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Laufberichte

Der Kampf mit der Bora

 

In Italien beginnt die Saison der großen Marathons früher im Jahr als bei uns. Am 26.2.2023, nach vierjähriger Pause, findet der Unesco Cities Marathon wieder statt. Der Name geht auf die drei beteiligten Unesco-Weltkulturerbestädte Cividale, Palmanova und Aquileia in der Region Friaul-Julisch-Venetien zurück. Start und Ziel befinden sich diesmal in Palmanova. Judith und ich sind mit dem Auto dorthin unterwegs und müssen uns die Alpenstraßen mit endlosen Kolonnen von Niederländern teilen, welche ihre einwöchigen „Krokusferien“ für eine Fahrt in die Wintersportgebiete nutzen.

Der Schneefall auf der Alpennordseite verbreitet ein winterliches Flair, wie wir es zu den Feiertagen leider vermissen mussten. Das ändert sich nach dem Queren des Alpenhauptkamms. Wie deutsche Zeitungen berichteten, ist es hier im Nordosten Italiens recht trocken. Den Bewohnern der Gegend macht der Wassermangel zu schaffen, für uns Sportler ist ausbleibender Niederschlag aktuell eher von Vorteil.

In Palmanova gibt es noch genügend Unterkunftsangebote. Die Touristiksaison hat noch nicht begonnen und viele Läuferinnen und Läufer kommen aus dem Umland oder aus den benachbarten Ländern Kroatien und Slowenien.

Die Besonderheit der ehemaligen Festungsstadt Palmanova ist ihr sternförmiger Grundriss. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde sie von der Republik Venedig als Schutz gegen die Türken angelegt und gilt als Hauptwerk venezianischer Militärarchitektur. Zwei Befestigungsringe wurden in der Folgezeit nachgerüstet, der letzte Anfang des 19. Jahrhunderts unter Napoleon. Neun symmetrische Spitzen kennzeichnen diese Anlagen. Drei Tore regeln den Zugang.

Die Startunterlagen gibt es im Rathaus. Am Verkaufsstand des Sportartikelanbieters Macron kann man separat ein Veranstaltungsshirt erwerben. Für Italien ungewöhnlich, aber dafür waren die Startgebühren sehr günstig. Zusätzlich zur Startnummer mit einem integrierten Leihchip gibt es einen Baumwollbeutel, gefüllt mit Wasserflasche, einer Flasche Rot- oder Weißwein aus der Region, einem Mikrofaser-Handtuch, Obst, Keksen, Salzgebäck, diversen Gutscheinen und Informationen zu Stadt und Umgebung.

 

 

Unser Hotel liegt nahe der zentralen Piazza Grande, wo um 9:30 Uhr der Start stattfinden soll. Wir brechen erst spät auf, es ist doch recht frisch und viele Sportler laufen sich warm. Kurz vor dem Start wird klar, dass dieser nicht unter dem Zielbogen stattfindet, sondern auf der anderen Seite des Platzes, und allmählich vergrößert sich das Teilnehmerfeld. Ich möchte ein Foto vom Startschuss aus einer Kanone machen, doch beim Knall fällt mir vor Schreck fast der Apparat aus der Hand. Nun bin ich am Ende des Feldes und drücke an der imaginären Startlinie ab. Später fällt mir ein, dass es ein Bruttostart war und ich so 90 Sekunden verschenkt habe.

Wir verlassen Palmanova durch das Cividale-Tor. Zu Beginn wird die Stadt zu einem Drittel umrundet und durch das Aquileia-Tor wieder betreten. Zeitmessung am Zielbogen bei km 3,5, dann dasselbe noch mal. Die Anfangshektik ist vorbei und es bleibt nun Zeit, die Bastionen näher zu betrachten.

 

 

Bei Kilometer sieben beginnt unser Weg Richtung Meer. Einige einfachere Häuser liegen am Streckenrand und wir fragen uns, ob sich dort die100-qm-Wohnungen befinden, die im Aushang eines Immobilienvermittlers für 50.000 Euro angeboten werden. Hier kann man für sehr wenig Geld Häuser und Wohnungen kaufen. Die Region gehört zu den wirtschaftsstärksten in Italien und Industrie ist hier gut verteilt. Im Satellitenbild sieht das alles sehr zersiedelt aus. Es folgt nun ein kurzes Stück Schotterweg unter der Autobahn hindurch und dann geht’s auf die Landstraße nach Süden. Bald kommen uns die Führenden des Halbmarathons entgegen.

