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Laufberichte

Herrliches Wadengondo

06.08.11
Autor: Joe Kelbel

 

Ein Reisebus kommt von der italienischen Grenzstation  angefahren, fährt langsamer, damit ängstliche Rentneraugen betroffen zum steilen Felsen hinaufschauen können. Dann fahren sie weiter, hoch zum Simplonpass Richtung Rhonetal, verfolgt von zahlreichen Lastwagen, die sich an den kleinen Tankstellen am Ortsausgang entlangschlängeln.

Der Ort Gondo ist geprägt vom Durchgangsverkehr, alles spielt sich an dieser Hauptstrasse ab. Wenn der Gotthard geschlossen oder überfüllt ist, dann weicht man über die Simplon-Route aus. Sie verbindet  das Wallis mit dem Val Centovalli, Locarno oder dem Lago Maggiore. Ein einsamer Zöllner mit martialischem Hund ist auf der Strasse zu sehen.

Die Gondoneser sprechen nicht viel drüber, aber die betroffenen Rentneraugen und die Anwesenheit von uns Ultraläufern hat nur einen Grund: Die Katastrophe vor 11 Jahren, als eine Schlammlawine das Dorf zerstörte und 13 Menschen tötete.

Oberhalb des neuen  Dorfplatzes, wo schon einige Läufer sich beim Bier versammeln, erkennt man die Narbe, die die Hangmure gerissen hat. Auch am Stockalperturm erkennt man die zerstörten Teile anhand der unterschiedlichen Baumaterialien. Beklemmendes Gefühl.

Kaspar Jodok von Stockalper war zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges der Tausendsassa des Tales, Kaufmann, Bankier, Unternehmer. Der Stockalperturm diente ihm als Warenlager, Umschlagplatz und Herberge, heute als Rennbüro und Ort der Pasta-Party und das morgige Frühstück.

Freitag abend: Pastaparty, Blick aus dem Turmfenster auf die regennasse Zollstation. Bezug der Unterkünfte im Bunker, wo mächtige Lüftungsmaschinen geräuschvoll arbeiten. Ob im Bunker oder oberirdisch, unter den Felsen, die keinen Sonnenstrahl ins Tal lassen: Wer Platzangst hat, der stirb hier. Es gibt eine Alternative zum Bunker, doch auch da schläft man mit 20 Leuten in einem Raum. Unsicherheit im Kopf, letztes Bier unter den Schirmen vor dem Turm, Wasserkaskaden rauschen  über die Passstrasse, 1 kg Früchtebrot gefuttert (gab´s mit Schultertasche, T-shirt und Thermengutschein mit den Startunterlagen), schlafen gegangen.

„Gondo“,  der Ortsname klingt nach Gefahr, Abenteuer und etwas sehr  Gewaltigem: Einen Zweitageslauf mit 84,4 km und 4200 Höhenmeter über schwierige Hochalpentrails, immer hart am Limit. Ein Lauf gegen die Zeit -  wer sie nicht schafft fliegt raus. Unsicherheit, Schlaflosigkeit.Verzeiht die vielen Fotos. Aber die Sache war es wert.  Nehmt Euch doch einfach Urlaub für meinen Bericht!


Samstag, ersterTag:


Das vielstimmige Sägen und das permanente „Nee, nee, nee“ von Christoph wird durch nervöses Hantieren der Schlaflosen abgelöst. Irgendwie zum Kaffee in den Turm gekrochen. Das Frühstück ist toll, aber ich bekomme nur 3 Löffel Birchermüsli runter.

Rudolf hat von allen Spinnern den Vogel abgeschossen: 460 Kilometer, in 3 Tage von Baden-Baden über sämtliche Alpenpässe nach Gondo: Mit dem Traktor! “Nee, der Stau war immer hinter mir“. Zelt auf dem Pferdemistanhänger. In Eile meinen Rucksack zum Transferlaster gebracht.

8 Uhr Briefing: Markierungen, Vorsichtsmaßnahmen, Cut-Off-Zeiten etc. 8:15 Start. Der Wetterbericht ist mau.Unsicherheit wegen Kleidung, Wetter, Schuhwahl, Hochgebirge und anderen Gründen.

Kurz wird der Verkehr auf der Strasse angehalten, 126 fitte Ultraläufer brauchen nicht lange, um den Weg hinaufzujagen. Hinter den Tankstellen von Gondo (840 ü.M.) geht es gleich in die imposante Gondoschlucht. Unter uns die Passstrasse. Wir laufen auf dem Stockalperweg, dem Weg, der im 17.Jahrhundert als Handelsweg angelegt wurde.

Ich fühle mich wie in einem gewaltigen Film:  Ich sehe die Menschen vor mir, die über die Jahrtausende hier durchzogen: Händler, Fuhrleute, Räuber, Berufssoldaten, Landsknechte, Gaukler, Pilger, Mönche, Kirchenherren, Schmuggler und Glücksritter. Ich sehe Unwetter, Eis, Bergstürze und dunkle Gestalten hinter jeder Biegung, mache Fotos, springe hin und her, bin aufgeregt, lasse mich  zurückfallen, genieße jeden einzelnen Kilometer.

Die Schlucht wird immer enger. Gewaltige Atmosphäre. Ein Gewirr von Stegen, Passtrasse und alter Napoleonstrasse, wovon noch die alte Brücke erhalten ist, rauf und runter, Felsen, Abhänge, Wasser, Schweiß und Luftnot. Banger Blick nach unten in die Schlucht. Der alte Weg vom Stockalper ist an dieser Stelle weggerissen worden. Metallstege und Überdachungen schützen vor Steinschlag.Wacklige Knie.

Fort Gondo (1909-1918): unheimliche Ruinen. Strategisch wichtig zur Deckung der Simplonstrasse. Rein in die Bunkeranlagen, zwei 9 cm Panzerabwehrgeschütze gleich am Eingang, dann laufen wir ewig lange durch das dunkle Verließ, Kopf runter! Ganz großes Lauferlebnis. 5 Km geschafft, es gibt eine Wasserstation, dringend nötig jetzt. Ein uralter Kalkofen unterhalb des Weges.

Am nördlichen Ende der Schlucht, genannt Äbi ist der kleine Weiler Gabi. Der Weg ist an diesen Stellen noch mit Originalsteinen gepflastert.  Stockalper baute hier ein Schloß. Ein Türsturz mit der Jahreszahl 1676 ist in den Ruinen gut zu erkennen, falls man ihn findet, ich jedenfalls hetze weiter Richtung Simplonpass.

 
 

Informationen: Gondo Marathon
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