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Laufberichte

Von Marx bis Bruno Banani

06.06.09
Autor: Klaus Duwe

Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall ist nicht zusammen gewachsen, was zusammen gehört. Diese Feststellung kann man begründen, ohne politisch zu werden. Man muss sich nur einmal bei einem Marathon in den Neuen Bundesländern einschreiben. Als Wessi ist man dort fast ein Exote. Ok, ok, den Rennsteiglauf meine ich damit nicht. Der ist die Ausnahme, vielleicht auch noch Dresden. Aber sonst?

35 Marathon- und Ultraläufe in den Neuen Bundesländern sind in der m4y-Votingliste 2008 enthalten. Von über der Hälfte davon gibt es bereits Laufberichte. Der Rest soll nach und nach aufgearbeitet bzw. erlaufen werden. Anton wird bei der Premiere in Altenburg und in Potsdam am Start sein, ich habe mir dieses Wochenende Chemnitz vorgenommen.

Ich bin sicher, schon bei der Lokalisierung der Sächsischen Metropole werden viele ein Problem haben. Chemnitz liegt am Nordrand des Erzgebirges und ist mit fast 250.000 Einwohnern nach Leipzig und Dresden die drittgrößte Stadt im Freistaat. Von Berlin sind es 250 km, von Nürnberg 240.

Der Fluss Chemnitz gab 800 Jahre der Stadt ihren Namen, bis am 10. Mai 1953 DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl erkannte und verkündete, dass die Menschen „mit Liebe und Verehrung auf den Begründer der sozialistischen Lehre schauen“ und der Stadt den „verpflichtenden und stolzen Namen Karl-Marx-Stadt“ gab. In einer Volksabstimmung am 23. April 1990, also noch vor dem Beitritt zur Bundesrepublik, stimmten dann 76 % der Bürgerinnen und Bürger für den alten Namen.

Der Aufstieg von Chemnitz zur Industriemetropole begann schon 1798, als sich C.F. Bernhardt hier mit seiner Spinnerei niederließ, die bald weit über das Land hinaus Bedeutung hatte. Die Stadt entwickelte sich zu einer der wichtigsten Industriestädte Deutschlands und zu einer der reichsten. Insbesondere im Bereich Maschinen- und Fahrzeugbau entstanden Firmen von Weltruf, zum Beispiel Horch, Wanderer oder Audi. Um die Erfindungen der Chemnitzer Ingenieure zu schützen, kam es auf Zutun des damaligen Oberbürgermeisters Wilhelm André 1877 zum Deutschen Patentrecht.

Es ist erstaunlich, dass sich Chemnitz trotz aller politischer Veränderungen und wirtschaftlichem Strukturwandel nicht nur in den Neuen Bundesländern, sondern auch im bundesweiten Vergleich bis heute sehr gut behauptet und zu den wachstumsstärksten Städten zählt. Dazu trägt bei, dass Forschung und Entwicklung schon immer einen großen Stellenwert haben. So spielt man heute nicht nur in den traditionellen Industrien eine wichtige Rolle, sondern auch in der Mikrosystemtechnik, wo die TU Chemnitz ein eigenes Forschungszentrum unterhält.

Für die Innovationsfreude und den Unternehmungsgeist der Sachsen im Raum Chemnitz sprechen mehr als 7.000 Firmen, die in den letzten 15 Jahren entstanden sind. Nicht das größte, aber eines der bekanntesten davon ist das von dem Schwaben Wolfgang Jassner und dem Sachsen Klaus Jungnickel 1993 gegründete Unternehmen. Wo einmal der VEB Trikotex Grobgeripptes  für die Einheitspartei fertigte, wird heute unter dem schrillen Namen Bruno Banani hochwertige Unterwäsche und Bademode für Mann und Frau genäht. Und das erfolgreich. In Zeiten, wo der ehemalige Marktführer Schiesser am Stock geht, legen die Sachsen Jahr für Jahr eine Schippe drauf. Mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwirtschaften an die 75 Mio. Euro. Längst gibt es Uhren und Sonnenbrillen, Schuhe und Strümpfe,  Schmuck und Parfüm mit dem Bruno Banani-Label. Erfolgsgarant sind nicht nur die Design-, sondern auch die Marketingideen. Aktuelles Beispiel ist die Abwrackprämienaktion mit Angela Merkel & Co im Badedress.

Soviel Einführung zu einer Stadt, die hierzulande kaum einer kennt, muss sein. Jetzt aber zum Marathon.

Sechs Strecken sind im Angebot: Marathon, Halb- und Viertel-Marathon, Mini-Marathon (4,219 km) und Bambinilauf (0,421 km) - sowie ein Teammarathon im Angebot. Was es sonst nirgendwo gibt: sogar ein 6-Stunden-Lauf ist in die Veranstaltung integriert. 1000 Läuferinnen und Läufer haben sich bereits angemeldet, die Premierenvorgabe (1200) wackelt. Nachmeldungen sind bis zum Wettkampftag vor Ort möglich.

Die Startnummern gibt es in der Galerie Roter Turm (Neumarkt 2). Der Rote Turm ist nicht, wie man vermuten könnte, ein Überbleibsel aus DDR-Zeit, sondern aus dem Mittelalter und eines der Wahrzeichen von Chemnitz. Das bekannteste Wahrzeichen der Stadt ist nicht weit entfernt: Der „Nischel“, so nennen die Einheimischen den Karl-Marx-Kopf. „Proletarier aller Länder vereinigt Euch“ ist auf einer riesigen Tafel in französisch, englisch, russisch und deutsch zu lesen:

Zurück zum Roten Turm. Die Galerie neben dem historischen Gebäude ist ein modernes Einkaufszentrum, in dessen oberster Etage ein Kinocenter Besucher lockt. Der Bewirtungsbereich ist heute nur Läufern und deren Begleitern zugänglich. Freundliche junge Leute, meist Studenten der TU Chemnitz, die stark in die Organisation eingebunden ist, kümmern sich um die Formalitäten und das Catering. Und das ist vom Feinsten. Vom Buffet gibt es Nudeln mit verschiedenen Soßen und einen besonders köstlichen Nudelsalat, den kein Italiener besser macht. Getränke dazu holt man sich am Tresen. Alles ist im Startgeld enthalten. Keiner fragt nach einem Bon. Das  fängt ja gut an.

Das Mercure ist als Unterkunft auch in Chemnitz eine gute Entscheidung. Es liegt gleich gegenüber und ist mit seinen 26 Stockwerken das höchste Gebäude der Stadt und natürlich nicht zu übersehen.

Jetzt macht mir nur noch der Wetterbericht Sorgen. Ergiebiger Regen ist für Samstag vorhergesagt. Zunächst sieht es am Morgen nicht danach aus. Zeitweise scheint sogar die Sonne und die Temperaturen sind so, wie sie sich die Läuferinnen und Läufer wünschen.

Das Start- und Zielgelände ist am Neumarkt, wo Historie auf Moderne trifft. Zuerst fällt das Gläserne Kaufhaus auf, das der Architekt Helmut Jahn geplant hat, von dem unter anderem auch der Frankfurter Messeturm, das Sony Center und der BahnTower in Berlin stammen. In seiner Glasfassade spiegeln sich das Neue (1911) und Alte Rathaus (1496). Weitere Hingucker sind das Siegertsche Haus mit seiner Barockfassade und die Stadtkirche St. Jakobi aus dem 14. Jahrhundert.

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Informationen: Chemnitz-Marathon
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