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Laufberichte

Der Doppeldecker am Simplon-Pass - 1. Tag

03.08.08

Zum Gedenken an den 14. Oktober 2000

Die schlechte Nachricht: Der Klaus ist verletzt und kann nicht mitmachen. Die gute Nachricht: Ich darf für ihn einspringen. So komme ich in diesem Jahr zusätzlich zu einer neuen Strecke. Und ich habe die lange Reise an die italienisch-schweizerische Grenze nicht bereut.

Es ist von meiner Heimat eine weite Fahrt. Der Routenplaner besagt knappe sieben Stunden über das Dreiländereck um Lindau/Bregenz, Chur, San-Bernardino-Tunnel, Bellinzona, Locarno und Domodossola. Der meiste Weg führt mich über Autobahnen und Kraftfahrstraßen. Für ein wenig Verwirrung sorgt mein Verfahrer bei Locarno. Ich muss ein wenig ausholen und darf dann noch eine SP kennenlernen. Ja, das ist eine strada provinciale, so breit wie bei uns ein besserer Feldweg, kurvig, total unübersichtlich und am besten zu befahren, wenn kein Fahrzeug entgegenkommt. Mitunter habe ich die Befürchtung, dass der Untergrund schotterig wird.

Aber ich finde wieder den richtigen Weg bei Santa Maria Maggioro und erreiche dann gegen 20.30 Uhr Gondo. Der schnurrbärtige Zöllner lacht und informiert mich über einen Parkplatz und über den Ort des Rennbüros.

Dieses hat sich in der TouristInformation niedergelassen. Ich erhalte die notwendigen Unterlagen für das Laufabenteuer und darf auch ein Erinnerungsshirt in guter Funktionsqualität mitnehmen. „Geh gleich zum Nudelessen in den Stockalperturm, du hast bestimmt Hunger“, sagt Brigitte Wolf, die technische Leiterin des Events. Und: „Um 21.30 Uhr ist ein kleines Feuerwerk, weil heute Nationalfeiertag (1. August) ist!“

Auf dem Rütli soll 1291 der Beistandspakt von den Urkantonen Uri, Schwyz und Unterwalden als ewiges Bündnis beschlossen worden sein (Rütlischwur). Ja, und deshalb werden an diesem Tag im ganzen Land Feuerwerke abgebrannt. Auf den Bergen gibt es auch häufig Höhenfeuer. Natürlich wird dann zusammengesessen, gefeiert und gegessen. Wir erhalten bei der Anmeldung ein kleines Hefegebäck, verziert mit dem Schweizerkreuz.

Im Stockalterturm sind Laufkollegen am Ratschen. Nudeln in Form von Spaghetti sind noch reichlich vorhanden, sowie Wasser und Wein in roter, weißer und rosa Färbung. Und alles zum Null-Tarif.

Vom Feuerwerk bekomme ich nicht mehr viel mit, da nach dem ersten Schepperer alle zum Lift strömen, der kurzzeitig seinen Dienst wegen Überlastung einstellt.

Gepennt wird dann in zwei Räumen des Schulhauses, in der Zivilschutzanlage sowie in der Turnhalle. In der haben sich jetzt um 22.30 Uhr keine zehn Läufer niedergelassen. Das Licht ist bereits aus. Ich mache mich schlafbereit. Als Schlafmittel pumpe ich eine schnelle Halbe Bier ab.

Gegen 05.30 Uhr ist schon erstes Gewusel zu hören. Ich stehe auch auf und marschiere dann 30 Minuten später zum Stockalterturm, wo wir uns am Frühstücksbuffet bedienen dürfen. Alles ist vorhanden. Ein Italiener sitzt am Tisch, würgt sein Müsli hinunter, belegt sich zwei Brote und packt diese ein. Ja, da darf er sich nicht von der Bedienung erwischen lassen.

Nachdem es am Abend zuvor noch geregnet hat, ist jetzt der Himmel blankgeputzt. Die Sonne strahlt, als wir gegen 08.00 Uhr unser Briefing erhalten. Wir sollen im Wettkampf die Augen nach der Streckenmarkierung offen halten. Blaue Pfeile am Boden, Trassierbänder und Schilder sind genügend angebracht.

