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Laufberichte

Lebendige Geschichte

19.12.21 Pisa Marathon
 

Dieses Jahr hatte ich mir für den Dezember etwas Nettes aufgehoben: Zwei Marathons in Italien standen auf dem Plan, erst in Reggio Emilia und eine Woche später in Pisa. Das Ganze als Reise mit dem Auto, um pandemie- und auch wetterbedingt flexibel zu bleiben. Leider gelang der Plan nur zur Hälfte. Eine starke Erkältung verschob unsere Abreise, sodass wir Reggio streichen mussten und bei guter Wettervorhersage am Samstag in Pisa eintreffen.

Der historische Kern der knapp 90.000 Einwohner zählenden Stadt ist relativ klein. Aber immerhin  25 Kirchen gibt es im Zentrum, viele schöne Palazzi und einige Museen, darunter auch ein Rechengerätemuseum.

Die Startunterlagen gibt es diesmal gleich in der Nähe des Schiefen Turms in einem Krankenhaus. Wenigstens steht über dem Eingang in einen schönen Innenhof „Ospedale Santa Chiara“. Dort bekommen wir die Startnummer mit Chip, bedruckt mit Namen und Nationalitätenfahne, einen blauen Beutel des Sponsors Cetilar und ein schönes Laufshirt, in Schwarz-Rot gehalten, mit einem netten Aufdruck im Popart-Stil von Keith Haring.

Früh geht es in ein Lokal zum Pasta-Essen mit dem Vorteil, dass wir die einzigen Gäste sind. Während unseres Aufenthalts werden fast immer unsere Impf-QR-Codes geprüft. Ansonsten sieht man im Gewimmel des Weihnachtsmarkts oder in der belebten Einkaufsstraße viele Italiener mit Maske. Da mache ich gleich mal mit.

 

Marathontag

 

Unser Hotel liegt am anderen Ende der Innenstadt, sodass wir um 8:00 Uhr aufbrechen. Es ist mit Null Grad ziemlich kalt. Bei der etwas abseits gelegenen Taschenabgabe zuerst zu den Toilettenhäuschen, erst dann ziehen wir uns um. Der Straßenbelag ist von einer rutschigen Eisschicht überzogen. An der Startaufstellung geht es recht gedrängt zu. Judith und ich bleiben lieber in den ersten Sonnenstrahlen am Ende des Feldes.

 

 

Pünktlich um 9:00 Uhr geht es los. Über die breite Via Bonanno Pisano laufen wir Richtung Arno. Dort an der Stadtmauer drehen wir nach links. Zwischen uns und dem Fluss steht der mittelalterliche Torre Guelfa. Die Häuser am Arno strahlen golden in der aufgehenden Sonne. Der Palazzo alla Gironata ist der Sitz des Rektorats der Universität. 49.000 Studenten gibt es hier an mehreren Lehranstalten. Darunter auch zwei sehr renommierte Eliteschulen, die Scuola Normale Superiore (270 Studierende) und die Scuola Superiore Sant'Anna (1.600 Studierende). Ein gewisser Galileo Galilei hat seine wissenschaftliche Laufbahn in Pisa begonnen.

Der Arno ist nach dem Tiber der zweitwichtigste Fluss Mittelitaliens und hier in seinem gezähmten Bett nicht sonderlich schön anzusehen. Nach Regenfällen im Apennin kann er sehr schnell anschwellen, außerdem gibt es seit den 1960er Jahren einen Kanal, der an Pisa vorbei zum Meer führt, sodass hier heute nur trübes Wasser steht.

Die Piazza Garibaldi mit entsprechendem Standbild liegt an der Ponte di Mezzo und markiert den Beginn der Gässchen auf der nördlichen Arnoseite. Für uns geht es noch an zwei weiteren Plätzen mit obligatorischem Weihnachtsbaum vorbei. Dieser ist hier stets mit blinkenden Lämpchen versehen, anscheinend geht der Trand zu weißen Birnen. Farbiges Material ist nicht mehr oft zu sehen. Auch wiederverwendbare Plastikbäume scheinen im Wohnzimmer oder auf dem Balkon nicht verpönt zu sein. Dafür sind die „offiziellen“ Bäume auf den Piazze dann meist echt. Vor uns kann man die Läuferschar auf der Ponte della Fortezza erkennen. Die Festung von San Gallo werden wir nicht sehen, da wir auf der südlichen Arnoseite wieder zurücklaufen.

