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Laufberichte

Hart, aber wunderschön.

16.06.18

47 Km, +4.200 Hm oder alternativ 33 Km mit +3.300 Hm. Wem bei diesen Zahlen nicht schwindelig wird und außerdem Lust hat, einen ganzen Tag über Stock und Stein zu hüpfen, der ist beim Montafon Totale Trail richtig.

Rechtzeitig zum vorabendlichen Briefing kommen wir im Montafon an. Die Atmosphäre ist sehr locker und man spürt die Vorfreude der Anwesenden. Die Voraussetzungen sind allerdings auch bestens, denn die Wetterprognose ist perfekt und die Strecke bis auf kleinere Schneefelder frei. In lokalem Dialekt macht uns Streckenchef Daniel Fritz klar, dass wir alt genug sind um zu wissen, was man in den Bergen an Kleidung, Getränk etc. braucht. Folglich beschränkt er das Pflichtgepäck auf 1 Rettungsdecke und 1 Handy. Verspricht aber, dass jeder, der ohne diese beiden Gegenstände beim Start auftaucht, nicht mitlaufen darf. Zu guter Letzt erwähnt er, dass er das Briefing bei Bedarf nochmal in einwandfreiem Hochdeutsch wiederholen kann.

Der nächste Morgen. Die Wetterfrösche haben nicht zu viel versprochen. Ein strahlend blauer Himmel, geschätzte 10°C. Die Bedingungen sind perfekt. Die Pflicht-„Ausrüstung“ wird tatsächlich streng kontrolliert, dann werden wir in den Startbereich gelassen. Es folgen noch ein paar Hinweise zum heutigen Wettkampf (in fast einwandfreiem Hochdeutsch) und dann heißt es warten auf den Startschuss. Wobei Startschuss nicht ganz stimmt. Da wir auf dem Kirchplatz in Schruns starten, übernimmt der Kirchturm das Kommando. Mit dem ersten Glockenschlag um 7 Uhr geht es los. Die ersten vier Kilometer sind verhältnismäßig flach, größtenteils auf Asphalt, aber es ist auch ein herrlicher Pfad durch den Wald dabei. Vorsichtiges Warmlaufen ist die Devise. Zu viel kann man hier schon kaputt machen, wenn man sich von den (vermeintlich) ganz schnellen Läufern mitziehen lässt.

 

 

Dann ist es endlich soweit. Wir biegen in einen steilen Bergpfad, der sich in unzähligen Serpentinen nach oben schlängelt. Aus Läufern werden Wanderer. Nja, „wandern“ ist übertrieben, ich krieche den Berg rauf, schwitze wie bei einem Sahara Lauf (obwohl es maximal 10°C im schattigen Wald hat) und hadere mit meinen Körpermaßen. Wenigstens finde ich ein konstantes Schneckentempo, mit dem ich ohne Stehenbleiben vorwärts komme. Mein Arbeits- und Laufkollege Fabian ist deutlich besser drauf und schon einige (Höhen-)Meter entschwunden. Er grinst fröhlich zu mir runter als wollte er sagen: „Ja, wo bleibst du denn?“

Ich nähere mich einem Läufer, äh Wanderer mit Startnummer, der die Sache offensichtlich zu motiviert begonnen hat. Er ist schon jetzt voll am Anschlag. Er bleibt stehen, winkt ein paar Konkurrenten vorbei, geht ein paar Meter, bleibt keuchend stehen und winkt die nächsten vorbei. Der Arme, das wird ein langer Tag werden...

Der Pfad zieht sich ewig, gefühlt zumindest. Tatsächlich sind es nur 2 Kilometer mit +500 Höhenmetern. Oben angekommen, wartet der erste Verpflegungsposten. Erst 6 Kilometer sind geschafft, aber die Uhr zeigt, dass schon fast eine  Stunde vergangen ist. Rekordverdächtig ist was anderes. Doch ab jetzt wird es leichter. Vorläufig zumindest. Ansteigende und flache Passagen wechseln sich ab. Ein ständiger Wechsel zwischen Laufen und Gehen ist jetzt gefordert. Auf herrlichen Wegen und Pfaden schlängeln wir uns durch den stillen morgendlichen Wald. Plötzlich erreichen wir die Baumgrenze, der Wald lichtet sich und macht den Blick frei auf die atemberaubende Landschaft. Beeindruckend ist der Blick ins Tal, so weit sind wir schon rauf gekommen! Leider ebenfalls beeindruckend ist der Blick auf den Buckel direkt vor meiner Nase, so weit müssen wir noch rauf!

Wenige Meter weiter ist der zweite Verpflegungsposten, ehe der finale Anstieg zum Sennigrat beginnt. Für müde Wanderer gibt es einen Sessellift, für uns einen steilen Serpentinen-Anstieg durch wenig fotogene Lawinenverbauungen.