Eine illustre Läuferschar hat sich eingefunden: Viele swissalpine-Läufer, einige waren auch in Zermatt, ich sehe auch exquisite Shirts vom Mont Blanc-Trail oder vom Badwater. Auch bekannte Gesichter wie Dieter Ehrenberger, Edgar Braig, Peter Toobe oder Renate Werz, um   nur einige zu nennen. Auch Eberhard Ostertag geht auf die Strecke. Er wird vom zweiten Tag berichten und sieht seine Teilnahme als Training für den Ultratrail du Mont Blanc.


Nach dem kurzen Startprocedere mit einem lauten Schuss aus der Pistole werden wir  auf die Strecke hinausgelassen. Es müsste eigentlich ein Hinaufgelassen heißen, denn sogleich geht es von der Schule auf die Simplonstraße hinauf. Und die verlassen wir nach wenigen Metern nach rechts. Auch aufwärts!

Ich bin gespannt auf die Strecke. Die bisherigen Zeiten weisen auf ein schwieriges Terrain hin. Ja, und dann an zwei Tagen jeweils einen Marathon mit rund 2000 Höhenmetern up and down als Programm, da will die Kraft schon eingeteilt werden. Am ersten Tag nichts überstürzen, vielleicht an den Steigungen etwas Gas geben und Vorsicht an den Gefällen walten lassen, so schaut meine Planung aus.

Wie kam es denn zu diesem Event? Am 14. Oktober 2000 wurde der Ort Gondo durch einen riesigen Bergrutsch verschüttet, wobei 13 Menschen der damaligen 120 Einwohner ihr Leben verloren. Der Ort wurde wieder aufgebaut und als Gedenken an diese Katastrophe wurde ab 2002 das GondoEvent als zweitägiger Wettkampf von Sepp Schnyder initiiert. Am ersten Tag wartet die Strecke von Gondo über den Simplon und Bistinenpass nach Ried-Brig auf ihr Bezwingen. Am Folgetag geht es auf anderem Weg zurück nach Gondo.

Die ersten Kilometer führt unser Weg durch die imposante Gondoschlucht. Es lassen sich immer wieder Streckenabschnitte joggen. Zu Recht wähle ich diesen Begriff, denn immer wieder Unebenheiten, kleine Stiche, Brücken und Treppen verlangen äußerste Konzentration und verlangsamen unser Tempo.

Nach etwa zwei, drei Kilometer geht es durch das Fort, das in die Felsen gesprengt wurde. Die Gänge sind spärlich beleuchtet, Wasser tropft mitunter von der Decke, ich erkenne ein schweres Maschinengewehr.  Unser „Gnack“ müssen wir auch einziehen, sonst bleiben wir mit unserer „Birn“ an der Decke oder den Türrahmen hängen.

Ich komme mit Peter Toobe zum Reden. Der will mich beim Isarrun gesehen haben. „Na, da war i net!” Aber als er mich nach meiner Heimat fragt, klingelts bei ihm. Seine Frau ist nämlich aus Karlshuld im Donaumoos. So kann er jedes Jahr einen Verwandtenbesuch mit dem Ingolstädter Halbmarathon verbinden. Und da habe ich ihn bei der Siegerehrung gesehen und er mich wahrscheinlich auch.

Es geht immer wieder mehr bergauf als bergab. Gabi (1240 m) ist der nächste Ort, der auf uns wartet. Gut 400 Höhemeter sind schon überwunden. Die Verpflegungsstellen sind so alle fünf Kilometer und bieten eine gute Versorgung mit Wasser, Elektrolyt, Cola, mitunter auch Bouillon, Riegel, Gel, Bananen, Orangen und Magnesium. Bestimmt habe ich was vergessen. Bei heißer Witterung ist eine mitgeführte Getränkeflasche nicht verkehrt. Aber zahlreiche Brunnen und Bächlein können ebenso für das Löschen des Durstes genutzt werden.


Dorf Simplon (1472 m), Kilometer 8,5. 71 Minuten Laufzeit, na servus, das geht in Richtung Negativrekord, so schätze ich meine Zielzeit ein. Aber das ist mir egal. Gerade in Simplon schauen viele Bewohner und Touristen zu, seien es die vier Zuschauer am Ortsschild, die Gäste des Hotels Fletschhorn oder die Leute bei der Post oder bei den Geschäften. Alle sind interessiert und feuern uns an. Hier dürfen wir ein längeres Stück auf Asphalt laufen. Dieses „kommode“ Stück endet aber am Dorfausgang mit einer knackigen Steigung.

