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Laufberichte

Event der Superlative - natürlich mit Weltrekord

29.09.13

Bei einem so dicht bevölkerten Marathon wie hier und heute in Berlin hoffe ich auch einige Mitstreiter auf ihrem Weg durch die Stadt mit der Kamera begleiten zu können. Einer fällt mir gleich am Anfang auf, er trägt ein gelbes Shirt mit der Aufschrift „Costa Rica Marathon Team“ und wirkt ein wenig untrainiert. Vielleicht geht es ihm so wie mir und auch er hat dafür keine Zeit mehr, weil er jedes Wochenende irgendwo im Einsatz ist.

Nach 2 ½ km verläuft der Kurs entlang der Franklinstraße über die Spreebrücke in einer 180 Grad-Schleife nach Moabit, wo die erste Labestelle auftaucht. Wenn Hunderte, ja sogar Tausende einen Wasserbecher ergreifen wollen, plötzlich kurz stehenbleiben, kommt es wie auf einer Autobahn zu einem Stau. Einige drängen sich hinein, stoßen andere unsanft zur Seite, werfen halbvolle Becher  nicht auf die Seite, sondern lassen sie achtlos fallen. Das passiert bei vielen Marathons, nur muss man bei so vielen Tausenden Teilnehmern aufpassen, nicht am nassen Asphalt auszurutschen.

Als ich stehenbleibe, kommt gerade unser Clubmitglied Franz Lang als 4:15-Pacemaker nach. Franz war lange verletzt, ist aber fest entschlossen, in einer 6er-Zeit seine Gruppe ins Ziel beim Brandenburger Tor zu bringen. Das wäre bei dem dichten Feld, wo man oft anderen ausweichen muss und so viele kleine Umwege hat, eine sehr gute Leistung. Franz hat außerdem derzeit – wie ersichtlich – etwas Übergewicht, dafür aber enorme Kondition, die er sich bei Bergultraläufen in diesem Jahr erarbeitet hat.

Die Marathonstrecke, die unverändert zum Vorjahr geblieben ist, führt weiter nach Osten. Bei km 7 erblickt man zu seiner Linken den Hauptbahnhof, zur Rechten befindet sich das Regierungsviertel, wo die alte und dem Wahlergebnis nach auch zukünftige deutsche Bundeskanzlerin Merkel residiert.

Ich bemerke nun zusehends, dass viele Läufer im Block G für mich zu schnell unterwegs sind. Die nehmen ihre zeitlichen Vorgaben total ernst und laufen unter 6 min/km. So überholen mich Hunderte bis km 10, als es in Richtung Alex geht. Mit dem Alexanderplatz verbinde ich schöne und interessante Erinnerungen. Am Beginn der 1980er-Jahre war ich beruflich öfters bei Tagungen in Westberlin. Ich fuhr aus Neugierde gerne mit der S-Bahn in den Ostteil der Stadt rüber. Die Kontrollen waren streng – aber bei den Österreichern offenbar nicht. Ich war im Besitze eines blauen Dienstpasses, der eine bevorzugte Behandlung garantierte. Ein Grenzer sagte mir damals: „Hier in der DDR sind uns die Österreicher immer willkommen, ihr seid  gute Wintersportler, nur in der Leichtathletik sind wir die Besten in der Welt.“ Damals gab es ja auch noch keine so genauen Dopingkontrollen wie heute.

Eine andere Erinnerung fällt mir noch ein: An einem verregneten Märztag 1988 saß eine junge Frau auf einer Bank im weitläufigen Gelände des Alexanderplatzes. Wir kamen ins Gespräch. Sie erzählte mir, dass sie mit ihrem Mann seit langem die Flucht aus der DDR plane. Die Story verlief abenteuerlich, aber sie ging gut aus. Die Ironie der Zeitgeschichte brachte mit sich, dass bald darauf Tausende DDR-Bürger von Ungarn aus problemlos nach Österreich einreisen konnten. Diese Massenflucht hat die Auflösung des Ostblocks eingeleitet und beschleunigt. Ich hoffe, dass es Susi und Maik heute gut geht.

Mir fällt auf ,oder bilde ich es mir nur ein, dass im Vergleich zum Vorjahr weniger Musikgruppen entlang der Strecke anzutreffen sind. Vielleicht achte ich ja auch nicht so sehr darauf, sondern schaue, dass ich ein paar Motive zum Knipsen finde. Was mir immer wieder gut gefällt, ist, wenn ein Elternteil sein kleines Kind auf den Schultern trägt, damit dieses das Geschehen besser wahrnehmen kann und von oben die Marathonteilnehmer deutlicher sieht. Die Kinder freuen sich darüber, man sieht es in ihren Gesichtern und Augen. Die Eltern ebenso, wenn man die Szene fotografiert.

