Hier in Heilbronn habe ich anno 2008 meinen ersten Marathon gefinisht: In der sagenhaften Zeit von 4:37:01 kam ich strahlend und stolz ins Ziel. Erst im Nachhinein habe ich dann erfahren, dass es sich wegen der Höhenmeter um eine gefürchtete Strecke handelt. Genau ein Jahr später tat es Norbert mir gleich, wenn auch in deutlich schnellerer Zeit.
Heute, mit einigen Marathon- und Ultrakilometern mehr in den Beinen, bin ich zurück, um die 4:30 zu packen. Seit damals wurde die Strecke jedoch entschärft: Der steile Anstieg vor Neipperg wird umgangen, so dass nur noch ein „großer“ Berg zu bewältigen ist.
Heilbronn liegt günstig an der A81. Das Frankenstadion befindet sich mitten in der Stadt direkt am Neckar. Ausreichend Parkplätze gibt es auf der nahen Theresienwiese. Selbstverständlich ist hier im Schwabenland alles bestens organisiert. Bereits vorab wurden Meldebestätigungen versandt, aus denen die Startnummer zu ersehen ist. Anhand derer erhält man unproblematisch seine Startunterlagen. Für die Vergesslichen hängen Starterlisten aus. Ein schönes, zweifarbiges Funktionsshirt ist im Startpreis inbegriffen.
Anlässlich des heutigen Muttertags wird für alle Frauen liebevoll ein Säckchen mit Salz gepackt. Außerdem spendiert die Volksbank die beliebten Laufsocken, und dass auch noch eine Flasche Heilbronner Trollinger Wein dazugehört, hat schon Tradition. Auch die Versorgung mit Toiletten ist vorbildlich: an jeder Ecke stehen Dixies und die sanitären Anlagen des Stadions sind ja auch noch da. Generalstabsmäßig ist die Gepäckaufbewahrung geplant und umgesetzt, was in einem Beiblatt auch noch im Detail erklärt wird. Wer lesen kann, ist hier eindeutig im Vorteil.
Der Start erfolgt um 8 Uhr 45 auf der Erwin-Fuchs-Brücke, ein paar Gehminuten entfernt. Hier herrscht eine einmalige Atmosphäre. Vorne, wo die schnellen Hirsche Aufstellung genommen haben, ist die Spannung förmlich zu greifen. Die „Trolli“ erfahrenen Läufer Richard Schumacher, Marco Diehl und Jordanis Theodosiadis, um nur einige zu nennen, stehen bereit. Was kann man von dem Kenianer Geoffrey K. Toroitich erwarten? Ein Afrikaner in den Weinbergen – so etwas gibt es nur beim Marathon.
Je weiter man nach hinten kommt, desto lockerer, fröhlicher, sogar übermütig wird die Stimmung. Finishershirts verschiedenster Veranstaltungen zeugen von geschlagenen Schlachten. Mannschaften präsentieren ihre Farben und zeigen ihre Zugehörigkeit. Siegfried schießt den Vogel ab: In zünftiger Lederhose und Karo-Hemd wartet er auf den Start. Die laute Musik und die aufpeitschende Ansprache des Moderators tun ihr übriges. Endlich wird herunter gezählt und der Startschuss ertönt. Mehr als 600 Marathonis machen sich auf den Weg. Zuschauern jubeln und heizen mit ihren Rasseln und Tröten zusätzlich die Stimmung an.
Es geht auf der Badstraße an einem Seitenkanal des Neckars entlang. Bald wird es ruhiger. In Gegenrichtung auf der anderen Uferseite kann ich bereits das Blaulicht des Führungsfahrzeugs erkennen. Wir laufen über die Brücke auf den 30 m hohen Götzenturm zu und dann scharf rechts nun ebenfalls zurück. Das Feld ist bereits so licht, dass man gut sein Tempo einstellen kann.
Eine größere Fangemeinde hat sich am Freibad Neckarhalde (km 2) versammelt. Mit ihrem lauten Jubel puschen sie die gerade in lockerem Trab gefallene Meute nochmals. Ab km 3 erreichen wir den Neckar. Es geht ein kurzes Stück auf die für den Straßenverkehr gesperrte B27 und dann gleich links auf die ebenfalls gesperrte Hofwiesenstraße. Anwohner stehen auf der Straße und klatschen, schreien oder machen sonst wie Lärm. An der ersten VP spielt eine Blaskapelle.
Wir verlassen die Stadt. Auf dem schmalen Weg geht es zwischen Feldern entlang. Bei km 7 erreichen wir Flein. Die Strecke des Trollinger Marathon führt durch das „who is who“ der Württembergischen Weinorte; urkundlich ist der Weinbau in Flein seit dem 13. Jahrhundert belegt. Einige heute noch gebräuchliche Lagenbezeichnungen lassen sich bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen. Auf 180 ha Rebfläche werden traditionell die Rebsorten Riesling, Schwarzriesling und Samtrot sowie in kleineren Mengen viele andere Rebsorten angebaut. Ausbau und Vermarktung übernimmt die Weingärtnergenossenschaft Flein-Talheim.
