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Laufberichte

Die Läufer sind los

03.03.13

Schnelle Strecke, Weltrekord-Strecke, "world fastes six hours run". Das sind die Superlative, mit denen der 6h Lauf von Stein bedacht wird. Norbert und ich sind zum ersten Mal hier. In Gedanken sehe ich mich in einem Stadion, umjubelt von tausenden von Zuschauern, einen neuen Rekord laufen.

Nun ja, die Niederländer haben den großen Vorteil, dass ihr schönes Land ziemlich flach ist. Da macht auch Stein mit seinen über 25.000 Einwohnern keine Ausnahme. Kurz vor Maastricht in der Provinz Limburg gelegen, ist es von Deutschland aus schnell zu erreichen. Das Autobahnkreuz Kerensheide, an dem sich die A2 Antwerpen-Aachen und A76 Eindhoven-Maastricht kreuzen, liegt auf Steiner Gemarkung.

Die riesigen Industrieanlagen des Chemikonzerns DMS empfangen uns direkt an der Autobahnabfahrt. Prompt fängt es an zu nieseln. Einmal durch den Kreisverkehr und wir befinden uns schon an der Laufstrecke. Oje, wir müssen direkt an der stark befahrenen Straße entlang laufen. Mit Navi finden wir problemlos den Parkplatz vor dem Steiner Freizeitbad, obwohl auch hier bereits die Strecke für den bevorstehenden Lauf abgesperrt ist.

Startnummer und Transponder für die Zeitmessung sind im Foyer des Schwimmbads zur Abholung bereit. Die 20 Euro für den Leihchip bekommt man bei Rückgabe wieder.

In dem kleinen Raum ist es ganz schön voll. Menschen mit Sportbekleidung sind in angeregtem Gespräch vertieft. Mehrheitlich Niederländer und Belgier, aber auch Deutsche, Franzosen und Ungarn gehören zu den Startern. Die Mitarbeiter des Orga-Teams sind freundlich und relaxed. Alles ist gut vorbereitet und seit Jahren eingespielt. Obwohl es hier nur 2 Toiletten gibt, halten sich die Schlangen in Grenzen. Hin und wieder werden Kisten, gefüllt mit mysteriösem Inhalt, vorbei geschleppt - Eigenverpflegung der Eliteläufer.

Wir machen uns auf, um den Start zu suchen. Das Schwimmbad ist Teil des Erholungsparks Steinerbos. In das Wäldchen mit seinen naturnahen Seen ist eine Spiellandschaft mit diversen Rutschen, umfangreichen Spiel- und Klettergeräten, einer Kartbahn für Kleine und noch vielen andere Attraktionen eingebettet. Bestens geeignet für die Erholung von Familien. Im Winter ist natürlich kein Wasser in den Schwimmbecken und die Fahrgeschäfte sind eingepackt.

Doch immer am ersten Wochenende im März kommt Leben in den verschlafenen Park. Die Läufer sind los!

Heute ist es kalt. Hinter dem Schwimmbadhäuschen sind wir gleich auf der Strecke. Hier bereiten die Betreuerteams die Eigenverpflegung vor. Aus den mitgebrachten Kisten werden diverse Riegel und Gels ausgepackt und Batterien von Flaschen auf die Tische drappiert. Eine gespannte Vorstart-Atmosphäre liegt in der Luft.
Natürlich gibt es auch Verpflegung vom Veranstalter. Das Verpflegungszelt wird gerade bestückt. Säuberlich sind Platten vorbereitet. Die Beschriftung ist idiotensicher: Obst, Waffeln, Tee, Cola, Wasser, Sportgetränk.

Die Wechselstelle der Staffeln ist in einer Kurve durch einen Biertisch markiert. Hier können die Staffelläufer Ihren Chip an den nächsten Starter weitergeben.

Neben dem Jurywagen (einem grauen Doppelstockbus) ist die Zeitnahme samt digitaler Uhr aufgebaut. Hier finden auch die Zuschauer Platz. Der Sprecher wird sie die ganzen 6 Stunden über den Rennverlauf informieren. Gleich dahinter erblicken wir das Startbanner. 5 Minuten vor Beginn ist hier aber keiner. Das komplette Feld hat sich etwas weiter hinten beim Teich gesammelt. Ich komme mir vor wie auf dem Schulhof: Jeder wartet bis es anfängt, doch keiner hat es eilig.

Kurz vor 11 Uhr mahnt der Sprecher, man solle doch bitte nach vorne kommen.
Eine kurze Ansprache, die auch ins Deutsche übersetzt wird, klärt uns auf, dass eine langjährige Steinläuferin verstorben ist. Eine Schweigeminute zu ihren Ehren soll abgehalten werden. Zuerst mutet es leicht komisch an, weil der Sprecher vergeblich versucht, die Musik zum verstummen zu bringen. Als dann aber tatsächlich vollkommene Stille herrscht, kann ich diese seltsame Verbundenheit spüren, die herrscht, wenn man gemeinsam etwas Großes vollbringen will. So unterschiedlich die versammelten Menschen auch sein mögen, uns alle vereint doch die gemeinsame Passion.

Dann geht es aber auch gleich los. Knapp 200 Läufer machen sich auf den Weg, die Uhr wird gestartet. Zahlreiche Fans an der Strecke jubeln.

Wir laufen den uns ja schon bekannten Weg zur Schwimmbadhalle, vorbei an den applaudierenden Betreuern. Es geht links über den Betriebshof, eine kleine unwegsame Steigung hinauf und durch ein Tor auf die Anliegerstraße des Schwimmbads. Halbseitig ist diese für die Läufer gesperrt.

