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Laufberichte

Helau am blauen Weg

21.02.09
Autor: Joe Kelbel

Der blaue Weg hat nichts mit trinkfreudigen Skandinavieren zu tun, die direkt mit einer der großen Fähren aus dem Norden kommen, wenige Meter vom Startplatz des Kielmarathons entfernt anlanden und  das Laufereignis durch ihre Teilnahme prozentual zu einem der internationalsten Deutschlands machen.

Die Läufer aus Schweden und Dänemark machen die Veranstaltung schön bunt. Norwegen, Großbritannien und andere europäische Staaten sind vertreten. Aber: hört, hört -  da sind noch Starter aus Namibia, Columbien, Süd Afrika und Russland!

268 Läufer laufen die volle Distanz. Viele der Norddeutschen, etwa 700,  laufen nur den Halbmarathon, die kennen „den heftigen Wind“ an der Förde. Und  weitere 700  haben mit ungefähr einer Stunde genug, die kennen auch noch die Kälte an der Förde und begnügen sich mit 10 km .

Der blaue Weg ist der hufeisenförmige Erlebnispfad rund um die Kieler Förde und heißt auch nicht so, weil man sich beim Marathon das Gesicht und die Hände blaufriert, sondern weil man hier auf Schritt und Tritt der maritimen Geschichte Kiels begegnet.

Ich trete hier zusammen mit Brigitte und Sascha aus Mainz an, um ein bißchen rheinischen Frohsinn nach Norddeutschland zu bringen. Mit bunten Perücken und „Schellebibbes“ ausgerüstet machen wir uns auf den blauen Weg. Immerhin sind 13 Karnevalclubs in Kiel registriert. Aber die sind anscheinend alle noch im Winterschlaf. Und den Unterschied von Hellau und Alaaf scheint man hier auch nicht zu kennen. Hier heißt es: “Boah, die sehen echt cool aus“.

Ab 10:15 Uhr  geht es 4 mal hoch und runter, auf der sogenannten Kiellinie, der Uferstraße, die den wichtigsten Teil des blauen Weges ausmacht.

Hoch, das heißt vom Cruise Terminal Ostseekai, wo Startnummernausgabe, Start und Ziel ist,  wo die mächtigen Fähren und Kreuzfahrtschiffe liegen, nach Norden zum Marinestützpunkt Tirpitzhafen, direkt am Nordostseekanal.

Gegenüber vom Ostseekai ist das 800 Jahre alten Kieler Schloß. Abgesehen von vielen  dänischen Prinzen, wohnten hier auch Katharina die Große und der Bruder Kaiser Wilhelms II, Prinz Heinrich. Kaiser Wilhelm selbst nahm mit seiner Segelyacht „Meteor“ regelmäßig an der Kieler Woche teil und wohnte gerne bei seinem Bruder. 90 Jahre später findet man den Wilhelm auf einem kleinen, mahnenden Schild am Ufer: „Fußgänger haben Vorfahrt!“

Wir laufen am Leibnitz-Institut für Meeresforschung vorbei (IFM-GEOMAR). (Ja! Nach dem  Gottfried Wilhelm Leibnitz aus Leipzig sind auch die Kekse benannt!) Von links  hört man das heisere Bellen der Seehunde, die hier im Aquarium gehalten werden. Es kostet mich etliche Minuten  um die Viecher vor die Kamera zu bekommen. Rechts ist die Anlegestelle der Forschungsschiffe Polarfuchs und Poseidon, hier ist auch das Forschungstauchboot "Jago“ stationiert. Heute liegt hier nur der Forschungskutter Littorina  und das Forschungsschiff Alkor, welches per Echolot die Ostsee erkundet.

Wenig später der monumentale Backsteinbau der ehemaligen Militärakademie, heute Sitz des schleswig-holsteinischen Landtages.

Weiter läuft man am Olympiahafen von 1936 bei Düsternbrook vorbei. Seit 200 Jahren ist Düsternbrook ein vornehmes Seebad mit herrlichen Villen und Parks. Eine Holzbrückenkonstruktion führt raus zur  Naturbadeanstalt, wo kälteresistente Sportler auch im Winter schwimmen.