Aber dann hat das Steigen endlich ein Ende. Der folgende Höhenweg bietet Trailrunning pur, wie es schöner nicht sein könnte. Ein traumhafter Bergpfad auf einem Bergrücken. Die Beine laufen plötzlich wie von selbst. Nur gelegentlich unterbrechen kurze felsige Stücken bzw. kleine Schneefelder den Flow. Die Wormser Hütte wird passiert, ab hier nennt sich der Pfad „Wormser Höhenweg“. Wir kraxeln kurz auf das 2398m hohe Kreuzjoch, dürfen das Gipfelkreuz abklatschen, und weiter geht die Trailrunning-Freude.

Der Pfad wird technisch etwas anspruchvoller. Wer es liebt über Stock und Stein zu hüpfen, kommt hier voll auf seine Kosten. Trailrunning vom Feinsten. Der Blick ist jetzt nicht mehr auf die umliegende Landschaft gerichtet, jetzt zählen nur noch die nächsten 3-5 Schritte. Allerdings folgen nun auch die ersten schwierigen Passagen. Der Pfad schmiegt sich stellenweise eng an den relativ steil abfallenden Grashang und ist keine 20 Zentimeter mehr breit. Man wundert sich nicht über die Lawinenverbauungen hier, man wundert sich nur, dass man in kurzen engen Serpentinen mitten durch die Dinger durch muss. Einmal bücken, unter so einem Ding durchzwängen, und weiter geht‘s. Ein kurzes Stück ist mit Seil gesichert, dann wird es wieder leichter und wir steuern auf den dritten Verpflegungsposten zu. Der Blick zurück zeigt wie steil abfallend der Hang war an dem wir uns entlang gelaufen sind.

 

 

Nach dem Verpflegungsposten wird der Bergpfad wieder etwas wilder. Wer  trittsicher und schwindelfrei ist,  ist jetzt definitiv von Vorteil. Gestern hatte ich noch gewitzelt als es hieß, dass hier Österreichische Meisterschaften im Skyrunning ausgetragen werden, da ich Skyrunning mit wettkampforientiertem Klettersteig-Gehen in Verbindung bringe. Als Klettersteig kann man das hier zwar nicht bezeichnen, aber stolpern darf man hier nicht.

Schließlich verlassen wir den Wormser Höhenweg und stürzen uns in den Downhill, der uns ins 1.400m tiefer liegende St. Gallenkirch bringt. Schmale Berg- und Waldpfade mit durchschnittlich 25% Gefälle bieten genauso viel Trailrunning-Charme wie der eben verlassene Höhenweg. Wer den Reiz des technischen Downhills einmal für sich entdeckt hat, will es nicht mehr missen. Die volle Konzentration auf die nächsten paar Schritte trifft die kindliche Freude am Springen über Stock und Stein, gepaart mit einer verhältnismäßig hohen Geschwindigkeit versetzt es in einen Rausch, der fast alles andere vergessen lässt. Fast... Plötzlich durchfährt ein pieksender Schmerz linkes Schienbein und Oberschenkel an diversen Stellen. Brennesseln? Disteln? Egal. Und dann haue ich mit dem ohnehin schon blauen Zehennagel voll gegen einen kleinen Stein. So robust sind die Trailrunningschuhe dann doch nicht.

Nach rund 5 Kilometern endet der Pfad. Eine steile Wiese empfängt uns, die wir in der Direttissima nehmen sollen. Fabian tun die Oberschenkel mittlerweile derart weh, dass er sich spaßeshalber am Rückwärts-Bergablaufen probiert, was sich tatsächlich wesentlich besser anfühlt und nur unwesentlich langsamer ist.

 

 

Wir müssen einmal durch‘s Dorf, dann erreichen wir den vierten Verpflegungsposten. Gerade als wir ankommen starten die „Kurzstreckler“. Für sie stehen 10 Km mit +1.200 Hm auf dem Programm. Fabian meint zu mir: „Auf, hinterher“, mir sind Riegel, Schokolade und Getränke am VP aber erst mal wichtiger. Nach der kurzen Rast laufen wir zunächst flach durch‘s Tal. Dann wundere ich mich, warum da vorn jemand rechts im Wald verschwindet. Passiert bei der langen Renndauer nun mal. Doch dann verschwindet der Nächste auch rechts im Wald. Als ich die Stelle erreiche, sehe ich einen gelben Pfeil, der auf einen unscheinbaren Pfad zeigt. Das ist der Grund für das Verschwinden im Wald. Ein schmaler steiler Pfad markiert den Beginn des zweiten langen Anstiegs. Aus Laufen wird wieder mühsames Bergauf-Kriechen. Hätte ich die Stöcke nicht zum Abstützen, würde ich wohl mit der Nase am Boden schleifen.

Das nächste Zwischenziel ist das Almdorf Garfrescha, hier ist der fünfte Verpflegungsposten. 1.500m sind erreicht, d.h. wir haben uns schon wieder 700 Höhenmeter nach oben gekämpft. Der Tisch ist erneut reichlich gedeckt und der Blick auf den zurückliegenden Berg frei. Was, da oben waren wir vorher?