Weiter marschieren wir hinauf nach Egga (1588 m), wo wir auf einem schmalen Weg, dem Stockalperweg, in den kleinen Ort hineinkommen. Der Name kommt vom Kaspar Jodok von Stockalper, der ein fleißiger Eidgenosse war. Er war Kaufmann, Bankier und Bauherr und organisierte dabei den Handel von Brig über den Simplonpass. Er unterhielt auch eigene Bergwerke und war dadurch hochangesehen. In Brig kann sein Palast, das Stockalperschloss besichtigt werden. Und den Stockalperturm in Gondo baute er als Lagerhaus.

Es geht weiter Richtung Simplonpass. Immer wieder durch Nadelwälder und Weiden führt unsere Strecke. Das Feld hat sich mittlerweile gehörig auseinandergezogen. Dann steht eine Kuh mitten auf den Weg und frisst. Die lässt sich nicht stören. Auf ein „Hey Lisi“ schaut sie mir in die Kamera.

Das „Alte Spittel“ bei Kilometer 17 ist auch ein Werk vom Stockalper, der dieses im Jahr 1650 erbaute Hospiz armen Reisenden als Unterkunft anbot. Daneben steht das lange Barral-Haus, das als Ferienheim erbaut wurde.

Am Simplonpass (2005 m, Kilometer 17) erhalten wir wieder etwas zu trinken. Viele Wanderer sind jetzt unterwegs. Wenn nicht der Verkehrslärm etwas stören würde, wäre es sogar recht idyllisch. Interessant ist auch der Nebel, der aus Richtung Brig heraufzieht und der sich dann auf der Passhöhe auflöst.


Wir verlassen die Passstraße und laufen oder marschieren jetzt auf dem Rundweg um die Simplonalpe. An einer Stelle geht es ein paar Meter morastig zu. Ich passe nicht auf und versenke fast meinen Schuh im tiefen Modder.

Interesse wecken jetzt bei mir die verschiedenen Alpenblumen. An einer Stelle ist kunterbunte Vielfalt zu sehen, wo ich leider das Fotografieren vergesse. So eine schöne Stelle kommt auch nicht mehr. Dafür hat ein Bächlein den Wanderweg in Beschlag genommen und sich schon einen  rund 20 Zentimeter tiefen Bachbett geschaffen. Wir trampeln dann auf schmalem Weg daneben. Im Osten sehe ich den vergletscherten Monte Leone (3553 m).

Von hinten kommt ein Läufer heran. Sein orangenes Laufshirt mit Aufschrift des Bieler Hunderters flösst mir ein wenig Respekt ein. Es ist Roland Carlen aus Naters. Als Verein hat er Viva Gondo gewählt. Ich beschließe, nach Möglichkeit an ihm lange dran zu bleiben. Nur Landschaftsbilder ohne Läufer sind halt nicht so interessant, so könnte er mir als Läufermodell dienen.

Die Strecke steigt weiterhin bis zum 2417 Meter hohen Bistinenpass an. Hier gibt es wieder was zum Futtern. Einer der Sportler bringt einen Spruch von der „verfressenen Läuferbande“, der nicht nur die Helfer zum Lachen bringt. Der Roland kennt die Strecke aus dem eff-eff, so informiert er mich weiterhin über den Verlauf. Links sehen wir das 3993 Meter hohe Fletschhorn. Von nun an geht’s bergab.


Nicht mit der Leistung, sondern in das Nanztal. Vom Pass her nicht besonders schwierig, die Wege sind etwas breiter als am Aufstieg, aber weiterhin heißt es „Augen auf“. Einige besonders arge Steilstücke können die Oberschenkel schon beleidigen. Also langsam.

Unsere Strecke führt nun immer wieder durch Weiden und an Alpen vorbei. An der Nidristi Alpe (Kilometer 29) ist das ärgste Gefälle geschafft. Ja und zu Futtern gibt es auch was. Damit kein Sportler verloren geht, wird jeder anhand seiner Startnummer notiert. Gleichzeitig wird auch die Durchlaufzeit genommen.

Der Detlef (Schiller) fällt mir auf mit seinem Vornamen auf dem Shirt. „Wo kommst du denn her?“ „Aus Mühlhausen in Thüringen.“ „Das kenne ich vom Einheitslauf vom 3. Oktober letzten Jahres. Grüß mir den Guido Kunze.“ Der Lauf wird ab heuer als Marathon ausgetragen. Ich kann ihn empfehlen, da auch ein Teil der ehemaligen Eisernen Grenze belaufen wird. Näheres ist bereits unter www.einheitslauf.de einsehbar.

