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Laufberichte

Wintersport am Jakobsweg

10.01.10

Januar 2010. Wie kommt man überhaupt dazu, im Winter einen Marathon laufen zu wollen? Dann, wenn es erfahrungsgemäß eher kalt, wolkenverhangen und matschig ist. Dann, wenn die Sinne des durchschnittlichen Mitteleuropäers überwiegend auf dicke Wollsocken, Glühwein oder die heimische Couch ausgerichtet sind?

Oktober 2009. In meinem Lauftagebuch für dieses Jahr stehen knappe 900 gemächlich erlaufene Trainingskilometer verzeichnet, als mir per Mail eine Einladung von Klaus Duwe ins Haus flattert. Klaus lädt einige Autoren von Marathon4you.de zu einem Treffen nach Kevelaer ein. Natürlich steht dabei auch ein Marathon auf dem Programm. Zunächst bin ich verblüfft, dann macht sich heimlich Freude in mir breit. Es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass Klaus auch nach zwei Jahren Marathonpause noch an mich gedacht hat.

Herbst 2007. Knappe acht Wochen nach meinem Marathon in Köln erwischt es mich. Laut schnaufend stehe ich völlig erschöpft mitten auf der Kellertreppe meines Hauses und beschließe, nun doch einen Arzt zu konsultieren. Innerhalb weniger Stunden ist alle meine Kraft aus mir heraus geflossen wie Wasser aus einem kaputten Eimer. Eine Entzündung des Herzmuskels bedeutet das vorläufige „Aus“ für all meine sportlichen Ambitionen.

„Wenn Du dein Herz zu früh belastest, neigen die Viren dazu, sich im Herzmuskel abzukapseln und irgendwann mit voller Macht zuzuschlagen“ lautet die mit ernstem Gesicht vorgetragene Warnung meines Medizinmannes.  Politik der kleinen Schritte ist also angesagt. Zu Weihnachten bin ich froh, die Kellertreppe wieder an einem Stück hochsteigen zu können.

Doch zurück in die Gegenwart. Die auf die Einladung folgenden Wochen nutze ich für ein ruhiges Training auf die Marathondistanz. „No frills“ kann nicht nur  für Billigflieger ein tragendes Konzept sein. Peter Greif wird mir dieses Jahr keinen Trainingsplan verkaufen können. Stattdessen lese ich lieber „Achilles Verse“ und trainiere mich vorsichtig wieder auf die langen Distanzen hin. Ich glaube, ich bin ein Weichei geworden.

Kevelaer selbst empfängt uns samstagabends im weißen Schneekleid. Tief „Daisy“ hat auch diesen Teil Deutschlands mit Wind und Schnee verwöhnen wollen und dabei weite Strecken der bundesdeutschen Straßen mit Schneeverwehungen bedeckt.

Zusammen mit Wolfgang Bernath will ich mir noch die morgige Laufstrecke anschauen. Von diesem Vorhaben kommen wir aber, obwohl wir dick vermummt hinausgehen, schnell ab. Eisiger Wind kommt uns durchmischt mit wirbelnden Schneeflocken entgegen geblasen. Schnell versuchen wir, uns ein Bild von der Beschaffenheit der Strecke zu machen. Was wir antreffen lässt uns für morgen nichts Gutes erahnen.

Am nächsten Morgen werden wir von emsigen Tätigkeiten im Erdgeschoss der Jugendherberge geweckt. Im Dreh- und Angelpunkt des heutigen Marathons sind fleißige Hände damit beschäftigt, Tische aufzubauen, Plakate und Hinweise aufzuhängen und all die vielen Dutzend Kleinigkeiten zu erledigen, die rund um ein Laufereignis getan sein wollen.

Die wahren kleinen Wunder geschehen aber zwischenzeitlich draußen auf der Strecke. Nicht nur dass ein Räumfahrzeug des Bauhofes die Strecke soweit wie eben möglich vom Schnee befreit und anschließend mit Granulat belegt, nein, eine erstaunliche Zahl von Helfern der LLG Laufsport Kevelaer e.V. ist noch damit beschäftigt, von Hand die besonders betroffenen oder gefährlichen Stellen zu entschärfen. Es wird  geschaufelt und geschoben, Split von einem Anhänger verstreut und damit nicht nachgelassen, bis der Start um 10:00 Uhr erfolgen kann.

Dick vermummte Läufer stehen an der Startlinie. Nicht nur in meinem Kopf wird der Gedanke herum gespukt sein, ob das, was vor mir liegt, wirklich vernünftig ist. Oft höre ich, wie in der Startaufstellung das Wort „Wind“ benutzt wird. Das würde uns nun wirklich noch fehlen. Schnee, Minustemperaturen, weite Streckenteile über offenes Feld. Wenn wirklich Wind aufkommen sollte, sind wir ganz schön verratzt.

