Tigist Assefa und Kelvin Kiptum liefen mit brandneuem Schuhwerk in Berlin bzw. Chicago Weltrekorde im Marathon. Doch sind diese Rekorde ausschließlich auf die neuesten Laufschuh-Entwicklungen zurückzuführen?
Zu diesem Thema erschien dieser Tage auf DerStandard.at ein interessanter Beitrag. Demnach glaubt Johannes Langer, Rennleiter des Vienna City Marathons und Organisator des Salzburg Marathons, nicht daran, dass die Rekorde ausschließlich auf die Schuhe zurückzuführen sind.
Kelvin Kiptum verbesserte beim Chicago-Marathon den Weltrekord seines kenianischen Landsmanns Eliud Kipchoge um 34 Sekunden auf 2:00:35 Stunden, was Fachleute und Insider wenig überraschte. Der erst 23-jährige Kiptum war nämlich bereits bei seinem Debüt in Valencia im Dezember 2022 unter 2:02 geblieben und hatte im April einen Streckenrekord in London (2:01:25) aufgestellt. Auf seinen Sieg in Chicago konnte man also wetten.
Wie Kiptum lief, war das eigentlich Erstaunliche. Er absolvierte die zweite Hälfte des Marathons in 59:47 Minuten und damit wesentlich schneller als die erste (1:00:48). Dabei machte er nach seinem Zieleinlauf keinen sonderlich erschöpften Eindruck.
Ähnlich war es zwei Wochen zuvor, als Tigist Assefa (Äthiopien), in Berlin mit 2:11:53 Stunden ebenfalls einen neuen Marathon-Weltrekord aufstellte und dabei gleich mehr als zwei Minuten (!) unter der alten Bestmarke blieb.
In beiden Fällen wurden schnell die neuen Superlaufschuhe als Erklärung für die Leistungssprünge herangezogen: Bei Assefa war es der "Adizero Adios Pro Evo 1" von Adidas, der erst kurz nach dem Berlin-Marathon online für 500 Euro angeboten wurde und sofort ausverkauft war. Auf ebay werden die Schuhe zurzeit zu Preisen zwischen 1500 und 2000 Euro angeboten. Dabei sollen sie verschiedenen Aussagen zufolge kaum mehr als einen Marathon aushalten. Das Obermaterial ist sagenhaft leicht, aber nicht besonders strapazierfähig. Der Adizero wiegt lediglich 138 Gramm
Kelvin Kiptums Schuh in Chicago war ein Nike-Prototyp namens "Alphafly 3", den es erst im nächsten Jahr zu kaufen geben soll. Mal sehen, was dieser auf die Waage bringt. Sein Vorgänger, der Nike-Vaporfly wog ca. 200 Gramm. Mit ihm lief Eluid Kipchoge am 12. Oktober 2019 in Wien praktisch unter Laborbedingungen und mit jeder Menge Pacemaker, die sich abwechselten, die 42,195 km in 1:59:40 Stunden.
Aber braucht man wirklich nur die neuen Superschuhe, um Rekorde zu laufen? Johannes Langer meint, es wäre sehr naiv, das zu glauben. Als anerkannter Trainer und Rennleiter warnt er Hobbyläufer, ja vorsichtig zu sein. Im Falle dieser Neuentwicklungen müsse man den Laufstil auf das Schuhwerk einstellen, um Verletzungen zu vermeiden. Gute herkömmliche Laufschuhe dagegen wählt man nach den individuellen Gegebenheiten aus, passt sie also dem eigenen Laufstil an.
Die Schuhe sind, wie das Equipment bei anderen Sportarten auch, nur eine Komponente, wenn man Bestleistungen erzielen will. Auffällig sei laut Langer, dass immer jüngere Athleten und Athletinnen die Weltrekorde brechen. Dies liege daran, dass afrikanische Talente sich schon sehr frühzeitig auf Halbmarathon und Marathon konzentrieren, weil dort mehr Geld zu verdienen ist als auf der Bahn.
So können auch ein 23jähriger Läufer wie Kiptum oder die 26jährige Tigist Assefa bereits auf viele Jahre spezielles Marathon-Training zurückblicken.
Der Wettlauf von adidas und Nike um das “schnellste” Schuhmaterial wird sich fortsetzen. Andere führende Marken wie z. B. Asics oder Puma werden dabei nicht tatenlos zusehen. Immer leichteres, beim Abdruck Energie zurücklieferndes Zwischensohlenmaterial, wird gegenüber der viel diskutierten Carbonplatte an Bedeutung gewinnen, sagen Fachleute.
Auf die Frage, wann der erste Mensch unter regulären Wettkampfbedingungen einen Marathon unter 2 Stunden laufen wird, beantwortet Johannes Langer ohne langes Zögern: “2024 oder 2025.” Wo das sein wird, hängt wohl davon ab, wo Kelvin Kiptum nächstes Jahr laufen wird. Vielleicht beim 50. Berlin Marathon?