Die nächste größere Stadt, Cervignano, werden wir leider nicht durchqueren, sondern auf einer Umgehungsstraße umrunden. Auch diese Straße ist komplett gesperrt. Zuerst noch durch eine Unterführung, dann an einem riesigen Bahngelände entlang. „Interporto“ nennt sich das hier. Es handelt sich anscheinend um einen Verschiebebahnhof, treffen doch einige wichtige Strecken aus Österreich und Slowenien hier in Italien zusammen. Die unberührte Natur zwischen Bahngelände und Umgehungsstraße ist sicher ein perfekter Ort für die Tier- und Pflanzenwelt. Rechts hat man Ausblicke über die Felder. Oft wird Wein angebaut und die Weingüter werben auf Tafeln für ihre Produkte. Auch der Sponsor unseres „Marathonweins“ ist am Laufweg ansässig.

 

 

Die Staatsstraße 14 von Venedig nach Triest unterqueren wir durch den zweiten Tunnel. Darüber liegt die Eisenbahnverbindung, die seit einigen Jahrzehnten aufgeständert durch das Zentrum von Cervignano geführt wird. So etwas hätte man in Deutschland sicher nie bauen können. Eine Brücke führt uns über den Fluss Ausa. Unten liegen Sportboote, die Laguna di Marano hinter Grado und Lignano ist nicht weit. Dort soll es auch Flamingos geben.

Hinter km 18 schwenken wir auf die alte Straße Richtung Aquileia. Jetzt gibt es wieder mehr zu sehen. Viele rosa gekleidete Damen wandern neben uns. Die Walking-Veranstaltung „Unesco in Rosa“ startete in Cervignano und führt 7,2 km nach Aquileia.

Rechts eine Destillerie. Beim römischen Forum von Aquileia ist für uns die Wendestelle. Ein Stück weiter wäre die Kirche mit den berühmten Mosaiken gewesen. Kurz danach dann der Beginn eines 5 Kilometer langen Damms zur Insel Grado. Dort waren wir am Samstagnachmittag mit vielen italienischen Ausflüglern. Überall wurde gewerkelt, um die Stadt und ihre Hotels für die Sommersaison herzurichten.

Ich verpflege mich mit Wasser, Bananen und Keksen und frage einen Polizisten auf einem Motorrad, ob wir nicht tauschen sollen. Der lehnt aber ab.

Also zurück, Richtung Palmanova. Ein Steinmäuerchen entpuppt sich als Rest eines antiken Aquädukts. In einem Vorgarten hängen Plastikflaschen an den Bäumen. Wir queren eine gut gesicherte Kreuzung in Terzo d‘Aquileia. Eine recht romantische Ecke hier, mit dem Fiume Terzo und einem Bambushain sowie exotisch anmutenden Kakadus in einer Voliere. Dann warten fast 8 Kilometer Umgehungsstraße auf uns.

Am nächsten VP, in the middle of nowhere, gibt es nun auch Iso-Getränke. Toilettenhäuschen stehen auch gelegentlich an den Verpflegungsstellen. Ich wünsche den Streckenposten, Mitgliedern eines Sportklubs aus Udine, noch einen schönen Tag. In Sachen Wetter ist allerdings noch „Luft nach oben“, denn die Bora, ein starker Wind aus dem Osten, fegt heute recht frisch über die Ebene und legt anscheinend noch zu. Nicht angenehm. Meine linke Wange ist vom Hinweg gut gekühlt, nun ist also die rechte Seite dran. Interessanterweise war der Wind im Wetterbericht nicht vorhergesagt. Ich freue mich über das enganliegende Hemd vom Bologna-Marathon, das ich als Unterhemd trage. Der Stoff hält schön warm. Oft schützen Sträucher ein wenig vor der heftigen Brise.

 

 

An allen „neuralgischen“ Stellen der Straße stehen Polizisten oder Mitglieder des Zivilschutzes. Gelegentlich feuern sie uns auch an. In der letzten Unterführung pfeift der Wind uns entgegen. Ich betrachte die Bauweise, die sich doch stark von deutschen Straßenbauwerken unterscheidet. Ohne Frage sind unsere Bauwerke liebevoller ausgeführt.

Endlich wieder „normale“ Landstraße. Judith und ich sind nun leider nicht mehr ganz so schnell, aber wir halten noch immer Kontakt zu den vor uns Laufenden. Ganz langsam haben wir schon drei davon überholt. Nur ein Herr im grünen Hemd verteidigt seinen Vorsprung. Er läuft zügig, muss aber hin und wieder Gehpausen einlegen. Bis wir ihn fast erreicht haben und er erneut davon spurtet.