 

 

Auf der Piazza XX Settembre wieder eine schöne Christbaumgruppe, dahinter die weißen Logge di Banchi mitsamt einem italienischen Weihnachtsmarkt. Von hier führt der Corso Italia direkt zum Hauptbahnhof, gesäumt von vielen Geschäften und Bars. Wer es ein bisschen ruhiger will und nette Kneipen und Restaurants sucht, wird östlich davon im Viertel San Martino fündig.

Wir kommen zum Kirchlein Santa Maria della Spina, einem architektonischen Kleinod mit vielen Heiligenfiguren, Verzierungen und Türmchen an der Fassade. Ursprünglich wurde dort ein Dorn aus der Dornenkrone Jesu aufbewahrt. Bei einer Verlegung der Kirche auf hochwassersicheres Terrain in den Jahren nach 1871 wurde der Dorn in ein anderes Gotteshaus gebracht. Leider kommt das Kirchlein an seinem neuen Platz, eingeklemmt zwischen Kaimauer und Straße, nicht besonders gut zur Geltung.

Gegenüber erinnert eine große Hinweistafel an Leonardo Fibonacci, einen Rechenmeister aus Pisa, samt seiner Zahlenkette. Im algerischen Bougie lernte er 1192 das Rechnen mit den novem figurae indorum („neun Ziffern der Inder“), unseren heutigen Ziffern. Die nach ihm benannte Fibonacci-Zahlenfolge, bei der sich die jeweils folgende Zahl aus der Addition der beiden vorherigen Zahlen ergibt, steht in direktem Zusammenhang mit den Maßverhältnissen des Goldenen Schnitts und ist in der Natur überall präsent. Fibonacci beschrieb damit das Wachstum einer Kaninchenpopulation.

 

 

Kurze Zeit später geht es durch die Porta a Mare, Teil der antiken Stadtmauer, und nach 5 km haben wir Pisa hinter uns gelassen. Die erste Verpflegungsstelle wartet auf uns. Noch gibt es nur Wasser. Bei km 39,5 kommen wir wieder hierher. Es folgt eine Straße, gesäumt von unzähligen kleinen Häusern. Wir laufen ein paar Kilometer zwischen diesen Häusern, dahinter sind Felder. Gelegentlich finden sich ein paar Zuschauer ein.

Am Ende der Häuserkette taucht eine auffällige romanische Kirche auf, die wir in einem U umlaufen. Es ist die Basilika San Piero a Grado. Hier soll der heilige Petrus das erste Mal italienischen Boden betreten haben. Früher begann hier schon das Meer. 

Bei km 12 die Trennung von den Halbmarathonis. Ordner weisen uns auf die Trennung hin. Ich glaube einige abschätzige Kommentare über die vermeintlich fußlahmen Halbmarathonis zu hören, natürlich mit spaßigem Unterton.

Jetzt haben wir die Straße für uns und damit viel Platz. Kurz danach geht es in ein Pinienwäldchen. Ich liebe Pinien und ihren Geruch und freue mich. Anscheinend hat sich hier das Militär eingenistet. Überall gibt es Zäune mit Hinweisschildern  „Zona Militare“. Jetzt verstehe ich auch die merkwürdigen Häuschen, in Reih und Glied in den Pinien versteckt, die man aus dem Flugzeug sehen kann.