In meinem Block G treffe ich kaum auf kostümierte Läufer. Das Tempo ist vielleicht etwas zu hoch, ein Eisbärenfell aus Plüsch oder eine hautenge Maskerade behindert einem, man schwitzt zusätzlich und bekommt auch weniger Luft. Mein M4Y-Shirt dagegen sitzt bequem, die kleine Digicam wiegt wenig und liegt gut in der Hand.

Wie in London, Chicago oder New York City – viele laufen für einen guten Zweck. „I run for my Dad, and a World without Cancer, You keep Fighting, I’ll keep Running.“  Der junge Mann läuft an mir vorbei. Ich frage mich, ob er sein Tempo halten kann.

Irgendwie habe ich den Eindruck, dass ich heute ungeachtet meiner Funktion, das Geschehen beim Marathon zu beobachten und zu dokumentieren, langsamer als sonst unterwegs bin. Die 10 km auf der Höhe des Alex erreiche ich nach 67 Minuten. Ich hoffe nun, für die 15 km nicht mehr als 1:40 Stunden zu benötigen. Um es offen auszusprechen – auch ein Marathonsammler wie ich hat seine Zielzeiten. Fünf Stunden sollen es bei einem Stadtlauf nicht werden. Vor einigen Jahren wollte ich 4:45 nicht überschreiten.

Der Kurs führt weiter nach Südwesten über die Lichtenberger Straße vorbei am Stadtteil Kreuzberg, der früher einmal eine Wohngegend für Freaks aus dem Westen war und heute ein Multi-Kulti-Viertel ist. Als ich vor Jahren einmal dort in einem Bäckerladen eine Süßspeise kaufen wollte, verstand die junge Türkin kein Deutsch.

Einige Läufer gehen bereits nach 15 km. Einen Südafrikaner mit der Startnummer 24799 aus Durbanville spreche ich an: “Hello, I got a photo from behind, may I make a picture of you from the front – if so, please smile …” Er freut sich und wünscht mir “Good luck”. Ein anderer Bekannter taucht beim Kottbusser Damm wieder auf: El Señor de Costa Rica – „Cómo está?“, frage ich, „somos los lentos, verdad?“ Er lacht und legt wieder einen Zahn zu.

Jetzt geht es in einer Wende beim Kotbusser Tor nach Westen in Richtung Yorkstraße, wo die Halbmarathondistanz erreicht wird. Ich liege mit 2:24 um gut 10 Minuten über dem Plansoll. 2:15 Stunden bis 2:20 habe ich mir vorgenommen. Ich rechne bei jedem Lauf, das ist auch gleichzeitig Großhirntraining. Für die zweite Hälfte brauche ich stets 10 Minuten bis eine Viertelstunde länger. Daher sollte ich die 25 km mit 2:55 erreichen und die 30 höchstens in 3:35 Stunden. Doch die vielen applaudierenden Zuschauer auf diesem Teil der Strecke bringen mich auf andere Gedanken. Es sind nicht nur Tausende Angehörige von Läufern, sondern auch viele Berliner und Touristen, die mit Begeisterung den Marathon verfolgen.

Eine riesige Powerbar-Station bietet den Läufern überdimensionierte Gelpäckchen in mehreren Geschmacksrichtungen an. Ich reiße eins auf, das Gel ist dünnflüssig, man kann es auch ohne einen Schluck Wasser zu sich nehmen. Bei der nächsten Gelegenheit werde ich den süßen Dicksaft mit etwas Zusatzflüssigkeit runterspülen.

Bis Km 25 vorbei an Schöneberg kann ich wieder ein wenig Zeit aufholen. Auch kommt es mir vor, als würde das Gelände abschnittsweise leicht abwärts gehen. Doch von nun an, ab Km 25 spüre ich  einen Durchhänger. Der Mann aus Costa Rica kommt wieder nach, ich weiche nach rechts aus, vielleicht nimmt er mich nicht wahr, sonst bin ich der Langsame (El Lento). Wie lang einem ein einziger Kilometer vorkommen kann? Bis Km 30 sind es noch weitere 5, mein Durchhänger ist echt. Auch andere sind in ähnlichen Nöten. Man merkt es, wenn sie gehen, statt zu traben wie ich. Zum Abklatschen mit Kindern nehme ich mir gerne die Zeit für einen Ausfallschritt. Endlich sind die 30 km erreicht – es sind nur mehr 12 km bis ins Ziel. Ich rechne wieder: 3:32 Stunden für 30 km, die 35 müsste ich in 4:05 schaffen. Die 40 km-Marke dann unter 4:45 erreichen, um noch knapp unter 5 Stunden zu finishen. Wird nicht einfach werden.

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