Direkt hinter dem Verpflegungsposten teilt sich die Strecke. Die Teilnehmer des 33 Km- und des 10 Km-Laufs dürfen nach links direkt Richtung Ziel, die 47er nach rechts. Üblicherweise sind bei Wettkämpfen nur Wechsel von der langen Strecke auf die kürzere Strecke erlaubt, aber da der 33er und der 47er gleich viel kosten, ist der Veranstalter hier sehr großzügig. Streckenwechsel von kurz nach lang oder von lang nach kurz sind je nach Befinden erlaubt. Mit 29,5 Km und mehr als 2.000 Höhenmetern in den Knochen sollte man das hier auch gut einschätzen können (ein kurzer Blick in die Ergebnisliste zeigt jedoch, dass überwiegend vom Wechsel lang nach kurz Gebrauch gemacht wurde. Oh Wunder).

Für uns Ultras steht zunächst eine steile Forststraße mitten durch das Skigebiet hinauf zur Bella Nova auf dem Programm. Die Forststraße ist langweilig, erst recht, weil man gerade eben faszinierende Trails erlebt hat. Allerdings hat man nun die Möglichkeit, die umliegende Berglandschaft in vollen Zügen zu genießen ohne sich um einen Stolperer Sorgen machen zu müssen.

An der Bella Nova ist die vorletzte Verpflegung, wir sind wieder auf 2.100m angelangt. Die extra beworbenen Kuchenstücke sind mir fast etwas zu großzügig bemessen, aber der Reiz dann doch größer. Frisch gestärkt geht es eine ausgewaschene Forststraße hinab. Der Streckenchef hat uns mehrfach explizit verboten hier abzukürzen: „Ich weiß, ihr wollt geradeaus über die Wiese runter, aber wir haben eine Vereinbarung, dass alle Läufer auf den Wegen bleiben. Wir haben diesen Abstieg im Blick. Wer abkürzt, bekommt 15 Minuten Zeitstrafe.“ Während die Forststraße bergauf gerade eben einfach nur langweilig war, sind diese 2,5 Kilometer der einzige wirklich unschöne Abschnitt. Wurzelpfade runterspringen macht Spaß und führt nur zu leichten Muskelschmerzen, aber knappe 20% Gefälle auf einer Schotterpiste bringen die Beine an ihre Grenze.

Doch die Entschädigung lässt nicht lange auf sich warten. Wir biegen in das Novatal, welches Trailrunner-Herzen sofort wieder höher schlagen lässt. Nicht nur wegen der zunehmenden Steigung, sondern weil es mit schönen Pfaden und landschaftlichen Reizen nicht geizt. Wir sind raus aus dem Skigebiet, keine Schneekanonen mehr, keine Schotterpisten mehr, nur noch nahezu unberührte Alpenlandschaft. Atemberaubend ist der richtige Ausdruck. Das betrifft sowohl auf die landschaftliche Schönheit als auch die zunehmende Steigung kombiniert mit der zunehmenden Höhe zu. Ein Mitläufer sagt später unter Dusche: „Da habe ich geschnauft, als wäre ich am 4000er unterwegs“.

Schneefelder werden nun eher zur Regel als zur Ausnahme, bevor am Matschuner Joch das Novatal endet. Von hier ist das Gipfelkreuz der 2466m hohen Madrisella gut zu sehen. Der Blick da rauf ist schön, von oben ist er wahrscheinlich noch schöner.  Aber ganz im Ernst, eigentlich will ich da gar nicht mehr rauf.

Die letzten Meter zum Gipfel sind zäh. Ob es an der ungewohnten Höhe liegt oder daran, dass ich schon über 7 Stunden unterwegs bin, spielt keine Rolle. Ich muss da rauf. Dann folgt der finale Abstieg. Noch 3,5 Km hinab zum Ziel an der 2.000m hoch gelegenen Nova Stoba. Auf schönen Pfaden, die teilweise technisch noch einmal einiges fordern, dürfen wir die letzten Kilometer hinab zum Ziel springen. Gelegentlich kommen kleine Gegensteigungen, damit man ja nicht vergisst, dass es bergauf auch noch gibt. Dann ist endlich das Ziel erreicht. Der Empfang ist herzlich, vor lauter Gratulieren vergesse ich die obligatorischen Zielfotos.

 

 

Fazit:

Eine tolle Veranstaltung mit einer wunderschönen Strecke, die aber sowohl körperlich als auch koordinativ einiges fordert. Man sollte schon ein bisschen Bergerfahrung mitbringen, wenn man hier mitlaufen möchte. Die Organisation ist perfekt. Alle Verpflegungsposten sind super ausgestattet, die Markierung sehr gut,  die Atmosphäre bei allen Läufern und Helfern angenehm. Die 2.000m hoch gelegene Nova Stoba als Zielort bietet einen traumhaften Blick und eine perfekte Infrastruktur. Das Ticket für die abschließende Gondelbahn-Fahrt ist natürlich im Startgeld inbegriffen. Wer noch gute Beine hat, kann den Weg ins Tal natürlich auch zu Fuß zurücklegen. Der Trail sieht von der Gondel aus sehr reizvoll aus.

 

Informationen: Montafon Totale Trail
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