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Laufberichte

Tage wie diese

21.07.12

Unser nächstes Teammitglied kommt von seiner ersten Runde ziemlich versaut zurück. Das Stück Wiesenweg sei aber gar nicht so schlimm, er habe es lediglich grob fahrlässig angelaufen. Ich bin auf jeden Fall vorgewarnt. Meinen dritten Einsatz trete ich mit dem dritten Satz Schuhe an. Nachdem die Gore-Tex-Straßentreter zu heiß waren, die Schönwetterschuhe wohl gerade nicht angebracht sind, greife ich jetzt auf Trailrunning-Schuhe zurück und tue gut daran. Die Strecke ist ja bis auf die 284 m Wiesenweg asphaltiert. Doch genau die werden zur Schlitterbahn. Ganz rechts läuft es sich noch am besten. Wenigstens ist es noch hell. Nach meinen Runden geh' ich mal die paar hundert Meter raus und versuche das visuelle zu digitalisieren. Was höre ich?

Durch den Start-Zielbereich singen sich drei 24-Stundenläufer mit dem guten alten Rudi Carrell Hit "Wann wird's mal wieder richtig Sommer?" Einen Mitstreiter versuche ich auf dem "strong-man Abschnitt" visuell zu digitalisieren. Wer kommt als nächstes? Genau, und klar, sie lächelt. Leute ihr seid einfach Spitze.

Nach einem weiteren nicht weniger beeindruckenden Wolkenguss bin ich bei Finsternis unterwegs. Am Vordermann bleibe ich dran, seine Mannschaftskollegen warnen in zwar vor mir, doch ich habe gar kein Interesse, ihn zu überholen. Der soll mir ruhig weiter den Weg durch den Schlamm weisen. Da beschlägt jetzt nämlich zu allem Überfluss auch noch meine Brille. Doch wenn man erst mal eingesaut ist, läuft es sich gänzlich ungeniert. Ganz rechts halten ist auch keine Lösung, da kommt schon bald ein kleiner Bach. Also, wenn man keinen Vordermann mehr hat, der wurde nach unserer gemeinsamen zweiten Runde gegen irgend so ein Düsentriebwerk ausgewechselt, heißt es ganz einfach Augen zu und durch. Bei der Siegerehrung am Morgen wird es folgerichtig heißen, dass manche der Kids die Situation gnadenlos ausgenutzt hätten. Im Alltag dürfen die Kleinen sicher so nicht mehr nach Haus. Ich habe zum Glück einen Hochdruckreiniger.

Mein nächster Einsatz ist erst am Morgen um neun geplant. Nur für den Fall, dass es Probleme mit unserer Nachtschicht gibt, fahre ich sicherheitshalber nicht nach Hause, sondern leg' mich in den Van. Wecker auf sieben. Doch den brauch ich nicht.

Um sechs stehe ich am Streckenrand. Da sind die wirklich Harten, vor denen jeder hier den Hut zieht, noch unterwegs. Die drei Franzosen, Armand Asli, Ulysse Vigreux und Cathy Muller, der schon seit gestern um sechs der Oberschenkel zwickt. Aber aufgeben? Der Ungar Adam Zaharan sieht so fit aus, als käme er gerade erst aus dem Bett. Er ist aber durchgelaufen.

Ich gehe mir einen Kaffee besorgen. An der Theke des Vereinsheims treffe ich Ingrid Lange. Sie hat in ihrem ersten 24-Stundenlauf die 100 km geknackt,  bricht jetzt aber ab, weil es ihrem Laufpartner nicht gut geht. Trotzdem spürt man ihr Glück. Draußen ist Carmen Hamm am lächeln. "Du läufst ja immer noch" rufe ich ihr zu und bekomme zurück "Nee, ich habe auch eine (!!!) Stunde geschlafen." Ein bisschen schäm ich mich.

Ich gehe nochmal zum Waldrand und treffe dort auf Joachim Hauser. Der zweifache TransEurop-Finisher, der im vergangenen Jahr zum stellvertretenden Vorsitzenden beim veranstaltenden VfL gewählt wurde, ist gerade dabei, die Beleuchtung abzubauen. Da kann er erstens noch zwei Hände gebrauchen und zweitens mir eine wichtige Frage beantworten: Wie ist es eigentlich zum 24-Stundenlauf gekommen.

