazwischen bunte Zelte, es gibt belegte Brötchen, Getränke, Kaffee und Kuchen, eine Spende für die Deutsche Leukämie-Forschungs-Hilfe wird dafür erbeten. Die neuesten Hits aus riesigen Boxen schallen über das Gelände. Es sieht nach einem gemütlichen Sonntagslauf aus. Am Start/Zielbogen gibts die Startunterlagen: Startnummer und zusätzlich, das ist der Gag, ein Shirt mit der Start- bzw. Sträflingsnummer aufgedruckt. Mit dem Shirt sehen nun viele selbst wie Sträflinge aus. Ich ziehe es aber vor, ein Baumwollhemd anzuziehen, da es naß besser kühlen wird.

Das Laufprojekt der JVA hat Schlagzeilen gemacht. Deshalb drängen sich Reporter und ein Filmteam vom HR um die Häftlinge, die heute hier ihren ersten Marathon laufen. Auch der sportliche Leiter des JVA Sportvereins Kiefer Darmstadt,  Gerd Wydra und der technische Organisator (vom Commerzbank-Marathon) Dieter Bremer stehen im Mittelpunkt.

Eine verwirrende Zickzack-Runde durch die Anstalt entspricht  etwa 1,7 km und  ist genau vermessen. 24 Runden sind zu laufen, die Zählmatte hilft dabei. Das Marathongepäck wird in einer Kleiderkammer abgegeben, in der lange Kleidersäcke mit unseren Startnummern versehen hängen. Toiletten für Männlein und Weiblein gibt es (weiträumig getrennt) auf der Laufstrecke.

Ich mache ein Foto von einigen der Gefangenen, die an diesem Marathonprojekt teilnehmen. Sie sind alle sehr nett und freuen sich, daß ich sie anspreche. Horst und Franco sind begehrte Interwievpartner. Michael ist ein Freigelassener, Hans-Rainer der Marathontrainer der JVA Wittlich, von wo auch einige Gefangene teilnehmen. Hans-Rainer läuft heute seinen 100ten. Nur komisch, dass dem Dietmar die Knastgesellschaft nicht unbekannt zu sein scheint.

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Informationen: Knastmarathon Darmstadt
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