Die Fläche aller 105 Naturparks in Deutschland entspricht 27 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands. Als Hannoveraner habe ich mit dem Harz, Steinhuder Meer oder der Lüneburger Heide einige der 14 Niedersächsischen Naturparks in unmittelbarer Nähe. Doch östlich von Braunschweig, zwischen Harz und Heide, übt seit alters her eine weitere Landschaft eine große Anziehungskraft aus. In jenem welligen Hügelland, welches die bewaldeten Höhenzüge von Lappwald, Dorm und Elm umfasst, liegt der sagenumwobene Naturpark Elm-Lappwald. Genau dort, in Norddeutschlands schönstem und größtem Buchenwald, dem Elm, findet bereits die 8. Auflage des Elm Super Trail (EST) statt.
Ihr kennt das sicherlich: der Weg in die Natur ist nicht weit. Selbst Großstädte bieten mit Parks und Gärten öffentliche Erholungsgebiete. Wer am Wochenende jedoch einen Landschafts-Ultra laufen möchte und neben Natur und Vielfalt auch ein welliges Profil zu schätzen weiß, kommt wie meiner einer nicht drum herum, eine kleine Anreise in Kauf zu nehmen. Nach knapp einer Stunde Autofahrt parke ich bereits auf dem Gelände einer mittelalterlichen Wasserburg, einst Herrensitz des Geschlechts der Edlen zu Warberg, steige aus, recke und strecke mich. Der EST verbindet Lauffreunde von nah und fern. Daran werde ich erinnert, als ich von vier netten Ostfriesen unvermittelt mit einem „Moin!“ begrüßt werde. Das ist ein Brett: Vier Stunden Fahrt von Leer nach Warberg, nur um kurze Zeit später einen Trail-Ultra zu laufen, wo es ständig bergauf und bergab geht, ganz zu schweigen von der abschließenden Rückfahrt. Do biste platt!
Die diesjährige Elmrunde wurde an Wettbewerben noch variantenreicher gestaltet: 10 km (Solo sowie Vierer-Staffel), 25 km, 52 km, 71 km (Solo sowie „Run & Bike“, d.h. zwei Athleten teilen sich ein Rad). Wer am Vortag anreist, kann gar kostenlos sein Zelt im Burgpark aufschlagen. Die Strecken des EST werden mit weißen Sprühkreide-Pfeilen auf den Wegen markiert. Dort, wo kein Pfeil ist, braucht nicht abgebogen zu werden. Eine weitere Neuerung ist zudem die überarbeitete Streckenführung. Bei meiner ersten Elmumrundung vor zwei Jahren bin ich noch durch teils geschichtsträchtige Ortschaften wie Kneitlingen und Schöppenstedt gelaufen. Nun wurde der Asphalt-Anteil derart stark reduziert, dass die Läufer nun zum allergrößten Teil auf Wald – und Feldwegen sowie etlichen Trailpassagen unterwegs sein werden. Einzig Erkerode, Evessen sowie Königslutter sind Teil meiner heutigen Ultra-Tour über 71 km.
Es ist ein sonniger Sonntagmorgen im Mai. Um kurz vor 8 stehen rund 40 Solo-Starter für den 71 km Lauf auf dem Zugang zur Burg, einer Brücke, unter der sich der mittlerweile trockengelegte Wassergraben befindet. Unterhalb der Burgmauer schickt uns der 1. Vorsitzende des Vereins „Friends for Life“, Michael Strohmann, gleich traditionell auf die lange Reise, nicht jedoch, ohne ein paar herzliche Worte an uns zu richten. „Genießt das schöne Wetter, das wir nur für Euch bestellt haben, und kehrt gesund und munter wieder zurück!“. Hoffentlich gesund, denke ich lachend. Munter ist was anderes. Oh, es wird schon losgelaufen! Na dann, auf geht’s!
Schnell verlassen wir die kleine Ortschaft Warberg über einen Weidenweg hinauf zum Elmrand, dann verschluckt uns der Buchenwald. Uns begrüßt kühle, aromatische Waldluft mit feinen Noten von Moos und Erde. Feldvögel zwitschern. Der Weg führt uns zwar schon bald wieder hinaus und einige Zeit am Rand des Waldes entlang, belohnt aber mit dem ersten Panorama an diesem frühen Morgen. Wir blicken auf liebliches, offenes Land mit Feldern, Wäldern und sanften Hügeln. Weit schweift der Blick bis hinüber nach Frellstedt und Wollsdorf. Dann wieder Wald. Wir folgen einem der vielen Wanderwege, bis wir nach sechs km den ersten VP im Bereich des Ausflugslokals „Zur Schunterquelle“ erreicht haben. Hier stehen Wasser, Eistee, Obst und Salzbrezel bereit. Wie schon vor zwei Jahren würde es auch heute sicherlich noch heißer werden. Vorsorglich kippe ich mir mehrere Becher Wasser in den Rachen und greife bei den Brezeln zu.