Ein Brite spricht mich an. Sein Begleiter musste abreißen lassen. Er möchte über Marathons mit mir sprechen, ich über den Brexit. Als ich erfahre, dass er aus London kommt, haben wir schon das nächste Thema, die Covid-19-Variante Omikron, die in Großbritannien schon ziemlich wütet. Er läuft seinen siebten Marathon, war auch schon in London am Start und ist ziemlich beeindruckt, als ich ihm erzähle, wo ich schon überall war. Ich wünsche ihm viel Erfolg und lasse mich ein bisschen zurückfallen, damit Judith aufschließen kann.

 

 

Nächste Abwechslung beim Erreichen der Küste in Tirrenia nach km 18: Wir laufen nach links und finden uns auf einer Begegnungsstrecke wieder. Mal sehen, wer da alles schneller ist. Links in den Pinien liegen Ferienhäuser, rechts die Bagni und Lidi (Badeanstalten) mit einem Pinien-Park vor dem Sandstrand. Auch für die Militärs und Carabinieri ist hier ein Strandabschnitt reserviert. Keine Betonklötze, wahrscheinlich auch im Sommer sehr schön. Inzwischen ist es mit 10 Grad richtig warm geworden. Ein kühlender Wind fehlt. Uns kommen allerlei Pacer mit großem Gefolge entgegen. Kurz nach dem Halbmarathon die Wendestelle, hier sind wir schon recht nah bei Livorno.

Beim Halbmarathonpunkt setze ich mich langsam von Judith ab. Die Besenpacer kommen später entgegen.

Ich bilde mir ein, es gehe leicht bergauf, aber das kann nicht sein. Hier sehen wir endlich das Meer. Die Häuser stehen direkt an der Küstenstraße. Ich bin froh, dass ich es dieses Jahr noch mal ans Meer geschafft habe. Dieses Licht und die weiche Luft. Ganz anders als zu Hause. Hier gibt’s auch einige Zuschauer, die uns aber nicht anfeuern.

Marina di Pisa war einer der ersten Badeorte in Italien. Er spiegelt die großzügige Architektur der Mitte des 19. Jahrhunderts wieder. Auf einer Postkarte aus dem Jahr 1899 sieht man noch einen breiten Sandstrand vor der Promenade. Dieser ist durch Erosion komplett verschwunden. Die Küste wird nun mit schneeweißen Steinen und Kiesflächen geschützt.An der halbkreisförmigen Piazza delle Balneari steht die Dampflokomotive Dante Alghieri. Sie fuhr hier bis 1920.

Kurz vor der Arno-Mündung biegen wir rechts ab. Jetzt geht es 10 km in Richtung Pisa. Den Fluss sieht man nur selten. Dafür viele Segelboote und Jachten. Die Straße ist nur einseitig gesperrt, der Gegenverkehr ist überschaubar. Ich bin nicht mehr so fit und ärgere mich über die Radler, die an mir vorbeifahren. Weiter vorne bei der Pacergruppe gibt es gelegentlich Wortgefechte, wenn sie sich durchquetschen. Aber das ist in Italien Standard, eine Laufveranstaltung hält Radsportler nicht auf. Und ein Autofahrer, der unerlaubt auch in Laufrichtung unterwegs ist, schneidet mich knapp, als er dem Gegenverkehr ausweicht. Eine Schrecksekunde, als mich der Rückspiegel fast erwischt. Aber wahrscheinlich bin ich nur frustriert, da ich mein Tempo nicht mehr halten kann.

 

 

Den VP 35 erwarte ich schon sehnsüchtig. Wasser, warmer Tee und trockenes Gebäck erwartet uns.

Die Kilometer ziehen sich dahin. Rechts sieht man über die Felder. Eine größere Kreuzung ist gut von der Polizei gesichert. Dann der VP 39,5 km. Kurzes Anhalten für ein Wasser, dann hinein in die Vorstadt. An der Bastione Stampace vorbei über die Ponte della Cittadella. Der Schiefe Turm erscheint recht weit entfernt. Am Arno ein Stück entlang, dann links auf die Via Roma, eher ein unscheinbares Sträßchen. Aber nicht direkt weiter, erst muss noch ein Häuserblock umrundet werden. Doch es stehen ja überall Helfende und die Laufstrecke ist mit grünem Strich perfekt gekennzeichnet. Da kann man nicht falsch laufen.

