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Laufberichte

65 Km von Baiersbronn nach Sandweier

24.07.05

 Ab und an aber zieht es auch den einsamsten Wolf zurück zum Rudel


Läufer sind Einzelkämpfer, Läuferinnen natürlich auch. Eine Form von Egoismus, die sich mitunter in schnellen Zeiten ausdrückt. Schließlich gibt es auch nur einen "inneren Schweinehund", und den besiegst nur du allein. Laufen ist also eher eine einsame Angelegenheit, was nicht unbedingt negativ zu deuten ist. Mit sich und den Gedanken allein gelassen die Kilometer abzulaufen, wirkt auf Körper und Geist des Öfteren entspannend - bei mir ist das so.

 

Ab und an aber zieht es aber auch den einsamsten Wolf zurück zum Rudel, wird aus dem Einzelhelden ein durchaus gesellschaftsfähiges Wesen. Dann nämlich, wenn die Marathon-Bestzeit unter drei Stunden mal keine Rolle spielt, wenn keine Sicherheitsnadel das teure Funktionshemd samt Startnummer durchspießt. Dann läuft man beispielsweise mit rund vierzig anderen Laufhungrigen von Baiersbronn nach Sandweier bei Baden-Baden. 65 Kilometer. Alles ohne Stoppuhr, aber fast immer entlang der Murg. Einfach nur laufen, laufen, laufen. Obwohl: manchmal werden auch Gehpausen eingelegt.

 

Dass man von der Murg eher selten etwas sieht, dafür um so mehr das mystische Gurgeln und Rauschen vernimmt, liegt an der ungewöhnlichen Startzeit: erst gegen 22 Uhr machen sich die Wölfe am kleinen Bahnhof von Baiersbronn auf den Weg in die Finsternis. Und das kann Vorteile haben. Es ist temperaturmäßig angenehm, motorisierte Vehikel sind kaum unterwegs, und man kann unterwegs eine fast meditative Stille erleben, die der hektische Alltag bei Tageslicht nur noch selten zulässt.

 

Unter diesen Bedingungen setzt sich der Lindwurm langsam in Bewegung, aufgereiht wie eine Perlenkette aus unzähligen Lichtern. Die Stirnleuchten und gelben Warnwesten sind nicht zu übersehen. Kurz denke ich an Biel zurück, meinen ersten 100-Kilometer-Lauf im Juni. An die Nacht der Nächte. Die Luft, die Stimmung, später auch die Ruhe - dies kommt mir bekannt vor. Einen Leitwolf gibt es auch. Rudolf ("Rolf") Mahlburg, ein leidenschaftlicher Dauerläufer mit ausgeprägter sozialer Ader, diktiert vorne das Tempo. Selten zu schnell, aber auch keineswegs zu langsam. Rolf hat mit seinem Team den Nachtlauf zum zweiten Mal auf die Beine gestellt. Und stünde hinter all dem Aufwand nicht so ein großartiges Ziel, nämlich kranken Kindern zu helfen, es wäre wohl kaum solch ein nächtliches Engagement zu erwarten. Wie die reichhaltige Tafel an den Verpflegungsständen: Bananen, Äpfel, Fruchtgummi, Trockenobst, Schokolade, Erdnüsse, Müsliriegel, Tee, Wasser, Gemüsebrühe - so mancher wäre gerne für eine längere Kalorienaufnahme gleich dort geblieben.

 

Es geht weiter durch den verdunkelten Nordschwarzwald. Einige Nachtschwärmer reiben sich ob der plötzlich auftauchenden Läuferschar verwundert die Augen, feuern die Verrückten an. Ansonsten aber häufig ruhige Passagen. Ausreichend Zeit auch für den einsamsten Läuferwolf mal wieder in seiner Gedankenwelt zu versinken. Oder aber um das rege Gespräch zu suchen und zu finden. Portraits werden ausgetauscht wie Visitenkarten. Wo wer und wie oft und wie schnell oder langsam schon gelaufen ist, wie die Pläne für die Zukunft aussehen. Wieder Biel oder nur den Rennsteig? Oder beide Läufe zusammen? Ich treffe auf Bernd aus Gernsbach. Ein großer Wolf. Der Riese in der Gruppe, an die zwei Meter groß. Läuft gerne mit seinen riesigen Schritten etwas vor der Gruppe. Im Augenblick trainiert der Triathlet für den Swiss-Alpine. 78 Kilometer den Berg hoch. Respekt!

 

Hinter Gernsbach wird es langsam hell, eine Stirnleuchte nach der anderen geht aus. Wieder tauchen Bieler Erinnerungen auf. Noch ein letztes Mal wird sortiert: Rolf führt die Langsameren nach vorne, sie bestimmen das Tempo. So haben auch Ultra-Novizen auf den 65 Kilometern eine Chance. Nach etwa neun Stunden Sohlenverschleiss ist das Ziel zum Greifen nahe, nur noch ein paar Kilometer sind es bis zum Strandbad von Sandweier. Die Stimmung erwacht schlagartig wie der Morgen, schließlich ein finales Posieren für das Gruppenfoto im Schatten eines Schlosses.

 

Nach ein paar Feldwegen sind alle da. Mir kommt es vor, als sei ich erst vor wenigen Stunden los gelaufen. Das Zeitgefühl muss in der Nacht irgendwo abhanden gekommen sein. Das vielzitierte "Gänsehaut-Feeling" stellt sich auch nicht ein, wahrscheinlich bin ich dafür in dem Augenblick zu müde. Das ändert sich mit einem gewagten  Sprung in den kühlen Badesee und einem gemeinsamen Frühstück gleich danach. Wobei Frühstück kein Ausdruck ist: Buffet für Genießer wäre treffender. Echter Hunger stellt sich bei mir aber nicht ein. Wieder überkommt mich Müdigkeit, da ändert auch der Kaffee nichts.

 

Es folgen die üblichen Verabschiedungsrituale. Die Einzelkämpfer sagen Servus. Mal herzlich, mal förmlich. Das Rudel löst sich wieder auf. Bis zum nächsten Jahr. Denn auch der einsamste Wolf kann dieser einzigartigen Nacht im Nordschwarzwald kaum widerstehen. 

 

Informationen: Nachtlauf Baiersbronn - Baden-Baden
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