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Laufberichte

Offene Geheimnisse

14.10.12

In der Werbung für Appenzeller Käse versucht Uwe Ochsenknecht den knorrigen Sennen das Geheimnis der Kräutersulz zu entlocken. Nichts da, Geheimnis bleibt Geheimnis.

Heute geht es aber nicht um Appenzeller, sondern um Emmentaler. Auch dieser Käse hatte für mich als Kind etwas Geheimnisvolles. „Wie um alles in der Welt kommen diese Löcher da hinein?“  fragte ich mich und Erwachsene. „Die werden hineingebohrt“, war eine der Antworten. Wenn ich als kleiner Stöpsel im Urlaub Milch holen durfte, schaute ich dem Käser aber zu genau unter der Schulter durch, als dass ich diese Erklärung geglaubt hätte. Die äußere Unversehrtheit des Käselaibs blieb mir nicht verborgen.

Auch der Emmentaler als Mensch ist im Grunde genommen ein Geheimnisträger per se, denn die Hügel des Emmentals bergen noch so manches Geheimnis. Die läuferischen Geheimnisse dieses Landstrichs werden aber großzügig geteilt. Auf jeden Fall mit all denen, die den Weg in die „Höger und Chräche“ auf sich nehmen. Schon zum 24. Mal beweisen die unermüdlichen Helferinnen und Helfer aus dem Umkreis der Turnvereine Trub und Trubschachen, dass sie diesbezüglich keine Geheimniskrämerei betreiben, und laden zum Napf-Marathon.

Wie schon die beiden Jahre zuvor reise ich mit ein paar Ultrakilometern in den Beinen aus dem Wallis an. Diesmal spüre ich diese Kilometer besonders in den Oberschenkeln und in Form einer Muskelzerrung in der rechten Wade. Trotzdem kommt es für mich nicht in Frage zu kneifen, allein schon wegen des Spaghettiessens, zu welchem am Samstagabend Helfer- und Läuferschar geladen sind. Vier verschiedene Saucen werden angeboten, zwei davon fleischlos. Nachschlag gibt es so viel du magst.

 

Obwohl ich kräftig zugreife, muss ich keine Angst haben, dass mir das Teilnehmergeschenk nicht mehr passen wird. Dieses ist eine Bereicherung für meine doch recht umfangreiche Laufkleiderauswahl. Manchmal hätte ich sie mir im Winter gewünscht, nun habe ich eine: Eine lange Trägerhose, die an zugigen Wintertagen den zusätzlichen Schutz für Rumpf und Nieren bietet.

Camping bei einer Temperatur knapp über dem Gefrierpunkt ist auch eine Frage der Ausrüstung. Die stimmt soweit gut und der heiße Kaffee im Festzelt um 8.00 Uhr sorgt für einen guten Übergang ins  Tagesprogramm.  Obwohl ich nicht friere, werde ich heute lang und mehrlagig gekleidet an den Start gehen. In Sachen Schwitzen werde ich die Komfortzone nicht verlassen, dafür werden das Verlassen anderer Komfortzonen und die damit verbundene Langsamkeit schon sorgen.

Zum dritten Mal hintereinander bin ich Mitte Oktober am Sonntag in Trubschachen am Bahnhof, warte auf den Startschuss und überlege mir, was und wie ich von diesem als Bieridee geborenen Marathon berichten soll. Eigentlich habe ich doch schon alles gesagt und geschrieben und Bilder der Landschaft habe ich in verschiedensten Schattierungen gesammelt. Wie ich am Schluss des Feldes loszottle realisiere ich, dass mir heute auch nicht viele Teilnehmer vor die Linse kommen werden.

Kurz nach dem Start geht es in spitzem Winkel links ab und gleich in eine Steigung hinein. Der Napfmarathon beginnt als Landschaftslauf auf asphaltierter Straße, vorbei an Kühen und alten, stattlichen, gepflegten und mit Blumen geschmückten Bauerhäusern vorbei. Auch an drei Verpflegungsposten auf den ersten acht Kilometern. Wer da dehydriert, macht definitiv etwas falsch. Erstlinge, welche die Geheimnisse der Strecke noch nicht kennen, mögen sich auf diesem Abschnitt vielleicht über die Bodenbeschaffenheit beschweren, sich später aber dankbar an dieses Geschenk erinnern.