Etwas weniger steil ist der Übergang nach Schratt (Kilometer 35). Wir bekommen erste Ausblicke ins Rhonetal. Der Roland erzählt von seinen Abenteuern. So hat er schon an der Patrouille des Glaciers von Zermatt nach Verbier teilgenommen. Ein Teamwettkampf im Winter mit drei Sportlern über rund 4000 Meter in Anstieg über Gletscher. Höchster Punkt ist da der Tete Blanche Nord mit 3650 Metern. Ich bin beeindruckt. Gleichzeitig beschreibt er seine Vorbereitung hierfür, wo er rund 40000 Höhenmeter auf den Hochtouren zusammen bekommt.

Es geht immer weiter hinunter ins Rhonetal. Wer jetzt meint, dass die Strecke nun besser zu belaufen ist, den muss ich enttäuschen. Zwar sind immer wieder mal einige kurze Wegstücke asphaltiert, das ändert sich aber meist und es geht ruppig weiter. „Schau, da hinten ist die Saltinaschlucht, und da neben der Brücke werden wir durchs Wasser gehen. In zehn Minuten sind wir da,“ so informiert mich Roland. Und in der Tat kann ich bereits Feuerwehrmänner in ihren leuchtenden Uniformen erkennen. Ich schaue auf die Uhr, da könnten wir noch unter sechs Stunden einpassieren.


Und der Roland kennt die Wege und den Zeitbedarf genau, denn nach seiner Vorhersage treffen wir dort ein. Er will vorgehen und mich beim Überqueren knipsen. Auf eine entsprechende Nachfrage bei den Helfern vor Ort hat es sogar Sportler gegeben, die ihre Schuhe ausgezogen haben. Das ist nichts für mich. Das Wasser erfrischt und ist überhaupt nicht kalt. Ja, es macht richtig Spaß.

Nach der Überquerung kommt die letzte Verpflegung und dann noch ein „zarter“ Anstieg. Da könnte man fast auf allen Vieren hoch krabbeln. Innerlich fluche ich, ich schwitze nach wenigen Augenblicken wie eine Sau. Der Anstieg ist natürlich voll in der Sonne, was sonst!

Roland hat nun sein Tempo zurückgenommen. „Soll ich mir einen Haselnusszweig suchen und Dich ins Ziel peitschen?“ so will ich ihn ablenken. Und auch ein „Quäl Dich Du Sau“ entlockt ihn ein Grinsen.

Die letzten 1500 Meter werden angezeigt. Zuerst noch durch schattigen Wald, zwar noch leicht ansteigend, aber nicht mehr so extrem wie in der Saltinaschlucht. In Ried sehen wir schon die ersten interessierten Zuschauer, die uns anfeuern. Es hilft.

Der restliche Weg geht noch an der Kirche vorbei und dann durchlaufen wir nach 6.10.11 Stunden das Ziel. Für die sechs Stunden hat es deutlich nicht gereicht. Ja, wenn man für die letzten 2,195 Kilometer fast 25 Minuten braucht, da brauche ich mich nicht wundern.


Trotzdem sind wir stolz auf unsere Leistung. Ich fühle mich nicht fertig und bin auf den morgigen Tag gespannt. Roland dagegen muss etwas einlenken, er wird sich auf der zweiten Etappe schon durchbeißen. Wenn er die Gletscherpatrouille geschafft hat, dann geht der Rückweg auch, da bin ich mir sicher.

Ja, die Rieder haben es uns für die Erholung leicht gemacht. Es gibt nämlich genug zu Futtern und zu Trinken. Zum Beißen hole ich mir Plätzli. Wer jetzt meint, das ist etwas Süßes, der irrt. Das ich ein ganz normales Steak vom Grill. Geschlafen wird dann im Bunker.

Die Tagessieger:

Männer 

1. Schmid Martin   CH  Zermatt  3:52:18   
2. Caroni Francesco   I  Torino  3:59:26    
2. Trincheri Lorenzo   I  Dolcedo  3:59:26    

Frauen

1. Hawker Lizzy   CH  Winterthur  Monte-Leone  4:00:18   
2. Alter Julia   D  Mannheim  4:33:24   
3. Näfen Lucia   CH  Brig-Glis  Viva Gondo  4:34:47   

 

Informationen: Gondo Marathon
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