Volker Lechtenbrink sagte: „Hier fährt man nicht einfach nur durch – hierhin muss man schon kommen wollen.“ So weit ab vom Schuss liegt Husum. Wir wollen dort hin und nehmen die 655 km Anreise auf uns, denn damit haben wir nach Nordrhein-Westfalen nun auch Schleswig-Holstein gelaufen, Kapitel 2 von 16 sozusagen. Denn einen Marathon in jedem Bundesland zu laufen, das haben wir uns für dieses Jahr vorgenommen. Husum ist für uns mit der weitesten Anreise verbunden.
Um uns die Zeit bei der Anreise etwas zu verkürzen, legen wir uns ein Hörbuch in den CD-Player und hören von Theodor Storm „Der Schimmelreiter“. So haben wir immerhin schon mal über 4 Stunden Hörgenuss zur Einstimmung auf das Schimmelreiterland. Unser vorgebuchtes Hotel liegt an der Arlauschleuse hinter dem Deich und führt zufällig direkt am Schimmelreiterkrug, in welchem in den 1930er Jahren der Spielfilm vom Schimmelreiter gedreht wurde, vorbei. Das Hotel liegt knapp 10 km außerhalb von Husum und abends im Hotelbett unter dem Reetdach hört man nur die Wildgänse ohne Unterlass schnattern.
„Graue Stadt am Meer“, so schrieb Theodor-Storm über Husum und so ist es auch an dem Tag vor dem Marathon. Also besichtigen wir die Innenstadt und die Museen. Die nette Dame an der Kasse des Schifffahrtsmuseums will gleich wissen, von wo wir kommen. „Ja, habt ihr in Hessen den nicht gerade Fasching?“, fragt sie ganz erstaunt. „Ja, genau deshalb sind wir ja hier“, ist unsere ehrliche Antwort.
Auch an diesem Abend schnattern uns die Gänse in den Schlaf.
Am nächsten Morgen ist es kalt und es pfeift eine steife Brise von Norden. Immerhin vertreibt der heftige Wind den Nebel und die Wolken. Die Startnummernausgabe erfolgt ab 10.00 Uhr, Start ist um 12.00. Begrüßt wird man mit „Moin, Moin“, dem für uns ungewohnten Ganztagesgruß. Die Startnummernausgabe ist in der Grundschule direkt am Sportplatz von Husum untergebracht, von wo aus auch gestartet wird.
Mit nicht mehr als 150 Läufern ist das Teilnehmerfeld sehr übersichtlich. Wir haben nicht erwartet, ein bekanntes Gesicht zu treffen. Umso größer die Freude, als uns Horst Preisler entgegenkommt. Das letzte Mal trafen wir Horst in Kevelar - da lief er gerade seinen 1714 Marathon; heute ist es schon sein 1720! Für diejenigen, die Horst nicht kennen sei gesagt, Horst startet in der Altersklasse M 75 und ist hält den Weltrekord in der Anzahl der gelaufenen Marathons.
Hier ist alles sehr gemütlich, man kennt sich und so stehen wir mit einigen alten „Haudegen“ auf dem Sportplatz in der Sonne und bekommen Geschichten aus früheren Zeiten erzählt. So lernen wir Rose kennen. Rose war in den 60er Jahren Etappensieger bei der Tour de France. Er sagt heute noch, wie hart das Training war, jeden Tag 200 bis 300 km. Wir können das sehr gut nachempfinden. Denn etliche hundert Kilometern haben auch wir in den Beinen für unser Training zum Ironman. Auch oder gerade deshalb wollen wir in diesem Jahr einfach nur mal laufen. Rose hat einen Platz in seiner Altersklasse mit einer Zeit von 4:05 Uhr gewonnen und damit auch noch 5 Min. vor uns gefinisht.
Ein anderer erzählt uns von Zeiten, als auf diesem Sportplatz noch gezeltet wurde und Mehrkämpfe stattfanden. So schwamm man an einem Tag im Schwimmbad, am nächsten Tag gab es das Rad-Zeitfahren und am letzten Tag wurde noch ein Marathon gelaufen. Bei dem Erzählen dieser vergangenen Erlebnisse strahlen Horst’s Augen.
Gleich beginnt der Start. Der Sprecher freut sich über den Sonnenschein sagt uns aber für die erste Hälfte der Strecke Gegenwind voraus, welchen wir ja nach der Wende dann im Rücken hätten. Genau so war es dann auch.
Der Marathon wird von dem LAV zum 39. Mal veranstaltet. Der Kurs ist eine Pendelstrecke, bei der Halbmarathonmarke wird gewendet und zurückgelaufen. Wir haben gute Nordseeluft erwartet, leider führt die Strecke aber fast ausschließlich auf Radwegen direkt neben der Autostraße entlang. Eher selten schnuppert man typische Landluft.
Die ersten 15 km laufen wir in einer kleinen Gruppe, denn jeder sucht den Windschatten des anderen. Wir reden nicht viel; geht auch nicht. Durch den Gegenwind ist alles so laut, dass wir den anderen kaum versteht. Etwa bei km 18 kommen uns die ersten Läufer schon entgegen und man hat mal kurzzeitig was zum Gucken. Kay, stets auf der Suche nach lohnenden Fotomotiven, fühlt sich etwas unterfordert, nutzt jede Chance und knipst so mit vollem Körpereinsatz auf dem Boden liegend, einen Haufen Pferdeäpfel.
Die Strecke zieht sich, wir hängen den Gedanken nach. Ich bin glücklich wieder zu laufen, denn vor 6 Wochen wurde ich wegen Herzrhythmusstörungen am Herzen operiert. Leider konnte die OP mich nicht vollständig von den Störungen befreien, aber ich bin dennoch glücklich, dass es trotz dieser Strapazen und trotz mangelnden Trainings so gut läuft. Also, was sind da schon die paar orthopädischen Probleme wie Rücken-, Knie- oder Achillessehnenschmerzen und ein paar blaue Zehennägel.
Jeder Kilometer wird runter gezählt, wir freuen uns über jeden netten Polizisten, der uns sozusagen über die Straße geleitet und alle 5 km auf jeden Verpflegungsstand. Was für eine Strecke. Horst erzählt uns später, er wäre sie schon 30mal gelaufen. Na, ja ….
Dafür werden wir im Ziel richtig verwöhnt. Die Duschen sind warme und sehr geräumig, das Wasser heiß und der Vereins-Chef bei der Siegerehrung unglaublich witzig.
Zuvor gibt es für alle Teilnehmer Labskaus. Das ist ein Brei aus Rindfleisch, Kartoffeln und Rote Beete, garniert mit Spiegelei, Gurke, Rollmops und rohem Fisch. Macht satt und ist bestimmt gesund. Wer’s trotzdem nicht mag, bekommt eine Lasagne.
Zufrieden und gut genährt beobachten wir die Siegerehrung. Sehr beeindruckend sind die Herren 70+, alle noch immer durchtrainiert und gutaussehend. Völlig überraschend belege ich den 2. Platz in meiner AK.
Am nächsten Morgen, die Muskulatur macht sich bemerkbar, fahren wir nach einem gemütlichen Frühstück über Sankt Peter-Ording bei strahlendem Sonnenschein nach Hause. Denn am Montag heißt es wieder Geld verdienen für die nächste Reise zu einem neuen Marathon in einem anderen Bundesland.