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Laufberichte

Fuß-Wallfahrt zum dicken Anton

17.12.11

Was war das für ein Winter, 2010 um diese Zeit: Tief „Petra“ hatte uns wochenlang mit Schnee, Glätte und Eisregen überzogen, trotzdem hatte ich mich noch über einige unangenehme Trainingsläufe durch Schneeverwehungen und über Eis gekämpft. Der Siebengebirgsmarathon mußte abgesagt werden und ich wollte schon gar nicht mehr an einen Jahresabschlußmarathon glauben. Den fand ich dann aber allen Unkenrufen zum Trotz in Euskirchen: Gerade von einem zweimonatigen Motivationsdefizit genesen, war ich schon auf dem Weg zur Teilnahme, als mich unterwegs ein Postauto mit einer eigenwilligen Auslegung der „Rechts-vor-links-Regel“ abschoß. Ergebnis: Auto im Eimer und Wolfgang sauer.

Und dieses Jahr? So groß ist das Angebot im Dezember ja nicht mehr. Untertage war ich schon, den Siebengebirgsmarathon um die Ecke habe ich schon viermal mitgemacht und an Heiligabend vormittags um den Bärenfels laufen – nee Leute, bei aller Liebe. Obwohl ich schon gerne mal bei den Fellers zuhause wäre, doch die haben zu anderen Zeitpunkten dankenswerterweise ja noch mehr im Angebot, das läuft also nicht weg. Aber da gibt es zu meinem Glück immer noch unseren Freund und m4y-Coach Andreas Butz. Der veranstaltet, eine Autostunde von mir entfernt, zwei bis drei Mal im Jahr einen Gruppenlauf. Entweder, wie heute, als Normalversion (43,55 km mit 878 HM) oder auch schon mal als XL-Variante (54 km mit rund 1.100 HM).

Vor seinem Haus in Euskirchen in der Zülpicher Börde am Nordrand der Eifel, rund 25 km von Bonn und 35 km von Köln entfernt, haben sich rund 20 Läufer (nicht eine einzige Frau! Elke meint hinterher in ihrer unnachahmlichen Art, daß die alle vor Weihnachten bestimmt Besseres zu tun gehabt hätten…) eingefunden, die sich auf einen schönen, zügigen, aber nicht zu schnellen Gruppenlauf in etwa 4:30 Std. netto freuen. Netto, weil zwischendurch schon mal ein kleines Päuschen eingelegt wird, damit dieser Mini-Ultra nicht zum Wettkampf „mißbraucht“ wird. Viele sind, wie ich, Wiederholungstäter, weil sie diese Form körperlicher Betätigung in attraktiver Umgebung ohne Leistungsdruck schätzen. Und so natürlich auch mehr Zeit und Luft als sonst zum Quatschen haben. Nicht umsonst bezeichnet Andreas sein Angebot ja als Quassel-Ultramarathon. Diesbezüglich habe ich mich unterwegs sicherheitshalber im Auto schon mal warmgequasselt und dem Jochen, der mich wieder mal begleitet, anderthalb Ohren abgekaut.

Da dies kein offizieller Lauf ist, muß jeder, wie bei Etappenläufen üblich, seine Verpflegung selber mitschleppen. Ein Trinkrucksack mit etwas Gel, Riegel und/oder Banane ist also angesagt. Obwohl der Butzemann ja auf dem Standpunkt steht, daß man für diese Entfernung nichts zu Beißen braucht. OK, soll er doch Kohldampf schieben, ich gehe auf Nummer sicher und han jet dabej. Startgeld fällt keines an, aber um 2-5 Euronen ins Schweinderl zugunsten der SOS-Kindersörfer und für den Erhalt der Decke Tönnes-Kapelle, zu der wir später noch kommen werden, wird gebeten. Da ist bestimmt keiner kleinlich.

Die ersten Kilometer führen bei allgemeinem Gequassel vornehmlich über Feldwege. Joe hat dankenswerterweise in den ersten beiden Stunden das Fotografieren übernommen und so kann ich zunächst schön gleichmäßig im Feld mitschwimmen. Das Orkantief „Joachim“, das uns gestern Starkregen und Böen bis zu 150 km/Std. beschert hatte, sorgte für weichen Untergrund, das wird heute eine schöne Schlammschlacht werden! Überaschenderweise haben wir teilweise sogar blauen Himmel mit etwas Sonne, während des gesamten Laufs sollte nicht ein Regentropfen fallen.

Schon bald ist das Kloster Maria Rast erreicht, in dem sich eine Bildungsstätte der Schönstätter Marienschwestern mit Zentrale in Vallendar bei Koblenz befindet. Die Mädels nehmen jetzt schon Anlauf, 2014 ihr 100Jähriges zu feiern. Schade, Einkehrtag war am Mittwoch, daher gibt es keine Rast und es geht direkt weiter.

Auch hier rennen wir mal wieder ein Stück über den Jakobsweg. Ist das jetzt wirklich die Originalstrecke oder nur wieder einer der vielen Zubringer? Manchmal mag man schon glauben, daß jeder auf der derzeitigen Jakobswegwelle mitschwimmen will. Die erste Zwischenstation, den Parkplatz Rothberg, erreichen wir bei Kilometer 8,7. An jeder dieser Etappenpunkte nach immer rund 8 km kann man, je nach Leistungsvermögen oder Willen, ein- oder aussteigen. Bald darauf durchlaufen wir Eschweiler, dessen Stadtlogo: „Eschweiler – Immer in Bewegung“ exakt auf uns gemünzt zu sein scheint. Heute wird auch nicht angehalten.