Während wir die Do-It-Yourself-Anlage (da wird ein Strahler schon mal mit einen Schirm vor dem Regen geschützt) demontieren, die Lampen zusammentragen, die haushaltsübliches Verlängerungskabel aufrollen, erzählt er mir die Geschichte: Bei einem 24-Stundenlauf in Hamburg im Mai 2000 habe er bei knapp 180 km aufhören müssen. In der Folge habe er die Zahl 200 nicht mehr aus dem Kopf gebracht. Aus purer Bequemlichkeit habe er dann, beim Schützenverein, in dem er Mitglied war, angefragt, ob es nicht möglich sei, die Sanitärräume einmal über Nacht geöffnet zu lassen. Er lieh sich auf der Gemeinde ein Messrad und irgendwann lief er los.

Als am Morgen, eine Stunde vor Ablauf der 24 Stunden, der Bürgermeister nach dem Rechten sehen wollte, kam er pünktlich zum Finisher-Bier. Hauser hatte die 200 km geknackt. Jahre später erinnerte man sich beim Schützenverein an diesen Lauf. Man wollte selbst ein 24-Stunden-Schiessen veranstalten und trat an Hauser heran, ob er sich vorstellen könnte, einen solchen Lauf zeitgleich zu organisieren. Er konnte. Der benachbarte Sportverein beteiligte sich und der Rest ist Geschichte. Seit 2005 findet der Lauf jährlich statt.

Meine letzte Runde wird zum Schaulaufen, da mittlerweile alle unseres Teams versammelt sind, samt den Nachtläufern. Plötzlich will jeder noch einmal laufen. Um zehn Uhr, aus den Lautsprechern tönt der Tote-Hosen-Hit: "An Tagen wie diesen - wünscht man sich Unendlichkeit", treffen sich alle Einzelläufer und Teams hinter der Messstelle zu einer letzten gemeinsamen Runde. An deren Ende unmittelbar die Siegerehrung stattfindet.

Jo Hauser überbrückt die Zeit gekonnt, auch wenn er zum ersten Mal selbst die Sieger ehrt. Er erzählt von heißen und trockenen Läufen und regnerischen und verspricht die Renovierung des  Wiesenweges  auf die to-do-Liste zu setzen, ebenso die Optimierung der Beleuchtung.

Ich stehe bei der Siegerehrung dicht neben einem frisch geduschten Sunny-Boy, der eher aussieht, als käme er gerade vom Urlaub zurück. Keinesfalls glaubt man, dass der Ungar Adam Zaharan gerade erst 202,95 km nonstop gelaufen ist. Die Plätze gehen an Klaus Wanner mit 179,85 km. Der dritte Mann, der Franzose Armand Asli hat mit 166,65 km ebenso viele Kilometer erlaufen, wie die beste Frau, Carmen (die mit dem Lächeln) Hamm, vor der Italienerin Adele di Lorenzo mit 161,7 km und der Französin Cathy Muller mit 140,25 km.

Die erlaufenen Kilometer sind noch höher zu bewerten, wenn man bedenkt, dass zu den gelaufenen horizontalen Kilometern bei den Spitzenleuten auch noch 800 und mehr Höhenmeter hinzukommen und das Geläuf auf dem Wiesenweg alles andere als einfach war.

Supersympathisch waren alle 24-h Läufer, die mehr als Werbung für Ihren Sport gemacht haben. Da war es ganz praktisch, dass es mit insgesamt 371 Teilnehmern ebenso einen neuen Rekord gab, wie für die erreichte Gesamtstrecke. Wer schon den einen oder anderen Marathon hinter sich gebracht hat und wissen möchte, wohin sein Weg läuferisch noch führen könnte, der ist im Juli 2013 in Dettenhausen sicher an der richtigen Stelle. Ich fürchte, dass ich wieder für's Team ran muss. Ein bisschen schade ist das schon. Aber wer weiß …

Ergebnis:
Männer:

1. Adam Zaharan (Ungarn) 202,95 km
2. Klaus Wanner (Holzgerlingen) 179,85 km
3. Armand Asli (Frankreich) 166,65 km

Frauen:
1. Carmen Hamm (Ludwigsburg) 166,65 km
2. Adele Di Lorenzo (Italien) 161,7 km
3. Cathy Muller (Frankreich) 140,25 km

Teams:
1. Yellow Mixed (LT Holzgerlingen) 198 Runden
2. Schaichtal Runner's 176 Runden
3. Schwabenpower 167 Runden

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Informationen: 24-Stunden-Lauf Dettenhausen
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