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Laufberichte

Lauf für dein Leben

 

Kassel, kreisfreie Stadt in Nordhessen mit rund 200.000 Einwohnern, befindet sich in der Nähe des geographischen Mittelpunkts von Deutschland. Ab 1277 war Kassel Hauptstadt der Landgrafschaft Hessen, der Landgrafschaft Hessen-Kassel (1567-1803) und des Kurfürstentums Hessen (bis 1866), wovon bis heute diverse Residenzen und Schlösser zeugen.

Bekannt ist die Universitätsstadt auch für eine ganze Reihe von bedeutenden Museen. Seit 1955 findet hier alle fünf Jahre die „documenta“ statt, die weltweit bedeutendste Reihe von Ausstellungen für zeitgenössische Kunst. Ebenso gab es in Kassel die erste Fußgängerzone Deutschlands. Die Treppenstraße wurde in den 1950er Jahren nur für Fußgänger neu angelegt und bildete damit einen Gegenpol zum damals vorherrschenden Wunsch nach einer autogerechten Stadt. Erwähnenswert finde ich noch den Flughafen Kassel-Airport, ehemals Calden, der wie mancher Haltepunkt an der ICE-Strecke Köln-Frankfurt einfach gebaut werden musste – ob sinnvoll oder nicht. Im Gegensatz zu anderen neuen Flughäfen ist er aber in Betrieb, wenn auch nur mit einer Linienverbindung pro Tag.

Schöne Berichte auf M4Y über die letzten acht Läufe machen Lust, selber einmal beim Marathon in Kassel an den Start zu gehen. Außerdem kann ich als Münchner meinen Horizont mal wieder um eine deutsche Stadt erweitern. Judith und ich nutzen ein günstiges Angebot der Bahn, um ein kurzes Wochenende in Kassel zu verbringen. Die 480 Autobahnkilometer lassen wir in 3 ½ Stunden an uns vorbei ziehen.

Der Veranstalter des Marathons gibt auch gleich den Tipp für eine Wochenendfahrkarte: Kassel für zwei zum Preis von 8,50 €. Damit sind wir schnell im Hotel und auf der Marathonmesse. Dort wird uns vom in Kürze anstehenden Mini-Marathon vorgeschwärmt: Rund 6.000 Schülerinnen und Schüler werden ein Zehntel der klassischen Strecke, nämlich 4,219 Kilometer, zurücklegen. Die Startgelder übernehmen die Sponsoren. Wir entschließen uns also, den Samstagnachmittag nicht mit Sightseeing, sondern im Aue-Stadion zu verbringen. Es lohnt sich, denn da ist richtig was los. Viele sportliche Kids sind unterwegs- Der Erste, Marius Abele, kommt nach 14:41 min ins Ziel, als schnellste Schülerin Eva Dieterich nach 16:08 min. Auf der Tribüne stolze Eltern und quengelnde kleine Geschwister, die auch gerne teilgenommen hätten. Danach geht’s zur Pasta-Party, die im Startpreis enthalten ist. Kurz ins Zentrum für einen Spaziergang und dann früh ins Bett.

 

Der Marathon-Tag

 

Von unserem Hotel aus sind wir zu Fuß schnell am Start. Dort laufen sich gerade noch die Halbmarathonis warm. Bei der Taschenabgabe in der Eissporthalle, Heimat der Kassel Huskies, sind dann nur noch Marathonis und Staffeln zugange. Man kann die großen roten Stofftaschen auch noch ganz kurzfristig abgeben. Dann sind es nur wenige Meter zum Start. Beeindruckend die Anzahl der Toilettenhäuschen. Da muss definitiv niemand warten. Erst kurz vor Beginn geht es in den Startraum auf der Damaschkestraße. Die Ballons der Pacer geben die Bereiche vor, in denen man sich einordnen kann. Alles total zwanglos, kein Gedränge. Gefällt mir. Und los geht’s.

Rund 1000 Teilnehmer – Staffel-Startläufer und „Einzelkämpfer“ - machen sich auf in die grüne Natur. Im Großen und Ganzen handelt es sich um einen Rundkurs für die Halbmarathonis, der an sieben Stellen um einige Schleifen für den Marathon ergänzt ist. Aber keine Angst: Durch den frühen Start der „Halben“ sind die weitaus eher im Ziel und von uns sind keine Trennungsstellen mehr zu beachten.

Über die Fulda, die hier schiffbar ist, geht es Richtung Kassel-Messe. Deren Hallen sind einmal zu umrunden, dann kommen wir am Buga-See in der Fulda-Aue vorbei. Idyllisch ist das schon. Im Stadtteil Waldau gibt es erst einmal den Zehnthof zu sehen, ein großer Fachwerkhof. Von einer Stadtbefestigung sind noch zwei Türme erhalten. Bis 1970 gab es hier einen Flugplatz, der inzwischen nach Calden verlegt wurde. Dann geht es durch ein großes, grünes Wohnviertel mit ziemlich hohen Häusern. Die Waldauer Enten-Kirmes findet erst im Oktober statt, wird aber bereits jetzt groß angekündigt. Ich hätte so gerne ein Entchen mitgenommen, oder habe ich da was falsch verstanden? Auf einem Banner wird der Yvonne angekündigt, dass sie noch 38 Kilometer vor sich hat. Die Ärmste, sie muss einen Kilometer mehr laufen als wir anderen. Vermutlich hat sich da aber nur jemand verrechnet oder sich falsch platziert.