Das folgende angekündigte Radioteleskop („Astropeiler“) habe ich beim letzten Mal übersehen, deshalb passe ich heute bei ca. km 13 ganz besonders auf, erwische es aber leider trotzdem wieder nicht. Deutschlands ehemals größtes Radioteleskop hinterlässt, wenn man es denn sieht, auf den ersten Blick einen bleibenden Eindruck. Doch was den Schein von Zukunft trägt, birgt museale Technik in sich. Nachdem sich die Universität Bonn in den 1990er Jahren von dem ehemaligen Prestigeobjekt trennte und die Zukunft des Radioteleskops lange ungewiss war, ist der Astropeiler nach vier Jahren Bau-, Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten seit Mai 2010 wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Ebenso der gegenüberliegende eindrucksvolle Steinbruch. Andreas meint, hier wären die Karl May-Filme gedreht worden. Andreas, das glaubt vielleicht Deine Oma! Die zweite Teiletappe ist kurze Zeit später nach 16,5 km geschafft.

Parallel zu uns liegt, leider nicht einsehbar, das wunderschöne Bad Münstereifel, das mir von vorausgegangenen Ausflügen wohlvertraut ist. Die Stadt mit nahezu vollständig erhaltener restaurierter Stadtmauer von Anfang des 13. Jahrhunderts inkl. vier Stadttore gilt als mittelalterliches Kleinod und ist wirklich malerisch. Wenn nicht ein Problem bestünde: Der berühmteste Bürger ist – na? Richtig! „Schwarzbraun ist die Haselnuss, schwarzbraun bin auch ich, ja ich, schwarzbraun muss mein Mädel sein, gerade so wie ich. Holdrio, duwiduwidi, holdria. Holdria duwiduwidi.“ Würg! Heino eben…

Von diesen Gedanken kann ich mich auf einem längeren Bergabstück zum dritten Parkplatz bei km 20,3 erholen. Zunächst durch Eicherscheid gelaufen, erwarten uns im Bodenbachtal einige Teiche, an denen angeblich auch Sport, nämlich Angelsport, betrieben wird. Mir würde bei der Bewegungslosigkeit ja kalt, deshalb wollen wir auch direkt weiterziehen, aber wir werden jäh gestoppt. Eine Treibjagd ist eröffnet, uns wird der Originalweg verwehrt. Die aufgebaute vielversprechende Verpflegungsstation gehört leider den Schweinemeuchlern, uns bleiben nur sehnsüchtige Blicke. Andreas entpuppt sich leider als Weichei und Spielverderber und will den Kampf mit den Schweinen und gegen die Jäger nicht aufnehmen. Das wäre doch mal ein Hardcore-Ultra gewesen, so hakenschlagend durchs Unterholz! Aber nein, so müssen wir einen Parallelweg nehmen, kommen dafür aber mal von der anderen Seite an den Namensgeber des heutigen Marathons heran.

2 km vor dem auch geographischen Höhepunkt unserer heutigen Fußwallfahrt geht es durch den Wald stramm bergauf, der erste Schnee des Jahres erfreut unsere Augen und schon ist es geschafft, sie liegt vor uns: Die Kapelle des dicken Anton, im Eifler Platt der „Decke Tönnes“. 335 m beträgt der Höhenunterschied zwischen Start und Kapelle. Sie ist ein viel besuchter Wallfahrtsort an einer stark befahrenen Straße im Kreisdekanat Euskirchen, Erzbistum Köln. Verehrt wird der Eremit St. Antonius. Antonius wird heute als Schützer des Waldes und der Tiere geachtet.

Früher stand der Decke Tönnes im Freien. Um 1900 erhielt er ein Dach über den Kopf. Wind und Wetter hatten ihm in den vergangenen Jahrhunderten doch so zugesetzt, daß man diese überlebensgroße Statue (deshalb „Decke“ Tönnes) zu einem Restaurator geben mußte. Täglich halten viele Wanderer, Läufer und Autofahrer an seiner Kapelle inne. Wir auch.

Zum ihm werden viele unterhaltsame Geschichten und Sagen erzählt. Er war Helfer gegen Hautkrankheiten, wird oft als Schweinehirt dargestellt und dient heute als Schutzpatron des Waldes und der Autofahrer. Sicher freut sich im Himmel Antonius darüber, dass wir Ausdauersportler ihn auch als Patron der Waldläufer verehren und er 2005 Namensgeber für diesen Marathon geworden ist. Hier besteht für Etappenläufer die vierte Möglichkeit zum Ein- oder Ausstieg. Einer steigt aus, zwei zu. Gisela, Andreas Frau, beglückt uns vor Ort mit Wasser, warmem Tee und Bananen, eine unerwartete Wohltat nach mittlerweile 23 gelaufenen km. Die wirklich ausgiebige Quasselei führt bei mir dazu, daß die Zeit tatsächlich wie im Fluge vergeht. Nach einer gefühlten ersten halben Stunde habe ich das erste Mal auf die Uhr geschaut und war schier geplättet, daß bereits die dreifache Zeit verstrichen war.

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Informationen: Decke Tönnes
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