Linker Hand, gegenüber dem Pier, auf der 15 Meter hohen Seitenmoräne, die der Gletscher, der auch den Kieler Fjord formte, hinterließ, liegt ein romantischer Aussichtspunkt: Bellvue. Heute ist hier das Maritim Hotel.Von hier hat man einen herrlichen Blick über die Ostsee und blickt auf die andere Seite der Förde mit den hohen Kränen der Howaldtswerke-Deutsche Werft. Im Moment werden hier 6 U-Boote für die Koreanische Marine gebaut. Hier wurde auch die Polarstern gebaut. Sie ist in diesem Moment in der Antarktis und hat letzte Baueinheiten zu der in dieser Woche  eröffneten Neumayer III-Station gebracht.

Wendepunkt, nach 4 Kilometern, ist der Marinestützpunkt.

Seit 1865 ist hier am Tirpitzhafen die Marine stationiert. Seit Preußen und Österreich Schleswig Holstein im Dänisch-Deutschen Krieg erobert hatten und von der dänischen Krone loslösten. Der Stützpunkt dominiert eine strategisch wichtige Halbinsel zwischen Nord-Osteekanal und der engsten Stelle der Kieler Förde.

Die Molen werden vom mächtigen Grau der Fregatten „Köln“ und „Braunschweig“ dominiert. Im Vordergrund das elegante Weiß des Segelschulschiffes Gorch Fock. Im Hintergrund auf den Außenplätzen liegen zahlreiche Korvetten und Schnellboote. Die Fregatte „Rheinland-Pfalz“  ist zur Zeit nur für somalische Piraten sichtbar.

Hier in den Kasernen des Stadtteils Wiks fand vor 90 Jahren, im November 1918 der Kieler Matrosenaufstand statt. Die Matrosen hatten die Geschütze auf das naheliegende Düsternbrook gerichtet, wo rund um das Bellvue die Offiziere und Admiräle ihre Villen hatten. Letzendlich bedeutete der Matrosenaufstand das Ende des  ersten Weltkrieg. Der Kaiser dankte ab und die Weimarer Republik wurde gegründet. Und hier laufen wir jetzt, und dazu noch mit bunten Perücken, und „Schellebibbes“ (frag einen Meenzer)!!!

An dem mächtigen, von Einschußlöchern gezeichneten „Flandernbunker“, der die Fahrbahn teilt, hängt ein großes Banner: „Matrosenaufstand“. Wir Läufer würden auch einen Aufstand proben, würden uns nicht Mitglieder und Helfer des LG Power-Schnecken, Kiel, hier am wichtigsten Verpflegungspunkt  des Rundkurses mit Tee, Iso, Wasser und Bananen versorgen.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Förde erkennt man jetzt das hoch aufragende Marinedenkmal von Laboe. Davor liegt die U 995, die Version von U-Boot, um die es sich in dem Film „Das Boot“ dreht.

Träumerisch laufe ich Richtung Innenstadt, die ganze Strecke wieder zurück, und glaube fast, vor mir läuft Herbert Grönemeyer und Martin Semmelrogge:

 "Na Männers. ALLES KLAR?" "Jawohl Herr Kaleu!" "Wir haben einen Gast an Bord. Leutnant Werner, Marinekriegsberichtserstatter. Will sich bei uns ein bisschen umsehen. Er will anständige deutsche Helden sehen.“

Ja, anständige deutsche Helden sehe ich. Auf der Gegengerade: Horst Preisler, der Weltrekordler bei seinem 1606ten  Marathonlauf. Sigrid Eichner, die Weltrekordlerin mit ihrem xxxx  Marathonlauf. O-Ton Sigrid:“ Ich weiß nicht der wievielte, seit Rodgau waren es ja schon wieder 2 oder 3, nein vier Marathons, aber es sind irgendwie über 1350 !“ Sie wird am 19. April den 4500 km langen Transeuropalauf antreten. Christian Hottas ist da, der Vizeweltrekordler, und Hajo Meyer, der Vorsitzende des 100 MC Hamburg, unter dessen Dach sich die Weltrekordler zusammenfinden. Er läuft heute seinen 14ten Marathon ( in diesem Jahr!!!!!). Bodo Bruder aus Münster erkenne ich, er wird dieses Jahr 70 Jahre. Und einen dänischen Helden kann ich erkennen, Mogens Dam, mit 76 Jahren der älteste Teilnehmer.

Noch sind um uns rum die 10 km-Läufer. Sobald wir aber wieder an unserem Startpunkt, dem Ostseekai vorbei kommen, laufen die schon ins Ziel. Hier am  Cruise Terminal Ostseekai legen ab April wieder bis zu 100  Kreuzfahrschiffe ab, darunter bekannte Namen wie die „Deutschland“, „Berlin“ oder „Aida.