Die Fleiner begrüßen uns mit lautem Jubel. Die VP steht mitten auf der Hauptstraße – Citylauf-Feeling pur. Nun folgt die erste Steigung hinauf zum Kreisverkehr mit seiner markanten Stahlfigur. Auf einer schräg nach oben laufenden Fläche, die einen Weinberg symbolisiert, sind Fleiner Merkmale verewigt: ein Weingärtner mit „Käze“, der die Gemeinde als Weinort kennzeichnet, gefolgt von einem Esel als Hinweis auf die bekannteste Weinberglage Fleins, den Eselsberg. In einigem Abstand watschelt eine Gans dem Duo hinterher, so dass der Einfahrende sogleich weiß: Hier sind die „Gänsäcker“(so heißt das Wohngebiet hier oben).
Wir verlassen die Straße und biegen in den Weinberg ein. Es geht den "Kotzbuckel" hinauf. Er ist die einzige richtige Steigung des Laufs. Ich verlege mich aufs Gehen. Der Pacer für die 4:30 ist irgendwann an mir vorbei gekommen und nach vorne entschwunden. Er ist bewusst etwas schneller angegangen. So kann er sich an den Steigungen mehr Zeit lassen. Normalerweise wäre das genau mein Ding. Dass ich bisher nicht folgen kann, zeigt, dass heute bei mir nichts geht. Vielleicht kann ich ihn bergab nochmal erreichen. Jetzt geht es aber erst mal bergauf. Volker überholt mich und erzählt, dass dies sein erster Marathon ist. So locker wie der den Berg hinaufzieht, wird er das sicher schaffen. Auch anderen scheint der steile Anstieg nichts auszumachen.
Oben erwartet uns Wolfgang Meerwart, Flinataler-Alphornbläser aus Flein. Er ist beim Trollinger Marathon eine feste Größe und schon viele Läufer verdanken ihm eine unvergessliche Bergankunft. Den ganzen harten Anstieg hinauf begleiten uns die Klänge seines ungewöhnlichen Instruments.
Ein paar Meter weiter steht ein Moderator und beglückwünscht jeden Einzelnen zum gelungenen Aufstieg. Eine Abordnung der „Hexa Gugga“ aus Kirchheim trommelt noch den letzten Rest Kraft aus den Läufern. Dann kann man sich an der VP stärken. Ich brauche eigentlich noch nichts und laufe vorbei. Plötzlich stehe ich vor dem Weinprobierstand. Es geht bergab, aber der gelbe 4:30 Luftballon ist nicht zu sehen. Schlechte Karten für meine Zielzeit. Ob ich in 4:35 oder 5 Stunden ins Ziel komme, ist doch letztendlich egal. Also halte ich erst mal an und bediene mich beim Trollinger. Gleich kommt eine Helferin und verwickelt mich in ein Gespräch. Also verweile ich noch etwas länger.
Die Bergabstrecke nach Talheim nutze ich, um ein paar Plätze gutzumachen. Auch hier stehen Anwohner und feuern uns an. Zum ersten Mal werde ich auch mit Namen angesprochen. Versierte Marathonfans achten extra auf die Startnummern mit den aufgedruckten Läufernamen, um die Läufer persönlich zu motivieren. Und das klappt auch richtig gut. Es geht in einer Schleife durch den Ort und hinten wieder hinauf. Hier treffe ich auf Nicole Benning. Die versierte Ultrafrau hat heute Laufpause und wartet hier, um ihren Jochen anzufeuern.
Hinter km 12 kommt die nächste VP. Auf der ungeschützten Straße ist es ganz schön windig und ein paar Tropfen fallen vom Himmel. Wir überqueren, von Polizei geschützt, die B27 und finden uns bergab auf der Privatstraße des Zementwerks Märker am Neckarkanal wieder. Die Industrieanlage beeindruckt mich jedes Mal auf Neue. Als Kontrast liegt vor uns die Grafenburg von Lauffen die im 11. Jahrhundert auf einer Neckarinsel gebaut wurde. Sie dient heute als Lauffener Rathaus und ist die einzige Inselburg des Neckars. Ein Schlenker führt uns in die Stadt, an der VP und dem Wechselpunkt für die Staffelläufer vorbei zur Alten Neckarbrücke. Es regnet stärker, so dass die Schaulustigen sich unter ihre Schirme geflüchtet haben. Auf der Brücke lockt ein Weinstand. Ich bin im Weinprobiermodus und kann nicht vorbei, ohne eine Gläschen zu kosten.