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Laufberichte

Im Land der Viertausender

 

Rolands Augen leuchten, als ich ihm von unserem bevorstehenden Start beim Jungfrau-Marathon erzähle. Der Schweizer hat auch schon einmal an diesem Lauf teilgenommen und schwärmt noch heute von dem beeindruckenden Naturerlebnis. Nicht umsonst führt die - meist früh ausgebuchte - Veranstaltung im Berner Oberland die Beliebtheitsskala der Bergmarathons an. Viele Lorbeeren hat sie schon eingeheimst, unter anderem auch beim Marathon4you-Voting. Damit steht sie für Judith und mich natürlich ganz oben auf der Wunschliste.

Die Teilnahmeunterlagen gibt es in einem Zelt auf der Höhematte, einer Wiese in der Nähe des Zentrums von Interlaken. Im Preis ist auch eine Portion Pasta enthalten, wahlweise am Vortag oder nach dem Lauf. Am Freitag finden die Kinderläufe und die Jungfrau-Meile mit Weltklasseathleten statt.

Vom Startbereich auf 565 m.ü.M. kann man in der Ferne die majestätische, schnee- und eisbedeckte Jungfrau sehen. Der Sprecher drängt um 8.30 Uhr zur Abgabe der Gepäcksäcke. Kurz darauf folgt die aktuelle Wettervorhersage für das 2000 m hoch gelegene Ziel: Es soll viel wärmer werden als gedacht. Also das langärmelige Zusatzhemd ausgezogen und umgebunden.

Alphornbläser stimmen uns musikalisch ein, bevor die Nationalhymne, der „Schweizerpsalm“, erklingt. Den Text gibt es in vier Sprachen. Ein lauter Böllerschuss und schon gehen über 4.000 Starterinnen und Starter beim 23. Jungfrau-Marathon auf die Strecke. Viele davon sind „Wiederholungstäter“, vier sogar schon zum 25. Mal dabei. Wie das sein kann? In den Jahren 2002 und 2012 wurden an einem Wochenende jeweils zwei Rennen durchgeführt, um noch mehr Läufern die Teilnahme zu ermöglichen.

Eine erste Runde durch Interlaken gibt uns die Gelegenheit, einige schöne Bauwerke zu betrachten und uns im Feld einzusortieren. Der Pacemaker für 5:30 überholt und hängt uns leider recht schnell ab. Spätestens als wir am Bahnhof Interlaken West vorbei kommen, hat alle die Begeisterung gepackt. Begleiter, Zuschauer und die Angestellten der vielen noblen Geschäfte am Streckenrand jubeln uns zu, als wir nach drei Kilometern das zweite Mal über die Startlinie laufen. Eine schöne Pappelallee führt zum Bahnhof Interlaken Ost. Damit haben wir die beiden örtlichen Intercity-Bahnhöfe gesehen. Nicht schlecht für eine Gemeinde mit 5500 Einwohnern.

Kurze Zeit später geht es ans Wasser: Der Brienzer See umschließt mit dem Thuner See den Touristen-Hotspot. Daher wohl auch der Name Interlaken („zwischen den Seen“), der seit 1891 für den früher Aarmühle genannten Ort verwendet wird. Verbunden sind die beiden Seen durch den Fluss Aare. Die schöne Altstadt liegt übrigens auf der nördlichen Seite und kommt ganz ohne Schweizer Uhrenmarken aus.

Ich genieße noch kurz den Blick auf den See und eine Gruppe Trychler. So heißen in Schweizerdeutsch die aus gehämmertem Metall hergestellten riesigen Kuhglocken.

„Hey, du bist doch der Andreas“ - eine Sportlerin aus Deutschland hat mich erkannt. Sie war wie wir kürzlich im Schwarzwald beim Hornisgrinde-Marathon. Kirsten hat sich damit einen ewigen Platz in meinem Läuferherzen erkämpft: Das erste Mal werde ich nicht auf Joe, Anton oder Birgit, oder einen anderen unserer Vielschreiber angesprochen. Ich strahle mit der Sonne um die Wette und überlege, wie ich mit Laufen und Schreiben meinen Lebensunterhalt bestreiten könnte...

