Ganz freiwillig waren meine Eltern nicht auf Mallorca. Der Landweg aus Berlin war aus politischen Gründen zu riskant, blieb nur das Flugangebot von Quelle. Mallorca warb mit Sonderangeboten um Hochzeitsreisende und so kam es, dass meine Eltern zeitgleich mit Fürst Rainier und Grace Kelly ihre Flitterwochen auf Formentor verbrachten. Unvergessen blieb meinen Eltern ihre erste Limonade aus frischen Zitronen auf der fürstlichen Jacht „Deo Juvante“ (mit Hilfe von Gott).
Gottes Hilfe und Flitterwochen braucht man nicht mehr unbedingt, um nach Mallorca zu gelangen. Die TUI lockt, auch ohne Gebet, Marathonwillige nach Palma. Die werden gleich am Flughafen per Großbild informiert: „Scheiß drauf, Malle ist nur einmal im Jahr!“ Beim Sommerhit von Peter Wackel fallen die Urlauber reihenweise von den Tischen, das begreifst du direkt nach der Landung.
Gunter, der Chef von artiva sports, dem Hersteller der Finishershirts sagt: „Nirgends begegnet man so entspannten Läuferinnen und Läufern. Tolle mediterrane Urlaubsatmosphäre mit einem sehr schönen und perfekt organisierten Laufevent in einem der schönsten Städte Europas.“ Das stimmt, die Marathonmesse ist nicht in einer stickigen Messehalle mit prämarathonalem Geruch, sondern im Parc de la Mar, von Palmen überdacht, von der Kathedrale gekrönt und von der Meeresbriese gestreichelt. Da macht die Pastaparty richtig Spass.
Das neue Lied von Mickie Krause könnte so klingen: „Es ist warm, hab den Startbeutel am Arm!“ Der Dauergast und Vorzeigeathlet des Mallorca-Marathons singt im Mega Parc („Nur noch Schuhe an“), lebt alkfrei und läuft logischerweise für den alkfreien Weizenbierhersteller aus Deutschland. In Köln lief er zuletzt den Halben in 1:33. Mal sehen, was er morgen drauf hat. Heute gibt er den Startschuß für die zahlreichen Kinderläufe. Auch Miquel Capo Soler, der Seriengewinner, schickt seinen Laufnachwuchs auf die Strecke, er selbst muss verletzungsbedingt eine Pause einlegen.
Mit 2000 jungen Läufern ist die Veranstaltung komplett ausgebucht. Die Teilnahme ist kostenlos. Es gibt Medaille, Urkunde und Zielverpflegung. Die Stimmung bei den Kinderläufen ist, das muss ich anerkennend sagen, unglaublich und großartig! Da werden Stöpselchen strahlend an den Händen gehalten, während andere mit Heidenspeed zum Start wetzen. Liebe Leute! Die Kinderläufe darf man sich nicht entgehen lassen! Bin sehr beeindruckt!
„Gewandelt hat sich in den letzten Jahren die Herkunft der Läuferinnen und Läufer, bei denen Deutschland mit 44 % zwar weiter den größten und Spanien mit 28 % den zweitgrößten Anteil stellt; deutlich angestiegen sind allerdings die Anmeldungen vor allem aus Großbritannien, den Niederlanden und Skandinavien.“ Das ist der einzige Satz, den ich aus der Pressemappe übernehme. Ansonsten habe ich eigene Geschichten zu erzählen
Eine herrlich leuchtende Morgensonne erfüllt uns mit Urlaubsgefühl. Die frische Meeresbrise ist angenehm für die Lungenflügel. Trügerisch, denn es wird heute ein wahrlich heisser Kampf werden.
Direkt nach dem Start, unterhalb der Kathedrale, beginnt der Hafen, unser Laufrevier für etwa fünf km hin, fünf ähnliche zurück. Es geht viel zu schnell los. Nur, damit man es mal gehört hat: Varadero, Port Pesquer, Darsena, da kommt man nicht mit einer Suunto Arbit rein. Dazwischen die Zentrale von 95,8 Mallorca. Wer hier in den Hochhäusern wohnt, der hat es geschafft. Freitag stand ich hier, habe Bewohner angebettelt, für eine Fotogelegenheit von deren Terrasse über den Hafen. Ging nix. Einige Damen haben es da einfacher. Sie bieten „Haus-und Yachtbesuche“ in der deutschsprachigen Zeitung an.
Am königlichen Jachthafen liegen bessere Sportboote, auch das vom alten König Juan Carlos. Der Princess-Sofia-Cup wird zu Ehren seiner Frau, der Prinzessin von Griechenland, ausgetragen.