Bei mir hinten ist mit Wolfram ein weiterer Schreiberling unterwegs. Er schreibt für eine bekannte Fachzeitschrift, doch Konkurrenz gibt es zwischen uns beiden nicht. Weder in Bezug auf unsere Tätigkeiten als Berichterstatter noch läuferisch. Wir gehören zur Läuferfamilie – genauer gesagt zur Trail- und Ultraläuferfamilie, da geht es noch entspannter zu. Wir reden über dies und das, natürlich auch über die verschiedenen Berichte der verschiedenen Laufreporter. Wie es so ist, ergibt das Eine das Andere. Wir beschließen, es heute Joe gleich zu tun und ebenfalls tausend Tode zu sterben.

Den ersten verbuchen wir gleich beim erstmaligen Verlassen der Teerstraße unmittelbar nach dem dritten Verpflegungsposten, wo wir auf eine Weide Jakobs Leiter emporsteigen müssen - allerdings ohne Sprossen. Wenn wir schon bei einem theologischen Thema sind, dann kann ich auch verraten, dass von hier an ökumenisch gelaufen werden kann. Wie das geht? Während man auf den ersten Kilometern parallel dazu läuft, folgt man von hier an während der nächsten fünfzehn Kilometern mehr oder weniger direkt dem Grenzverlauf der Kantone Bern und Luzern. Hier reformiert, da katholisch. Hoffentlich gibt es im Fall der tausend Tode keine konfessionellen Kompetenz- und Zuständigkeitsrangeleien.

Dem Charakter der gesamten Landschaft folgend, steigt der Kurs grundsätzlich an, ist aber immer wieder mit zum Teil nahrhaften Abstiegen durchsetzt. Waldwege, Wiesenpfade, Wurzeln und Schlamm erfordern erhöhte Aufmerksamkeit, da ist vielleicht ganz gut, liegt das Dreigestirn der Berner Alpen, Eiger Mönch und Jungfrau nicht mehr im Blickfeld.

Pech hatte Spitzenläufer Martin Schmid, der mir spazierend und bandagiert entgegenkommt. Nach einem Sturz musste er aufgeben und kann nicht mehr vorne mitmischen.

Der Posten bei Kilometer 15 bietet einen schönen Ausblick auf den Namensgeber und Kulminationspunkt Napf. Er scheint zum Greifen nah, doch vor seiner endgültigen Bezwingung muss ich tatsächlich fast nach ihm greifen, so steil ist der Schlussaufstieg. Vermutlich darf sogar das Vieh nur mit vorheriger Einweisung durch den Schweizerischen Alpenclub hier oben weiden.

Meine Energiereserven sind trotz Spaghetti satt am Vorabend schon ziemlich aufgebraucht und ich hätte schrecklich Lust auf gut gesalzene Pommes. Für einen kleinen Umweg zur Gaststätte reicht mir die Zeit nicht, trotzdem muss ich keine Angst haben, dass ich mit leerem Tank auf der Strecke bleiben werde – es sei denn, es hätte sich auf der zweiten Streckenhälfte etwas geändert, was ich aber nicht  zu glauben wage. Und wenn es doch so ist, dann muss ich mit implodierendem Magen einen weiteren Tod sterben. Und auf einen weiteren kommt es nicht an, der nächste ereilt uns dort, wo im Niemandsland ein Scherzkeks eine Wirtshaustafel mit der Aufschrift „Erdinger Weißbier“ an eine Tanne genagelt hat. Ein weiterer folgt nach Kilometer 25 beim gnadenlos steilen Aufstieg zum Höchenzi. Sind die wunderbaren Herbstblumen im Garten des Bauernhauses das Material für Siegeskränze für die, welche es hier geschafft haben, oder Trauerflor nach diesem weiteren Tod?

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Informationen: Napf-Marathon
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