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Laufberichte

Den Joker gezogen

22.02.14 Joker Trail
 

Nun laufen wir wie Fremdkörper in der Fußgängerzone, mitten in samstäglicher Geschäftigkeit. Schon von Weitem wird uns zugewunken. An der Bäckerei Bernauer wartet nämlich bei km 20 die VP. Auf einer Bierbank vor dem Laden ist für die Läufer eine Auswahl feinster Backwaren appetitlich aufgebaut. Ich bin sowas von  platt. Zum einen von der Anstrengung, zum anderen vom reichhaltigen Angebot an Essen und Trinken, dass ich gar nicht weiß, was ich nehmen soll. Sogar kleine Beutelchen mit Naschsachen für unterwegs liegen für uns bereit.

Ich war auf Selbstversorgung eingestellt und habe deshalb alles im Rucksack, was ich für die Strecke brauchen würde. Umso verwirrter bin ich nun. Ich greife schnell nach einer Laugenstange und einem Becher Tee und mach mich gleich wieder auf den Weg. Norbert lässt sich länger Zeit und erzählt mir später von den leckeren süßen Stückchen. Derweil bin ich schon auf dem Weg nach oben. Von der Straße biegen wir auf einen versteckten Singletrail, der direkt in den Wald führt. Wir erreichen einen Zaun. Hier hatte uns Michael eindringlich gebeten, nicht drüber zu klettern. Ein paar Meter weiter ist das Tor. Wir verhalten uns vorschriftsmäßig.

Nun folgt ein Stück querfeldein, bei dem wir beide den Track auf der Uhr ständig im Auge behalten. Im Wald ist der Satellitenempfang oft nicht so optimal. Mit zwei Uhren ist es einfacher, den Weg zu finden, man kann immer gegenseitig die Infos abgleichen. Überrraschenderweise genieße ich die Unabhängigkeit von Streckenmarkierungen und Kilometerangaben. Die Singletrails sind einmalig schön, die Querfeldeinpassagen abenteuerlich, das Wetter passt sowieso und durch das mitgenommene Essen habe ich keine Angst vor einem plötzlichen Hungerast.

Trotzdem bekomme ich Angst, dass wir die Cut-off Zeit von 13 Uhr 30 bei km 28 nicht schaffen könnten. Durch mein geringes Tempo beim Bergablaufen verlieren wir viel Zeit und auch die ständige Kursbestimmung geht nicht so schnell. Außerdem beobachte ich ein seltsames Phänomen, das ich eigentlich nur vom Hochgebirge kenne: Man läuft und läuft, die Zeit vergeht, aber die Kilometer werden kaum mehr, weil die anstrengenden Höhenmeter nicht berücksichtigt werden. Ganz schön frustrierend.

Irgendwann erreichen wir die Straße. Hier müssen wir ein kurzes Stück entlang, dann sehen wir schon die VP am „langen Kirschbaum“. Bange frage ich nach dem Cut-off. Unsere Mitstreiter beruhigen mich sofort. Der Cut-off ist gestrichen - es dürfen alle weiter.

Ich atme auf. Erst mal Pause. Wir lassen uns Zeit und probieren uns durch die Leckereien. Die Reste der vorherigen VP sind nun hier. Gemütlich lassen wir es uns gut gehen. Da kommen die beiden Führenden gerade vorbei. Stefan Helbig und Michael Arend sind uns 16 km voraus. Schnell laufen sie weiter Richtung Ziel. Auch Jens Meyer ist schon da. Er gönnt sich ebenfalls nur eine kleine Pause, bevor er den beiden Ersten folgt. Nun machen sich Norbert und ich auch wieder auf den Weg.

Es geht hinunter nach Wilhelmsfeld. Wir durchqueren den Ort. Hinten müssen wir zuerst auf der Straße, dann über eine steile Weide bergauf. Wieder auf dem Weg kommen uns die Gruppe um Michael Frenz entgegen. Scheinbar checkt er in umgekehrter Richtung die Strecke. Wir begrüßen uns herzlich und laufen dann beschwingt weiter.

Der Track auf der Uhr zeigt nach links vom Weg weg. Wir biegen in den Wald. Bei der nächsten Uhrenkontrolle sind wir plötzlich falsch und die Geräte sind sich nicht einig, wohin es gehen soll. Nach einigem kreuz und quer haben wir aber doch den richtigen Pfad gefunden. Es geht nun längere Zeit bergab.

In Altenbach müssen wir wieder steil nach oben. Pfadlos kämpfen wir uns durch lichten Wald. Jetzt fängt es leicht zu regnen an. Doch der Weg ist nett, bergab, dann wellig weiter, und so stört das Nass von oben kaum. Oje, wir sind schon wieder falsch, laufen zurück und nehmen den Abzweig rechts. Scheinbar werden wir mittlerweile unkonzentriert.