Ein anderes traumhaftes Schiff fällt mir auf: Die Germania Nova. Ein elegantes Segelschiff, Hochzeitsgeschenk von Bertha Krupp an Ihren Gatten Gustav (1908). Sämtliche Regatten hatte es zur Freude des Kaisers gewonnen, dann wurde es von den Briten 1914 beschlagnahmt. Unglaubliche Legenden entstanden um dieses Schiff bis zu seinem Untergang vor Key Biscayne 1930. Dies hier ist ein originalgetreuer Nachbau. Es segelt unter der Flagge von Antigua und kann für 90.000 Euro pro Woche gemietet werden.
Daneben liegt die Lady Joy, ein Schlitten, der auf der ehemaligen deutschen Kolonie Marschall Inseln registriert ist. Es hat seinen Grund, warum die Daten dieser „Pleasure Craft“ im Bootsregister geschwärzt sind.
Bei km 2 laufen wir knapp am Deutschen Gymnasium vorbei, einem unfassbar schönen Modernismo-Bau von 1910, mit Balkönchen, Erkerchen, Blümchenstuck, Girlanden und Eisen, Treppchen und Türmchen, darüber das kreisrunde Castell de Bellver (1311). Es läuft sich gut, es ist viel Platz auf der breiten Uferstrasse.
Es geht direkt am Torre de Senyals vorbei, dem ältesten noch vorhandenen Leuchtturm der Welt (1290). „Der rote Korsar“, aus meinem Lieblingscomic, tauchte durch die Hafenenge zwischen dem Torre de Senyals und dem gegenüberliegendem Torre de Pareires, sprengte den Turm, denn eine Kette war zwischen den Türmen gespannt, hielt seine Flotte gefangen.
Nach der Rückeroberung von den Mauren fielen die Korsaren (Cursor/Läufer, also Streuner) jahrhundertelang in Mallorca ein. Meiner war rothaarig, weil er von den germanischen Barbaren (= Berber) abstammte. Genetische Analysen ergaben, dass etwa 4000 Barbaren die Strasse von Gibraltar querten.
Hinter dem Turm ist das Fortalesa de Sant Carles (1610). Zwischen riesigen Kanonen grasen Esel. Dann ein kleiner Abstecher in den Hafen für Kreuzfahrtschiffe. Das größte Schiff ist die MSC Musica, es fährt unter der Flagge von Panama, gehört einer italienischen Kreuzfahrtgesellschaft. Sophia Loren hat es getauft. Wendepunkt der Strecke.
Es geht zurück Richtung Altstadt. Die HM-Läufer, die 20 Minuten nach uns gestartet sind, kommen uns entgegen. Es sind, glaube ich, etwa 5000. Die ersten Läufer haben elegante Laufstile, dann kommt die Masse, dann wird der Laufstil immer schlechter, die Läufer immer dicker, bis am Ende die ersten Walker auftauchen.
Rechts wieder diese großen Yachten. Oder auch nicht, denn die meisten existieren gar nicht. Keine Kaufbelege, keine Angaben in den Registern, keine Eigentümer. Schwarzgeld.
Über den Passeig des Born (km 10) kommen wir in die Altstadt. Zu maurischer Zeit war dies ein Wassergraben, dann fanden hier Ritterturniere statt, nun ist es eine stilvolle Edel-Shoppingmeile mit herrlichen Cafés unter kühlen Platanen, in deren alten Stadtpalais Luxus-Boutiquen untergebracht sind. Steinsphinxen bewachen den Eingang am Placa De La Reina.
Rechts das Restaurant „Es Parlament“: Freitag stand ich zufällig hier an der Theke und siehe da, ein verborgenes Türchen tat sich auf und Parlamentarier huschten heimlich aus dem angrenzenden Sitzungssaal zur Theke. Die schauten so unschuldig, ich hatte Mitleid.
Am nördlichen Ende, auf der Placa del Rei Joan Carles I bilden Bronze-Schildkröten das Fundament eines großen Obelisken. Es steht in jedem Reiseführer: Um 17:30 muss man in der „Bar Bosch“ sitzen, den Rücken an die Hauswand. Dass hier noch nie eine Frau kellnern durfte, erklärt sich bei dieser Aussicht von selbst.
Die nächste Strasse ist die Rambla, heute kein Blumenmarkt. Haus Nr 15: hinter der schwarzen Tür verbirgt sich eine tourifreie Zone, mit vorzüglichen Tapas. Man muss aber auch den Blick heben, zu den architektonischen Edelsteinen, wie das Gran Hotel und die zahllosen Paläste der Adelsleute: Jeder hat einen Turm, denn wenn ein Schiff erwartet wurde, stieg ein Dienstbote hinauf, um dem Kutschenfahrer die Ankunft der Gäste bekanntzugeben. Kamen die Korsaren, verbarrikadierte man sich.