Es wird nun zunehmend welliger. Ich halte immer wieder an, um den stillen Moment zu genießen und Fotos zu machen. Dass ich dadurch schnell im hintersten Teilnehmerfeld lande, stört mich nicht im geringsten. Ich hatte mir zumindest vorgenommen, nach Möglichkeit ein paar Läufer vor oder hinter mir zu halten, um nicht ausschließlich reine Landschafts-Bilder zu haben.
Hinterm nächsten, abschüssigen Hügel taucht das Dörfchen Lelm auf. Der Feldweg wird nun breiter. Kurz vor einer Kreisstraße, welche von Lelm nach Langeleben führt, ist an der Waldgaststätte Heinrichsruh nach knapp 10 km bereits der zweite VP eingerichtet. Hier treffe ich auf Maike und Nicole, welche die 71 km zusammen laufen. Ich hab das Herz eines Gentleman und lasse beiden Mädels stets einen minimalen Vorsprung...so ist ein fröhliches Wiedersehen an allen nachfolgenden Versorgungspunkten garantiert.
Wir werden nach und nach von allen „Run & Bike“ - Teams überholt, welche eine Viertelstunde später gestartet sind. Bei dieser Disziplin wechseln sich zwei Athleten ständig im Laufen und Radfahren ab, müssen jedoch jeweils in Sichtweite zueinander bleiben. Marcus Bohndick und Oliver Stutzer werden auf der 71 km langen Strecke später in 05:27 den ersten Platz belegen.
Hinter Rapsfeldern schälen sich langsam die in der frühen Morgensonne aufblitzenden Turmspitzen des mächtigen Kaiserdoms empor. Aus der erhöhten Perspektive am Elmrand hat man einen schönen Blick auf die malerische Altstadt Königslutter. Schroff endet der Feldweg vor uns. Kniehohe, zertrampelte Weide verrät den weiteren Verlauf des Weges. Dieser führt erneut in den Wald, danach folgen wir einem abfallenden Trail bis hinunter nach Königslutter, wo auf dem Gelände des APZ (AWO Psychiatriezentrum) schon die nächste Verköstigung wartet. Ich habe keinen Hunger, esse aber trotzdem ein Stückchen Banane und spüle mit Wasser nach. Kann nicht schaden. Schnell mache ich mich wieder auf dem Weg, denn ich will wieder hinauf, zum Nordrand des Elm!
Es ist erst halb 10, aber die Sonne hat bereits Kraft. Und so tut es gut, alsbald wieder in die schattige Kühle des Waldes einzutauchen. Nach einer kurzen Passage auf einem Waldwirtschaftsweg folgen gelb blühende Felder und scheinbar endlose Baum-Alleen. Meine Blicke und Gedanken schweifen hierhin und dorthin. Nicht selten bleibe ich stehen, halte kurz inne, fotografiere, laufe dann weiter. Alles fühlt sich genauso an, als sei man immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Oberhalb von Bornum, einem Ortsteil von Königslutter, erreiche ich bald den nächsten Marschverpflegung-Stand. Hier werden sogar Schokoriegel geboten, ich bleibe jedoch eisern bei Wasser und Obst. Vor vier Jahren befand sich hier noch auf dem Klapperberge, direkt am Waldrand gelegen, die Gaststätte „Diana Ruh“ mit mehr als 100-jähriger Tradition. Diese war ein beliebtes Ausflugsziel für die Bornumer und Gästen von Gifhorn über Braunschweig bis Wolfsburg. Doch vielleicht gibt es ja Hoffnung: der in Bornum ansässige Geschichtsverein „Dä Born“ soll es sich im Vorjahr zur Aufgabe gemacht haben, in Zusammenarbeit mit der Jägerschaft die ehemalige Waldgaststätte vor dem Verfall zu bewahren. Ich werfe einen letzten, nachdenklichen Blick auf die gute alte Diana, setze dann meinen Weg fort, mitten hinein in den Buchenwald des Elm.
Blätter rauschen, Vögel zwitschern, Insekten summen. Wer genau hinhört, kann die heilsame Stille fühlen. Man muss kein Genussläufer sein, um meditativen Naturgenuss zu erleben. Ich wiederhole mich an dieser Stelle, wenn ich sage, dass der Weg in die Natur an sich nicht weit ist. Balsam für alle, die zuhause die städtische Geräuschkulisse gar nicht mehr wahrnehmen und erst hier Ruhe und Stille erfahren.