Wir verlassen Kassel und kommen nach Lohfelden. Michael Reuter, der dortige Bürgermeister, ist selbst begeisterter Marathon-Mann und freut sich deshalb sehr, dass die Strecke im Zuge einer Verflachungsaktion auch seine Gemeinde durchquert. Die Partnerschaften der Gemeinde mit Berg im Drautal, Trutnov in Tschechien und Alcalá la Real in Spanien bringen zusätzliche Teilnehmer und einen Messe-Infostand des österreichischen Bundeslandes Kärnten, in welchem das Drautal liegt. Dort, am Wörthersee, gibt es einen bekannten und hochgelobten Halbmarathon. Schade, dass man den nicht auch in doppelter Distanz anbietet. Hier in Lohfelden ist nach vielen Anfeuerungen das erste Mal die Hölle los. Die Sportbegeisterung des Volksvertreters hat augenscheinlich auf die Bürger abgefärbt.

Nach 2,5 km verlassen wir die Gemeinde wieder und sehen in Forstfeld einen kleinen Maibaum mit mehreren Blechhasen obendrauf. Außerdem einen markanten Kirchturm. Beim Kassel-Marathon werden auch die Deutschen Ökumenischen Kirchenmeisterschaften ausgetragen und man weist in der informativen Veranstaltungsbroschüre auf 50 Kirchen und kirchliche Einrichtungen hin, die wir an der Strecke sehen werden. Also mir sind da bis jetzt nicht so viele aufgefallen. Oder muss man die Seniorenwohnheime mitzählen? Unter den weiteren Wertungen ist noch der Polizei-Cup zu erwähnen. Der PSV Grün-Weiß Kassel nimmt seit Jahren immer wieder Migranten aus Afrika auf, die sich oft zu schnellen „Aushängeschildern“ für den Verein entwickeln. Mit dem Laufsport konnten viele Zuwanderer die Zeit des Wartens auf Anerkennung als Flüchtlinge überbrücken.

Hinter dem ersten Staffelwechselpunkt geht es nach Bettenhausen und in Industriegebiete. An der Waldemar-Petersen-Straße eine super Musikkapelle, unter die ich mich kurzzeitig mische. Man möchte ja auch schöne Bilder vom Geschehen am Streckenrand liefern. Einige Staffeln mit VW-Azubis habe ich schon gesehen, nun geht es an den Werkshallen von VW vorbei. Wer nicht so früh wie wir ins Bett geht, wird in Kassel zwangsläufig mit Joe's Garage in Kontakt kommen. Der Chef Dirk van der Werf tauscht diesmal sein Mikrofon mit der Laufkleidung und ist beim Halbmarathon dabei. Und seine Belegschaft läuft die Staffel und wird nun von uns grüßend überholt. Ein imposantes altes Fabrikgebäude aus rotem Backstein, das sicher noch renoviert werden wird, ist zu umrunden. In gleicher Optik eine Bürgerschule von 1905, die noch in Betrieb ist. Und mitten in dieser sonntäglichen Industrieruhe immer wieder viele Zuschauer. Unglaublich, die wissen, wo sie gebraucht werden.

Wie bringt man Zuschauer vor ihren Häusern zum Lachen? Einfach mal rufen „Schön habt ihr es hier“ - funktioniert immer, noch größerer Applaus ist euch gewiss. Und dann ist da noch das Plakat „Tag der offenen Tür auf dem Hauptfriedhof“ - und das an einer Marathonstrecke, köstlich. Wer die nächsten Meter noch schafft, bekommt wieder irdische Wünsche erfüllt: Die Verpflegungsstellen sind gut bestückt mit Wasser und Iso-Getränk sowie Bananen und Müsliriegeln. Alles von gutgelaunten Helfern angereicht. Manchmal laufen sie einige Schritte mit, damit man bei der Übergabe des Bechers nicht so abbremsen muss. Toilettenhäuschen sind auch vorhanden. Die Wasserstellen für die Schwämme bieten auch Kasseler Wasser an. Die nächste Musikkapelle befindet sich vor einem IBM-Gebäude. Der bekannte Backsteinbau beendet unseren Ausflug in die Industriewelt.

Durch Unterneustadt geht es jetzt und dann wieder über die Fulda. Schön war unser Spaziergang am Samstagabend vom zentralen Kaiserplatz zur Martinskirche, am Markt vorbei zum Renthof. Von dort gelangt man über eine Fußgängerbrücke nach Unterneustadt mit attraktiven Neubauten direkt am Fluss. Über die Drahtbrücke zur Orangerie, dann an der documenta-Halle vorbei zum Fridericianum. Das 1779 vollendete Gebäude war eines der ersten öffentlichen Museen Europas. Direkt davor befinden sich zwei Eichen, Teil des 1982 zur 7. documenta begonnenen und 1987 vollendeten Großprojekts von Joseph Beuys mit dem Titel „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“.

Links sieht man beim Marathon nun die Türme der erwähnten Martinskirche – also doch wieder ein Gotteshaus gesehen. Der Fanfarenzug am Wegesrand holt gerade Luft. Durch den Stadtteil Wesertor geht es Richtung Wolfsanger auf eine Begegnungsstrecke, die sich von km 20 bis km 24 hinzieht. Die ersten leichten Wellen im Streckenverlauf machen sich bemerkbar. Extra viel Stimmung herrscht im Bereich der zweiten Staffelwechselstelle. Anzumerken ist, dass Staffelläufer auf eigene Wechselstellen ausgeleitet werden. Da kommt kein Gedränge auf.

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Informationen: Kassel Marathon
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