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Laufberichte

Ulratrail: Happy Joe

19.08.12
Autor: Joe Kelbel

Die Allgäuer sind Schwaben, also eigentlich Ossis. Völkerwanderung, wie heute, nur damals waren es die Sueben, die hier einwanderten, und die kamen aus dem Gebiet Brandenburg bis Thüringen. Hier in Süddeutschland nennt man sie nicht mehr Sueben, sondern Schwaben.

1540 entstand das Landschaftsbild des Allgäus mit seinen Einzelhöfen. Die hölzernen Häuser in den Dörfern wurden innerhalb von 4 Wochen abgebrochen. Grund war die wirtschaftliche Notlage wegen der Erbteilung. Es gab Grundstücke mit 5 Quadratmetern Größe, mit denen zwar ein schwunghafter Handel, aber keine Landwirtschaft betrieben wurde.  Die Reform legte alle Grundstücke zusammen und teilte sie neu auf.

Steil geht’s hinauf zur Hörnerbahn. Irgendwer erzählt etwas von Cut-Off Zeiten. 3:15 Stunden bei km 19 oder so, und 8:15 bis zur Skisprungarena in Oberstdorf. Habe mir darüber bisher keine Gedanken gemacht. Ich hatte keine Bedenken und war mir sicher, heute hier schnell durchzukommen. Doch jedem wird jetzt klar, dass wir uns ran halten müssen.

Wir kommen in diesen gewaltigen Bogen unterhalb des Ochenkopfes und des  Riedberger Horns (1787 m). Auch das ist Panorama: Ungläubig stehen wir und schauen hinauf, sehen nun den kilometerlangen Trail, den wir in den nächsten 30 Minuten bekämpfen müssen.

Da wir eine große Runde entgegen des Uhrzeigersinns laufen, werden uns die Berge nie Schatten spenden. Wie ein Sonnenkollektor in Schräglage, so wird uns die Sonne mit all ihrer Kraft die linke Seite wegbrennen. Herrliche Aussichten!

Km 20, an den Grasgehren-Liften gibt es Kleinigkeiten zu essen, so man noch kann. Riedbergpass ist wohl die erste Cut-Off-Zeit, die haben wir gerade noch eingehalten. Nach links werden nachher die Marathonläufer zurückgeleitet, für uns geht es natürlich weiter aufwärts.

Rohrmoss. Ein Schild: “Ab 18 Uhr ist der Stier auf der Weide!” Cut-Off bekommt plötzlich eine reale Bedeutung. Wer meint, die Kühe gehören zum Allgäu wie die Pizza zu Italien, der irrt. Erst vor 170 Jahren wurde die Viehwirtschaft im Allgäu eingeführt. Der Agrarwissenschaftler Carl Hirnbein brachte den Wandel vom Flachsanbau zur Käsewirtschaft. Carl studierte in Limburg, Belgien und brachte die Idee des Limburgers ins Allgäu.

Militärstrasse in Richtung Sibratsgfäll, unterhalb der Gatterschwandwände zum
Gasthof Hörnlepass (km 35). Eine österreichische Fahne signalisiert den Grenzübergang  ins Kleinwalsertal. Hier liegen die “Special-Need-Beutel” mit Habseligkeiten der Läufer, wie Zusatzverpflegung und Wechselkleidung.
Freies Laufen hinunter nach Riezlern, dort geht es über die glühende Betonbrücke.

Das Kleinwalsertal kämpfte fast 100 Jahre für eine Zollunion mit Deutschland. Österreich wollte zwar einen Tunnel durch das Gebirge treiben, um die Bevölkerung am Leben teilhaben zu lassen, machte es aber nicht. 1889 richtete das Kleinwalsertal ein “Majestätsgesuch” an Berlin. Da war das Tal wegen der wirtschaftlichen Krise schon entvölkert. 1933 war es dann, da gab es die Tausend-Mark-Sperre gegen Österreich. Ein deutscher Staatsbürger musste beim Grenzübertritt 1000 Reichmark, heutige Kaufkraft 4100 Euro bezahlen. Ziel war die Schwächung der österreichischen Wirtschaft, die damals schon vom Tourismus abhängig war.

Hinter Rietzlern beginnt der Aufstieg zur Söllereckbahn. Eine Urlauberfamilie (“Wir haben gegooglelt, ihr seid bewundernswert!”) bittet zum kalten Radler auf den Balkon. Der Junge ist ganz außer sich, macht Fotos von diesem Ultraläufer in orange. Vielleicht hat er nun ein neues sportliches Ziel.

Am Weg hoch zur Söllereckbahn sind fünf metallene Stelen, die elektronisch Wissenswertes über die Alpwirtschaft- früher und heute preisgeben: Die Namen der Berge und Almen sind recht neu. Bis vor 150 Jahren kam niemand auf die Idee, die Berge zu besteigen. Man nannte sie einfach “auf den Alpen”. Erst mit Einführung der Viehwirtschaft wurden die Gipfel von den Sennen benannt, und deren Alphütten nach den Besitzern.

Über die Innerwestegg Alpe (1280 m) und die Mans Alpe (1344 m) schraubt sich unsere Laufstrecke immer höher. Auf der Schrattenwangalpe (1403 m) oberhalb des Söllereck, setze ich mich in eine kühle Ecke und komme mit Barbara Müller ins Gespräch. Sie ist Pächterin der Alpe und flickt gerade ein Käsenetz. “Der Senn hat es kaputt gemacht.“ Aber sein Bergkäse hat den ersten Preis gewonnen. Ich ziehe meine dampfenden Schuhe aus, meine Käsenetze sind auch zerrissen. “Bekomme ich dafür jetzt einen Preis?”

An der Bergstation der Söllereckbahn machen drei Jungs Alpenmusik. Die Gäste auf der Terrasse sind mit der Bahn hochgefahren. Wie Erdmännchen so richten sich sämtliche Hälse mit großen Augen und offenem Mund in meine Richtung, als würden sie den Volksschulabschluß nie schaffen.

Durch  das Hühnermoos, einem Hochmoor, geht es über Holzwege. “Hühner” zeugt immer von Großgräbern. Sonnentau, die fleischfressenden Pflanzen, lugen mit ihrem rötlichen Inneren durch die Gräser.

Der Weg hinab zum Freibergsee (931 m) hat es in sich. Dann ein wunderbarer Blick hoch zur Freiberger Skiflugschanze, die über dem See thront. Kreischende Mädchen genießen das kühle Nass. Das erschwert das Leiden eines Läufers, der nicht nur bunte Bikinis, sondern auch das herrliche Panorama des blau-grün schimmernde Eiswasser vor seinen leidenden Augen hat.

Gasthof Seeblick, er liegt ein paar Stufen zu hoch, also weiter. Viele Wanderer sind mit Schwimmgepäck unterwegs hoch zum See (25 Grad Wassertemperatur), 30 Minuten dauert der Aufstieg für die Badegäste vom Renksteig in Oberstdorf.

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Informationen: Allgäu Panorama Marathon
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