Die wunderschönen Holzhäuser am Wegrand, typisch für die Region Berner Oberland, holen mich in die Realität zurück. Hoffentlich kommen die vielen Touristen aus Übersee auch hier vorbei. Blumenpracht ohne Ende und alle Einheimischen feuern uns an – das gibt’s ja auch nicht überall. Hier bringen viele Zuschauer auch gegossene Kuhglocken zum Einsatz. Diese Variante kannte ich bisher noch nicht.

Am Fluss Lütschine entlang geht es Richtung Wilderswil. Bis zum Jahr 2003 befand sich hier ein Flugplatz der Schweizer Luftwaffe. Rechts ein Düsenjägerdenkmal, vor einem Schuppen ein Stapel Bomben. Ein Mitläufer erklärt mir, dass hier nur kleine Kampfflugzeuge stationiert waren. Die seien jetzt ins nahe Meiringen „umgezogen“. Immer wieder sieht man in der Schweiz auch Eingänge zu Bunkern, die jedem Bürger im Notfall einen sicheren Platz garantieren sollen.

In Wilderswil werden wir mit großem Tamtam begrüßt. Über die mittelalterliche Brücke und vorbei an der Kirche Gsteig aus dem 12. Jahrhundert geht es auf die andere Bachseite und dann merklich einige Meter bergauf. Die ersten 10 km auf flachem Kurs liegen hinter uns.

In Gsteigwiler noch eine Stimmungshochburg mit einer Örgeler (Akkordeon)-Gruppe, bevor wir auf einem schönen Wanderweg entlang der Lütschine weiter laufen. Vor uns ein Pärchen aus Sri Lanka. Wenigstens kommen mir die Trikots mit dem Löwen so vor. Judith macht mich darauf aufmerksam, dass es sich wohl eher um einen Drachen, das Wappentier von Wales, handelt. Die Startnummer zeigt denn auch die Nationalflagge von Großbritannien. Mit den beiden werden wir uns auf den nächsten 20 Kilometern noch oft bei der Führungsarbeit in unserem Grüppchen abwechseln. Auch Kirsten hält sich in unserer Nähe.

Auf einem kurzen Singletrail mit geringer Wartezeit erreichen wir den Knoten Zweilütschinen. Hier treffen sich die Täler aus Grindelwald und Lauterbrunnen und die entsprechenden Linien der Berner Oberland-Bahn. Dass die Schweiz ein großartiges Bahnland ist, liest man immer wieder. Unsere Anfahrt über den Oberalppass und den Furkapass verlief entlang der Strecke des berühmten Glacier-Express. Leider waren wir aus Zeitgründen mit dem Auto unterwegs. Dass ich aber heute einen wunderschönen Bergmarathon mit „Bahnkontakt“ laufen werde, ist für mich als Eisenbahnfan natürlich ein besonderes Highlight. Begleiter der Teilnehmer können für 58 Franken eine Marathon-Tageskarte der Jungfraubahnen erwerben. Folglich winkt man uns aus den vorbeifahrenden Waggons begeistert zu. Gut, dass sich die Fenster öffnen lassen! Und auch die Guggenmusiker-Gruppen nutzen die Transportmöglichkeiten und tauchen an sechs Stellen auf.

Die Gemeinde Lauterbrunnen kündigt sich mit einem riesigen Parkhaus am Bahnhof an. In der Dorfstraße feiern die Fans uns vor den vielen Lokalen. Stark riechender Käse wird gerade für ein Fondue geschmolzen. Da heißt es Gas geben. Obwohl, probieren würde ich das auch gerne mal.

Wir laufen weiter in das Tal der Weißen Lutschine. Rechts der 297 Meter tiefe Staubachfall, der J.W. Goethe 1779 zu seinem „Gesang der Geister über den Wassern“ mit folgenden Versen inspirierte:

„Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es
um Himmel steigt es
Und wieder nieder
Zur Erde muss es
Ewig wechselnd.“

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