Wieder links, kommen wir auf den uns ja schon bekannten mehrspurigen Autobahnzubringer (km 1). Wie überall in den Niederlanden ist das Radwegnetz so gut ausgebaut, dass ein eigener Radweg für die Läufer gesperrt werden kann. Am Gemeindehaus laufen wir vorbei und haben dann die Bäume des Freizeitparks neben uns (km 2).

Es geht wieder links. Hier ist nun ein Teil der Straße für uns reserviert.

Mit der nächsten Linkskurve dürfen wir nun endlich in den Park einlaufen. Der Zielsprecher ist schon zu hören. Einmal rechts und wieder links; das Ziel ist erreicht. Klar, nicht wirklich das Ziel. Wir wollen ja 6 Stunden laufen. Aber irgendwie ist es doch immer ein kleines Ziel, die Runde zu vollenden.

3241,65 m haben wir geschafft. Es geht durch das Verpflegungszelt. Jetzt liegt die volle Auswahl bereit: zu den genannten Getränken sind jetzt noch Waffeln, Kekse, Bananen, Rosinen und Orangenstücke gekommen.

Schon in der zweiten Runde werde ich vom Führenden überrundet. Ob er dieses mörderische Tempo durchhalten kann? Die Nächsten kommen erst in respektabler Entfernung hinter ihm. Ab da wird der Rennverlauf für mich undurchsichtig. Zuerst nur vereinzelt, dann aber immer häufiger werde ich überholt. Wer wie oft an mir vorbei läuft, kann ich nicht zählen. Dafür komme ich auch an ein paar Läufern vorbei. Im Zielbereich wird immer wieder der neueste Stand verkündet. Aber da dies meist in holländisch geschieht, verstehe ich praktisch nichts.

Der Nieselregen hat aufgehört, wir haben optimales Laufwetter. Auch der Wind hält sich in Grenzen. Zeitgleich muss irgendwo der Kinder- und Jugendlauf stattfinden. Immer wieder kommen stolze Kinder mit kleinen Pokalen an uns vorbei.

In der sechsten Runde kommt Norbert von hinten. Er läuft so schnell vorbei, dass keine Zeit für ein Schwätzchen bleibt. Ich hab gerade mein 20-km-Tief und kämpfe mich von Kurve zu Kurve. Die Einteilung der Runde in überschaubare Häppchen macht es mir leichter, weiterzulaufen.

Es sind mehrere Profifotografen auf der Strecke. Die ganze Zeit machen sie Bilder. Das motiviert nicht nur mich, immer wieder ein Lächeln aufzusetzen. Auch die Streckenposten leisten ganze Arbeit. Sie regeln den Verkehr und bewachen Ausfahrten, damit die Läufer nicht gefährdet werden. Mir ist nicht aufgefallen, dass einer während der 6 Stunden abgelöst worden wäre.

Am Nachmittag wird der Park dann von vielen Spaziergängern genutzt. Bedeuten ihre Blicke eher Bewunderung oder Verständnislosigkeit? Norbert holt mich wieder ein. Jetzt hat er keine Lust mehr. Bei mir geht es gerade wieder und so ergänzen wir uns ganz gut.

Die Helfer an der Verpflegungsstelle sind schwer auf Zack. Immer wenn etwas auszugehen droht, wird Neues bereitgestellt. Die Waffeln sind echt lecker, das Sportgetränk dagegen gewöhnungsbedürftig. Gut, dass ich mit Cola und Tee ausreichend versorgt bin. Salz hab ich selbst dabei.

Der führenden Mann und die erste Frau werden von einem Fahrrad begleitet. Plötzlich ist hinter dem Fahrrad ein anderer Mann. Der schnelle Hirsch vom Anfang musste aufgeben. Aber auch der Tscheche Daniel Oralek kann seine Führung nicht halten. Zum Schluss kann sich Gino Cassier, Vorjahreszweiter, mit 700 m Vorsprung und knapp 84 gelaufenen Kilometern durchsetzen.

Bei den Frauen ist es ähnlich. Am Ende hat sich Marion Braun, die dreiviertel des Rennens zweite war, abgesetzt und mit 70,8 km den Sieg errungen. Sie ist seit Oktober 2012 Weltrekordhalterin beim 100-km Straßenlauf in der AK 45,
Eine Weisheit besagt: Wer schnell startet, wird schnell müde. Wer langsam startet, wird langsam müde. Heute hat sich das wieder bestätigt.

Nach 6 Stunden ist der Lauf beendet. Mir tun die Füße weh. Ich schaffe es gerade noch bis zu einer Bank im Bereich der Eigenverpflegung. Den anderen scheint es ähnlich zu gehen. Die Glückwünsche für den erfolgreichen Lauf sind ehrlich gemeint. Gemeinsam warten wir auf den Messtrupp, der die gelaufenen Restmeter aufnimmt. Das dauert ein bisschen, was blöd ist, weil einige Läufer nach der Anstrengung doch ganz schön frieren.

Bei mir kommen noch über 500 m dazu - neuer persönlicher 6 Stunden Rekord. Super.

Im Foyer des Schwimmbads kann ich meinen Chip abgeben und bekomme eine Medaille. Die Siegerehrung lassen wir aus. Die Ergebnisse müssen erst ausgezählt werden und wir wollen noch nach Hause fahren.

Als Standortbestimmung nach dem Winter ist dieser Lauf sehr zu empfehlen. Die Atmosphäre ist familiär und stimmig. Die Organisation professionell und durchdacht. Die Homepage lässt zwar manche Frage offen, aber wenn man im Vorfeld etwas Gottvertrauen mitbringt, klappt alles wie am Schnürchen.

 

Informationen: 6-Stunden-Lauf Stein
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