Gesponsert wird das Kieler Laufereignis von „famila“.Was sich für uns Kontinentaldeutsche wie eine Beratungsstelle anhört, ist eine große Einkaufskette in Norddeutschland.

Nun wird es schmal auf dem Bürgersteig Richtung Bahnhof, am Schwedenkai vorbei, wo gerade die Neu-Autos nach Göteborg verladen werden. Da Saab seit Donnerstag pleite ist, hat man wohl vorsorglich jede Menge Smarts bestellt.

Man läuft mit Gegenverkehr.

Die alte Fischhalle beherbert jetzt das Schifffahrtmuseum, (noch mit zwei ff auf der Tafel). Vor dem Museum ist der zweite Versorgungspunkt.

Nils, der die Organisation heute fest im Griff hat, sagt mir, daß dieses Teilstück auch der Grund für das Teilnehmerlimit ist. Da aber nun die Startzeiten entzerrt wurden, besteht die Aussicht, daß im nächsten Jahr  mehr Teilnehmer zugelassen werden.

Auf dem Rückweg vom Schwedenkai kommt man an den eleganten Speicherhäusern vorbei. Am Ostseekai  werden  nun auch die Halbmarathonläufer auf die Strecke geschickt. Hans- Erich Jungwickel macht die Moderation und hält zu so manchen Läufer eine kleine Anektode bereit.

Auf dem Weg hoch, wieder Richtung Norden, werden wir  nach wenigen Kilometern von den schnelleren Kurzstreckler überholt. Irgendwann überhole ich aber selbst den ersten Kurzstreckler, der mit einem beeindruckenden Arsenal von Flaschen in seinem Gürtel aussieht, als müsste er morgen selbst nach Somalia.

Leider wird  dem samstäglichen Einkaufstreiben mehr Aufmerksamkeit gezollt, als den Läufern. Dass die Kieler dem Laufereignis wenig Beachtung schenken, mag daran liegen, daß man sich lieber mit Schiffen fortbewegt. Wenn in den Mittagsstunden, bei Runde 3 und 4,  die 268 Marathonläufer einsam ihre Runden drehen, fungiert so mancher Kieler in seinem langen, dicken Wintermantel wie eine Treibmine, und wir haben unsere Mühe diese Hindernisse zu umschiffen. Auch die schnellen Handbiker, die nun mit uns auf der Strecke sind, umkurven wagemutig die Muttis mit ihren Kinderwagen, die zahlreich die Seehundbecken umlagern.

Abundzu gibt es ein „Helau“ oder „Allaf“. Vor allem der Mädchenclub mit seinem männlichen Gitarristen, oberhalb von Düsternbrook ist gut drauf. Mit Bier und Nutellabroten steigt die Stimmung. Aber von den 13 Karnevalclubs in Kiel gibts immer noch  kein Lebenszeichen. Lediglich ein großes Plakat verkündet: „Samstag 21.02.!!! Karneval-Total!!“

Die Liegestühle und Strandkörbe beim Cafe Louv, direkt an der Strecke, füllen sich und bei warmen Getränken, eingehüllt in dicken Decken schauen uns die Gäste gleichgültig  hinterher.

Bei meiner letzten Runde betrachte ich nochmal die stolzen Schiffe und träume von fernen Ländern und von meinem nächsten Marathon im warmen Barcelona, zu dem ich in 8 Tagen antreten werde. Aber stolz bin ich, daß ich hier auf dem blauen Weg mit viel lautem „Hellblauuuuu“ die maritime Geschichte Kiels nachvollziehen durfte -  bei hervoragender, familiärer Organisation.

Und ich wäre froh, wenn sich nächstes Jahr  viele Läufer  in Kiel einfinden würden, die sich anhand meines Artikels ein paar maritim-historische Punkte am blauen Weg mit viel „Hellblauuuuuuu“ anschauen würden.

Marathonsieger

Männer

1   Struck, Olaf  GER  1  M40  LG Albatros Kiel  02:41:34    
2   Öberg, Andreas  SWE  1  M35  Ljusdal RC  02:58:17    
3   Hällstorp, Georg  SWE  2  M35  TEAM HARRYS  02:58:44  

Frauen

1 Jansson, Jenny  SWE  1  W30  Kattisavans IIF  02:59:24   
2  Hällstorp, Åsa  SWE  1  W35  VI som springer  03:16:25   
3  Wollenberg, Ute  GER  1  W40  ESV Lok Potsdam  03:34:45  

 

 

Informationen: Kiel-Marathon
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