Auf einem Parkplatz nahe den Reitlingswiesen wartet das nächste Picknick im Freien. Zur Abwechslung trinke Ich nen Eistee. Hier treffe ich auch wieder auf Maike und Nicole. Ein weiterer Läufer, René mit der 16, nimmt mich misstrauisch unter die Lupe, kommentiert dann trocken: „Du schwitzt gar nicht. Nach dem Lauf ziehst Du bestimmt Dein Shirt aus, faltest es zusammen und legst es in den Schrank zurück, was?“. Herzliches Gelächter!
Ich nähere mich dem wunderschönen Reitlingstal von nordöstlicher Richtung. Das Tal selbst beginnt am Ortsende der westlich vom Elm gelegenen Ortschaft Erkerode und endet am Gehöft Reitling in einem idyllischen Talkessel. Auf den Hängen der umgebenden Berge befinden sich Pferdekoppeln und Rapsfelder, soweit das Auge reicht. Hinter einigen Rapshügeln brummt gemächlich ein Traktor vor sich hin. Hier riecht es nach Sommer und Ferien! Wieder nimmt mich ein unscheinbarer Weidepfad auf. Ich folge diesem und erreiche schon nach einiger Zeit Erkerode.
Von hier aus hier aus geht es auf einem asphaltierten Feldweg hinüber nach Evessen, einer Obstbausiedlung. Hier stehen in den Monaten April und Anfang Mai die Obstbäume in voller Blüte. Die Ortschaft ist durch die Südhanglage am Elm ein bekanntes Anbaugebiet für Obst. Ein Besuch wie im Auenland: Hier bauen die Halbhubers und Molks, die Deuses und Plättners. So zieren beispielsweise zwei mächtige Äpfel die Hofeinfahrt eines eben erwähnten Apfelerzeugers, an denen ich gerade vorbei schlurfe. In der Saison kann man hier Äpfel und Kirschen beinahe an jeder Ecke kaufen. Aber auch Quitten und Zwetschgen werden angebaut. Ich habe jetzt Lust auf nen Apfel, aber weit und breit ist kein Hobbit in Sicht. Vielleicht treffe ich ja welche auf den Braunschweiger Wochenmärkten? Irgendwann. Im Borrweg folgt die sechste Essensausgabe. Hier werde ich von netten Damen des Vereins „Friends for Life“ bewirtet. Die Hitze macht sich mittlerweile auch bei mir bemerkbar. Gierig greife ich nach Wasser und Obst. Der nordwestliche Teil des Elm erwartet mich nun, traumhaft anstrengende 39 km Naturlauf und hunderte weiterer Höhenmeter liegen noch vor mir. Die Veranstalter haben tatsächlich nicht zu viel versprochen: Der EST bietet Natur pur, im ständigen bergauf und bergab.
Der Elm wird zum überwiegenden Teil forstwirtschaftlich genutzt – woran in regelmäßigen Abständen Holzpolter auf beiden Seiten der Waldwirtschaftswege erinnern. Aber erklärtes Ziel einer jeden Landesforstverwaltung ist auch, dass der Anteil abwechslungsreicher Laub- und Mischwälder sowie alter Bäume und Baumgruppen, in denen viele seltene Tiere und Pflanzenarten leben, stetig vermehrt werden soll. Dieses Ziel ist auf großen Teilen im Elm bereits umgesetzt worden. Mehr als ein Drittel der Fläche ist im Übrigen als Waldschutzgebiet ausgewiesen.
Der schattige Wald entlässt mich abermals. Mir wird ein weitläufiges Panorama geboten, das mich staunen lässt. Ich erinnere mich: Vor zwei Jahren konnte ich von hier ganz klar den Brocken sehen, heute muss man schon ganz genau hinsehen, um die Silhouette des 1141m hohen Berges zu erahnen. Nicht weit entfernt von mir befindet sich auf dem Wanderparkplatz am Ampleber Berg der nächste VP. Unter einem breiten Sonnenschirm sitzen die Helferinnen am Stehausschank, eine bunte Wimpelkette leuchtet in der hellen Mittagssonne. Eine der Damen fotografiert mich, Ich kontere umgehend mit meiner Knipse. Nun stößt Jens mit der Startnummer 11 zu uns und muss sich erst einmal setzen. Es sei sein dritter EST, den letzten musste er wegen Krämpfen vorzeitig beenden. Diesmal will er durchziehen. Ihm wird ein Becher gereicht, er prostet mir kämpferisch zu. Ich winke allen zum Abschied, mich zieht es wieder in die Kühle des Waldes.