Ich sehe das 42 km Schild. 100 Meter später öffnet sich die Piazza delle Miracoli. Ein bemerkenswertes Ensemble, errichtet im 11. bis 12. Jahrhundert  in einem damals neuartigen Stil, der prägend für viele Kirchen in der Toskana wurde. Mit einem Glockenturm aus Carrara-Marmor, so anders als alles, was bis dahin gebaut worden war. Wenn doch nur jemand daran gedacht hätte, dass auf sandigem Untergrund ein flaches Fundament nicht reicht! Der Turm sackte schon während des Baus weg. Nach einer kreativen Pause wurde dann einfach senkrecht weiter nach oben gebaut. Das hielt über Jahrhunderte. Irgendwann Ende der 1990er-Jahre kam dann die Sperrung für Besucher – rein statisch sollte ein Überhang von über vier Metern nicht möglich sein.

Es folgten viele Diskussionen von Fachleuten - das können Italiener genauso gut wie wir Deutsche. Dann die Idee: Boden vereisen – mit dem Ergebnis, dass sich der Turm noch mehr neigte. Auch Bleigewichte richteten nichts aus, bis jemand sich auf einen Vorschlag von 1968 besann, der darin bestand, einfach auf der Gegenseite etwas Sand unter dem Turm zu entfernen. Und siehe da, der Turm richtete sich wieder auf und hat heute nur noch 3,9 Meter Überhang. Alles wieder gut, einem Besuch und dem Erklimmen der 200 Stufen steht nichts mehr im Weg, sofern man gut zu Fuß ist. Dom, Baptisterium und der Friedhof Camposanto sind natürlich auch einen Besuch wert.

 

 

Nach links auf das Zieltor zu. Unter dem Jubel einiger weniger laufe ich ins Ziel. Es gibt eine schöne Medaille im Popart Stil. Danach eine Plastiktüte mit Orange, Banane, Törtchen, Wasser und Goldfolie.

Die beiden Sprecher unterhalten wohl gut, aber nur auf Italienisch. Auch Touristen sind auf dem Campo unterwegs. Mir ist schon recht kalt, als Judith ins Ziel kommt. Wir ziehen uns in der Sonne um und machen uns auf ins Hotel. Mein Londoner Laufkumpan steht für den Besuch des Schiefen Turms an. Das hebe ich mir für nächstes Mal auf.

 

 

Fazit:

 

- Ein internationaler Marathon im Dezember

- Gut organisiert und normalerweise auch mit gutem VP Angebot

- Schönes Laufshirt im Startpreis enthalten

- Zeitnahme alle 10 km

- Duschmöglichkeit

- Schneller Kurs, 6:30 Stunden geöffnet.

- Schnelles Feld: Die Mitte lag bei 3:48 h.

- Das Wetter ist oft wärmer als zu Hause, aber eine Garantie gibt es nicht.

- Der Last-Minute Preis von 70 € erscheint mir für italienische Verhältnisse recht hoch, zumal er für Ausländer um 10 € über dem Preis für Italiener liegt (was laut EU-Verordnung nicht erlaubt ist und was man ja guten Freunden auch nicht zumuten sollte).

- Anreise mit der Bahn über den Hochgeschwindigkeitsbahnhof Florenz und dann per Regionalzug oder mit dem Auto, wenn man noch ein wenig herumfahren will (Maut von Kufstein bis Pisa: 55€). Am schnellsten und oft billigsten kommt man mit dem Flieger hin. Pisa wird von mehreren Low-Cost-Airlines angeflogen. Vom Terminal ist man zu Fuß in 15 Minuten in der Altstadt. Vorsicht: Bei schlechter Sicht werden die Flugzeuge nach Bologna umgeleitet.Dann geht es mit dem Bus nach Pisa, was gut zwei Stunden extra bedeutet. Also Puffer einplanen.

 

 

Informationen: Pisa Marathon
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