Niedliche Urrindviecher mit ihrem wuscheligen Haaren schauen uns neugierig hinterher. Wir müssen eine steile Böschung hinunter und dann an einem Bächlein auf matschigem Weg entlang. Eine kleine wackelige Holzbrücke bringt uns über den Bach, dann geht es steil hinauf. Ist das ein Weg? Baumstämme, Äste und Zweige liegen verstreut umher. Wir kreuzen mehrmals Wege, die parallel zum Hang verlaufen. Hier bin ich am Ende meiner Kraft. Mechanisch hebe ich die Füße und steige automatisch nach oben. Noch ein letzter großer Schritt und wir befinden uns auf einem ebenen Waldweg. Zuerst kann ich meine Beine nicht mehr zum Laufen bewegen. Irgendwann geht es dann doch. Der Weg verläuft ungewohnt flach. Trotzdem falle ich immer wieder ins Gehen, so kaputt bin ich mittlerweile.

Wir sind falsch! Das Unfassbare ist geschehen. Wir müssen in der Nähe der VP sein, nur liegt sie 500 m rechts von unserem Weg. Rechts geht es aber bestimmt 50 Höhenmeter steil bergauf. Bei falschem Weg lautet die Grundregel beim Laufen mit dem GPS-Track: zurück bis zum Abzweig, nie versuchen abzukürzen. Mir ist in letzter Zeit aber kein Abzweig aufgefallen. Ich kann unmöglich wieder mehrere Kilometer zurück. Wir überlegen, dass unser Weg ja irgendwann auf die Straße führen muss. Und die VP am „langen Kirschbaum“ liegt ja auch an dieser Straße. Wir kommen da also auf jeden Fall irgendwie hin. Also beschließen wir, weiter zu laufen.

Leider biegt der Weg immer weiter nach links und unsere VP liegt ja, wie gesagt, rechts. Wir treffen auf einen Waldarbeiter. Der meint, dass wir von hier nicht zum „langen Kirschbaum“ gelangen würden. Wir müssen auf jeden Fall rechts hoch. Also los. Beim Aufstieg bemerken wir, dass es doch nicht so steil und unwegsam ist. Wir überprüfen immer wieder den Track und korrigieren die Richtung. Da ist der Weg. Nach ein paar Schritten stehen wir direkt auf dem Parkplatz, vor uns der Unterstand unserer VP. Die Helferinnen sind froh, uns zu sehen. Und wir erst! Nun können sie auch die Letzten auf der Liste abhaken und langsam einpacken.

Wir machen nochmal ausgiebig Pause und stärken uns. Um kurz vor 17 Uhr packen wir den letzten Teil unseres Abenteuers unter die Füße. Obwohl wir nochmal kurz falsch laufen, erreichen wir erstaunlich schnell den „Weißen Stein“. Bei einsetzender Dunkelheit und nun stärkerem Regen fehlen uns noch 6,6 km bis ins Ziel. Ein schmaler Trail zieht sich nach unten. Zwischendurch überqueren wir die Straße. Ein Mountainbiker kommt von hinten. Ich mach kurz die Augen zu, da kann ich gar nicht hinsehen. Mir fällt das Laufen auf dem schmalen, steinigen Weg schon schwer, und der fährt hier mit dem Fahrrad!

Einmal will uns der Track wieder auf die falsche Fährte locken, doch ein Rennradler hilft uns. Die Glocken der Stadtkirche läuten. Ich hatte schon befürchtet, dass es nicht bis zum Zielschluss um 18 Uhr reichen wird - schade. Egal, Hauptsache wir haben es geschafft. Das Ziel liegt in der Gaststube des Hotels Goldener Hirsch. Hier ist es gemütlich voll. Als wir durch die Tür komme,  gibt es sogar Zielapplaus und Gratulationen. Ich will ablehnen, wir sind ja zu spät. Da zeigt uns Michael seine Uhr. Es ist 17 Uhr 57. Wir haben es doch rechtzeitig geschafft!

Es gibt noch reichlich Kaffee und Kuchen, heißes Wasser zum Duschen und eine, dem Event angepasste, riesige Urkunde.

Glückwunsch zu dieser gelungen Veranstaltung. Michael Frenz hat hier genau meinen Geschmack getroffen. Natürlich wäre das bei Schnee ganz anders ausgegangen. Aber so hatte ich die Möglichkeit, mal ein ganz anderes Laufen auszuprobieren - und mir hat es sehr gefallen.

Fazit:

Das Laufen mit den Meldeläufern ist eine Herausforderung, die gute körperliche Verfassung voraussetzt. Ein GPS-Gerät ist notwendig und etwas Übung im Umgang kann nicht schaden. Die Kilometer- und Höhenmeter-Angaben dienen nur als Anhaltspunkte. Laut unserer Aufzeichnungen war der Jokertrail mit 2246 Hm 52,61 km lang.

Bei diesen Läufen gibt es keinen Besenwagen, man ist für sich selbst verantwortlich. Vom Weg abkommen ist normal, das gehört dazu (hat mir jeder versichert, den ich gesprochen habe). Trotz Haftungsausschluss nimmt Michael seine Verantwortung sehr ernst. In der Ausschreibung sind alle relevanten Punkte angesprochen und müssen vom Läufer, gerade was die Ausrüstung angeht, ernst genommen werden. Es gilt, persönliche Grenzen auszuloten und wenn möglich zu überwinden.

 

Einen weiteren Laufbericht mit vielen Bildern
gibt es hier auf Trailrunning.de

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Informationen: Joker Trail
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