Auf schattigen, schmalen Waldwegen erreiche ich beizeiten die nächste Etappe: Parkplatz Tetzelstein. Hier ist ein weiterer Schnellimbiss aufgestellt. Der Tetzelstein müsste irgendwo hier mit einer Gesamtlänge von 1,36 m nur 88 cm aus dem Boden heraus ragen. Grausig seine Sage: „Auf dem Großen Rode am Wege nach Königslutter steht ein Stein… Oben ist ein Stern eingehauen. Unter diesem Stein soll ein Ablassprediger begraben sein. Dieser hatte sollen nach Königslutter reisen, ein Edelmann aber aus Küblingen, der zuvor Ablass auf eine erst vornehmen wollende Mordtat von ihm gekauft, hatte ihn daselbst erschossen und beraubt: So sagt man.“
Zunächst bin ich wieder auf breiten Forstwirtschaftswegen mit viel Holzpolter und Totholz zu beiden Seiten unterwegs. Unter strahlend blauem Himmel windet sich der Weg stetig hinauf und wieder hinunter. Ich erreiche den Rand des Waldes, genieße die Aussicht und laufe gemütlich hinüber zum „Watzumer Häuschen“, einem beliebten Ausflugslokal hier am Südrand des Elm. „Du hast es wohl nicht eilig, was? Der nächste VP wartet bereits, dann hast Du die 50 voll!“, werde ich begrüßt.
Bis nach Burg Warberg liegt nur noch eine Halbmarathondistanz vor mir. Die nächsten Etappen führen mich an den Versorgungsstationen von Groß Dahlum, der Schutzhütte Bödner Teich sowie Haukhütte vorbei. Immer wieder verläuft dieser letzte große Streckenabschnitt abwechselnd bergauf und tief in den Buchenwald hinein sowie bergab und hinaus an den Rand des Waldes. Dabei gibt es immer wieder was zu entdecken.
Tief im sagenumwobenen Elm stehe ich gerade vor dem „Goldenen Hirsch“, einem mächtigen Knollenquarzitbrocken. Einer Sage nach soll unter diesem Findling der Goldschatz eines Königs in Form eines Hirschen vergraben sein! Leider ist gerade kein Läufer weit und breit, um mir beim Hochheben behilflich zu sein. Schade.
Am Elmrand, entlang schmaler Trails, lasse ich wieder die Seele baumeln, genieße die kontrastreiche Farbpracht von Rapsfeldern, Weiden und strahlend blauem Himmel. Wieder auf schmalen Waldwegen unterwegs, lasse ich ein DRK-Quad vorbei fahren. Ob ich einer Frau mit gelocktem Haar begegnet sei, fragt man mich. Ich verneine, verweise lediglich auf die Mädels Maike und Nicole, welche ein gutes Stück vor mir unterwegs sind. Eine weitere Überraschung wartet dann hinter der nächsten Abbiegung: Die naturgetreue Nachbildung eines über vier Meter hohen Waldelefanten! Auf dem Parkplatz am Elmhaus und letztem VP erfahre ich dann, dass sich besagte Läuferin wohl ordentlich verfranzt haben soll aber nun wieder auf Kurs gebracht wurde.
Wenige km vor dem Zielbereich verlangen teils sehr matschige Trail-Passagen meine volle Aufmerksamkeit. Der letzte Kilometer zieht sich erfahrungsgemäß nochmals eine Ewigkeit in die Länge. Schließlich ist es soweit: der Wald entlässt mich, ich renne hinaus und über sattgrüne Weiden hinab Richtung Warberg! Auf dem Burginnenhof angekommen, werde ich mit lautstarkem Jubel gefeiert! Diese familiäre Stimmung, großartig! Ich bekomme noch die Siegerehrung der Frauen mit, halte verschiedene Impressionen fest und gönne mir abschließend ein kühles Bierchen. Nach und nach trudeln auch die letzten Läufer ein und werden mit Applaus ebenfalls lang und herzlich begrüßt.
Fazit
Neben der außerordentlichen Streckenvielfalt bietet der 25 km lange und wenige km breite Mittelgebirgszug entlang seiner Ränder in regelmäßigen Abständen immer neue erhebende Aussichten sowie malerische Waldlandschaften. Der sozial engagierte Verein „Friends for Life“ hat mit der mittlerweile 8. Auflage des sehr familiären sowie abenteuerlichen Elm Super Trail wieder jedes Läuferherz höher schlagen lassen. Zudem möchte ich an dieser Stelle sämtlichen Helferinnen und Helfern ausdrücklich meinen Dank aussprechen. Liebes FFL-Team, ich freue mich schon auf 2020!
Laufberichte | ||||||
21.05.17 | Vertraute Pfade verlassen |
Mario Bartkowski |