Sieben Runden von jeweils 6 Kilometern plus 195 Meter bis zur Treppe der Jugendherberge warten auf uns.

Auf der ersten Runde bremse ich mich so gut es nur irgendwie geht aus. Zu verlockend ist es, mit dem Feld mitzuziehen und den Körper endlich warm zu bekommen. Kurz hinter der Ortschaft Winnekendonk sehe ich einen Besenwagen der anderen Art hinter uns her fahren: Die Jungs vom Bauhof drehen hinter uns eine Ehrenrunde und legen noch eine Schicht Granulat auf. Hatte ich mich nach den ersten vier Kilometern noch gefragt, wie ich weitere 38 Kilometer auf diesem Untergrund aushalten soll, scheint diese letzte Prise Splitt das Pünktchen auf dem „i“ gewesen zu sein. Das permanente leichte Wegrutschen und Schlittern hält sich nun in halbwegs brauchbaren Grenzen. Trotzdem scheint es mir mehr Kraft zu verzehren als sonst.

In ruhigem, gleichmäßig langsamen Tempo ziehe ich meine Runden, halte hier und da ein Schwätzchen und beobachte auf der hin und zurück vielleicht knapp zwei Kilometer langen Begegnungsstrecke, wie der Eiszapfen am Schirm von Joe Kelbels Mütze von Runde zu Runde länger wird.

Überhaupt, diese Begegnungsstrecke ist der unterhaltsamste Teil der Strecke. Kommt man Anfangs vor lauter Grüßen und Abklatschen (nicht ganz so fest Joe, bitte!) immer wieder mal aus dem Tritt, so sorgt sie in den letzten Runden für willkommene Abwechslung.

Wie bei Landschaftsmarathons üblich, sind auch hier die Zuschauer eher dünn gesät. Trotz des kalten und zeitweise mit leichtem Schneefall durchmischten Wetters halten sich hartnäckig drei Stimmungsnester, von denen zwei im Laufe des Tages immer mehr anschwellen. Ob daran der in Winnekendonk bevorzugte Glühwein oder die auf der Begegnungsstrecke angesiedelte supertolle  Rockmusik schuld war, kann ich nicht beurteilen. Was auch immer: Es war toll, von Euch angefeuert zu werden.

Zwischendurch sind immer wieder Helfer dabei, Schnee, Schneematsch und Eisreste von der Strecke zu schieben. Irgendwann und irgendwo sehe ich auch Peter Wasser, den Vorsitzenden der LLG Kevelaer, auf einem Anhänger stehend fleißig Split in eine Kurve schaufeln.

Langsam werden meine Beine immer schwerer. Der anfangs schwierig zu laufende Belag fordert seinen Tribut von mir. Immer verlockender wird es, die kleinen Gespräche mit den netten Leuten an den Verpflegungsstationen noch ein wenig länger auszudehnen.

Seit zwei, drei Runden laufe ich mit Heike zusammen durch Schnee und grau-in-grau. Unser Gespräch über Gott und die Welt lenkt mich auf angenehme Art wohltuend ab.  Zwischendurch schließt sich uns Gerhard immer wieder mal an.  Auf seinen weit über 100 Marathonläufen war er auf der ganzen Welt unterwegs und hat die tollsten aber auch nachdenklich machende Geschichten zu erzählen.

Die letzten beiden Kilometer vor dem Ende dieser Runde fällt mein Tempo drastisch ab und ich beschließe auszusteigen. Die letzte Runde hätte ich überwiegend gehen müssen. Eine Stunde bei Minusgraden, nass geschwitzt durch Feld und Flur zu wandern erscheint mir bei dieser Witterung zu riskant. Im Sommer ja, heute nein.

Ich habe lange genug pausieren müssen, um dahin zu kommen wo ich jetzt bin: Vier Stunden und 36 Kilometer entfernt von einem frustrierenden Moment auf einer Kellertreppe. Ich bin zufrieden. Der Weg ist das Ziel.

Ergebnisse

Männer

1 Kaiser, Michael  Team belalaSola   2:57:49
2 Linke, Falk  TLV Rangsdorf   3:01:05
3 Kehrbusch, Gerd  Athletik Waldniel3:01:47

9 Lautner, Anton  marathon4you.de   3:14:14

Frauen

1 Sonnenschein, Kirsten  Marathon Dinslaken   3:29:57
2 Möllensiep, Sybille  SUS Schalke 96  3:30:09
3 Geltner, Raifa-Gertrud  SUS Schalke 96  3 3:35:32

 

Informationen: Kevelaer-Marathon
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