Schön sind die Ausblicke auf die schneebedeckten Alpengipfel. Die Berge beginnen hier viel abrupter als in der bayerischen Heimat, wo es ja ein hügeliges Voralpenland samt niedrigerem Vorgebirge gibt. Hier in Venetien und Friaul erheben sich die Berge unvermittelt wie eine Wand auf ansonsten tellerflachem Land. Flach ist auch die Marathonstrecke, abzüglich der beiden Unterführungen und der Brücke über den Fluss. Palmanova dürfte zwar etwas höher liegen, aber letztendlich bleibt es bei Höhenunterschieden im niedrigen zweistelligen Bereich.

Auf einmal sehen wir Streckenposten des Protezione Civile vor Zufahrten zu Einfamilienhäusern. Keine wirklich gefährlichen Stellen, dennoch müssen die dick vermummten Gestalten hier sechs Stunden im kalten Wind ausharren. Ich rufe ihnen mein Dankeschön zu.

Die Kilometerschilder hat der Wind frühzeitig umgeworfen. Oft sind sie mit einem Träger Wasserflaschen beschwert. An einem heißen Tag sicher keine schlechte Idee. Wir kommen der Schotterstrecke näher. Ein Schild verbietet das Schwimmen im kleinen Kanal. Ich sehe ein Dreiergrüppchen weiter vor uns. Kurz danach erreichen wir das Aquileia-Tor von Palmanova. Leider steht das 42-km-Schild auf der anderen Seite der folgenden Kreuzung. Wir müssen also noch auf eine Schleife und sehen so ein paar Teilnehmer, die einen Kilometer vor uns sind. Es wird noch einmal interessant. Dem Infoheft im Starterbeutel habe ich entnommen, dass in den beiden alten Gebäuden am Rand der Stadt das Schießpulver aufbewahrt wurde. Auch ein altes Kasernengebäude gibt es zu sehen.

Auf einmal kommen wir dem wohlbekannten grün gewandeten Läufer immer näher und auch zwei Damen vor uns müssen oft Pausen einlegen. Das ist unsere Chance. Judith und ich beschleunigen. Ich erwarte eine Laufeinlage des Herrn, aber der ist wohl ziemlich fertig. Beim Km-42-Schild haben wir die italienische Fahne auf dem Hauptplatz und damit das Ziel vor Augen. Die beiden Italienerinnen kämpfen, aber Judith und ich kommen vor ihnen an. Wir werden namentlich begrüßt, bevor der Sprecher sich ausgiebig den Damen zuwendet, die wohl ortsansässig sind und über die ihnen gewidmete Aufmerksamkeit sichtlich gerührt.

 

 

Die Zielverpflegung bietet italienische Erdbeeren an, dazu anderes Obst, Kekse und Getränke. Der Tee ist leider nur lauwarm. Ein Paar aus Berlin, das wir vom Marathon in Ravenna kennen, kommt ins Ziel; somit haben alle deutschen Teilnehmer den Lauf erfolgreich beendet.

Die Medaille bekommen wir noch und dann macht man uns darauf aufmerksam, dass wir den Leihchip im Zelt abgeben müssen. Als Gegenleistung gibt es zwei belegte Panini. Dann freuen wir uns auf eine warme Dusche im Hotel. Massagen hätte es nebenan gegeben und Duschgelegenheiten für „Auswärtige“ in der Nähe.

Abends genehmigen wir uns eine große Pizza zu Preisen wie vor zehn Jahren. Ein gelungener Abschluss für einen erfolgreichen, aber auch anstrengenden Marathon-Sonntag.

 

Fazit:

Die Gegend ist schön, es gibt viel zu besichtigen, aber das Wetter kann einem das Ganze etwas vermiesen. Die Marathonstrecke vor der Pandemie führte von Cividale über Palmanova nach Aquileia und bot somit mehr Abwechslung (siehe die früheren Berichte auf m4y). Ein Vorteil gegenüber der bisherigen Punkt-zu-Punkt-Strecke liegt darin, dass man sich die lange Busfahrt zum Start spart. Der Unesco Cities Marathon hat auch mit einer relativ kleinen Teilnehmerzahl von unter 300 Finishern seinen Platz im italienischen Laufkalender.

Die Informationen auf der Internetseite waren zum Teil nicht aktuell. Die Bezahlung musste per Überweisung vorgenommen werden, da sparte man wenigstens die sonst übliche Bearbeitungsgebühr des Zeitnehmers.

Die finale Streckenführung wurde erst am Montag vor dem Marathon und nur in den sogenannten sozialen Medien veröffentlicht. Einen Streckenplan gab es nur für den Halbmarathon. Überraschend engagiert und professionell hingegen die Organisation vor Ort, über die nur Positives zu berichten ist. Der Zuschauerzuspruch war auf Palmanova beschränkt, was auch am kalten Wetter gelegen haben kann.

 

 

 

Informationen: Unesco Cities Marathon
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